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#591 Woher kommen moralische Pflichten?

April 28, 2019
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

lassen Sie mich zunächst betonen, wie sehr Sie und Ihre Arbeit hier in Großbritannien geschätzt werden. Ihre Arbeit gilt hier auf der anderen Seite des Atlantiks als das Nonplusultra!

In letzter Zeit gab es in den Online-Foren viel Aufregung wegen einer neuen Videoreihe zum Thema Moral. Sie stammt vom YouTuber „cosmic sceptic“ (er zitiert Ihr Moral-Argument häufig). Ich verweise Sie bloß hierauf, weil er vor allem hier in GB, aber auch in den USA, eine große Gefolgschaft hat. Sein erstes Video war das umstrittenste. Darin behauptete er, dass es auch dann unmöglich wäre, für objektive moralische Pflichten  zu argumentieren, wenn es einen Gott gäbe. Nach einigem Geschwafel reduziert er seine Beobachtungen letztendlich auf eine Frage: „Warum sollen wir das Gute tun?“ Sie scheint der Dreh- und Angelpunkt seines Arguments zu sein. Ich gebe zu, dass mich diese Frage verwunderte – „Natürlich sollen wir das Gute tun“, dachte ich mir. „Es gäbe kein ‚sollen‘, wenn es kein ‚gut‘ gäbe, ‚sollen‘ wird einfach so definiert!“ Doch schon bald bemerkte ich, dass das zirkulär gedacht ist. Brauche ich nicht irgendeinen externen Grund, einen anderen als die Definition von ‚sollen‘, dafür, dass ich das Gute tun soll? Falls dies ein beliebter Slogan oder eine Frage wird, mit der Atheisten den Theisten gegenübertreten – was können wir darauf antworten? Ihre Hilfe in dieser Sache wird nicht unbemerkt bleiben.

Amos
Großbritannien

United Kingdom

Prof. Craigs Antwort


A

Ich habe Cosmic Sceptics Kritik noch nicht gesehen, Amos, aber wenn Sie sie richtig darstellen, dann hat dieser arme Kerl nicht einmal im Ansatz die Ansicht verstanden, die er da kritisiert. Doch da Sie sagen, dass seine Kritiken großen Einfluss haben, lohnt es sich, die Zeit zu nehmen, um seinen Fehler zu korrigieren.

Mir scheint, als wäre er gewillt, zuzugeben, dass der Theist zumindest moralische Werte ganz plausibel in Gott begründen kann. Als größtes vorstellbares Wesen ist Gott das Paradigma des Guten, und Dinge sind insofern gut als sie Gott ähneln. So weit, so gut (man beachte das Wortspiel)!

Doch er fragt: „Warum sollen wir das Gute tun?“ Das ist eine Frage über die Grundlage moralischer Pflichten (unserer Verpflichtungen und Verbote). Nun, warum, denken Sie, heißt eine ethische Theorie des göttlichen Befehls „Theorie des göttlichen Befehls“? Eben weil sie unsere moralischen Pflichten in Gottes Befehle begründet! Das Geniale an dieser Theorie ist, dass sie eine plausible Grundlage für moralische Werte und moralische Pflichten bietet. Verpflichtungen entstehen aufgrund von Befehlen, die von einer kompetenten Autorität geäußert werden (Frage der Woche #165). Als das personifizierte Gute ist Gott außerordentlich kompetent, uns moralische Befehle zu geben, die dann unsere moralischen Pflichten konstituieren.

Sie liegen also richtig mit ihrer Einschätzung, dass „es kein ‚sollen‘ gäbe, wenn es kein ‚gut‘ gäbe.“ Das ist moralischer Nihilismus. Doch daraus folgt nicht, dass es für moralische Pflichten nicht mehr als das Gute braucht. Cosmic Sceptics Frage hebt eine der größten Schwächen des atheistisch-moralischen Platonismus hervor, der immerhin ein objektives Gut postuliert, aber überhaupt keine Grundlage für objektive moralische Pflichten hat, weil das Gute ein unpersönliches, abstraktes Objekt ist. Gemäß dem atheistisch-moralischen Platonismus sind moralische Untaten genauso real und objektiv wie moralische Werte, und es gibt nichts, was uns dazu verpflichtet, unser Leben manchen dieser abstrakten Entitäten anzupassen und anderen nicht.

Der Atheist steht hier also vor einer riesigen Herausforderung: Er muss die Objektivität nicht nur moralischer Werte sondern auch die moralischer Pflichten erklären. Selbst wenn er ein platonisches Gutes postuliert, hat er keine adäquate Antwort auf die Frage, warum wir das Gute tun sollen. Im Theismus hingegen sollen wir das Gute tun, weil das Gute selbst uns das aufgetragen hat.

Die Frage lautet also vielmehr: Ist eine ethische Theorie des göttlichen Befehls plausibel? Hier möchte ich auf meine Debatte mit Erik Wielenberg zum Thema „Gott und Moral: Was ist die beste Erklärung für objektive moralische Werte und Pflichten?“[1] verweisen, die vor kurzem stattfand. In dieser Debatte stimmte Wielenberg mir darin zu, dass göttliche Befehle eine Quelle moralischer Pflichten sein können (womit er Cosmic Sceptic widerspricht), doch versuchte er, drei Einwände gegen die Theorie des göttlichen Befehls vorzubringen: (1) Die Theorie wählt willkürlich göttliche Befehle als einzig mögliche Quelle moralischer Verpflichtungen aus; (2) die Theorie impliziert, dass Nicht-Gläubige keine moralischen Verpflichtungen haben, da Gottes Befehl und sein Autorität vielen Menschen unbekannt sind; und (3) durch die Theorie werden moralisch falsche Handlungen unerklärlich, da Gott den Menschen unerklärlicherweise Dinge aufträgt, von denen er weiß, dass sie sie nicht tun werden. Diese Einwände haben mehr Substanz als der von Cosmic Sceptic, welcher letztendlich nur auf einem Missverständnis beruht. Schauen Sie sich die Debatte an, um zu sehen, wie ich mit den Einwänden umgehe.

William Lane Craig

(Übers.: J. Booker)

Link to the original article in English:

https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/whence-moral-duties

 

[1] Die Debatte ist auf Englisch. Originaltitel: „God and Morality: What Is the Best Account of Objective Moral Values and Duties?”

- William Lane Craig