English Site
back
05 / 06

#611 Antwort auf Reaktionen auf New York Times Interview

April 28, 2019
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

dies ist eigentlich keine Frage, sondern ein Kompliment. Ich fand Ihre Antworten auf die Fragen von Nicholas Kristof absolut perfekt! Es gibt in dem, was ich die säkulare Welt nennen möchte, ja so viele Missverständnisse über den christlichen Glauben (fairerweise muss man hinzufügen, dass das Gegenteil wahrscheinlich auch stimmt), und Sie haben diese Missverständnisse richtig angesprochen und ausgeräumt.

https://www.nytimes.com/2018/12/21/opinion/sunday/christmas-christian-craig.html?
emc=edit_nk_20181221&nl=nickkristof&nlid=5947292120181221&
te=1&fbclid=IwAR0dq4NjAoOHcCUlj4mWK9yX5S0JwjnF_xRCtAx1rvQQ-Zto3rRcQCyNgH8

Holt

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Danke für Ihre mutmachenden Worte, Holt! Es hat mich gefreut, dass unser nur zu kurzes Interview zu so lautstarken Reaktionen führte. Anfeindung ist mir hundertmal lieber als Apathie.

Was mir bei den vielen Kritiken am meisten auffiel, war ihre Unwissenheit bezüglich der wissenschaftlichen Arbeit von Christen. Die Kritiker scheinen buchstäblich nicht zu wissen, was wir machen und dass es Tausende gibt – Philosophen, Neutestamentler und Naturwissenschaftler –, die meinen Glauben an die Grundlehren des Christentums teilen. Diese christlichen Forscher sind aktiv in ihren Berufsverbänden, publizieren in anerkannten Fachzeitschriften und führenden wissenschaftlichen Verlagen und lehren an unseren Universitäten.[1] Sollen wir so herausragende Gelehrte wie Alvin Plantinga, George Ellis und N.T. Wright als Idioten oder Scharlatane betrachten?

Tatsache ist, dass diese Kritiker in ihrer eigenen Welt zu leben scheinen, die nicht nur von christlichen Gelehrten und Wissenschaftlern abgeschottet ist, sondern auch von der allgemeinen Forschung zu den betreffenden Themen. Einige von ihnen gehen so weit, dass sie Mr. Kristof Vorwürfe machen, weil er sie mit seinem Interview in ihrer Ruhe gestört hat. Ihre intellektuelle Isolation zeigt sich z. B. in

  1. ihrer Bejahung des mythologischen Jesus, einer Lehre, die von den Gelehrten schon im 19. Jahrhundert gewogen und für zu leicht befunden wurde;
  2. ihrer Bejahung des Szientizismus, einer sich selbst ad absurdum führenden Epistemologie, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts populär war, aber inzwischen von praktisch allen Philosophen abgelehnt wird;
  3. ihrer Skepsis bezüglich der Möglichkeit von Wundern, trotz der fast einhelligen Position heutiger Philosophen, dass die klassische Anti-Wunder-Argumentation von David Hume nicht funktioniert.

Interessanterweise haben viele der Kritiker keine Probleme damit, wenn Theisten in ihren Argumentationen an den Glauben appellieren, reagieren aber allergisch, sobald es heißt, dass es Beweise für den christlichen Theismus gibt. Warum also derart heftige Reaktionen? Viele meiner Kritiker scheinen ganz zu übersehen, wie bescheiden meine Behauptungen sind. Ich habe argumentiert, dass der christliche Theismus vernünftig ist. Das schließt mitnichten aus, dass der Unglaube nicht auch vernünftig sein kann. Warum müssen wir Menschen, deren Meinung wir nicht teilen, für irrational erklären?

Viele der Kritiker scheinen zu glauben, dass theistische Positionen per se intellektuell minderwertig sind. Damit zeigen sie, dass sie offenbar keine Kenntnis haben von den aktuellen Debatten über Ursprung und Finetuning des Universums, die selbst unter vielen Physikern den Theismus zu einer realistischen Option gemacht haben. Unter den professionellen Philosophen ist der Theismus heute eine geachtete, wenn auch nur von einer Minderheit vertretene Position. Wenn Sie sich für die neueren Entwicklungen der Argumente für die Existenz Gottes interessieren, sollten Sie sich einmal The Blackwell Companion to Natural Theology (Wiley-Blackwell, 2009) anschauen.

Was den christlichen Theismus betrifft, frage ich mich, ob meine Kritiker wissen, dass die Mythologie heute nicht mehr als relevante Kategorie für das Verständnis des historischen Jesus gilt. Im 20. Jahrhundert gab es unter Bibelforschern eine Bewegung „zurück zum jüdischen Jesus“. Man erkannte, dass der richtige Deutungsrahmen zum Verständnis Jesu von Nazareth nicht die heidnische Mythologie ist, sondern das Judentum im Palästina des 1. Jahrhunderts. Was z. B. die Jungfrauengeburt betrifft, so sind die heidnischen Mythen über Götter, die in Menschengestalt Geschlechtsverkehr mit Frauen haben, um Nachwuchs zu zeugen, das genaue Gegenteil einer Jungfrauengeburt (oder genauer: Jungfrauenzeugung).

Wie man persönlich die Geschichte von der Jungfrauengeburt Jesu einordnet, hängt zweifellos mit davon ab, ob man glaubt, dass Gott sich in Jesus endgültig offenbaren wollte. Hier spielt eine entscheidende Rolle, was wir mit der angeblichen Auferstehung Jesu von den Toten machen. Die große Mehrheit der heutigen Historiker, die über das Thema geschrieben haben, erklärt, dass Jesus von Nazareth von den Römern gekreuzigt wurde, dass sein Leichnam von einem Mitglied des Sanhedrin namens Josef von Arimathäa in einem Grab beigesetzt wurde, das früh am Sonntagmorgen nach der Kreuzigung dieses Grab von mehreren Frauen, die Jesus nachgefolgt waren, leer vorgefunden wurde, dass diverse Personen und ganze Gruppen Jesus nach seinem Tod begegneten und dass die Jünger plötzlich und aufrichtig zu dem Glauben kamen, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hatte, obwohl sie vom Gegenteil ausgegangen waren. Die Kritiker dürfen diese Fakten gerne verneinen, aber dann müssen sie eine Widerlegung der Fakten liefern, die die Mehrheit der Forscher von der Realität der Auferstehung überzeugt hat. Diese Fakten scheinen es durchaus vernünftig zu machen, an die Auferstehung Jesu sowie an seine radikalen Selbstaussagen zu glauben – es sei denn, man hätte schlagende Argumente für die Unmöglichkeit von Wundern zur Hand. Die Beweislast ruht hier eindeutig auf den Schultern der Skeptiker.

Ich stehe also fest zu meiner Behauptung, dass der Glaube an den christlichen Theismus vernünftig ist, und möchte meine Kritiker einladen, sich die Fakten, die für die Wahrheit des christlichen Theismus sprechen, noch einmal in aller Ruhe anzuschauen.

William Lane Craig

Link to the original article in English: www.reasonablefaith.org/writings/questions-answer/response-to-comments-on-nytimes-interview

 

[1] Anmerkung des Übersetzers: Craig beschreibt die Situation in den USA.

- William Lane Craig