English Site
back
05 / 06

#512 - „Was wäre, wenn…?“-Fragen

February 02, 2019
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

seit nunmehr zwei oder drei Jahren bin ich ein Bewunderer Ihrer Arbeit. Bevor einer meiner Freunde, der selbst ein Christ ist, mich an Ihre Internetseite heranführte, war ich ein Atheist. Jetzt aber fühle ich mich hin- und hergerissen zwischen dem Atheismus/Szientismus auf der einen und dem Christentum auf der anderen Seite. So gerieten vor einigen Tagen meine Weltsicht und meine Zuversicht, dass die Philosophie die Existenz Gottes beweisen kann, wegen folgender Überlegung ins Wanken:

Unsere evolutionsgeschichtlichen Vorfahren – sagen wir, vor 50000 Jahren, – hatten nicht die leiseste Vorstellung von Philosophie; oder zumindest hatten sie nicht so eine fortgeschrittene und differenzierte Weltsicht wie wir heute. Derzeit scheint Ihre Philosophie, ebenso wie die Philosophie von Plantinga, Kreeft, Lennox und von einigen anderen, logisch beweisen zu können, dass Gott existiert. Mein Problem besteht nun darin: Was wäre, wenn in 50000 Jahren – vorausgesetzt,  die Menschheit überlebt so lange, – die menschlichen Fertigkeiten, Argumente abzuleiten und logisch zu denken, sehr viel besser werden als unsere heutigen, und wenn man dann in Ihren Argumenten Widersprüche findet? Oder wenn man in Zukunft bessere Argumente gegen die Existenz Gottes entwickelt, Argumente, die wir mit unserer heutigen Intelligenz noch nicht begreifen können?

Wie kann ich mich darauf verlassen, dass meine geistigen Fähigkeiten dafür ausreichen, einen absolut wasserdichten logischen Beweis für die Existenz Gottes zu entwickeln? (Und zwar eines, welches sich sowohl  angesichts der heutigen menschlichen Denkmöglichkeiten als schlagendes Argument erweist, als auch morgen, wenn sich das menschliche Denkvermögen weiter entwickelt haben wird.)

Ihr hoffnungsvoller Bruder in Christus

Matthew

Canada

Prof. Craigs Antwort


A

Obwohl diese Art von „Was wäre, wenn…?“- Fragen sehr verbreitet ist, Matthew, ist sie in Wirklichkeit müßig. „Was wäre, wenn ich nur ein Gehirn im Tank wäre, angeschlossen an den Computer eines verrückten Wissenschaftlers?“ „Was wäre, wenn ich nur eine Simulation eines Körpers wäre, die die virtuelle Realität einer Matrix bewohnt?“ „Was wäre, wenn ich von einem bösen Gott oder Dämon getäuscht worden wäre?“ „Was wäre, wenn das Universum nur ein Hologramm wäre?“

Das Problem bei diesen hypothetischen Fragen besteht darin, dass es  jeweils keinerlei Gründe dafür gibt, diese Szenarien für wahrscheinlich zu halten, sodass sie nicht als Gegenargument gegen unsere Überzeugungen wirken können. Einfach nur eine hypothetische Möglichkeit zu schildern, ist noch keinerlei Argument gegen die Überzeugung, dass  x der Fall ist. Man muss vielmehr gute Gründe haben um anzunehmen, dass eine Hypothese wahr ist. Andernfalls kann dadurch eine andere Überzeugung nicht widerlegt werden.

Sehen wir uns nun den Fall an, der Sie beschäftigt: Sie fragen: „Was wäre, wenn in 50000 Jahren – vorausgesetzt,  die Menschheit überlebt so lange, – die menschlichen Fertigkeiten, Argumente abzuleiten und logisch zu denken, sehr viel besser werden als unsere heutigen, und wenn man dann in Ihren Argumenten Widersprüche findet? Oder wenn man in Zukunft bessere Argumente gegen die Existenz Gottes entwickelt, Argumente, die wir mit unserer heutigen Intelligenz noch nicht begreifen können?“ Gibt es irgendeinen Grund zu glauben, dass das passieren wird? Sie könnten einwenden: „Bedenken Sie den enormen Fortschritt, den die Menschheit innerhalb der wenigen letzten Jahrtausende in der Argumentation und Logik gemacht hat!“ Zweifelsohne ist das ein guter Grund, zu erwarten, dass diese Entwicklung auch weiter voranschreiten wird. Aber das alleine ist noch kein Grund, zu erwarten, dass Widersprüche in den Argumenten der Theisten gefunden werden, oder dass bisher nicht bekannte oder denkbare Argumente gegen den Theismus  gefunden werden. Bloße Ängste begründen noch keine Skepsis. Eigentlich vermute ich, dass das Wahrscheinlichere in der gegebenen historischen Konstellation ist, dass irgendwelche neuen Argumente für die Existenz Gottes gefunden werden, wie das zum Beispiel beim sog. Finetuning-Argument passiert ist[1], und dass Lösungen von Problemen gefunden werden, die derzeit unlösbar zu sein scheinen, (wie es etwa bei dem  jahrhundertealten logischen Problem des Bösen der Fall war[2]). Die Gründe für den Optimismus wiegen also die Gründe für die Besorgnis mehr als auf.

Außerdem darf man nicht glauben, dass mit dem wissenschaftlichen Fortschritt die alten Theorien einfach nur überholt werden würden. Eher werden sie aufgenommen und eingegliedert in neue Theorien: So gilt etwa die Newtonsche Physik weiterhin, auch innerhalb der Relativitätstheorie, nämlich für Objekte, deren Geschwindigkeit deutlich langsamer ist als die des Lichtes. Auch ist es nicht so, dass die alte Logik über Bord geworfen wird, weil Fortschritte in der Logik gemacht werden (z.B. kann die Aussagenlogik Schlüsse ziehen, mit denen die aristotelische syllogistische Logik nicht umgehen konnte.) Nach wie vor gilt, dass, wenn alle A B sind, und alle B C sind, dass dann auch alle A C sind. Im Gegensatz zur Wissenschaft hängt die Logik nicht von empirischen Fakten ab und muss daher seltener revidiert werden. Die Argumente für den Theismus, die ich verteidige, gründen auf solchen elementaren und intuitiven Schlussregeln, sodass es wohl kaum eine Möglichkeit gibt, dass sich die Schlussregeln mit der Zeit so ändern werden, dass wir alleine deshalb die Argumente verwerfen werden oder sie für selbstwidersprüchlich halten werden.

Aber noch wichtiger ist vielleicht, dass Ihre Frage anscheinend von einer falschen Voraussetzung ausgeht, nämlich dass wir nach „einem absolut wasserdichten logischen Beweis für die Existenz Gottes“ suchen oder dass wir es überhaupt brauchen. Das ist falsch. Die Existenz Gottes muss - anders als Sie annehmen - nicht mit mathematischer Gewissheit bewiesen werden, um den Gottesglauben sowohl als rational als auch als wahr ansehen zu können. Mathematische Gewissheit ist eher eine Art Irrlicht, von dem Sie sich in der Philosophie nicht leiten lassen sollten.

Mehr als das: Weder ich noch Plantinga und vermutlich auch nicht Lennox meinen, überhaupt mit Argumenten die Existenz Gottes beweisen zu müssen, um uns zu vergewissern, dass Gott existiert. Wie Plantinga bereits in ziemlicher Ausführlichkeit dargelegt hatte, erschuf uns Gott ausgestattet mit kognitiven Fähigkeiten, die uns – wenn sie normal funktionieren– auf basale Weise Seine Existenz zeigen, sowie die uns zeigen, dass die Kernaussagen der Evangelien zutreffen, wenn wir sie hören. Daher ist unser Wissen, dass der christliche Theismus wahr ist, nicht von den Launen der Geschichte abhängig, und also haben wir keine Angst vor dem, was die zukünftigen Entwicklungen uns bringen mögen.

Im Gegenteil, Plantinga demonstriert überzeugend, dass, wenn der Naturalismus wahr ist, wir dann kein Vertrauen in unser Denkvermögen haben können. Angenommen, Z (für „zuverlässig“) sei die Proposition, dass unsere kognitiven Fähigkeiten zuverlässig sind;  N (für „Naturalismus“) sei die Proposition, dass es keine solche Person wie Gott oder etwas ihm Vergleichbares gibt, wie es der Naturalismus ja annimmt; und E (für „Evolution“) sei die Proposition, dass wir und unsere kognitiven Fähigkeiten sich auf dem Wege herausgebildet haben müssen, wie dies die zeitgenössische wissenschaftliche Evolutionstheorie voraussetzt.

Plantinga formuliert sein Argument wie folgt:

  1. Die Wahrscheinlichkeit W (Z │N & E) ist gering.[3]
  2. Jeder, der akzeptiert bzw. glaubt, dass N & E der Fall ist, und einsieht, dass die Wahrscheinlichkeit W (Z │N & E) gering ist, hat ein schlagendes Argument gegen Z.
  3. Jeder, der ein schlagendes Argument gegen Z hat, hat ein schlagendes Argument gegen jede andere Überzeugung, von der er glaubt, sie zu haben, inklusive der Überzeugung N & E.
  4. Wenn jemand, der N & E akzeptiert, damit also gleichzeitig ein Gegenargument gegen N & E akzeptiert, dann widerlegt N & E sich selbst, und man kann N&E nicht rationalerweise für wahr halten.
  5. Deswegen kann N&E nicht rationalerweise für wahr gehalten werden.

Plantinga hat diese Prämissen ausführlich in seinem Buch „Where the Conflict Really Lies: Science, Religion, and Naturalism[4] (“ (Oxford University Press, 2011) verteidigt. Nicht der Theist ist folglich in Schwierigkeiten, wenn er seinen "geistigen Fähigkeitenvertraut, sondern der Nicht-Theist!

Übers.: N.N.

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/what-if-questions

 

[1]                Wissenschaftliche Fortschritte in der Astrophysik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben viele Aspekte der Feinabstimmung der Naturgesetze und Naturkonstanten des Universums zum Vorschein gebracht. Näheres zum Feinabstimmungsargument siehe folgende Fragen der Woche: http://www.reasonablefaith.org/search/results?q=Feinabstimmung (Anm. d. Übers.)

[2]                Heute gilt der „Free-Will-Defense“-Ansatz, den u.a. Alvin Plantinga in seinen Büchern „God and Other Minds“ (1967) sowie „The Nature of Necessity“ (1974) entwickelt hat, als eine erfolgreiche Lösung der logischen Variante des Problems des Bösen. Mehr zum logischen und probabilistischen Problem des Bösen, siehe den Aufsatz  von W.L. Craig „Das Problem des Übels“: http://www.reasonablefaith.org/german/Das-Problem-des-ubels (Anm. d. Übers.)

[3]                Lies: die Wahrscheinlichkeit, dass unsere kognitiven Fähigkeiten zuverlässig sind, wenn man annimmt, dass sowohl der Naturalismus wahr ist als auch dass wir durch Evolution entstanden sind, ist gering. (Anm. d. Übers.)

[4]                Dt. etwa Die wirklichen Wurzeln des Konflikts: Wissenschaft, Religion und Naturalismus;   bislang nicht ins Deutsche übersetzt. (Anm. d. Übers.)

- William Lane Craig