English Site
back
05 / 06

#509 Der „Wahnsinn“ der Trinität

February 02, 2019
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

ich bin Agnostiker und habe eine Frage zu der Wahrscheinlichkeit, dass es den Gott, wie er von der Mehrheit der Christen akzeptiert wird, tatsächlich gibt: Ist die Dreieinigkeit nicht etwas geradezu fantastisch Unwahrscheinliches? Zu glauben, dass es ein Wesen gibt, das allmächtig und ewig ist, ist schon schwierig genug, aber gleich drei von dieser Sorte? Da ist ja der helle Wahnsinn!

Danke.

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Danke für Ihre Frage, Steve! Bevor ich sie beantworte, möchte ich erst sichergehen, dass wir uns darüber klar sind, was die Trinitätslehre ist und was sie nicht ist. Es ist nicht die Lehre, dass es drei Wesen gibt, die göttlich sind; das wäre Polytheismus. Die Christen glauben nicht an drei separate Götter, sondern daran, dass es einen tri-personalen Gott gibt, also einen Gott, der aus drei Personen besteht.

Das kann einem tatsächlich wie der helle Wahnsinn vorkommen. Aber dass wir uns etwas schier nicht vorstellen können, heißt noch lange nicht, dass es unwahrscheinlich ist. Die Quantenmechanik ist auch der helle Wahnsinn, aber das bedeutet nicht, dass sie als Erklärung der physischen Welt abwegig ist. Wir leben in einem Universum, das das kühnste Vorstellungsvermögen übersteigt.

Darüber hinaus habe ich eine Art Wahrscheinlichkeitsargument für die Behauptung, dass Gott mehr als eine Person ist, vorgebracht, das folgendermaßen aussieht: Gott ist per definitionem das größte denkbare Wesen. Als solches muss er vollkommen sein. Aber ein vollkommenes Wesen muss ein liebendes Wesen sein, denn Liebe ist ein Fall von moralischer Vollkommenheit; es ist besser, wenn jemand liebt, als wenn er lieblos ist. Damit aber muss Gott ein vollkommen liebendes Wesen sein. Nun gehört es zum Grundwesen der Liebe, dass sie sich verströmt. Liebe geht auf eine andere Person zu und kreist nicht um sich selber. Wenn Gott also in seinem Wesen der vollkommen Liebende ist, dann muss er sich in dieser Liebe an eine andere Person hingeben. Aber wer ist diese andere Person? Es kann nicht irgendjemand Erschaffenes sein, da die Schöpfung ein Ergebnis des freien Willens Gottes ist und nicht seines Wesens. Es gehört zu Gottes innerstem Wesen, dass er liebt, aber nicht, dass er erschafft. Wir können uns eine mögliche Welt vorstellen, in der Gott vollkommen liebt, ohne dass es irgendwelche erschaffenen Personen gibt, ja die moderne Kosmologie lässt es als plausibel erscheinen, dass es nicht immer erschaffene Personen gab. Aber Gott liebt von Ewigkeit her, sodass wir sein vollkommen liebendes Wesen nicht allein über erschaffene Personen erklären können. Woraus folgt, dass die andere Person, auf die Gottes Liebe sich notwendig richtet, innerhalb von Gott selber sein muss.

Mit anderen Worten: Gott ist nicht eine einzige, in sich isolierte Person, wie in unitarischen Varianten des Theismus (z.B. dem Islam), sondern eine Vielheit von Personen, wie in der christlichen Dreieinigkeitslehre. Der Gott der Unitarier ist eine Person, zu deren Wesen es nicht gehört, sich in Liebe an einen anderen hinzugeben; er ist nur auf sich selber konzentriert. Damit aber kann er nicht das vollkommenste Wesen sein. Der Gott der Christen dagegen ist eine Dreiheit von Personen, die sich in ewiger, sich selbst verströmender Liebe einander hingeben. Und so ist, da zu Gottes Wesen die Liebe gehört, die Trinitätslehre plausibler als jede unitarische Sicht von Gott.

Und schließlich: Wenn wir nach der Wahrscheinlichkeit einer Hypothese fragen, müssen wir immer auch fragen: wahrscheinlich in Bezug auf was? Wir mögen die Ausgangswahrscheinlichkeit der Trinitätslehre für gering halten, aber ihre letztendliche Wahrscheinlichkeit, wie sie sich aufgrund neuer Fakten oder Argumente darstellt, muss durchaus nicht gering sein. Die Gründe für die Göttlichkeit Jesu bestehen in diesem Fall in der Person und dem Wirken Jesu von Nazareth. Er verändert das Bild völlig. Die ersten Christen waren fromme Juden, die mit Leib und Seele an den Satz glaubten: „Der Herr ist unser Gott, der Herr ist einer“ (5. Mose 6,4; Luther). Nur die allerstärksten Argumente konnten sie dazu bringen, den jüdischen Monotheismus in Richtung einer Mehrzahl von Personen innerhalb Gottes abzuändern. Es war der Versuch, zu begreifen, wer Jesus war, der sie zu der Vorstellung von der Trinität brachte.

Wir stehen heute vor den gleichen Fragen: Was glauben Sie, wer Jesus war bzw. ist? Wie erklären Sie sich sein Leben und seine Lehre, vor allem aber seinen Tod und seine Auferstehung? Wenn Sie diesen Fragen nachgehen, werden Sie möglicherweise seine Göttlichkeit erkennen, womit die trinitarische Sicht von Gott für Sie vielleicht nicht weniger „umwerfend“, aber um einiges wahrscheinlicher werden wird.

(Übers.: Dr. F. Lux)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/the-mind-boggling-trinity

- William Lane Craig