#115 Ist Gott imaginär?
July 29, 2018Weihnachtsmann, Zahnfeen und Gott
Ist Gott imaginär? Atheisten wie Christopher Hitchens behaupten das. Doch wenn sie gebeten werden, ihre Position zu begründen, antworten sie oft, Belege für die Nicht-Existenz Gottes seien vergleichbar mit Belegen für die Nicht-Existenz des Weihnachtsmannes oder der Zahnfee. Doch die Gründe, aus denen man an Gott glaubt, unterscheiden sich signifikant von den Gründen, aus denen jemand vielleicht an den Weihnachtsmann glaubt. In diesem Artikel untersuchen wir, welche Funktion bestimmte Kriterien für eine Beweisführung haben und warum man erkenntnistheoretisch berechtigt ist, nach positiven Belegen für die atheistische Behauptung der Nicht-Existenz Gottes zu fragen. Sofern der Atheist nicht gute Gründe für seinen Unglauben nennen kann, darf man die Frage „Ist Gott imaginär?“ zuversichtlich mit einem kräftigen Nein beantworten.
Sehr geehrter Prof. Craig,
die Debatte zwischen Ihnen und Christopher Hitchens hat mir sehr gefallen und ich war beeindruckt, dass Sie Ihre Position so gut durchdacht haben. Eines fand ich allerdings unfair, nämlich dass Sie Hitchens aufforderten, Belege für den Atheismus oder Belege der Nicht-Existenz Gottes zu erbringen. Ich habe lange darüber nachgedacht, welche Art von Indizien für die Nicht-Existenz überhaupt erbracht werden könnten, nicht nur für Gott sondern auch für den Weihnachtsmann oder Zahnfeen. Ich sage nicht, dass er die Argumente für einen Gott ignorieren kann, aber ich glaube, dass seine einzige Aufgabe darin bestand, Ihre Argumente zu widerlegen.
Kurz gesagt: Könnten Sie mir bitte Beispiele für eine solche Art von überzeugenden Indizien für die Nicht-Existenz Gottes oder anderer Wesen nennen?
Danke!
Steven
United States
Prof. Craigs Antwort
A
Ist Gott imaginär?
W.L. Craig: Einer der ehrenamtlichen Mitarbeiter von Reasonable Faith hat sich kürzlich mit der Frage: „Ist Gott imaginär?“ auseinandergesetzt, Steven; deshalb überlasse ich es ihm, auf Ihre Frage einzugehen. Hier ist seine Antwort:
Stephens Antwort:
Großartige Frage! Die Craig-Hitchens-Debatte war aus vielen Gründen interessant, aber auch frustrierend. „Frustrierend“, weil Hitchens unklar ließ, welche Position er verteidigte: den Nicht-Theismus oder den Atheismus (siehe unten). Aber in der Phase des Kreuzverhörs zeigte sich, dass Hitchens den Atheismus zu verteidigen suchte. Wenn das stimmt, ist Prof. Craig völlig berechtigt, von Hitchens ein Argument für den Atheismus zu verlangen.
Ihre Frage hängt mit einer größeren zusammen, nämlich mit der Frage, wann das Fehlen von Indizien für eine Sache ein Indiz für ihr Nicht-Vorhandensein ist. Ich werde zuerst diese Frage beantworten und am Ende einige Beispiele nennen, um die Sie gebeten haben. Ich habe meine Antwort in Abschnitte gegliedert, damit sie übersichtlicher ist. Wenn Sie sie gelesen haben, möchten Sie vielleicht auch Frage #6 („Die Definition von Atheismus“) im Q&A-Archiv lesen.
Ist Gott imaginär? - Einleitung
Ist Gott imaginär? Der berühmte britische Philosoph Bertrand Russell wurde gefragt, was er sagen würde, wenn er am Jüngsten Tag vor Gott stehen würde und Gott zu ihm sagen würde: „Warum hast du nicht an mich geglaubt?“ Russell entgegnete sofort: „Nicht genügend Indizien, Gott! Nicht genug Indizien!“
Viele betrachten das, was sie für einen offensichtlichen Mangel an Indizien für Gott halten, als Indiz oder Nachweis dafür, dass Gott nicht existiert; das heißt, sie schauen sich um, erkennen nicht „genügend“ Indizien und folgern daraus, dass der Atheismus wahr ist.
Russell erkannte aber, dass es ein Fehlschluss ist, aus einem scheinbaren Mangel an Indizien für Gott auf den Atheismus zu schließen. In seiner berühmten Debatte mit Frederick Copleston im Jahr 1948 zog er es deshalb vor, sich als „Agnostiker“ statt als „Atheist“ zu bezeichnen. Heute ist es allerdings so, dass viele sich selbst „Atheisten“ nennen, obwohl sie in Wirklichkeit Agnostiker sind.
Definieren wir zuerst einige Begriffe in Bezug auf die Frage: „Existiert Gott?“
(Es sei hier angemerkt: Nicht-Theismus ist Antony Flews Definition für „Atheismus“ in: „The Presumption of Atheism“ [dt. sinngemäß etwa „Die Ausgangsannahme, dass der Atheismus wahr ist“]. Dementsprechend hätte der Artikel besser den Titel „The Presumption of Non-Theism“ erhalten sollen.“)
Bei diesen Definitionen sind einige Dinge zu beachten. Erstens schließen der Nicht-Theismus und der Agnostizismus sich nicht gegenseitig aus, denn man könnte Nicht-Theist sein und somit nicht an Gott glauben (d.h., der Glaube an Gott fehlt), aber man könnte auch Agnostiker sein und sagen: „Ich vermute, dass Gott existiert. Aber ich weiß es einfach nicht.“ Beachten Sie auch, wie extrem stark der Agnostizismus ist, denn er behauptet sogar mehr, als Atheisten es tun; der starke Agnostiker sagt, dass beide sich irren, Atheisten ebenso wie Theisten, und dass sie nicht wissen können, was sie behaupten, auch wenn sie solide Argumente zu haben scheinen! Es verwundert daher kaum, dass der starke Agnostizismus manchmal „Vogel-Strauß-Agnostizismus“ genannt wird!
Es gibt solide Argumente für die Existenz Gottes. Einige davon sind sehr gut. Aber angenommen, sie wären es nicht; angenommen alle Argumente für Gott schlagen fehl und es gibt keine guten Gründe mehr, an Gott zu glauben. Was folgt daraus? – Atheismus? Es ist sehr wichtig zu erkennen, dass diese Frage mit NEIN zu beantworten ist. Was daraus folgt, ist allenfalls ein schwacher Agnostizismus.
Ist Gott imaginär? – Wann ist das Fehlen von Indizien für die Existenz einer Sache ein Indiz der Nicht-Existenz?
(Oder: Wann ist die Schlussfolgerung von „Ich sehe keine Indizien für X“ zu „Es gibt kein X“ gültig?)
Das bisher Gesagte wirft die Frage auf: Wann wird das Nicht-Vorhandensein von Indizien zu einem Indiz des Nicht-Vorhandenseins? Das ist eine gute Frage, denn manchmal (allerdings nicht immer) setzt Letzteres das Erstere voraus. Beginnen wir mit einigen Beispielen als Arbeitsgrundlage.
Beispiel 1. Elefanten im Zimmer (Nicht-Vorhandensein von Indizien = Indiz für das Nicht-Vorhandensein)
Jemand fragt: „Sind irgendwelche Elefanten im Zimmer?“ Nachdem ich mich umgeschaut und keine gesehen habe, sage ich: „Nein, ich sehe keine. Es gibt keine Elefanten im Zimmer.“
In diesem Beispiel ist es berechtigt, von „Ich sehe keine“ auf „Es gibt keine“ zu schließen. Was Elefanten in diesem Zimmer betrifft, bin ich nicht agnostisch; ich bekräftige vielmehr: Es gibt keine Elefanten im Zimmer. In diesem Fall ist das Nicht-Vorhandensein von Elefanten im Zimmer ein Beweis ihres Nicht-Vorhandenseins. Aber diese Schlussfolgerung gilt im zweiten Beispiel nicht.
Beispiel 2. Die Fliege im Grand Canyon (Nicht-Vorhandensein von Indizien ≠ Indiz für das Nicht-Vorhandenseins)
Wir stehen oben am Grand Canyon und jemand fragt: „Ist da unten eine Fliege?“ Nach einem kurzen Blick sage ich: „Nein, ich sehe keine. Es gibt da unten keine Fliege.“
Wie im vorherigen Beispiel gelangen wir von „Ich sehe keine“ zu „Es gibt keine“ – doch anders als beim vorherigen Beispiel ist die Schlussfolgerung nicht gerechtfertigt. In Bezug auf die Fliege ist Agnostizismus hier die angemessene Antwort. In dem Beispiel vom Elefanten brauchen wir also keine Agnostiker zu sein, doch in dem Beispiel von der Fliege im Grand Canyon müssen wir es. Warum? Beachten Sie, dass nicht die Größe des Objekts den Unterschied ausmacht. (Bei Ihrem letzten Zoobesuch hätte der Zoowärter Sie fragen können: „Glauben Sie, dass sich in dem Käfig im nächsten Raum ein Elefant befindet?“ und Ihre Antwort könnte Agnostizismus sein: „Ich habe keine Ahnung. Vielleicht.“)
Der entscheidende Unterschied zwischen diesen beiden Beispielen hat ganz mit Ihrer erkenntnistheoretischen Situation zu tun – nämlich, allgemein gesagt, mit dem Umfang und den Grenzen Ihrer Fähigkeit, etwas durch Ihre primären Wissensquellen zu wissen (d.h. Wahrnehmung, Gedächtnis, Introspektion, Zeugenaussagen, usw.) – und mit der Tatsache, dass wir nur in einer der beiden Situationen (Elefanten im Zimmer) ein Wissen erwarten würden, das uns aber fehlt. Meine erkenntnistheoretische Situation in Bezug auf das Wissen, ob ein Elefant im Zimmer ist, ist ziemlich gut, während meine erkenntnistheoretische Situation in Bezug auf das Wissen, ob eine Fliege sich am Boden des Grand Canyon befindet, ziemlich schwach ist. Warum? Wenn wir uns in einer erkenntnistheoretisch guten Situation befinden, welche Bedingungen müssen erfüllt sein, um zu sagen: „Da ist kein X“? Mindestens zwei. Bei einem Nicht-Vorhandensein von Indizien für ein Objekt O kann man nur dann leugnen, dass O existiert, wenn diese Kriterien erfüllt sind:
Kriterium der Erwartung von Indizien. Sollte ein Objekt O existieren, würden wir erwarten, dass es Indizien dafür gibt.
Kriterium der Erwartung eines Wissens. Sollte es ein Beweis für Objekt O geben, würden wir erwarten, Kenntnis dieser Indizien zu haben.
Kurz gesagt: Bei einem Nicht-Vorhandensein von Indizien können wir die Existenz eines Objekts O nur dann leugnen, wenn wir erwarten sollten, ausreichende Indizien zu haben, um zu wissen, dass O existiert, die uns tatsächlich jedoch fehlen.
(Zwei begriffliche Kommentare. Erstens meine ich, wenn ich „Indizien“ sage, einfach irgendeine Art positiver erkenntnistheoretischer Überlegungen, die für das Objekt O sprechen. Nicht-propositionale Überlegungen für etwas zu haben, könnte somit durchaus als „positive erkenntnistheoretische Überlegung“ gelten. Wichtig wird dieser Punkt im Licht der reformierten Epistemologie und der Tatsache, dass der Glaube an Gott eine „berechtigterweise basale Überzeugung“ sein kann, was als „positive erkenntnistheoretische Überlegung“ gelten kann (siehe Fragen #68[1] & #30[2] im Q&A-Archiv). Zu solchen positiven erkenntnistheoretischen Überlegungen gehört auch der Begriff, logisch inkohärent zu sein. Wenn die Idee von etwas logisch inkohärent ist – wie ein „verheirateter Junggeselle“ oder ein „viereckiger Kreis“ – dann haben wir eigentlich kein Beispiel für ein Nicht-Vorhandensein von Indizien, denn wir haben maximale positive erkenntnistheoretische Überlegungen für seine Nicht-Existenz. (Dieser Punkt widerlegt auch den manchmal erhobenen Einwand, dass die Aussage „Gott existiert“ nicht falsifizierbar ist. Diesen Einwand lasse ich für unsere Zwecke beiseite, da noch kein Atheist in der Lage gewesen ist zu zeigen, dass die Idee Gottes logisch inkohärent ist). Zweitens sind dies notwendige Bedingungen, um in der erkenntnistheoretisch guten Situation zu sein, die Existenz von etwas zu leugnen; es sind keine ausreichenden Bedingungen. Mit anderen Worten: Nur weil – selbst wenn – jemand beide Kriterien erfüllt, verpflichtet ihn dies in keiner Weise, die Existenz von O zu leugnen.)
Um seine Position zu beweisen, hat der Atheist seine Aufgabe klar vor sich: Er muss, (a) zeigen, dass die erkenntnistheoretische Situation, in welcher wir uns in Bezug auf den Glauben an Gottes Existenz befinden, die oben genannten Kriterien erfüllt; und (b) darlegen, dass uns ausreichende Indizien fehlen, um zu wissen, dass Gott existiert. Dementsprechend muss er zeigen, dass alle Argumente für Gott nicht fundiert sind, und dann argumentieren, dass wir, wenn Gott existierte, erwarten würden, in einer Position zu sein, in der wir wissen, ob Gott existiert. Doch wie wir sehen werden, gibt es gute Gründe, (a) für falsch zu halten, weil die epistemische Situation, in der wir uns in Bezug auf den Glauben an Gottes Existenz befinden, die oben genannten Kriterien nicht erfüllt.
Ist Gott imaginär? – Probleme, die Kriterien für die Frage nach Gott zu erfüllen
Nun wollen wir diese Kriterien auf Gott und die Unterscheidung zwischen Atheismus und Agnostizismus anwenden. Was Gott betrifft, kann der Atheismus, falls eine dieser Bedingungen nicht erfüllt wird – wenn auch nur eine fehlt – in Abwesenheit eines soliden Argumentes für den Atheismus nicht gefolgert werden. Atheisten sagen, dass in Bezug auf die Frage nach Gott beide Kriterien erfüllt sind, und sie sagen, dass ihnen ausreichende Indizien fehlen, um zu wissen, dass Gott existiert. Da nun viele Atheisten häufig anerkennen (wie Russell es tat), dass es keine soliden Argumente für den Atheismus gibt, hängt die Sache des Atheisten ausschließlich von den Kriterien ab.
Man kann aber argumentieren, dass die eigene erkenntnistheoretische Situation in Bezug auf den Glauben an Gott diese Kriterien nicht immer erfüllt, und dass man daher nicht folgern kann, dass der Atheismus angesichts des (scheinbaren) Mangels an Indizien für Gott wahr ist. Hier ist eine weitere Möglichkeit, dies zu betrachten: Nehmen wir einmal der Argumentation halber an, dass es keine guten Argumente oder Indizien für Gott gibt; im Sinne der oben genannten Beispiele entspricht unsere erkenntnistheoretische Situation in Bezug auf Gott dann eher dem Beispiel von der Fliege im Grand Canyon als dem Beispiel von den Elefanten im Zimmer – und deshalb ist angesichts des (scheinbaren) Mangels an Beweisen für Gott allenfalls dieser (schwache) Agnostizismus die zu vertretende Position, nicht der Atheismus.
A. Warum das „Kriterium der Erwartung von Indizien“ nicht immer erfüllt wird
Das Kriterium der Erwartung von Indizien – es besagte, wie Sie sich erinnern: Sollte ein Objekt O existieren, würden wir erwarten, dass es Indizien dafür gibt – wird nach unserer erkenntnistheoretischen Situation in Bezug auf das Wissen, ob Gott existiert, nicht immer erfüllt.
Man kann bezweifeln, dass Gott das Kriterium der Erwartung von Indizien erfüllt, wenn man einen Augenblick über die flüchtige Natur von Indizien nachdenkt. Erst in den letzten etwa 20 Jahren haben wir die unfassbare und unermessliche Feinabstimmung unseres Universums für intelligentes Leben entdeckt (siehe die Erörterung des teleologischen Arguments in Kapitel 4 von Reasonable Faith, 3. Auflage); und erst in den letzten 80 Jahren haben wir wissenschaftlich gelernt, dass das Universum expandiert und dass es angefangen haben muss zu existieren (siehe die Erörterung des kalām-kosmologischen Arguments – Kapitel 3 in Reasonable Faith, 3. Auflage). Über Äonen der Geschichte waren diese Indizien für unsere Vorfahren einfach nicht zugänglich. Doch da zukünftige Wissensfortschritte gegenwärtige Unwissenheit voraussetzen, bedeutet dies, dass unser aktuelles Verständnis unvollständig oder falsch ist. Es ist also nicht immer der Fall, dass gilt: „Wenn Indizien für Gott existierten, dann würden wir erwarten, davon zu wissen.“
Ein Einwand und eine Erwiderung
Aber wir können uns vorstellen, dass der Atheist einwendet:
„Ganz recht, das Maß an Indizien und guten Argumenten für den Theismus (und andere Dinge) ändert sich, je nachdem, in welchem Jahrhundert oder an welchem Ort man sich gerade befindet. Doch wenn Gott existiert, dann hat er eine moralische Pflicht, sich allen Personen unabhängig von der jeweiligen Zeit und des Ortes, an dem sie sich befinden, klar zu offenbaren. Da er dies nicht getan hat – da er seine moralische Pflicht, sich allen Personen klar zu offenbaren, missachtet hat – können wir mit Gewissheit sagen, dass Gott nicht existiert.“
Ist Gott imaginär? Ich hatte einen atheistischen Professor, der dieser Sicht zustimmte. Er sagte, wenn Gott wirklich wollte, dass wir an ihn glauben, dann würde er vom Himmel aus allen zuwinken, mehr Meere teilen und gewaltige Gegenstände heben.
Das Problem bei diesem Gedankengang ist, dass Gott nicht daran interessiert ist, Party-Tricks zu vollführen, damit wir sagen können: „Wow, das ist aber wirklich außergewöhnlich!“, nur um dann so weiterzuleben wie bisher und unser sündiges, selbstbezogenes Handeln fortsetzen. Gott würde nur dann eine moralische Pflicht haben, mehr Wunder zu vollbringen, wenn mehr Menschen durch das Wirken dieser Wunder zu einer rettenden persönlichen Beziehung zu ihm kommen würden. Aber würden sie das?
Wir haben keinen guten Grund anzunehmen, dass sie es würden; der Atheist hat uns keinen Grund genannt anzunehmen, dass wenn Gott sich offenkundiger offenbaren würde, mehr Menschen eine rettende Beziehung zu ihm genießen würden, als es der Fall wäre, wenn Gott dies nicht täte. Zwar würden Entertainment und Party-Tricks wahrscheinlich dazu führen, dass Menschen die Proposition „Gott existiert“ glauben würden, aber wie könnten wir wissen, dass dies zu einer Herzensänderung führen würde (vgl. Lukas 16,30-31[3])? Das Neue Testament sagt: „Du glaubst, dass nur einer Gott ist? Du tust recht; auch die Dämonen glauben und zittern“ (Jakobus 2,19), und es ist klar, dass Dämonen keine persönliche Beziehung zu Gott haben. Außerdem beschreibt das Alte Testament, dass Gott sich durch verschiedene übernatürliche Taten offenbarte – durch die Plagen über Ägypten, die Feuer- und die Wolkensäule, die Teilung des Roten Meeres, und andere Wunder – doch diese Ereignisse, so übernatürlich sie auch waren, führten nicht zu einer anhaltenden Herzensveränderung bei den Israeliten. Immer wieder fielen sie von Gott ab.
Selbst wenn Gott also mehr Meere teilen oder gewaltige Gegenstände heben würde, gibt es keinen Grund zu meinen, dass das bloße Hervorbringen einer propositionalen Kenntnis Gottes (wie etwa die Proposition zu glauben, dass die Bevölkerung Chinas eine Milliarde übersteigt) zu einer persönlichen, lebensverwandelnden Beziehung mit ihm führen würde. Der Atheist hat nicht gezeigt, dass Gott eine moralische Verpflichtung hat, sich auf solche Weise allen Menschen zu offenbaren; solches zu tun könnte bloßes Entertainment sein.
B. Warum das „Kriterium der Erwartung eines Wissens“ nicht immer erfüllt wird
Betrachten Sie das zweite Kriterium, das Kriterium der Erwartung eines Wissens, welches besagt: Sollte es Indizien für etwas geben, würden wir erwarten, Kenntnis dieser Indizien zu haben. Mindestens drei Gründe lassen sich nennen, warum unsere erkenntnistheoretische Situation in Bezug auf das Wissen, ob Gott existiert, dieses Kriterium vielleicht nicht erfüllt, das heißt, es gibt Zeiten, in denen wir nicht erwarten sollten, Indizien für Gottes Existenz zu kennen. Dies zu sagen, klingt wahrscheinlich zunächst kontra-intuitiv, aber hören Sie mir weiter zu.
Erstens ist es angesichts der Universalität der Sünde und ihrer Auswirkung auf unsere erkenntnistheoretische Situation gar nicht überraschend, dass Gottes Existenz nicht offensichtlich ist und dass wir das Kriterium der Erwartung eines Wissens nicht immer erfüllen. Nach der traditionellen Auffassung des Christentums liegt eine der Auswirkungen unserer menschlichen Sündhaftigkeit in einer Fehlfunktion kognitiver Fähigkeiten: Sie funktionieren nicht immer so, dass sie uns zu nicht-selbstbezogenen Schlussfolgerungen führen. Dies bedeutet, dass sie vielleicht nicht immer hilfreich sind, wenn es darum geht, Indizien in einem günstigen und wahrheitsgetreuen Licht zu interpretieren, weil viele Wahrheiten mit unserer Selbstbezogenheit in Konflikt stehen. (Jesus sagte: „Mich aber hasst [die Welt], weil ich von ihr zeuge, dass ihre Werke böse sind“ (Johannes 7,7)). Diese Auswirkungen auf unsere kognitiven Fähigkeiten bezeichnet man als „noetische Folgen“ der Sünde, und sie können Indizien für Gott entstellen, darunter auch das Zeugnis des Heiligen Geistes (siehe die Fragen #68 und #30 im Q&A-Archiv) sowie zahlreiche andere, weltlichere Dinge im Leben (z.B. ist es leichter, unsere Gegner falsch wiederzugeben als sich die Zeit zu nehmen, sie erst einmal zu verstehen). Prof. Dr. Alvin Plantinga beschreibt diese noetischen Folgen treffend:
„Die noetischen Folgen der Sünde betreffen insbesondere das Wissen, das wir von anderen Menschen, von uns selbst und von Gott haben ... Die Sünde beeinträchtigt mein Wissen von anderen in vielfältiger Weise. Aus Hass oder Abneigung gegen irgendeine Gruppe von Menschen kann ich diese für unterlegen halten, für minderwertiger als mich selbst und meine gediegeneren Freunde. Aus Feindseligkeit und Groll kann ich die Einstellung einer anderen Person zu mir falsch einschätzen oder völlig missverstehen ... Aufgrund dieser elementaren und tiefverwurzelten Sünde des Stolzes kann ich, ohne darüber nachzudenken und fast ohne es zu bemerken, annehmen, ich sei das Zentrum des Universums (was ich, wenn Sie mich danach fragen, natürlich abstreiten werde), sodass ich die Bedeutung dessen, was mir widerfährt, im Gegensatz zu dem, was anderen widerfährt, weit überschätze...“
Plantinga fügt hinzu:
„Die gravierendsten noetischen Folgen der Sünde haben mit unserer Erkenntnis Gottes zu tun. Ohne die Sünde und ihre Auswirkungen wären Gottes Gegenwart und Herrlichkeit so offensichtlich und unumstritten für uns alle wie das Vorhandensein anderer denkender Wesen, physischer Objekte und der Vergangenheit ... Unsere Erkenntnis seines Charakters und seine Liebe zu uns kann getrübt sein: sie kann sogar zu dem düsteren Gedanken werden, Gott sei zu fürchten und man müsse ihm misstrauen; sie kann ihn als gleichgültig oder sogar böswillig betrachten.
Zur traditionellen Taxonomie der sieben Todsünden gehört Faulheit. Faulheit ist nicht einfach Bequemlichkeit, wie die Neigung, sich lieber hinzulegen und fernzusehen als hinauszugehen und für die nötige körperliche Bewegung zu sorgen; es ist vielmehr eine Art geistlicher Leblosigkeit, Blindheit, Unempfänglichkeit, Nachlässigkeit, Dumpfheit, ein Nicht-Bewusstsein der Gegenwart, der Liebe und Anforderungen Gottes.[4]
Plantinga erklärt weiter, wie die Eingebungen der inneren Impulse des Heiligen Geistes (durch die der Heilige Geist wirkt, um uns, neben anderen Wahrheiten, von Gottes Existenz zu überführen) unterdrückt oder beeinträchtigt werden können, indem wir unsere Aufmerksamkeit von Gott abwenden, indem wir zum Beispiel ein Leben zu führen wünschen, das Gott missfällt. Dies war der von Aldous Huxley selbst eingestandene Grund für seinen Unglauben. Er sagt, dass er „Beweggründe“ hatte, nicht an Gott glauben zu wollen, und deshalb „annahm“, dass Gott nicht existierte, und „ohne große Schwierigkeiten in der Lage war, befriedigende Gründe für diese Annahme zu finden.“ Er gestand:
„Unwissenheit ist meistens überwindbare Unwissenheit. Wir wissen nicht, weil wir nicht wissen wollen. Es ist unser Wille, der entscheidet, wie und für welche Themen wir unsere Intelligenz nutzen wollen. Wer in der Welt keinen Sinn entdeckt, tut dies im Allgemeinen, weil eine sinnlose Welt aus dem einen oder anderen Grund ihm in den Kram passt.“[5]
In der jüngeren Vergangenheit sagte Professor Thomas Nagel von der Universität New York etwas Ähnliches: „Ich möchte, dass der Atheismus wahr ist, und mich verunsichert die Tatsache, dass einige der intelligentesten und besonders gut informierten Menschen, die ich kenne, religiös und gläubig sind.“ Er fährt fort: „Es ist nicht einfach so, dass ich nicht an Gott glaube und – natürlich – hoffe, mit meinem Glauben recht zu haben. Es ist so, dass ich hoffe, dass es keinen Gott gibt! Ich möchte nicht, dass es einen Gott gibt; ich möchte kein solches Universum.“[6]
Ein zweites Problem wird bei dem Kriterium der Erwartung eines Wissens aufgeworfen, weil Atheisten oft unangemessen hohe erkenntnistheoretische Maßstäbe anwenden – Maßstäbe, die sie in anderen „normalen“ Kontexten nicht haben würden –, wenn sie die Rationalität des theistischen Glaubens bewerten, indem sie darauf beharren, dass die Prämisse im Argument des Theisten nicht bekannt ist. Zum Beispiel würde unsere gewöhnliche, alltägliche Intuition uns nicht veranlassen zu meinen, dass Objekte plötzlich in die Existenz kommen, ohne durch irgendetwas verursacht zu sein – doch wenn es zum Beispiel um das kalām-kosmologische Argument für Gottes Existenz geht, wird dies von vielen Atheisten behauptet. Wenn es also um Argumente für den Theismus geht, schalten viele Atheisten auf stur, legen die Messlatte für Indizien höher und behaupten, nicht zu wissen, ob die Prämissen wahr sind.
Drittens: Weil Gott nicht daran interessiert ist, uns nur einen propositionalen Glauben an ihn einzuschärfen (d.h. der Aussage zu glauben, dass Gott existiert), sondern eine kindliche oder persönliche Erkenntnis seiner Person, denken einige Philosophen, dass Gott sich vielleicht vor den Menschen „verbirgt“, wenn wir versuchen, den propositionalen Glauben an Gott von einer persönlichen Beziehung zu Gott zu trennen. Wenn Gott dies tut, wird unsere erkenntnistheoretische Situation in Bezug auf ihn das Kriterium der Erwartung eines Wissens nicht erfüllen.[7]
Lassen Sie mich diesen letzten Punkt ausführlicher erklären. Der christliche Gott möchte nicht bloß irgendein abstrakter „Seinsgrund“ oder nur die „beste Erklärung für den Kosmos“ sein – er möchte sowohl der Herr unseres Lebens als auch ein liebender Vater für uns sein. Prof. Dr. Paul Moser, ein bedeutender Philosoph, der in der Frage der göttlichen Verborgenheit Beträchtliches geleistet hat, beschreibt diese Erkenntnis der Kindesbeziehung:
„In der kindlichen Erkenntnis Gottes haben wir Erkenntnis eines höchsten persönlichen Subjekts, nicht eines bloßen Objekts beiläufiger Reflexion. Das ist nicht die Kenntnis einer vagen „ersten Ursache“, einer „höchsten Macht“, eines „Seinsgrundes“ oder sogar nur einer „besten Erklärung“. Es ist vielmehr die überführende Erkenntnis eines persönlichen, kommunizierenden Herrn, der dankbare Hingabe erwartet, indem wir uns Gottes gnädige Erlösung aneignen. Eine solche überführende Erkenntnis schließt ein, dass wir nach dem Maßstab der moralisch höchsten Liebe Gottes beurteilt und für unwürdig befunden werden. Dadurch begegnet Gottes Wille unserem Willen, überführt ihn und richtet ihn neu aus. Beide Seiten dieser Beziehung sind somit persönlich ... Kindliche Erkenntnis Gottes ist eine versöhnende persönliche Erkenntnis, durch die wir in eine angemessene Kind-Eltern-Beziehung zu Gott eintreten. Eine solche Erkenntnis ist persönlich verwandelnd, nicht unpersönlich abstrakt oder moralisch unvermögend. Sie wird durch Gottes persönlichen Geist auf eine Weise kommuniziert, die eine volle Lebenshingabe verlangt.“[8]
Warum sollte Gott sich – in manchen Zeiten – vor uns verbergen? Warum sollte er sich nicht stets so offenkundig machen, dass alle ihn sehen, so offensichtlich wie die Wörter in diesem Satz? Verschiedene Gründe wurden vorgebracht, um diese wichtige Frage zu beantworten, und man kann ihnen nicht gerecht werden, wenn man diese Antworten auf ein oder zwei solide Happen reduziert. An dieser Stelle kann ich nur einige der Antworten skizzieren.[9]
Ein Grund beruht auf folgender Beobachtung: Wenn Gott sich allen offensichtlich zeigen würde – so offensichtlich wie die Wörter auf dieser Seite – dann würde dies für viele die Möglichkeit zunichte machen, eine moralisch signifikante Freiheit zu entwickeln (die Fähigkeit, frei und oft zwischen guten und schlechten Vorgehensweisen zu entscheiden), weil unser starkes Bewusstsein Gottes uns nötigen würde, seinen moralischen Geboten zu gehorchen.[10] (Stellen Sie sich ein Kind vor, dem gesagt wird, dass es keinen Keks aus der Dose essen darf, aber gar nicht erst die Gelegenheit erhält, vom Essen der Kekse abzusehen, weil seine Eltern stets im Zimmer sind und es sehen.) Das Gesamtergebnis wäre ein unterentwickelter moralischer Charakter.
Ein zweiter Grund, warum Gott Indizien über sich selbst zurückhalten könnte, könnte auf die Sündhaftigkeit, den Stolz, die Selbstbezogenheit und die persönliche Distanziertheit des Menschen zurückzuführen sein. Dies führt uns zu einer Frage zurück, die in Abschnitt 3 „Ein Einwand und eine Erwiderung“ erwähnt wurde, nämlich ob es einen guten Grund gibt zu meinen, dass wenn Gott mehr Wunder wirken würde (vor den Augen von Zuschauern Meere teilen oder gewaltige Objekte heben), die Herzen von mehr Menschen so verändert würden, dass sie eine persönliche, ihr Leben verwandelnde Beziehung zu Gott genießen wollten. Und hier halte ich die Zitate von Aldous Huxley und Thomas Nagel für ziemlich aufschlussreich, denn ihr Herz scheint die Frage von Indizien und Argumenten im Voraus entschieden zu haben. Was nützt ein weiteres Indiz, wenn man – in Nagels Worten – „hoff[t], dass es keinen Gott gibt“, weil man „kein solches Universum [möchte]“?
(Einwand: Manche sind vielleicht besorgt, dass die potentiellen Gläubigen unzureichende Beweise erhalten, während diejenigen, die Gott gegenüber selbstzufrieden sind, die „guten“ Beweise bekommen. In ähnlichem Sinn könnte man denken, dass Gott solche Beweise in der Hoffnung und Aussicht liefern würde, dass der Atheist eine Herzensänderung erfährt. Erwiderung: Aber diese Einwände sind dann entkräftet, wenn Gott „mittleres Wissen“ hat. Die Lehre vom mittleren Wissen Gottes beinhaltet nicht nur, dass Gott weiß, ob Menschen auf mehr Beweise reagieren würden, falls er sie ihnen gäbe, sondern auch, ob es ineffektiv oder vielleicht nachteilig wäre. Dementsprechend könnte Gott die Welt in seiner Vorsehung so einrichten, dass die potentiellen Gläubigen genügend Beweise, Argumente und Gnadengaben für einen freien und rationalen Glauben erhalten. Und wenn Gott das alles weiß, ist er in keiner Weise verpflichtet, mehr Beweise bereitzustellen, als er bereits gegeben hat. Zu weiteren Einzelheiten lesen Sie Frage 77 über „Mittleres Wissen und christlicher Partikularismus“ im Q&A-Archiv.)
Wir haben also tatsächlich gar keinen guten Grund zu meinen, dass wir, wenn Gott existierte, immer Erkenntnis über ihn haben würden; und so fehlen uns gute Gründe zu denken, dass unsere erkenntnistheoretische Situation in Bezug auf die Frage, ob Gott existiert, immer das Kriterium der Erwartung eines Wissens erfüllt. Und daraus folgt, dass man Gottes Existenz nicht leugnen kann, ohne ein Argument für seine Nicht-Existenz – für den Atheismus – zu geben. Das ist der Grund, weshalb Craig von Hitchens ein Argument für den Atheismus verlangen kann.
Ist Gott imaginär? – Einige Beispiele: Zahnfeen, Kobolde, Weihnachtsmann, Teekessel und unsichtbare Objekte
Ich will mal schauen, ob ich das alles zusammenbringen kann, um Ihre Frage mit einigen Beispielen zu beantworten, von denen angenommen wird, dass sie ein Problem für den bisher verteidigten Gedankengang darstellen. Ihre Frage war im Grunde, wann das Nicht-Vorhandensein von Indizien als Indiz des Nicht-Vorhandenseins gilt. Die Antwort darauf wird davon abhängen, ob unsere erkenntnistheoretische Situation die Kriterien der Erwartung von Indizien und der Erwartung eines Wissens für das fragliche Objekt erfüllt: Sollte man erwarten, ausreichende Indizien zu haben, um zu wissen, dass Objekt O existiert? Wenn ein Rhinozeros im Zimmer wäre, lautet die Antwort „ja“. Sich umzuschauen und kein Rhinozeros zu sehen ist also in sich ein Beleg, dass keines vorhanden ist.
Doch was ist mit imaginären Wesen wie der Zahnfee, Kobolden und dem Weihnachtsmann? Ist Gott in derselben Weise imaginär wie sie? Atheisten behaupten, dass sie Gott aus demselben Grund nicht zu widerlegen brauchen, wie sie die Existenz von Zahnfeen, Kobolden und dem Weihnachtsmann nicht widerlegen müssen. Das Problem bei diesem Vergleich mit den letzten beiden ist: Während unsere erkenntnistheoretische Situation in Bezug auf Gott die Kriterien der Erwartung von Indizien und der Erwartung eines Wissens nicht immer erfüllt, entspricht unsere erkenntnistheoretische Situation diesen Kriterien in Bezug auf Kobolde und den Weihnachtsmann – wir können sie ständig widerlegen und tun dies auch; es ist nur so, dass – wenn überhaupt – nur wenige Menschen für ihre Existenz argumentieren, sodass wir nie gefordert sind, diese Gründe zu nennen. Würde der Weihnachtsmann existieren, sollten wir erwarten, eine Menge Indizien für diese Tatsache zu sehen, was wir aber nicht tun, darunter Lagerhallen am Nordpol, einen großen Schlitten, und so weiter; und wenn es biologisch winzige menschliche Wesen auf diesem Planeten gäbe, sollten wir erwarten, Beweise für sie zu sehen, was wir aber nicht tun: Miniatur-Dörfer, Abfallprodukte, die Knochen ihrer Verstorbenen – ähnliche Belege, wie sie uns für Mäuse, Hamster und andere kleine Lebewesen vorliegen. Wenn es heute mehr Menschen gäbe, die behaupten, dass es Kobolde und den Weihnachtsmann gibt, dann wäre es völlig angemessen, mit ihnen in den Dialog zu treten und Gründe für deren Nicht-Existenz zu nennen.
An diesem Punkt könnte ein Atheist einwenden, dass die Zahnfee sich von Kobolden und dem Weihnachtsmann unterscheidet, weil sie unsichtbar ist. (Ist sie in dem Märchen unsichtbar?) Nehmen wir an, sie ist unsichtbar. Nach dem Märchen sammelt sie Zähne, die unter den Kissen von Kindern liegen und lässt dafür eine Belohnung zurück (meist Geld). Finden wir solche Indizien? Also, nein, das tun wir nicht, aber wir würden es erwarten, falls sie existierte. Somit erfüllt nicht einmal die Zahnfee die Kriterien der Erwartung von Indizien und der Erwartung eines Wissens. Da uns also Indizien für ihre Existenz fehlen, sagen wir, dass sie nicht existiert (tut mir leid, Kinder!).
Angenommen, der Atheist stimmt zu, dass der Grund, weshalb wir die Existenz von Zahnfeen, Kobolden und dem Weihnachtsmann leugnen, darin liegt, dass wir tatsächlich Indizien für ihr Nicht-Vorhandensein haben. Er könnte nichtsdestoweniger insistieren, dass die Situation bei anderen Objekten, die kausal von uns isoliert sind, signifikant verschieden ist. Ein bekannter Fall ist Russells berühmte Teekanne, die um die Sonne kreist – ein Objekt, das (zum größten Teil) kausal von uns isoliert ist. Müssen wir hier agnostisch sein? Können wir sagen, dass sie nicht existiert? Ich denke, wir wissen, dass sie nicht existiert, weil sie nicht durch russische oder amerikanische Astronauten dorthin gebracht wurde; und wir wissen, dass Materie im Universum sich nicht von selbst zu Teekannen formiert. Wir haben also einiges an Gründen dafür, dass Russells Teekanne nicht existiert; und da unsere Diskussion sich auf Fälle beschränkt, bei denen wir das Nicht-Vorhandensein von etwas einfach aus dem Fehlen von Indizien folgern, ist das Beispiel irrelevant.
Ein weiterer Einwand und eine Erwiderung
Aber stellen wir uns nun vor, dass der Atheist einwendet:
„Nun gut, ich räume alles ein, was Sie bisher über den Weihnachtsmann und den ganzen Rest gesagt haben; aber wir müssen uns nicht an Ihre Kriterien halten, wenn es um Objekte geht, die sowohl unsichtbar (wie die Zahnfee) als auch kausal nicht auffindbar (wie die Teekanne) sind. Sagen wir zum Beispiel, dass über meinem Kopf ein unsichtbarer rosa Elefant schwebt. So etwas gibt es nicht.“
Der Theist könnte erwidern:
„Ihr Beispiel ist reizend und rhetorisch klug, aber inkohärent. Kann etwas, das unsichtbar ist, überhaupt ein Elefant sein? Wenn ja, dann ist es gewiss einem normalen Elefanten nicht sehr ähnlich – ein massives, materielles Objekt, das alle möglichen physischen Eigenschaften zeigt. Ihre Frage über den „unsichtbaren Elefanten“ ist in Wirklichkeit einfach ein rhetorisch kluger Schachzug; vor allem ergibt die Frage kaum einen Sinn und sollte vielleicht ungefähr so umformuliert werden: „Wissen wir, dass es keine immateriellen Dinge um uns her gibt?“. Die Antwort darauf sollte in einer von zwei Weisen „nein“ lauten: (i) Nein, denn wir haben keine Indizien, dass es immaterielle Dinge nicht gibt. Oder (ii) Nein, denn es gibt immaterielle Dinge um uns her, z.B. Gott, Engel, immaterielle Gedanken, Qualia, abstrakte Objekte wie Zahlen oder Propositionen, usw.“[11]
Ist Gott imaginär? – Zusammenfassung und Schlussfolgerung
Sie haben eine gute Frage gestellt, Steven. Ich habe versucht, den gesamten Hintergrund zu beleuchten und so zugänglich wie möglich zu machen. Sie haben nach Belegen für die Nicht-Existenz des Weihnachtsmannes, der Zahnfee und Ähnlichem gefragt und gedacht, es sei unfair von Dr. Craig, von Christopher Hitchens Belege für den Atheismus zu fordern. Ich habe argumentiert, dass dies nicht so war. Wenn Hitchens oder sonst irgendjemand den Atheismus zu etablieren sucht, muss er oder sie ein Argument liefern.
Nach der Beantwortung einer größeren Frage, die im Hintergrund auftauchte – nämlich, welche Bedingungen notwendig sind, um bei nicht vorhandenen Beweisen etwas zu leugnen – haben wir festgestellt, dass alles letztlich darauf hinausläuft, ob unsere erkenntnistheoretische Situation die Kriterien der Erwartung von Indizien und der Erwartung eines Wissen erfüllt; kurz gesagt: Wenn Indizien fehlen, können wir die Existenz einer Sache O nur dann leugnen, wenn wir erwarten würden, für das Wissen, dass O existiert, genügend Indizien zu haben, die uns tatsächlich aber nicht vorliegen.
Vier Gründe wurden genannt, weshalb unsere erkenntnistheoretische Situation uns nicht erlaubt zu denken, dass wir, wenn Gott existieren würde, genügend Indizien hätten, um zu wissen, dass er existiert: (1) Die flüchtige Natur von Indizien zeigt, dass unsere erkenntnistheoretische Situation von Zeitalter, in dem wir leben, und von dem Ort, an dem wir uns befinden, abhängen (gegen das Kriterium der Erwartung von Indizien), und (2) die noetischen Auswirkungen der Sünde entstellen Indizien nach unseren selbstsüchtigen Zwecken (gegen das Kriterium der Erwartung eines Wissens); (3) Atheisten wenden unangemessen hohe erkenntnistheoretische Maßstäbe auf Indizien für den Theismus an; und (4) Gott könnte sich verbergen, um auf Versuche zu reagieren, eine propositionale Erkenntnis Gottes von einer lebensverwandelnden persönlichen Beziehung mit ihm zu trennen. Nachdem ich dies alles getan hatte, habe ich schließlich Ihre Frage beantwortet und Ihnen einige Beispiele genannt, wie ein Beleg für die Nichtexistenz von Objekten aussieht.
Ich hoffe, dies trägt dazu bei, Ihnen mehr Klarheit über dieses Thema zu vermitteln, Steven!
--Shaun
Shaun (ehrenamtlicher Mitarbeiter bei Reasonable Faith)
(Übers.: M. Wilczek)
Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/is-god-imaginary
[1] Vgl. http://www.reasonablefaith.org/german/qa68
[2] Vgl. http://www.reasonablefaith.org/counterfeit-claims-of-the-spirits-witness, Übersetzung folgt demnächst unter http://www.reasonablefaith.org/german/qa30
[3] Lukas 16,30-31: „Er aber sprach: Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun. Er sprach zu ihm: Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.“ (Anm. d. Übers.)
[4] Warranted Christian Belief, Oxford 2000, S. 213-214. (Dieser moderne Klassiker Plantingas wurde mittlerweile ins Deutsche übersetzt: Alvin Plantinga: Gewährleisteter christlicher Glaube, de gruyter 2015; Anm. d. Übers.)
[5] Aldous Huxley, Ends and Means: An Inquiry into the Nature of Ideals and into the Methods Employed for their Realization, New York 1937, S. 312; in Deutsch erschienen unter dem Titel Ziele und Wege. Eine Untersuchung des Wesens der Ideale und der Mittel zu ihrer Verwirklichung, Berlin 1949.
[6] Thomas Nagel, The Last Word, Oxford 1997, S. 130. Auf Deutsch erschienen unter dem Titel Das letzte Wort, Reclam 1999.
[7] Siehe zum Beispiel Paul Moser und Daniel Howard-Snyder, Hrsg., Divine Hiddenness, Oxford 2002.
[8] Paul Moser, „Cognitive Idolatry and Divine Hiding“, in: Divine Hiddenness, S. 131.
[9] In ihrer Einleitung zu Divine Hiddenness: New Essays nennen die Professoren Paul Moser und Daniel Howard-Snyder andere Gründe, die für die göttliche Verborgenheit vorgeschlagen wurden. Diese Gründe unterscheiden sich von denen im eigentlichen Text, weil sie darin einräumen, dass es einen nicht-schuldigen Nicht-Glauben geben könnte, dessen Existenz selbst eine philosophische Frage darstellt:
- Gott verbirgt sich und erlaubt damit (zumindest prinzipiell) einen nicht-schuldigen Nicht-Glauben, damit Menschen in der Lage sind, aus freier Entscheidung Ihn zu lieben, Ihm zu vertrauen und Ihm zu gehorchen; andernfalls wären wir in einer Weise dazu genötigt, die mit Liebe unvereinbar ist. [Dies ist in etwa der Grund, den ich oben skizziert habe.]
- Gott verbirgt sich und erlaubt damit (zumindest prinzipiell) einen nicht-schuldigen Nicht-Glauben, um eine menschliche Reaktion zu vermeiden, die auf falschen Motiven (wie Angst vor Strafe) beruht.
- Gott verbirgt sich und erlaubt damit einen nicht-schuldigen Nicht-Glauben, denn wenn er nicht verborgen wäre, würden Menschen ihre Bezeihung zu Gott und ihre Erkenntnis Gottes als Anlass zu einer anmaßenden Haltung nehmen, und die Möglichkeit einer Entwicklung der inneren Haltung, die für die rechte Beziehung zu Ihm grundlegend wären, wäre ipso facto ausgeschlossen.
- Gott verbirgt sich und erlaubt damit einen nicht-schuldigen Nicht-Glauben, weil diese Verborgenheit uns veranlasst, die Erbärmlichkeit unseres eigenen Lebens, ohne Gott, zu erkennen, und uns dadurch motiviert, reumütig und demütig nach Ihm zu suchen.
- Gott verbirgt sich und erlaubt damit einen nicht-schuldigen Nicht-Glauben, denn wenn Er Seine Existenz klar genug machen würde, um einen nicht-schuldigen Nicht-Glauben zu verhindern, würde das Bewusstsein eines Risikos, das für einen leidenschaftlichen Glauben erforderlich ist, in unzulässiger Weise verringert.
- Gott verbirgt sich und erlaubt damit einen nicht-schuldigen Nicht-Glauben, denn wenn Er Seine Existenz klar genug machen würde, um einen nicht-schuldigen Nicht-Glauben zu verhindern, wäre keine Versuchung zum Zweifel an Seiner Existenz möglich, religiöse Vielfalt würde in unzulässiger Weise verringert und Gläubige hätten nicht so viel Gelegenheit, anderen zu helfen, eine persönliche Beziehung zu Gott zu beginnen.
- Nicht-schuldige Nicht-Gläubige sind entweder positiv geneigt, Gott durch den Glauben zu lieben, oder sie sind es nicht. Die Positiv-Geneigten sind entweder dafür verantwortlich, so geneigt zu sein, oder sie sind es nicht. Wenn nicht, lässt Gott sie ihre positive Neigung durch Entscheidungen angesichts widriger Versuchungen bestätigen, bevor Er sich bekannt macht. Wenn ja, sind sie aus unpassenden Gründen positiv geneigt und Er wartet darauf, dass sie ihre positive Neigung in einer reineren Weise bestätigen, bevor Er sich bekannt macht. Nicht-schuldige Nicht-Gläubige, die nicht positiv geneigt sind, Gott durch den Glauben zu lieben, und die nicht dafür verantwortlich sind, dass ihnen die positive Neigung fehlt, erhalten von Gott die Gelegenheit, sich zu ändern, bevor Er sich ihnen bekannt macht.
[10] Siehe Michael Murray, „Deus Absconditus“, in: Divine Hiddenness.
[11] Eine letzte Erwiderung, die der Atheist geben könnte, ist zu sagen, Ockhams Rasiermesser (es besagt: „Wir sollten nicht unnötig viele Variablen verwenden“) würde verlangen, dass wir alle diese fraglichen Variablen verneinen. Aber damit wäre Ockhams Rasiermesser falsch verstanden, das zuerst und vor allem eine Regel/Richtlinie für Erklärungen ist und keine Ermächtigung oder Rechtfertigung für die Verneinung von Dingen. Wir verstehen Ockhams Sparsamkeitsprinzip so: „Angenommen, wir versuchen e (ein Ereignis, ein Phänomen, ein Objekt, einen Zustand, usw.) zu erklären, und des Weiteren angenommen, dass X an sich e erklärt (ungefähr so: X hat e kausal zur Folge), sollten wir nicht sagen, dass wir Y zusätzlich brauchen, um e zu erklären.“ Hier wird keine Behauptung darüber gemacht, ob Y nach allem, was wir wissen, existiert.
- William Lane Craig