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#294 Die Plausibilität, moralische Werte in Gott zu verankern

August 12, 2018
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

ganz herzlichen Dank für Ihre Treue, Ihren Eifer und Ihre Integrität im Dienst für den Herrn. Ich bin Leiter von einem Reasonable Faith Chapter und habe neulich mit dem Präsidenten der Ehrengesellschaft unserer Universität für Philosophie, Phi Sigma Tau, über die ontologische Begründung der Moral diskutiert.

Mein Bekannter ist ein moralischer Realist, aber er ist nicht überzeugt, dass Gottes Natur das Gute ausreichend konstituieren kann. Er hat vor Kurzem die Position von G. E. Moore verfochten, dem britischen Ethiker, der an einem ethischen Nicht-Naturalismus festhielt.

Die Krux von Moores Argumentation besteht darin, dass „Gutes“ nicht beschreibbar ist, jenseits einer Definition liegt. Er liefert die folgenden „Offene-Fragen“-Argumente:

Wenn Gottes Natur das Gute ist, dann ist die Aussage, „das Gute ist Gottes Natur“ gleichbedeutend mit der Aussage „Gottes Natur ist Gottes Natur“, was nicht viel aussagt.

Ich habe die folgende Antwort vorgeschlagen, um zu definieren bzw. zu verstehen, was und warum das Gute in Gottes Natur ist, und ich hätte sehr gerne Ihre Hilfe und Ihr Feedback dazu:

1) Sind Eigenschaften wie „Mitleid“, „Liebe“, „Gerechtigkeit“ gut, weil sie in Gottes Wesen gefunden werden oder sind sie unabhängig von Gott gut?

2) Zu behaupten, sie seien unabhängig von Gott gut, heißt, für den Platonismus zu plädieren.

3) Der Platonismus versagt.

4) Deshalb sind sie das Gute, weil sie in Gottes Wesen gefunden werden.

5) Aber warum sollten sie das Gute sein, weil sie in Gottes Wesen gefunden werden? In anderen Worten: Warum ist Gottes Wesen gut?

6) Das, was gut ist, ist intrinsisch wertvoll und sollte Wert geachtet, gewürdigt bzw. nach dem sollte gesucht werden.

7) Gott ist per Definition das größtmögliche Wesen.

8) Das größtmögliche Wesen ist das, was Wertschätzung und Nachahmung am würdigsten ist. <== Das ist die entscheidende Prämisse.

9) Darum ist Gott das, was der Wertschätzung und Nachahmung würdig ist.

10) Aus (6), (7), (8) und (9) folgt: Gottes Wesen ist das Gute.

Meine Frage, die ich an ihn zurückgebe, lautet:

 Wenn Gott nicht existiert, was ist dann intrinsisch wertvoll und sollte wertgeachtet, gewürdigt oder nachgeahmt werden?

1) Wenn Gott nicht existiert, dann gibt es nichts Transzendentes im Universum.

2) Alles im Universum ist prinzipiell aus demselben Material (Quarks und Wellen).

3) Darum unterscheidet sich nichts im Universum qualitativ von etwas anderem und somit wird kein Anspruch erhoben, irgendetwas mehr, als etwas anderes wertzuschätzen.  

4) Kein Ding ist wertvoller als ein anderes.

5) Alles ist von gleichem Wert.

6) Wir sollten alles wertschätzen (Atome, Pflanzen, Planeten, Menschen (die aus Gehirnen, Kohlenstoff usw. gemacht sind), Vulkane, Hunde usw.

7) Es ist irrational, Menschen höheren Wert beizumessen als Steinen.

8) Darum ist es nicht wahr, dass wir Menschen mehr Wert beimessen sollten als Steinen – sie sind dasselbe.

Aber wenn wir das größtmögliche Wesen (gmW) wieder ins Bild bringen, dann gibt es nun etwas, das gegenüber allem andern transzendent und größer ist. Dieses Ding verdient es darum, mehr als alles andere wertgeschätzt zu werden. Und wiederum haben wir eine Begründung dafür, Dinge, die mit Gott übereinstimmen (wie zum Beispiel Liebe, Mitleid usw.) mehr zu wertzuschätzen als andere Dinge.

Ich werde mit dieser Person in etwa einem Monat auf dem Campus debattieren und wäre darum sehr dankbar für Ihre Hilfe.

Nochmals danke, Prof. Craig. Sie sind für mich eine Inspiration, was die Notwendigkeit und das Vorbild gläubiger christlicher Wissenschaftler angeht.

Viele Grüße,

Devin

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Vielleicht hätte ich nicht diese Frage herausgreifen sollen, Devin, da ich beinahe zu allem, was Sie sagen, lediglich meine Zustimmung ausdrücken werde! Aber sie dient unsern Lesern als ein gutes Modell für klares Denken.

Meine Hauptkorrektur bezieht sich auf die Berufung Ihres Bekannten auf G. E. Moore, um die Verwerfung theistischer Ethik zu rechtfertigen. Wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe, müssen wir klar zwischen moralischer Semantik und moralischer Ontologie unterscheiden. Moralische Semantik fragt nach der Bedeutung von moralischen Begriffen. Moralische Ontologie fragt nach der Realität von moralischen Werten und Pflichten.

Die Behauptung, objektive moralische Werte seien in Gott verankert, ist eine Behauptung bezüglich moralischer Ontologie, nicht bezüglich moralischer Semantik. Der Theist erhebt keinerlei Anspruch, dass „gut“ irgendwie in theistischen Begriffen zu definieren sei, z. B. als „zu Gottes Natur gehörig“. Der Theist mag somit vollständig Moores Ansicht akzeptieren, dass „gut“ ein primitiver Begriff sei, der nicht in Hinsicht auf etwas anderes zu definieren ist. Ihr Bekannter hat eindeutig moralische Semantik und moralische Ontologie miteinander verwechselt.

Was Ihre Frage wirklich anspricht, so denke ich, ist nicht die Bedeutung des Begriffes „gut“, sondern vielmehr die Plausibilität theistischer Ethik, die Gott als das Paradigma des Guten nimmt. Jeder ist frei, die moralische Theorie vorzuschlagen, die ihm gefällt, und wir werden deren Plausibilität beurteilen. Wenn der Theist also vorschlägt, Gott als das Paradigma des Guten zu nehmen, wie plausibel ist dann diese Ontologie?

Mir scheint, dass Sie effektiv für deren Plausibilität argumentieren.

Zunächst: Wie Sie in Ihrem ersten und dritten Argument ausführen, um moralische Werte abseits von Gott zu verankern, scheint es einfach nichts anderes zu geben, was plausibel diese Aufgabe erfüllen könnte. Dies ist der Nerv des moralischen Argumentes für Gott. Ich stimme zu, dass der Platonismus vielfach defektiv ist. Der Humanist mag versuchen, objektive Werte in menschlichen Wesen zu verankern, aber dies scheint ein zu früher und unplausibler Haltepunkt in unserer Suche nach Erklärungen zu sein. Wenn wir aber bis zu Gott gelangen, dann gibt es einfach nichts Größeres, auf was man sich berufen könnte. Somit kommt der Regress der Erklärungen plausibel bei Gott zum Halt.

Zweitens: Als das größte vorstellbare Wesen muss Gott moralisch vollkommen sein. Denn es ist besser, moralisch vollkommen zu sein, als moralisch fehlerhaft. Dies scheint mir rational unbestreitbar. Darüber hinaus muss Gott per Definition der Anbetung würdig sein, und nur ein vollkommenes Wesen kann der Anbetung (im Gegensatz zu, sagen wir, der Bewunderung) würdig sein.

Das ist der Grund dafür, wie der Oxforder Philosoph Peter Millican ausführt, dass es keinen bösen Gott geben kann. Wir können uns in einer atheistischen Welt einen bösen Schöpfer-Designer des Universums (einen bösen Gott) vorstellen, aber ein solches Wesen wäre weder der Anbetung würdig, noch maximal groß und darum nicht Gott. Ich sollte auch hinzufügen, dass es größer ist, das Paradigma des Guten zu sein, als nur mit diesem Paradigma übereinzustimmen, sodass Gott das Gute selbst sein muss.

Ihre Argumentationen sind für diejenigen relevant, die irrtümlicherweise versuchen, aus dem falschen Dilemma zu retten, das im Euthyphron-Argument dargelegt wird: Entweder ist etwas gut, weil Gott es will, oder Gott will etwas, weil es gut ist. Da diese Alternativen keine Widersprüche sind, steht es dem Theisten offen, eine dritte Alternative vorzuschlagen, nämlich: Gott will etwas, weil er gut ist.

Mit dieser Widerlegung ihres Dilemmas unzufrieden, haben manche nachgefragt: „Ist etwas gut aufgrund der Art und Weise, wie Gott ist, oder ist Gott so, weil etwas gut ist?“ Der Kritiker hört nicht zu. Wir haben bereits gesagt, dass etwas aufgrund dessen gut sei, wie Gott ist. „Aber warum ist Gott gut?“, beharrt der Kritiker. Es ist schwer, sich auf diese Frage einen Reim zu machen.

Die moralische Theorie lautet einfach, dass Gott das Paradigma des Guten ist, und es ergibt keinen Sinn, zu fragen, warum das Paradigma des Guten gut ist. Der Kritiker muss fragen: „Warum soll ich Ihrer Theorie glauben?“ Die Antwort lautet, „weil sie die beste Erklärung für objektive moralische Werte und Pflichten ist“. Sie ist die plausibelste ethische Theorie, die im Umlauf ist. Ihre Argumente sind im Grunde Verteidigungen der Plausibilität theistischer Ethik, und ich denke, sie sind erfolgreich.

(Übers.: B. Currlin)

Link to the original version in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/the-plausibility-of-grounding-moral-values-in-god

- William Lane Craig