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#295 Über die Güte Gottes

August 19, 2018
F

Ich war früher Christ. Damit meine ich, ich glaubte wirklich und praktizierte meinen Glauben aktiv. Ich habe wirklich Jesus Christus als meinen Herrn und Retter angenommen. Ich führte Bibelstudien durch, nahm Kinder mit zu Kinderstunden und leitete solche, ich führte Sonntagsschulstunden und Alphakurseinheiten durch, leitete einen Hauskreis, besuchte Gebetswochen und mehr. Ich habe das nicht zum Spaß gemacht. Warum habe ich dann das alles aufgegeben? Ich hatte viele Fragen, die zu stellen, ich oft zu ängstlich war, denn ich empfand, wenn ich sie stellen würde, dann würde dies zeigen, dass ich nicht fähig wäre, meine Aktivitäten weiterhin so durchzuführen wie bisher. Ich schnitt mir auch in gewisser Weise selbst ins Fleisch, denn, wenn Nichtgläubige mir Fragen stellten und ich ihnen Antworten gab, schoben sie nie Fragen nach, wie ich sie in meinem Kopf hatte, die Fragen, die ich selbst zu sehr fürchtete, sie zu stellen. So habe ich meine Fragen nie geäußert. Was waren diese Fragen also?

Ich denke, sie laufen alle auf die eine größere Frage hinaus: Wie wissen wir, dass Gott gut ist? Christen glauben, Jesus ist der Sohn Gottes und sie glauben das, weil er, laut Bibel, ohne Sünde war. Daraus folgt auch (laut der Mainstream-Christenheit), dass Jesus ebenfalls Gott ist. Wir können darum daraus schließen, dass Gott ohne Sünde ist. Er ist moralisch rein. Hält Gott dann einer moralischen Überprüfung stand?

Mir scheint nicht. Als Herodes erlebte, dass seine Autorität durch die Geburt Jesu bedroht wurde, gab er den Befehl zum Kindesmord, um den Tod des neugeborenen Königs aller Könige sicherzustellen. Das ist ein furchtbares Ereignis in der Geschichte, dass eine Person die Schlachtung von Hunderten von Kindern anordnet, um seine Autorität zu schützen. Herodes‘ Verhalten ist moralisch falsch. Wir können daraus folgern, dass Herodes nicht Gott ist (ich bitte um Nachsicht!).

Als der Pharao sich weigerte, Gottes Volk ziehen zu lassen, nachdem Gott ihm das durch den Boten Moses befohlen hatte, entschied sich Gott, dass etwas unternommen werden müsse. Gottes Autorität war in Gefahr. Er wurde herausgefordert. Gottes letzte Aktion bestand darin, die Ermordung der erstgeborenen Kinder in Ägypten anzuordnen. Ja, es gab eine mögliche Ausnahme, um dem zu entkommen, das Blut an dem Türpfosten, aber dennoch, ordnete er die Tötung der Kinder an, und Kinder starben dann auch tatsächlich. Was das noch schlimmer macht, ist, dass Gott das Herz des Pharao verhärtete, er zwang die Hand des Pharao. Gott wusste, dass Pharao nicht sagen konnte, ‚ich werde dein Volk ziehen lassen‘. Gott tötete diese Kinder in jedem Fall. Wir können darum daraus schließen, dass Gott nicht moralisch rein ist. Das bedeutet, dass Gott nicht wirklich Gott ist, er ist nicht der, der er zu sein behauptet. Nun bin ich ziemlich sicher, dass dies kein wasserdichtes Argument ist, aber ich habe bis jetzt noch keine rationale Antwort darauf gehört.

Ich möchte wirklich eine Antwort auf diese Frage. Ich möchte keine dummen Antworten hören, die keinen Sinn ergeben. Beispielsweise: „Gott ist gut, wir verstehen nicht seine Gründe für alles“. Dies ignoriert die Frage, wie wissen wir, dass er gut ist? „Gott übersteigt unser Verstehen und er tut Dinge aus Gründen, die wir nicht begreifen können.“ Wiederum ergibt diese Antwort keinen Sinn, wenn er unser Verstehen übersteigt, wie können wir dann irgendetwas über ihn verstehen? Wo wird die Grenze des Verstehens gezogen?

Es ist ein Ausweichmanöver, dies zu sagen, denn sobald wir auf etwas stoßen, was wir nicht erklären können, sagen wir einfach, „das ist so, weil wir Gott mit unserem Verstand nicht begreifen können“. „Satan hat dich blind gemacht“. Wenn dies der Fall ist, dann bedeutet das, Satan hat Sie nicht blind gemacht. So beantworten Sie doch bitte die Frage um derer willen, die blind gemacht wurden. „Allein die Tatsache, dass Du über Gott redest, beweist, dass es Gott gibt“. Wir können über viele Dinge reden, die nicht existieren … Es gibt mehr Antworten dieser Art, aber bitte untersuchen und analysieren Sie jegliche Antworten und sehen Sie, ob sie Sinn ergeben. Ich freue mich auf Ihre Antwort, lassen Sie es uns versuchen, tiefer in die Wahrheit zu graben.

David

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Es tut mir sehr leid, von Ihren Kämpfen mit dem christlichen Glauben zu hören, David! Ich bin froh, dass Sie schreiben, um Antworten zu suchen. Das lässt vermuten, dass Sie in Ihrem Herzen noch nicht wirklich aufgegeben haben! Ich hoffe, dass Sie, wie so viele andere, zu Christus zurückkommen werden.

So lassen sie uns gemeinsam intensiv über Ihre Fragen nachdenken. Sie werden von mir keine törichten vorgefertigten Antworten erhalten. Ich werde versuchen auf Ihre Bitte hin, Ihre Antworten zu analysieren. (Übrigens, ich kann nicht widerstehen, darauf hinzuweisen, dass Sie, falls Sie meine Arbeit über abstrakte Objekte kennen [siehe Frage der Woche #289], Sie meine feste Überzeugung kennen, dass wir über Dinge reden können, die nicht existieren. Und während ich zwar denke, dass Gott von einem endlichen Wesen nicht vollkommen verstanden werden kann, impliziert dies doch nicht, dass wir nicht eine ganze Menge über Gott verstehen könnten, da wir ja in seinem Bilde als rationale Personen erschaffen wurden.)

Sie stellen Ihre grundlegende Frage wie folgt: „Wie wissen wir, dass Gott gut ist?“ Nun, auf einer Ebene ist diese Frage leicht zu beantworten, wie ich in der letzten Frage der Woche #294 erklärt habe: Es ist konzeptionell notwendig, dass Gott gut ist. Das heißt, Güte gehört zu der Vorstellung von Gott an sich, genauso wie unverheiratet sein zu der Vorstellung von einem Junggesellen gehört. Denn (i) definitionsgemäß ist Gott ein Wesen, das der Anbetung würdig ist, und nur ein Wesen, das vollkommen gut ist, wäre auch der Anbetung würdig; und (ii) als das größte vorstellbare Wesen muss Gott moralisch vollkommen sein, denn es ist besser, moralisch vollkommen zu sein, als moralisch fehlerhaft.

Doch dies ist offensichtlich nicht die Frage, die Sie quält. Mir scheint, Ihnen macht die Frage Not, ob die Darstellung Gottes in der Bibel adäquat für die Vorstellung von Gott ist. Mir ist bewusst, dass Sie Ihre Frage nicht so gestellt haben, aber Sie haben, wie Sie sich erinnern, gebeten, sie zu analysieren. Wenn Sie fragen: „Hält Gott einer moralischen Überprüfung stand?“, dann fragen Sie, ob die Darstellung Gottes in der Bibel sich mit der Vorstellung von einem moralisch vollkommenen Wesen messen kann.

Nun, wenn das Ihre Frage ist, dann lassen Sie uns zunächst das schlimmste Szenario annehmen. Nehmen wir um des Argumentes willen an, dass die Darstellung Gottes in der Bibel moralisch inadäquat sei. Was folgt daraus? Dass Gott nicht existiert? Kaum! Das Versagen der Bibel, Gott adäquat darzustellen, impliziert nicht, dass es keinen Gott gibt.

Der wäre in der Tat ein törichter Atheist, der die Nicht-Existenz Gottes aus der moralischen Unangemessenheit bestimmter Darstellungen Gottes in der Bibel ableiten würde. Diese Tatsache ist insbesondere offensichtlich, David, wenn Sie an die überzeugenden Argumente der natürlichen Theologie für die Existenz Gottes denken – an das kosmologische, teleologische, ontologische, moralische und an andere Argumente für die Existenz Gottes. (Ich stelle fest, dass Christen, die mit Zweifel kämpfen, alle Argumente der natürlichen Theologie zu vergessen scheinen.) Ich bin davon überzeugt, dass wir sehr gute Gründe für die Annahme haben, dass Gott existiert.

Würde also aus einer negativen Antwort auf Ihre Frage folgen, dass Jesus von Nazareth nicht von den Toten auferstand und nicht derjenige war, der er zu sein behauptete? Nochmals: offensichtlich nein! Sie können nicht die glaubwürdigen Indizien widerlegen, welche die Auferstehung Jesu und seine radikalen persönlichen Ansprüche untermauern, indem sie auf Stellen in der Bibel weisen, die Gottes nicht moralisch würdig sind. Kein Historiker würde auf ein solches Argument gegen, sagen wir, das leere Grab oder die Erscheinungen Jesu nach seinem Tod hören.

Was dies heißt, ist, dass Ihre Frage keinerlei Grundlage dafür bietet, dass Sie sich von Gott oder Jesus Christus abwenden und den christlichen Glauben aufgeben. Sie sind weit über das hinausgegangen, was Ihr Argument rechtfertigt.

Was folgt dann also aus einer negativen Antwort auf Ihre Frage? Mir scheint, schlimmstenfalls ist das, was folgt, dass die Bibel Gott nicht immer akkurat darstellt. Das heißt, schlimmstenfalls müssen Sie die Lehre von der Irrtumslosigkeit der Bibel aufgeben. Sie müssten zu der Schlussfolgerung kommen, dass die biblischen Autoren nicht in jedem Fall Gott gerecht wurden. Dies würde wiederum erfordern, dass Sie Ihre Lehre der Inspiration anpassen und die Auffassung vertreten, dass das göttliche Element in der Überwachung der Niederschrift der Schrift das menschliche Element nicht so überlagerte, dass es Unfehlbarkeit garantierte.

Nun lässt das Ihre Frage in einer ganz anderen Perspektive erscheinen! Sie können, und rational gesehen sollten sie, immer noch ein Christ sein, selbst, wenn Sie nicht an einem Dogma der Inspiration festhalten, das biblische Unfehlbarkeit garantiert. Das ist ein Dogma, welches eine interne Frage unter Christen darstellt. Es gibt viele Christen heute, die nicht an dem Dogma der Unfehlbarkeit der Bibel festhalten.

Nun haben wir das schlimmste Szenario angeschaut, um zu erkennen, was Sie aufgeben müssten, falls Ihre Frage nicht adäquat beantwortet werden kann. Ich hoffe, Sie haben erkannt, dass Sie wirklich überreagiert haben, als Sie sich von Christus abwandten.

Aber ist Ihre Frage wirklich nicht zu beantworten? Müssen wir beim schlimmsten Szenario stehen bleiben? Ich meine nicht. Lassen Sie uns Ihren Einwand genauer anschauen. Sie betrachten die Geschichte aus dem Alten Testament, wo Gott das Leben der Erstgeborenen Ägyptens nimmt, um die Freilassung des Volkes Israels aus der Sklaverei durch Pharao herbeizuführen. Sie vergleichen dies mit Herodes dem Großen, der die Babys von Bethlehem getötet hat, um zu verhindern, dass der Messias aufwächst und Herodes Thron beansprucht. Da das, was Herodes tat, böse war, und Gott dasselbe wie Herodes tat, war auch das, was Gott tat, böse.

Lassen wir das Thema beiseite, dass Gott das Herz des Pharao verhärtet hat, denn ich stimme Ihnen darin zu, wenn Gott den Pharao dazu veranlasste, sich zu weigern, das Volk Israel ziehen zu lassen, dann kann der Pharao für seine Weigerung nicht moralisch verantwortlich sein (ich bin kein Calvinist!). Ich denke, diese Passage aus der Perspektive eines mittleren Wissens zu betrachten, kann Licht darauf werfen, wie es möglich ist, von Gott zu sagen, dass er Dinge tut, selbst wenn diese die freiwilligen Handlungen menschlicher Personen mit beinhalten. Das ist aber eine andere Geschichte!

Nun, ich denke, es ist ziemlich offensichtlich, dass es moralisch bedeutende Unterschiede zwischen den beiden Fällen gibt, die Sie erwähnen. Herodes handelte selbstsüchtig im Widerstand gegen Gott, um seine eigene königliche Autorität zu bewahren. Gott handelte nicht, um Seine Autorität zu bewahren, sondern um das Leben und die Freiheit von Tausenden von Menschen zu bewahren, die als Sklaven missbraucht wurden. Außerdem war dies, wie Sie bemerken, ein letztes Mittel von Gottes Seite, auf das er erst zurückgriff, als andere Mittel zur Beeinflussung des Pharao versagt hatten.

Doch lassen wir all das beiseite. Der grundlegendere Punkt, der festgehalten werden muss, ist, dass Sie von der Annahme ausgehen, alle Personen hätten dieselben moralischen Pflichten zu erfüllen und dass eine Handlung, die für eine Person unmoralisch wäre, nicht für eine andere moralisch sein kann. Diese Annahme ist, so denke ich, offensichtlich falsch. Verschiedene Personen können verschiedene moralische Pflichten haben. Beispielsweise waren meine Kinder, als sie klein waren, moralisch verpflichtet, meiner Frau zu gehorchen, aber ich war nicht dazu verpflichtet. Ein Polizist hat das Recht, Sie herauszuziehen, wenn Sie die Autobahn entlang rasen. Ich habe ein solches Recht nicht.

Warum also annehmen, dass Gott dieselben moralischen Verpflichtungen hat, wie Herodes (oder irgendein anderes menschliche Wesen)? Ich erkenne keinerlei Grund für diese Annahme. Insbesondere scheint mir, dass Gott das Recht hat, menschliches Leben zu geben und zu nehmen, wie es Ihm passend erscheint. Leben ist eine Gabe Gottes, so scheint mir, und ich habe absolut keinerlei Anspruch auf eine weitere Sekunde fortgesetzter Existenz. Wenn Er mein Leben jetzt beenden will und mich nach Hause ruft, dann ist das Sein Vorrecht. Ja, wenn Sie glauben, wie ich es tue, dass Personen, die in der Kindheit sterben, in den Himmel kommen, dann hat Gott in keinerlei Weise den ägyptischen Kindern Unrecht darin getan, ihr irdisches Leben früher als normal zu beenden. Sie beklagen sich nicht! Warum sollten Sie es tun?

Ich bin sogar geneigt zu denken, dass Gott überhaupt keine moralischen Verpflichtungen zu erfüllen hat. Moralische Verpflichtungen und Verbote entstehen als Folge von Imperativen, die von einer kompetenten Autorität erteilt werden. Damit liegt die Quelle moralischer Pflichten in Gottes Geboten. Darum war das, was Herodes tat, falsch: Er übertrat ein göttliches Gebot, nicht zu töten. Da sich nun Gott vermutlich selbst keine Befehle erteilt, folgt daraus, dass Er keine moralischen Pflichten hat. Daher ist die Behauptung logisch inkohärent, Gott habe etwas getan, was Er nicht tun sollte.  

Bedeutet das, Gott kann einfach irgendetwas tun? Nein, denn Gott kann nicht gegen Seine eigene Natur handeln. Gott ist essenziell liebend, fair, geduldig, konsequent usw. Darum, wenn Gott das Leben von jemandem nimmt, sagen wir, einem ägyptischen Kind, können wir sicher sein, dass Gott dies nicht aus einer Laune heraus tut, sondern nur mit hinlänglichem Grund. Im Falle der ägyptischen Plagen können wir sicher sein, dass Gott gute Gründe hatte, so zu handeln, z. B. um Israel von der Sklaverei zu befreien und letztlich, um die ganze Welt durch Israels Messias, Jesus, zu erlösen.

Dies impliziert, dass Gott in einer Art und Weise handeln mag, die für uns schockierend sein kann. C. S. Lewis bemerkte einmal: „Was meinen Menschen damit, wenn sie sagen, sie hätten keine Angst vor Gott, denn sie wüssten, dass er gut ist? Sind sie denn noch nie beim Zahnarzt gewesen?“ In den Chroniken von Narnia versinnbildlicht Lewis diese Wahrheit, wenn den Kindern erklärt wird, dass Aslan kein zahmer Löwe ist – aber er ist gut.

David, Ihre Erwähnung von Herodes bösem Versuch, die Absichten Gottes zu durchkreuzen, ist eine rechtzeitige Erinnerung während dieser Weihnachtszeit an Gottes Akt überfließender Güte und Liebe, durch den er Seinen Sohn Jesus in die Welt gesandt hat, um uns vom Bösen zu erlösen und die Segnungen des ewigen Lebens für uns sicherzustellen. Was für eine passende Zeit, um Ihren Glauben und Ihre Dankbarkeit Ihm gegenüber erneut festzumachen!

(Übers.: B. Currlin)

Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/on-the-goodness-of-god

- William Lane Craig