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Zu Haskers Verteidigung des Anti-Molinismus

Summary

In zwei kürzlich veröffentlichten Artikeln hat William Hasker das neue anti-molinistische Argument von Robert Adams verteidigt. Doch ich argumentiere, dass entweder der in dem Argument angewendete Begriff der explanativen Priorität mehrdeutig ist, oder dass die explanative Priorität – wenn der Begriff eindeutig definiert werden kann – entweder so allgemein ist, dass wir ihre Transitivität verneinen müssten, oder so schwach ist, dass sie mit menschlicher Freiheit nicht unvereinbar wäre.

„On Hasker's Defense of Anti-Molinism“. Faith und Philosophy 15 (1998): 236-239.

In zwei kürzlich veröffentlichten Artikeln [1] hat William Hasker das neue anti-molinistische Argument von Robert Adams unterstützt und verteidigt: [2]

1. Nach dem Molinismus gilt, dass die Wahrheit aller wahren Kontrafaktuale der Freiheit über uns dem Beschluss Gottes, uns zu erschaffen, explanativ vorausgeht.

2. Gottes Beschluss, uns zu erschaffen, geht unserer Existenz explanativ voraus.

3. Unsere Existenz geht allen unseren Entscheidungen und Handlungen explanativ voraus.

4. Die Relation der explanativen Priorität ist transitiv.

5. Also folgt aus dem Molinismus (durch 1-4), dass die Wahrheit aller wahren Kontrafaktuale der Freiheit über uns allen unseren Entscheidungen und Handlungen explanativ vorausgeht.

10. Außerdem folgt aus dem Molinismus: Wenn ich in den Umständen C aus freien Stücken Handlung A tue, dann gibt es ein wahres Kontrafaktual der Freiheit F*, das besagt, dass ich, wenn ich in C wäre, (aus freien Stücken) A tun würde.

11. Also folgt aus dem Molinismus: Wenn ich in C aus freien Stücken A tue, dann geht die Wahrheit von F* meinen Entscheidungen und Handlungen in C explanativ voraus.

12. Wenn ich in C aus freien Stücken A tue, geht keine Wahrheit, die meinem Unterlassen von A in C strikt widerspricht, meinen Entscheidungen und Handlungen in C explanativ voraus.

13. Die Wahrheit von F* (die besagt, dass ich, wenn ich in C wäre, A tun würde), widerspricht strikt meinem Unterlassen von A in C.

14. Wenn der Molinismus wahr ist, dann gilt: Wenn ich in C aus freien Stücken A tue, geht F* meinen Entscheidungen und Handlungen in C explanativ sowohl voraus (durch 11) als auch nicht voraus (durch 12-13).

15. Wenn der Molinismus also (durch 14) wahr ist, dann tue ich in C nicht aus freien Stücken A.

Hasker gefällt dieses Argument, weil es den Vorteil hat, die Abhängigkeit von einer der kontroversesten Prämissen seiner eigenen Kritik gegen das mittlere Wissen zu vermeiden; außerdem hält er es für immun gegen Einwände, die dagegen erhoben wurden.

In einer Antwort auf das Argument von Adams hatte ich beanstandet, dass der verwendete Begriff der „explanativen Priorität“ mehrdeutig ist und dass es, wenn man ihm eine eindeutige Bedeutung zuweisen kann, keinen Grund gibt zu erwarten, dass er transitiv ist. [3] Ich behauptete, dass keine der Bedeutungen von „explanativer Priorität“, die in (1)-(3) gilt, auf die besondere Priorität Anwendung findet, die in (5) gefolgert wird. Ich nannte das folgende parallele Argument als Illustration: Angenommen, meine Frau und ich haben vor, eine Familie zu gründen, und wir kommen zu der Überzeugung:

A.* Sollten wir Kinder bekommen, würden sie Gott kennen und lieben lernen.

Da uns dies wichtig ist, beschließen wir, eine Familie zu gründen. Demnach gilt:

1*. Die Wahrheit von (A*) geht unserer Entscheidung, Kinder zu bekommen, explanativ voraus.

Unbestreitbar wahr ist auch:

2*. Unsere Entscheidung, Kinder zu bekommen, geht der Existenz unserer Kinder explanativ voraus.

3*. Die Existenz unserer Kinder geht der Tatsache, dass sie Gott kennen und lieben lernen, explanativ voraus.

Wenn also (4) wahr ist, müssen wir folgenden Schluss ziehen:

5*. Die Wahrheit von (A*) geht der Tatsache, dass sie Gott kennen und lieben lernen, explanativ voraus.

Doch was explanative Priorität in (5*) bedeutet, ist völlig unklar.

Hasker verteidigt Adams‘ Argument gegen den Vorwurf der Mehrdeutigkeit, indem er ein sehr allgemeines Verständnis von explanativer Priorität formuliert, das in (1)-(3) eindeutig und doch transitiv ist: Für kontingente Sachverhalte p und q gilt:

EP: p geht q dann und nur dann explanativ voraus, wenn p in einer vollständigen Erklärung dafür enthalten sein muss, warum q gilt.

Hasker stellt fest: „Es sollte auf der Hand liegen, dass die in (EP) explizierte explanative Priorität transitiv ist: Wenn p q und q r explanativ vorausgeht, dann ist klar, dass p in einer vollständigen Erklärung darüber enthalten sein muss, warum r gilt.“ [4] Doch das ist überhaupt nicht klar. Wie Hasker bemerkt, muss eine solche Relation auch irreflexiv sein: „Ein kontingenter Sachverhalt kann nicht (teilweise oder ganz) eine Erklärung seiner selbst sein.“ [5] Doch wenn die durch (EP) beschriebene Relation transitiv ist, dann wird anscheinend die Bedingung der Irreflexivität verletzt. Meine Frau und ich kommen nicht selten in die Situation, dass ich etwas tun möchte, wenn sie es tun möchte, und sie möchte es tun, wenn ich es tun möchte. Nehmen wir beispielsweise an, dass John zur Party geht, weil Mary geht, und Mary geht zur Party, weil John hingeht. Daraus folgt, wenn die Relation in (EP) transitiv ist, dass John zur Party geht, weil John zur Party geht, eine offensichtlich falsche Schlussfolgerung. Eine solche Schlussfolgerung ist nicht nur explanativ leer, sondern impliziert in Verbindung mit (12) auch, dass John nicht aus freien Stücken zur Party geht – was genau die Schlussfolgerung ist, die Hasker vermeiden möchte. [6]

Hasker widerspricht auch meinem auf (A*) beruhenden Gegenbeispiel, indem er feststellt, dass das, was unserer Entscheidung explanativ vorausgeht, nur unsere (fehlbare) Annahme ist, dass (A*) wahr ist. Doch die Disanalogie, von der Hasker spricht, ist kein essentieller Teil der Illustration. Mein Ziel war es, eine Parallele zu Adams‘ (1)-(5) zu konstruieren, in der wir als Erzeuger die Stelle Gottes als Schöpfer einnehmen, und unsere Kinder als das Ergebnis unserer Zeugung unsere Stelle einnehmen. (A*) geht unserer Entscheidung dann in derselben Weise voraus, wie Kontrafaktuale geschöpflicher Freiheit dem Beschluss Gottes explanativ vorausgehen. Mit der Frage der Transitivität und Mehrdeutigkeit der explanativen Priorität geht einher, ob unsere Annahme, dass (A*) gilt, ein Wissen oder unfehlbar ist; wenn gewünscht, können wir festlegen, dass wir ein solches Wissen durch eine übersinnliche Hotline oder durch ein prophetisches Wort von Gott erlangt haben. Somit gelingt es der Illustration, die Mehrdeutigkeit von Adams‘ Argument oder die Intransitivität der fraglichen explanativen Priorität zu zeigen.

Nun wird der Molinist natürlich in gewissem Sinn zustimmen, dass die Wahrheit aller wahren Kontrafaktuale der Freiheit über uns allen unseren Entscheidungen und Handlungen explanativ vorausgeht, wie (5) feststellt, obwohl dies nicht aus (1)-(4) folgt. Denn vermutlich wurde der göttliche Schöpfungsbeschluss von Gottes Kenntnis wahrer Kontrafaktuale geschöpflicher Freiheit geleitet. Doch ich habe auch argumentiert, dass Adams‘ (12) falsch ist, erstens, weil (12) den Fehlschluss des Fatalismus darstellt, und zweitens, weil die Tatsache, dass ich es unterlassen kann, A in C zu tun, keine notwendige Bedingung dafür ist, dass ich aus freien Stücken A in C tue, sodass das Argument nicht stichhaltig ist.

In seinem Artikel „Middle Knowledge: a Refutation Revisited“, unterstützt Hasker Adams‘ (12); [7] aber er unterlässt es, auf meine zwei Kritikpunkte dagegen zu antworten. Stattdessen versucht er, eine Erläuterung zu „bring about“ [8]  zu formulieren, die dem von ihm bevorzugten Prinzip des „Power Entailment“ [9] entspricht. Dieses Prinzip ist für seine Schlussfolgerung entscheidend: Wenn man herbeiführen kann, dass A&~B, dann kann man herbeiführen, dass A ~B, wobei Hasker behauptet, er habe bewiesen, dass dies unmöglich ist. Eine Antwort von Hasker entweder auf meine intuitiven Einwände gegen sein Prinzip [10] oder auf meine Gegenbeispiele dazu [11] steht leider noch aus. Wenn wir die von mir vorgeschlagene Alternative akzeptieren:

PEP'5: Wenn es in S‘ Macht liegt, herbeizuführen, dass P, und aus „P“ „Q“ folgt, und „Q“ falsch ist, und Q eine Konsequenz von P ist, dann liegt es in S‘ Macht, herbeizuführen, dass Q,

dann ist plausibel, dass A ~B keine Konsequenz von A & ~B ist, und somit folgt aus der Tatsache, dass Letzteres herbeigeführt wird, nicht, dass man Ersteres herbeiführt. Angenommen, ich höre zum Beispiel ein Klopfen an der Tür und gehe hin, um zu öffnen. Dann ist wahr, dass ich, wenn ich ein Klopfen an der Tür hören würde, hingehen würde, um zu öffnen. Doch die Wahrheit dieses Kontrafaktuals ist gewiss keine Konsequenz meines tatsächlichen Handelns, denn wenn ich gerade schlafe, sodass ich das Klopfen nicht hören und die Tür nicht öffnen kann, dann kann immer noch wahr sein, dass ich, wenn ich ein Klopfen an der Tür hören würde, hingehen würde, um zu öffnen. In dem vorliegenden Fall folgt also aus meiner vermutlichen Unfähigkeit, A ~B herbeizuführen, nicht meine Unfähigkeit, A & ~B herbeizuführen.

Selbst wenn der Molinist die Wahrheit von (5) im Sinne der explanativen Priorität, die in Haskers (EP) expliziert wird, einfach einräumt, ist dieser Begriff so schwach, dass (12) noch offensichtlicher falsch ist. Denn Kontrafaktuale über unsere freien Handlungen können diesen Handlungen in Haskers Sinn nur deshalb explanativ vorausgehen, weil Gottes Grund für unsere Erschaffung teilweise in seinem Wissen gelegen haben kann, dass wir solche Dinge aus freien Stücken tun würden. Es bleibt aber völlig rätselhaft, wie eine so verstandene explanative Priorität mit unserer freien Ausführung solcher Handlungen unvereinbar ist. In einer Fußnote zu seinem zweiten Artikel behauptet Hasker, dass Adams‘ Argument von der Abhängigkeit von (12) befreit werden kann, indem er den Leser auf sein eigenes Argument gegen mittleres Wissen verweist. [12] Doch der aufmerksame Leser wird in dieser Erörterung nichts als eine Wiederholung des vorausgegangenen diesbezüglichen Arguments von Hasker finden, ohne eine Widerlegung der verschiedenen Einwände, die in der Literatur dagegen erhoben wurden. [13]

Mir scheint also, dass weder Adams noch Hasker in der Lage waren, einen Begriff der explanativen Priorität in Bezug auf die Wahrheit von Kontrafaktualen geschöpflicher Freiheit zu explizieren, der sowohl transitiv ist als auch menschliche Freiheit nicht beeinträchtigt. Der Begriff „explanative Priorität“ ist in der Rolle, die er in dem Argument spielt, mehrdeutig, oder ein solcher Begrifft – wenn ihm eine eindeutige Bedeutung gegeben werden kann – ist entweder so allgemein, dass wir seine Transitivität verneinen müssten, oder so schwach, dass sie mit menschlicher Freiheit nicht unvereinbar wäre.

(Übers.: Marita Wilczek)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/on-haskers-defense-of-anti-molinism

  • [1]

    William Hasker, „Middle Knowledge: a Refutation Revisited“, Faith und Philosophy 12 (1995): 223-36; idem, „Explanatory Priority: Transitive and Unequivocal, A Reply to William Craig," Philosophy und Phenomenological Research 57 (1997): 1-5.

  • [2]

    Robert Merrihew Adams, „An Anti-Molinist Argument“, in: Philosophical Perspectives, Bd. 5: Philosophy of Religion, hrsg. von James E. Tomberlin (Atascadero, Calif.: Ridgeway Publishing, 1991), S. 343-353.

  • [3]

    William Lane Craig, „Robert Adams's New Anti-Molinist Argument“, in: Philosophy and Phenomenological Research 54 (1994): 857-861.

  • [4]

    Hasker, „Explanatory Priority“, S. 3.

  • [5]

    Ibid.

  • [6]

    Denn p q steht nicht in striktem Widerspruch zu p·~q. Nehmen wir einmal an, dass John – der nichts von Marys Zuneigung ahnt – nicht weiß, dass Mary zur Party gehen würde, wenn er hingeht, dass er aber entschlossen ist, hinzugehen, wenn sie hingeht. p q sei die Proposition, die ausgedrückt wird durch: „Wenn Mary zur Party ginge, dann würde ich hingehen.“ Nach Haskers Verständnis geht diese Proposition Johns Entscheidung, unter der Voraussetzung zu gehen, dass Mary zur Party geht, explanativ voraus. Sie steht aber in striktem Widerspruch dazu, dass John unter diesen Umständen nicht geht. Nach (12) müssen wir deshalb sagen, dass John nicht aus freien Stücken entscheidet oder zur Party geht, was lächerlich erscheint. Wenn man von Haskers Verständnis ausgeht, würde (12) es oft unmöglich machen, aus irgendwelchen Gründen frei zu handeln. Vielleicht würde Hasker entsprechend seiner unten folgenden Antwort sagen, dass alles, was der Tatsache, dass John zur Party geht, vorausgeht, seine Annahme ist, dass Mary hingeht. Doch eine solche Antwort stützt sich auf eine falsche Spur, nämlich die Tatsache, dass John glaubt, dass Mary hingeht, während es uns frei steht, als Teil unseres Gedankenexperiments einfach festzulegen, dass John nicht zur Party gehen würde, wenn Mary nicht hingehen würde.

  • [7]

    Hasker, „Middle Knowledge“, S. 235, Anmerkung 17.

  • [8]

    bring about“ bedeutet hier so viel wie „herbeiführen“ oder „zustande bringen“ (Anm. d. Übers.)

  • [9]

    Ibid., S. 229-232; „Power Entailment“ lässt sich etwa mit „Fähigkeitsimplikation“ wiedergeben (Anm. d. Übers.)

  • [10]

    William Lane Craig, „Hasker on Divine Knowledge“, in: Philosophical Studies 67 (1992): 91-92.

  • [11]

    William Lane Craig, Divine Foreknowledge und Human Freedom, Brill's Studies in Intellectual History 19 (Leiden: E. J. Brill, 1990), S. 89-90.

  • [12]

    Hasker, „Explanatory Priority“, S. 1. Der Verweis bezieht sich auf Hasker, „Middle Knowledge“, S. 223-236.

  • [13]

    In "Middle Knowledge," S. 226-239, Hasker revises the first part of his Argument in deference to Adams's version, but the second part he leaves unchanged und undefended--indeed, in footnote 17 on S. 235 he actually commends Adams's (12) as an alternative to his Argument for those "who have qualms about some of the premises in my version of the Argument."