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Robert Adams‘ neues antimolinistisches Argument

Summary

Robert Adams hat ein neues Argument präsentiert, um die logische Unmöglichkeit eines göttlichen Vorauswissens von Kontrafaktualen geschöpflicher Freiheit nachzuweisen. Adams‘ Argumentation ist aber nicht stichhaltig, weil das in dem Argument verwendete Verständnis von „explanativer Priorität“ entweder mehrdeutig oder nicht nachweislich transitiv ist. Außerdem enthält sein Argument eine falsche (fatalistische) Prämisse.

Siehe auch meinen diesbezüglichen Artikel „Adams on Actualism and Presentism“.

„Robert Adams's New Anti-Molinist Argument.“ Philosophy and Phenomenological Research 54 (1994): 857-861.

Obwohl Thomas Flint die wesentlichen Einwände gegen die molinistische Lehre des mittleren Wissens für widerlegt hält, sodass die Aufgabe in Angriff genommen werden kann, diese Lehre theologisch anzuwenden, [1]  hat Robert Adams sich nicht abschrecken lassen, ein neues antimolinistisches Argument zu nennen, das die logische Unmöglichkeit des mittleren Wissens von Kontrafaktualen geschöpflicher Freiheit zeigen soll. [2] Inspiriert durch William Haskers Argument, dass ein mittleres Wissen solcher Kontrafaktuale mit geschöpflicher Freiheit unvereinbar ist, [3]  zielt Adams‘ neues Argument auf dieselbe Schlussfolgerung, vermeidet aber jede Berufung auf Haskers zweifelhafte – und, wie ich sagen muss, eindeutig falsche – Prämisse, dass aus molinistischer Sicht Kontrafaktuale geschöpflicher Freiheit fundamentalere Merkmale der Welt sind als kategorische Fakten. [4]

Nach einer Zusammenfassung der intuitiven Grundlage seines Arguments, [5] entwickelt Adams die folgende rigorosere Formulierung:

1. Laut dem Molinismus gilt, dass die Wahrheit aller wahren Kontrafaktuale der Freiheit über uns dem Beschluss Gottes, uns zu erschaffen, explanativ vorausgeht.

2. Gottes Beschluss, uns zu erschaffen, geht unserer Existenz explanativ voraus.

3. Unsere Existenz geht allen unseren Entscheidungen und Handlungen explanativ voraus.

4. Die Relation der explanativen Priorität ist transitiv.

5. Also folgt aus dem Molinismus (durch 1-4), dass die Wahrheit aller wahren Kontrafaktuale der Freiheit über uns allen unseren Entscheidungen und Handlungen explanativ vorausgeht.

10. Außerdem folgt aus dem Molinismus: Wenn ich in den Umständen C aus freien Stücken Handlung A tue, dann gibt es ein wahres Kontrafaktual der Freiheit F*, das besagt, dass ich, wenn ich in C wäre, (aus freien Stücken) A tun würde.

11. Also folgt aus dem Molinismus: Wenn ich in C aus freien Stücken A tue, dann geht die Wahrheit von F* meinen Entscheidungen und Handlungen in C explanativ voraus.

12. Wenn ich in C aus freien Stücken A tue, geht keine Wahrheit, die meinem Unterlassen von A in C strikt widerspricht, meinen Entscheidungen und Handlungen in C explanativ voraus.

13. Die Wahrheit von F* (die besagt, dass ich, wenn ich in C wäre, A tun würde), widerspricht strikt meinem Unterlassen von A in C.

14. Wenn der Molinismus wahr ist, dann gilt: Wenn ich in C aus freien Stücken A tue, geht F* meinen Entscheidungen und Handlungen in C explanativ sowohl voraus (durch 11) als auch nicht voraus (durch 12-13).

15. Wenn der Molinismus also (durch 14) wahr ist, dann tue ich in C nicht aus freien Stücken A.

In seiner Kritik zu dem früheren antimolinistischen Argument von Adams hat Plantinga den Vorwurf erhoben, dass das Argument nicht stichhaltig ist, weil die darin enthaltene Abhängigkeitsrelation keine transitive Relation ist. [6] Mir scheint, dass das gegenwärtige Argument einen ähnlichen Mangel aufweist. Das in dem Argument verwendete Verständnis von „explanativer Priorität“ scheint mir mehrdeutig zu sein, und falls man ihm eine eindeutige Bedeutung zuweisen kann, gibt es keinen Grund zu erwarten, dass es transitiv ist.

Betrachten Sie die explanative Priorität in (2) und (3). Hier kann eine einfache Interpretation dieses Begriffs in Sinne der kontrafaktischen Abhängigkeit des Sukzedens‘ von der Bedingung gegeben werden:

2.' Wenn Gott uns nicht erschaffen hätte, würden wir nicht existieren.

3.' Wenn wir nicht existieren würden, würden wir keine unserer Entscheidungen und Handlungen treffen.

Sowohl (2') als auch (3') sind metaphysisch notwendige Wahrheiten. Doch in diesem Sinne ist explanative Priorität nicht auf (1) anwendbar, denn die Behauptung

1.' Laut dem Molinismus gilt: Wenn alle wahren Kontrafaktuale der Freiheit über uns nicht wahr wären, hätte Gott nicht beschlossen, uns zu erschaffen,

ist falsch. Der Molinismus stellt keine solche Behauptung auf, da Gott uns auch dann erschaffen haben könnte, wenn die tatsächlich wahren Kontrafaktuale geschöpflicher Freiheit falsch wären oder sogar – per impossible – wenn überhaupt keine solchen Kontrafaktuale wahr wären. Das Verständnis von explanativer Priorität in (1) muss somit anders sein als in (2) und (3).

Die Schwierigkeit scheint darin zu wurzeln, dass Adams Gründe und Ursachen verwechselt. Die Priorität in (2) und (3) ist eine Art kausale oder ontische Priorität, doch die Priorität in (1) ist nicht kausal oder ontisch, denn die Wahrheit aller Kontrafaktuale geschöpflicher Freiheit ist weder eine notwendige, noch eine ausreichende Bedingung für Gottes Beschluss, uns zu erschaffen. Bestenfalls geht die Wahrheit solcher Kontrafaktuale seiner Entscheidung voraus, einen partiellen Grund für diese Entscheidung zu liefern. Im Gegensatz dazu bietet die Wahrheit von Kontrafaktualen göttlicher Freiheit und von kontingenten kategorischen Propositionen keine Gründe für den göttlichen Schöpfungsbeschluss und geht somit dem Beschluss nicht voraus. Adams‘ Fehler scheint zu sein, dass er von Gottes Beschluss in der Hierarchie der Gründe zu Gottes Beschluss in der Hierarchie der Ursachen springt, und dass er durch seine Mehrdeutigkeit versucht, Kontrafaktuale geschöpflicher Freiheit unseren freien Entscheidung vorausgehen zu lassen.

Die Ungültigkeit dieses Schrittes wird aus der Tatsache evident, dass keine der erörterten Auffassungen von „explanativer Priorität“ auf die besondere Priorität anwendbar ist, die in (5) gefolgert wird. Nehmen wir beispielsweise an, dass meine Frau und ich vorhaben, eine Familie zu gründen, und wir kommen – vielleicht aufgrund einer Bibelstelle wie Sprüche 22,6 – zu der Überzeugung:

A.* Sollten wir Kinder bekommen, würden sie Gott kennen und lieben lernen.

Da uns dies wichtig ist, beschließen wir, eine Familie zu gründen. Demnach gilt:

1*. Die Wahrheit von (A*) geht unserer Entscheidung, Kinder zu bekommen, explanativ voraus.

Unbestreitbar wahr ist auch:

2*. Unsere Entscheidung, Kinder zu bekommen, geht der Existenz unserer Kinder explanativ voraus.

3*. Die Existenz unserer Kinder geht der Tatsache, dass sie Gott kennen und lieben lernen, explanativ voraus.

Wenn also (4) wahr ist, müssen wir folgenden Schluss ziehen:

5*. Die Wahrheit von (A*) geht der Tatsache, dass sie Gott kennen und lieben lernen, explanativ voraus.

Doch ich verstehe nicht einmal, was explanative Priorität in (5*) bedeutet.

Vielleicht kann Adams eine eindeutige Auffassung von „explanativer Priorität“ formulieren, die auf (1-3) anwendbar ist. Aber ich vermute, dass jede solche Auffassung so unspezifisch und so schwach wäre, dass wir, um Schlussfolgerungen wie (5*) zu vermeiden, ihre Transitivität verneinen müssten. Da (5) eine ungültige Inferenz ist, ist es auch (11), und die Reductio scheitert.

Doch das ist noch nicht alles; die Reductio scheitert auch, weil (12) falsch ist. Adams‘ Intuition scheint zu sein, dass ich, wenn F* meiner Ausführung von A in C vorausgeht, nicht unterlassen könnte, A zu tun, was eine notwendige Bedingung dafür ist, dass ich A aus freien Stücken tue. Aber eine solche Annahme scheint doppelt falsch zu sein. Erstens handelt es sich um die falsche Argumentation des Fatalismus. Obwohl F* (ex concessionis) tatsächlich meiner freien Ausführung von A in C vorausgeht, liegt es in meiner Macht, die Ausführung von A in C zu unterlassen; nur wenn ich dies tun würde, dann würde F* weder meiner Handlung explanativ vorausgehen, noch ein Teil des mittleren Wissens Gottes sein. Solange Adams nicht zeigen kann, dass der Inhalt des mittleren Wissens Gottes eine „harte Tatsache“ ist, ist sein auf (12) beruhendes Argument untergraben. Zweitens ist meine Fähigkeit, die Ausführung von A in C zu unterlassen, keine notwendige Bedingung dafür, dass ich A in C aus freien Stücken tue. Denn vielleicht tue ich zwar A in C ohne irgendeinen kausalen Zwang, aber es ist auch der Fall, dass Gott mir nicht erlauben würde, A in C zu unterlassen. Flints Essay über päpstliche Unfehlbarkeit, die in demselben Band erscheint wie der von Adams, bietet eine gute Illustration: Obwohl Gott dem Papst nicht erlauben würde, eine falsche Lehre zu verbreiten, verbreitet der Papst nichtsdestoweniger aus freien Stücken richtige Lehre. [7] Wenn ein solches Szenario kohärent ist – und Flint scheint alle Einwände dagegen widerlegt zu haben –, dann ist (12) falsch.

Mir scheint also, dass beide Seiten des Reductio-Arguments von Adams nicht stichhaltig sind. Sein Versuch, zu zeigen, dass Kontrafaktuale geschöpflicher Freiheit unserem Handeln explanativ vorausgehen, scheitert aufgrund von Mehrdeutigkeit. Und selbst wenn sie unserem Handeln auf irgendeine seltsame Weise explanativ vorausgehen würden, weil sie wahr und Gott logisch vor kategorisch kontingenten Propositionen bekannt sind, wäre das mit der Freiheit unseres Handelns nicht unvereinbar.

(Übers.: Marita Wilczek)
 

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/robert-adamss-new-anti-molinist-argument
 

  • [1]

    Thomas S. Flint, „Middle Knowledge and the Doctrine of Infallibility“, in: Philosophical Perspectives, Bd. 5: Philosophy of Religion, hrsg. von James E. Tomberlin (Atascadero, Calif.: Ridgeway Publishing, 1991), S. 374.

  • [2]

    Robert Merrihew Adams, „An Anti-Molinist Argument“, in: Philosophy of Religion, S. 343-353. Obwohl Adams seine vorherigen antimolinistischen Argumente kurz wiederholt, die darauf beruhen, dass es keine Grundlage für Kontrafaktuale geschöpflicher Freiheit gibt, lehnt er es ab, auf Widerlegungen seiner früheren Einwände zu antworten (z.B. Alvin Plantinga, „Reply to Robert M. Adams“, in: Alvin Plantinga, hrsg. von James E. Tomberlin und Peter Van Inwagen, Profiles 5 [Dordrecht: D. Reidel, 1985], S. 371-382; Alfred J. Freddoso, „Einleitung“ in: On Divine Foreknowledge, von Luis de Molina, übers. und mit Anmerkungen versehen von A. J. Freddoso [Ithaca, N.Y.: Cornell University Press, 1988], S. 68-75; William Lane Craig, Divine Foreknowledge and Human Freedom, Brill's Studies in Intellectual History 19 [Leiden: E.J. Brill, 1990], S. 247-269). Deshalb werde ich seine Bemerkungen nicht kommentieren.

  • [3]

    William Hasker, God, Time, and Knowledge (Ithaca, N.Y.: Cornell University Press, 1989), S. 29-52.

  • [4]

    Zu einer Kritik zu Haskers Auffassungen siehe William Lane Craig, „Hasker on Divine Knowledge“, Philosophical Studies 67 (1992): 89-110.

  • [5]

    Adams‘ intuitive Zusammenfassung ist in irreführender Weise mehrdeutig und weist seltsamerweise wenig Ähnlichkeit mit Haskers Argument oder mit Adams‘ eigener detaillierter Formulierung des Arguments auf; hier ist jedoch nicht der Raum zu einer interpretativen Erörterung.

  • [6]

    Plantinga, „Reply to Robert Adams“, S. 376.s

  • [7]

    Flint, „Infallibility“, S. 385-390.