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Adams über Aktualismus und Präsentismus

Summary

Robert Adams hat ein Argument gegen die Präexistenz singulärer Propositionen über uns selbst verteidigt, mit der Begründung, dass es möglich gewesen wäre, dass sie existieren, selbst wenn wir nie existiert hätten, was absurd ist. Doch die entscheidende Annahme, die dieser Argumentation zugrunde liegt, nämlich dass die einzigen Geschichten einer Welt, die jederzeit möglich sind, Fortsetzungen dieser Geschichte bis zu diesem Zeitpunkt sind, ist falsch, wie die Illustration der Zeitreise zeigt. Außerdem würde der Fatalismus folgen, wenn Adams recht hätte. Das Scheitern des Arguments von Adams hat wichtige Implikationen für die molinistische Lehre vom göttlichen mittleren Wissen.

Siehe meinen diesbezüglichen Artikel „Robert Adams‘ neues antimolinistisches Argument“.

In seinem Artikel „Time and Thisness“ [1] hat Robert Adams argumentiert: „Meine Diesheit und singuläre Propositionen über mich können nicht vor mir existiert haben, denn sonst wäre es möglich gewesen, dass sie existierten, selbst wenn ich nie existiert hätte, und das ist nicht möglich.“ [2] Jonathan Kvanvig hat jedoch den Vorwurf erhoben, dass diese Argumentation derselben Erwiderung unterliegt wie das Argument für Fatalismus. [3] So, wie wir die Fähigkeit haben, in einer Weise zu handeln, dass – falls wir dies tun – futurische Propositionen, die tatsächlich wahr waren, nicht wahr gewesen wären, so können Dinge anders geschehen, als sie geschehen werden, in welchem Fall Diesheit und singuläre Propositionen, die tatsächlich existier(t)en, nicht existiert hätten. Adams erkennt zwar die philosophische Solidität von Kvanvigs Position an, doch in seiner Erwiderung auf Kvanvig bleibt er bei seinem Argument, wobei er bemerkt, dass er zwar zustimmt, „dass Dinge über eine Zeit wahr sein können, die nicht über sie wahr gewesen wären, wenn … die Dinge zu einem späteren Zeitpunkt anders verlaufen wären“ und „dass es Tatsachen über 1935 gibt … die nicht hätten gelten können, wenn ich später nicht geboren worden wäre“, dass er aber trotzdem denkt, dass wir in unserer primitiven Ontologie keine Entitäten zulassen sollten, die in ihrer bloßen Existenz von späteren Ereignissen abhängen. [4]

Doch warum sollten wir denken, dass die Existenz von Dingen in der Vergangenheit nicht kontrafaktisch durch zukünftige Ereignisse bedingt sein können? Die intuitive Basis für seinen Standpunkt, stellt Adams fest, liegt in

der Attraktivität der Idee metaphysisch möglicher Fortsetzungen der Geschichte jeder möglichen Welt ab jedem Zeitpunkt t, deren Variation (da es Fortsetzungen sind) Auswirkungen darauf haben können, welche Entitäten nach t kontingent in Existenz kommen, aber keine Auswirkungen auf das haben können, was zu oder vor t existiert… Meine Behauptung … ist nur, dass was immer in der Geschichte von W bis zum Zeitpunkt t existiert, metaphysisch mit jeder möglichen Fortsetzung dieser Geschichte nach t vereinbar sein muss. [5]

Das ist eine starke Intuition; doch ein kurzes Nachdenken offenbart, dass die Kraft ihrer Attraktivität aus der Tatsache entspringt, dass es in Wirklichkeit eine analytische Wahrheit ist. Denn per Definition sind verschiedene zukünftige Geschichten später als t dann und nur dann Fortsetzungen der Geschichte vor t, wenn sie diese Geschichte als ihre Vergangenheit einschließen. Das ist ja gerade, was es bedeutet, eine Fortsetzung einer Geschichte zu sein. Es müssen nicht nur alle Entitäten vor t unbeeinflusst bleiben, sondern auch alle Ereignisse in ihren temporalen und räumlichen Lokalisierungen. Sonst wären die Geschichten später als t Fortsetzungen anderer Geschichten. Doch aus dieser analytischen Wahrheit folgt nicht die entscheidende Inferenz, dass zu jedem Zeitpunkt t in einer Welt W alle metaphysisch möglichen Geschichten später als t dieselbe Geschichte früher als t haben. Mit anderen Worten sind diese Geschichten, welche Fortsetzungen der Geschichte früher als t sind, nur eine echte Teilmenge aller zukünftigen Geschichten, die zu t möglich sind. Betrachten Sie zum Beispiel die Geschichte einer Welt bis zu t, die das Auftreten eines Zeitreisenden aus einer Zeit später als t einschließt:

Zum Zeitpunkt t sind verschiedene zukünftige Geschichten metaphysisch möglich, darunter auch das, was wir als aktuale zukünftige Geschichte b, d, e folgern können, was eine Fortsetzung der Geschichte a, b ist. Doch zum Zeitpunkt t sind auch andere zukünftige Geschichten wie b, c möglich, die keine Fortsetzungen von a, b sind. Ausgehend von unserer Kenntnis der vergangenen Geschichte a, b ist der Weg der Zukunft bis zum Verschwinden des Zeitreisenden (im epistemischen Sinn) gewiss, aber nicht notwendig. Wenn stattdessen b, c der Weg wäre, dann wäre der Zeitreisende nicht vor t erschienen und so wäre die Geschichte a, b anders gewesen. Es ist eine notwendige Wahrheit, dass die tatsächliche Zukunft eine Fortsetzung der tatsächlichen Vergangenheit ist, aber es folgt nicht, dass jede mögliche Zukunft eine Fortsetzung der tatsächlichen Vergangenheit ist.

Und zuletzt würden wir gut daran tun, denke ich, Adams künstliche Trennung zwischen Entitäten und Fakten oder Wahrheiten in Frage zu stellen. Wenn Zeitlichkeit ein objektives Merkmal der Wirklichkeit ist, wie Adams und der Präsentist bestätigen, dann gibt es zeitliche Tatsachen, die in jeder Hinsicht genauso ein Teil der Geschichte jeder aktualen Welt sind, wie es Entitäten sind. In der Semantik möglicher Welten wird Zeitlichkeit notwendigerweise vernachlässigt, denn wie wir aus dem McTaggart-Paradox ersehen, kann es keine maximale Beschreibung einer Welt in einer zeitlichen Sprache geben. [6] Indem Adams von der Geschichte jeder möglichen Welt W bis zu oder ab t spricht, übersieht er somit die Zeitlichkeit, die ein essentielles Merkmal der Exemplifizierung jeder Welt ist, in der Zeit existiert. In jeder Instanziierung einer temporalen Welt wird es zeitliche Sachverhalte geben, die zusätzlich zu den existierenden Entitäten gelten (z. B. dass sie gegenwärtig tn ist). Wenn nun zukünftige kontingente Propositionen bivalent sind, was entsprechen sie dann? Selbst wenn wir sagen, dass ihre Wahrheit letztlich in der zukünftigen Wahrheit ihrer jeweiligen Gegenwarts-Versionen begründet sind, entsprechen sie diesen gegenwärtigen Sachverhalten nicht. Eine Auffassung der Wahrheit als Korrespondenz verlangt vielmehr, dass sie futurischen Sachverhalten entsprechen, die jetzt gerade gelten. Da die Geschichte jeder konkreten temporalen Welt solche zeitlichen Sachverhalte einschließt, folgt, dass alle Fortsetzungen dieser Geschichte dieselben vergangenen Sachverhalte einschließen müssen. Wenn Adams recht hat, dass alle zukünftigen Geschichten, die zu t möglich sind, Fortsetzungen der vergangenen Geschichte zu t sind, dannfolgt daraus der Fatalismus. Wenn wir, um dem Fatalismus zu entgehen, zulassen, dass mögliche zukünftige Geschichten diejenigen einschließen, die andere Vergangenheits-Sachverhalte enthalten, dann muss ein ähnlicher Rückgriff dem Verteidiger der Diesheit und der singulären Propositionen offen stehen. [7]


(Übers.: Marita Wilczek)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/adams-on-actualism-and-presentism

  • [1]

    Dt: „Zeit und Diesheit“ – Anm. d. Übers.

  • [2]

    Robert Merrihew Adams, „Time and Thisness“, in: Midwest Studies in Philosophy 11 (1986): 317.

  • [3]

    Jonathan L. Kvanvig, „Adams on Actualism and Presentism“, in: Philosophy and Phenomenological Research 50 (1989): 89-98.

  • [4]

    Robert Merrihew Adams, „Reply to Kvanvig“, in: Philosophy and Phenomenological Research 50 (1989): 300 (meine Hervorhebung).

  • [5]

    Ibid., S. 299-300.

  • [6]

    Siehe Michael Dummett, „A Defense of McTaggart's Proof of the Unreality of Time“, in: Philosophical Review 69 (1960): 503.

  • [7]

    Ein solcher Rückgriff muss auch, pari passu, dem Molinisten offen stehen, dessen Lehre des mittleren Wissens Adams aus ähnlichen Gründen kritisiert hat. Nach dieser Lehre kennt Gott logisch vor seinem Schöpfungsbeschluss die Wahrheit bestimmter konjunktivischer Konditionalsätze darüber, wie Geschöpfe in den jeweiligen Umständen, in die Gott sie stellen könnte, aus freien Stücken handeln würden. Adams wendet ein:

    „Angenommen, es ist nicht nur wahr, dass P, wenn er in die Umstände C gestellt würde, A tun würde; angenommen, diese Wahrheit wurde, wie der Molinismus voraussetzt, vor Gottes Beschluss festgelegt, was – wenn überhaupt etwas – er erschaffen würde, und es wäre daher eine Wahrheit gewesen, selbst wenn P nie in C gestellt worden wäre – ja sogar, wenn P nie existiert hätte. Dann ist schwer zu sehen, wie es an P liegen kann, aus freien Stücken zu bestimmen, ob P in C A tut“ (Robert Adams, „An Anti-Molinist Argument“, in: Philosophical Perspectives 5 [1991]: 356).

    Das Argument scheint als Prämisse anzunehmen, dass es ein wahres Kontrafaktual geschöpflicher Freiheit φ mit einem wahren Antezedens gibt: Wenn P in C wäre, würde P A tun. Adams scheint zu behaupten, dass P die Wahrheit von φ nicht aus freien Stücken herbeiführen kann, weil φ selbst dann,wenn P nach Gottes mittlerem Wissen von φ nicht in C wäre oder überhaupt nicht existieren würde, immer noch wahr wäre, obwohl P in C nie A tut, was absurd ist. Dieses Argument ist eine Parallele zu der erörterten Frage über Kontrafaktuale der Freiheit und göttliches mittleres Wissen anstelle von Diesheit und singulären Propositionen. Ein Molinist, der behauptet, dass es im Falle eines wahren Kontrafaktuals mit einem wahren Antezedens der Akteur ist, der – indem er tut, was das Sukzedens besagt – aus freien Stücken die Wahrheit des Kontrafaktuals herbeiführt, würde auch behaupten, dass die Wahrheit von φ nicht durch P herbeigeführt worden wäre, wenn P nicht in C gewesen wäre. Dies widerlegt in keiner Weise die Behauptung, dass die Wahrheit von φ tatsächlich aus freien Stücken durch P herbeigeführt wird. Es liegt in unserer Fähigkeit, so zu handeln, dass – falls wir es tun sollten – die Wahrheit von Kontrafaktualen geschöpflicher Freiheit, die durch uns herbeigeführt wird, nicht durch uns herbeigeführt worden wäre.

    Außerdem, wenn Adams Unterscheidung zwischen Entitäten und Fakten oder Wahrheiten den Fatalismus erfolgreich abwendet, würde sie auch das antimolinistische Argument von Adams untergraben, denn die Wahrheit von Kontrafaktualen geschöpflicher Freiheit ist der Wahrheit zukünftiger kontingenter Propositionen ähnlicher als die Existenz singulärer Propositionen. Alle Entitäten und sogar Wahrheiten in der Vergangenheit würden dieselben bleiben, wenn P nicht in C wäre; anders wäre nur, dass die fraglichen Kontrafaktuale nicht länger zu P in der Relation „herbeigeführt werden von …, sodass sie wahr sind“ stehen.

    Ich sollte sogar noch weiter gehen und behaupten, dass es in unserer Fähigkeit liegt, so zu handeln, dass – falls wir in dieser Weise handeln – andere Kontrafaktuale geschöpflicher Freiheit wahr gewesen wären und Gottes mittleres Wissen somit anders gewesen wäre. Vielleicht würde Adams sagen, dass Gottes Überzeugungen als Entitäten zu werten sind; wenn ja, dann gilt: Wenn Gott Überzeugungen (siehe jedoch William Alston, „Does God Have Beliefs?“ Religious Studies 22 [1986]: 287-306) nicht nur über konditionale zukünftige Kontingenzen hat, sondern sogar über absolute zukünftige Kontingenzen, dann ist seine Kenntnis beider (die Stichhaltigkeit des Arguments von Adams vorausgesetzt) immer noch schlimmstenfalls irrtumslos, wenn auch fehlbar. Adams‘ antimolinistisches Argument verlangt, dass es für den Theismus essentieller ist, die Unfehlbarkeit (im Gegensatz zur Irrtumslosigkeit) der Überzeugungen Gottes zu behaupten, als sein Vorauswissen und/oder mittleres Wissen zu bewahren, was eine sehr seltsame Beurteilung theologischer Prioritäten zu sein scheint.