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„Damit niemand zu Fall komme“: Eine Perspektive des mittleren Wissens über das Ausharren und apostolische Warnungen

Summary

Apostolische Warnungen vor der Apostasie stellen für die klassische Lehre über das Ausharren der Heiligen eine Schwierigkeit dar, weil diese Warnungen entweder überflüssig erscheinen, oder weil es möglich zu sein scheint, dass Gläubige doch vom Glauben abfallen. Der Versuch, diese Warnungen als das Mittel auszulegen, durch das Gott das Ausharren bewirkt, trifft keine Unterscheidung zwischen der klassischen Lehre und einer molinistischen Lehre, nach der Gläubige zwar abfallen können, es aber aufgrund der extrinsisch wirksamen Gnade Gottes nicht tun werden. Eine molinistische Auffassung ist kohärent und macht – anders als die klassische Lehre – die apostolischen Mahnungen nicht überflüssig.

„‚Lest Anyone Should Fall‘: A Middle Knowledge Perspective on Perseverance and Apostolic Warnings“, in: International Journal for Philosophy of Religion 29 (1991): 65-74.

Vertreter der Lehre vom Ausharren der Heiligen behaupten normalerweise, dass ein Mensch, sobald er wirklich wiedergeboren ist, nicht nur nicht vom Glauben abfallen wird, sondern dass er buchstäblich nicht aus der Gnade fallen und verloren gehen kann. Gewöhnlich geht man davon aus, dass diese Schlussfolgerung aus dem unwiderstehlichen Charakter und der intrinsischen Wirksamkeit der Gnade Gottes folgt: Ein Mensch, der durch den Heiligen Geist zu einer Neuschöpfung wurde, ist von Gottes Liebe, Macht und Majestät so überwältigt, dass er einfach unfähig wird, Apostasie zu begehen. Deshalb werden alle, die durch Gottes souveränes Wirken zu einer Erkenntnis Gottes gekommen sind, bis zum Ende ausharren und errettet werden.

Diese Lehre reibt sich jedoch mit zahlreichen Abschnitten der Bibel, die die Gläubigen vor der Gefahr der Apostasie warnen und das schreckliche Geschick derer beschreiben, die bewusst aus der Gnade fallen (z.B.Röm 11,17-24; 1 Kor 9,27; Gal 5,4; Kol 1,23; 1 Thess 3,5; 1 Tim 1,19-20; 2 Tim 2,17-18; Jak 5,19-20; 2 Petr 2,20-22; 1 Joh 5,16). Der Verfasser des Hebräerbriefs, dessen Leser im Begriff standen, unter dem Druck der Verfolgung zum Judentum zurückzukehren, ist besonders explizit, wenn er seine Leser ermahnt und vor der Gefahr der Apostasie warnt (6,1-8; 10,26-31), „damit niemand zu Fall komme“ durch Ungehorsam (4,11).

Zwar haben einige Anhänger der Lehre vom Ausharren versucht, solche Abschnitte mit der Behauptung wegzuerklären, dass sie Personen betreffen, die nicht wirklich wiedergeboren worden waren, [1] doch eine solche Behauptung erscheint höchst zweifelhaft, wenn man die Sprache dieser Mahnungen berücksichtigt, die sich klar an neu gewordene Gläubige richtet. [2] Angesichts dieser Tatsache haben Verteidiger des Ausharrens, die diese Abschnitte als ernste Warnungen an Christen verstehen, eine andere Erklärung für die Vereinbarkeit der Lehre vom Ausharren und der Warnungen vor der Apostasie vorgeschlagen: Die Warnungen selbst sind das Mittel, durch das Gott die Auserwählten bewahrt. [3] Berkhof bemerkt zum Beispiel:

Es gibt Warnungen vor der Apostasie, die ziemlich unangebracht erscheinen würden, wenn der Gläubige nicht abfallen könnte … Aber diese Warnungen betreffen die ganze Sache auf der Seite des Menschen und sind ernst gemeint. Sie veranlassen zur Selbstprüfung und tragen dazu bei, die Gläubigen auf dem Weg des Ausharrens zu halten. Sie beweisen nicht, dass irgendeiner der Angesprochenen abfallen wird, sondern nur, dass die Anwendung von Mitteln notwendig ist, um sie vor dieser Sünde zu bewahren. [4]

Indem Gott die Gläubigen vor der Apostasie warnt, sorgt er dafür, dass sie keine Apostasie begehen.

Diese einfallsreiche Antwort wirft vielfältige interessante Fragen auf. Zum Beispiel: Wenn der Wille des Gläubigen von Gottes Gnade so überwältigt ist, dass er tatsächlich unfähig ist, vom Glauben abzufallen, warum sollten dann solche Warnungen ausgesprochen werden? Wären diese nicht völlig überflüssig? Wenn es dagegen die Warnungen selbst sind, die das Ausharren herbeiführen, ist es dann nicht wahr, dass der Gläubige fähig ist, vom Glauben abzufallen, auch wenn er es aufgrund der Warnungen nicht tun wird? Denn Warnungen scheinen nicht als effiziente Ursachen auf den Willen einzuwirken, sodass man zwangsläufig in bestimmter Weise handelt; man kann sie missachten. Betrachten wir im Gegensatz dazu die Tatsache, dass ich Englisch spreche, weil ich von englischsprachigen Eltern erzogen wurde: Ich bin dazu bestimmt, Englisch zu sprechen; ich kann nicht plötzlich entscheiden, von nun an Vietnamesisch zu sprechen. Ich habe nicht die Freiheit, einfach zu wählen, welche Sprache ich sprechen werde. Nun ist es im Fall der Warnungen so, dass ich sie gewiss befolgen werde, wenn sie ernst genug sind und ich klug handle. Doch ich denke nicht, dass wir sagen sollten, dass mir durch die Tatsache, dass ich gewarnt wurde, die Freiheit genommen wurde; es liegt immer noch in meiner Macht, die Warnungen zu missachten, und wenn ich unvernünftig genug bin, werde ich das vielleicht tun. Wenn es also nur die Warnungen sind, die das Ausharren gewährleisten, dann scheint der Gläubige in der Tat frei zu sein, sie zu missachten und vom Glauben abzufallen, auch wenn er dies nicht tun wird. Ich werde also davon ausgehen, dass Warnungen die menschliche Freiheit nicht aufheben.

Was in der von mir aufgeworfenen Frage zur Diskussion steht, ist eine kontrafaktische Proposition wie die folgende:

1. Wären die Warnungen nicht gegeben worden, wären die Gläubigen vom Glauben abgefallen.

Betrachtet der Verteidiger des Ausharrens (1) als wahr oder nicht? Wenn er der Meinung ist, dass (1) wahr ist, dann scheint klar, dass die Gläubigen tatsächlich fähig sind, vom Glauben abzufallen, denn in den ähnlichsten möglichen Welten, in denen das Antezedens von (1) wahr ist, fallen sie vom Glauben ab.

Nun könnte der Verteidiger des Ausharrens insistieren: Selbst wenn (1) wahr ist, gilt nichtsdestoweniger angesichts der Tatsache, dass Gläubige tatsächlich gewarnt wurden, dass die Gläubigen nicht vom Glauben abfallen können. Doch diese Antwort unterliegt einem Irrtum, der in Diskussion über göttliches Vorauswissen und menschliche Freiheit vorherrscht, nämlich eine Verwechslung der Notwendigkeit einer Proposition im sensus compositus mit ihrer Notwendigkeit im sensus divisus. Verfechter des theologischen Fatalismus unterscheiden oft nicht zwischen diesen zwei Bedeutungen bei der Betrachtung einer Proposition wie

2. Was immer Gott vorausweiß, muss geschehen,

was sie so auffassen, dass daraus eine Verneinung der menschlichen Freiheit resultiert.

Doch im sensus compositus bedeutet (2) nur:

2*. Es ist notwendigerweise so, dass ein von Gott vorausgewusstes Ereignis geschehen wird.

In diesem Fall ist das Notwendige nicht das Auftreten irgendeines Ereignisses per se, sondern der zusammengesetzte Sachverhalt, der sowohl aus Gottes Vorauswissen des Ereignisses als auch dem Auftreten des Ereignisses besteht. Die gesamte Konjunktion ist notwendig, nicht aber die einzelnen Konjunkte. Somit ist diese Notwendigkeit im sensus compositus in keiner Weise eine Einschränkung der menschlichen Freiheit. Dagegen bedeutet (2) im sensus divisus:

2**. Es ist notwendigerweise so, dass ein Ereignis, das Gott vorausweiß, geschehen wird.

Dies hat keine Verneinung menschlicher Freiheit zur Konsequenz, denn was notwendig ist, ist irgendein Ereignis selbst. In diesem Fall haben wir keine nur zusammengesetzte Notwendigkeit, sondern eines der Konjunkte wird selbst als notwendig behauptet. Der Gegner des theologischen Fatalismus wird behaupten, dass (2), wenn es im sensus divisus – also als (2**) – verstanden wird, falsch ist, aber wenn es im sensus compositus – also als (2*) – verstanden wird, wahr ist, und dass der der theologische Fatalismus daher scheitert.

Ähnlich ist im Fall des Ausharrens, wenn (1) wahr ist, die Proposition

3. Jeder von Gott gewarnte Gläubige kann nicht vom Glauben abfallen.

bestenfalls im sensus compositus wahr, das heißt, wahr ist:

3*. Es ist notwendigerweise so, dass ein von Gott gewarnter Gläubiger nicht vom Glauben abfallen wird.

Doch nach (3*) ist es nicht unmöglich, dass der Gläubige vom Glauben abfallen wird; was unmöglich ist, ist die Konjunktion der Warnung des Gläubigen durch Gott und dem Glaubensabfall des Gläubigen. Die Notwendigkeit, die durch (3*) behauptet wird, wird nur dem zusammengesetzten Sachverhalt zugeschrieben, der aus Gottes Warnung eines Gläubigen und dem Treubleiben dieses Gläubigen besteht. Doch diese zusammengesetzte Notwendigkeit beseitigt in keiner Weise die Freiheit oder Fähigkeit des Gläubigen, vom Glauben abzufallen. Dagegen ist (3) im sensus divisus falsch, das heißt es ist falsch:

3**. Es ist notwendigerweise so, dass ein Gläubiger, der von Gott gewarnt wurde, nicht vom Glauben abfallen wird.

Denn wenn (1) wahr ist, dann ist es einem Gläubigen zwar unmöglich, sowohl gewarnt worden zu sein als auch vom Glauben abzufallen, aber es ist ihm möglich, vom Glauben abzufallen. Wenn also (1) wahr ist, dann ist die klassisch verstandene Lehre vom Ausharren falsch: Der Gläubige kann vom Glauben abfallen, aber notwendigerweise wird er nicht vom Glauben abfallen, wenn er von Gott gewarnt wurde.

Doch nehmen wir an, dass der Verteidiger des Ausharrens sagt, dass (1) falsch ist, das heißt dass das Gegenteil von (1) wahr ist. [5] In diesem Fall würden die Warnungen überflüssig erscheinen. Denn wenn Gottes Gnade intrinsisch wirksam ist, sodass der Gläubige nicht vom Glauben abfallen kann, dann ist es kausal unmöglich, dass der Gläubige vom Glauben abfällt. Gott veranlasst ihn, in der Gnade zu verharren. In diesem Licht betrachtet, ist die Lehre vom Ausharren in gewisser Weise eine falsche Bezeichnung; denn es handelt sich hier eigentlich nicht um Ausharren, sondern um Bewahrung. Der entscheidende Punkt ist, dass Gott den Gläubigen in dem Zustand der Gnade bewahrt, indem er kausal auf ihn einwirkt, und deshalb ist es dem Gläubigen kausal unmöglich, vom Glauben abzufallen, und daher verharrt er im Glauben. Doch wenn sein Glaubensabfall kausal unmöglich ist, dann sind keine Warnungen notwendig und die Mahnungen der Bibel verlieren jede Ernsthaftigkeit.

Der Verteidiger des Ausharrens kann jedoch einen Ausweg aus diesem Dilemma haben. Er könnte behaupten, dass (1) falsch ist, aber erklären, dass der Grund, warum (1) falsch ist, nicht darin liegt, dass es dem Gläubigen kausal unmöglich ist, vom Glauben abzufallen, sondern darin, dass gilt:

4. Wären die Warnungen nicht gegeben worden, dann hätte Gott ein anderes Mittel bereitgestellt, um zu gewährleisten, dass der Gläubige in der Gnade verharrt.

Er könnte argumentieren, dass es angesichts der Treue und Liebe Gottes zu den Auserwählten allgemein logisch unmöglich ist, dass ein Gläubiger vom Glauben abfällt, weil in jeder möglichen Welt, in der ein Gläubiger existiert, Gott irgendein Mittel bereitstellt, um sein Ausharren zu gewährleisten. Da es einfach keine möglichen Welten gibt, in denen Gläubige aus der Gnade fallen, müssen die ähnlichsten Welten, in denen das Antezedens von (1) wahr ist, Welten sein, in denen die Gläubigen ausharren. Die Gründe, warum sie ausharren, können vielfältig sein, und es gibt keinen Grund zu denken, dass Gläubige in jeder Welt kausal gezwungen sind, auszuharren. Man kann auch nicht aus dem Falschsein von (1) oder der Wahrheit von (4) folgern, dass die biblischen Warnungen nicht die Mittel sind, durch die Gott in der tatsächlichen Welt gewährleistet, dass Gläubige ausharren.

Doch das Problem bei einer solchen Antwort ist, dass sie die klassische Lehre vom Ausharren nicht klar von einer molinistischen Version dieser Lehre unterscheidet. [6] Im Kern geht es um die Wirksamkeit der Gnade Gottes: Ist Gottes Gnade intrinsisch wirksam oder extrinsisch wirksam? Nach der klassischen Lehre vom Ausharren ruft Gottes Gnade durch intrinsische Wirksamkeit das Ergebnis hervor, das heißt Gnade verursacht unfehlbar ihre Wirkung. Doch nach Molina ist Gottes Gnade extrinsisch wirksam, das heißt sie wird wirksam, wenn sie mit der freien Kooperation des geschöpflichen Willens verbunden ist. Nach Molinas Auffassung gibt Gott allen Menschen genügend Gnade zur Errettung, aber sie wird nur im Leben derer wirksam, die bejahend darauf eingehen.

Nun gibt es im Molinismus die Schule des sogenannten Kongruismus, die ohne Weiteres (4) und sogar der allgemein logischen Unmöglichkeit der Apostasie eines Gläubigen zustimmen könnte, und dennoch darauf beharrt, dass eine solche Behauptung in keiner Weise mit Behauptungen unvereinbar ist, dass der Gläubige aus freien Stücken ausharrt, und sogar damit, dass es in der Macht des Gläubigen liegt, Gottes Gnade abzuweisen und vom Glauben abzufallen. [7] Der Kongruismus, wie er beispielsweise von Suarez vertreten wird, behauptet, dass Gott logisch vor seinem Schöpfungsbeschluss frei bestimmte Individuen dazu erwählte, Seligkeit zu erlangen. Durch sein mittleres Wissen wusste Gott, welche Gnadengaben wirksam sein würden, um dem Willen dieser Geschöpfe die bejahende Antwort zu entlocken. Deshalb beschloss er, eine Welt zu erschaffen, die diese Individuen enthält, und ihnen diese Gnadengaben zu geben, von denen er wusste, dass sie aus freien Stücken darauf eingehen würden. Diese Gaben sind extrinsisch, nicht intrinsisch, wirksam, insofern der geschöpfliche Wille die Freiheit hat, eine solche Gnade abzulehnen, doch da solche Gaben nach Gottes mittlerem Wissen gewählt werden, sind sie mit jedem geschöpflichen Willen kongruent und führen daher unfehlbar zu einer bejahenden Antwort. Gott weiß durch sein mittleres Wissen, dass das Individuum, obwohl es seine jeweiligen Gnadengaben ablehnen könnte, dies tatsächlich nicht tun wird. Suarez scheint vorzuschlagen, dass Gott in jeder logisch möglichen Welt, in der ein erwähltes Individuum existiert, dieser Person aufgrund seines mittleren Wissens kongruente Gnade zuteilt, die seine freie Antwort gewährleistet. Auf die Frage des Ausharrens angewendet könnte der Kongruismus behaupten, dass Gott durch sein mittleres Wissen genau weiß, welche Gnadengaben in jeder möglichen Welt dem Willen jedes Gläubigen zuzuteilen sind, um eine fortwährende Glaubensantwort dieser Person hervorzurufen. Daher wird jeder Gläubige in jeder Welt, in der er existiert, bis zum Ende ausharren, obwohl er frei ist und es in seiner Macht liegt, irgendeine besondere Gabe der Gnade Gottes abzulehnen.

Eine solche kongruistische Lehre vom Ausharren erscheint sehr paradox, denn auch wenn der Gläubige aus freien Stücken ausharrt und fähig ist, Gottes Gnade abzulehnen, gibt es nichtsdestoweniger keine logisch möglichen Welten, in denen er vom Glauben abfällt. Ist eine solche Lehre kohärent?

Ich denke, es scheint tatsächlich kohärent zu sein, wenn der Kongruist behauptet, dass der Gläubige aus freien Stücken ausharrt, auch wenn er nicht die Freiheit hat, vom Glauben abzufallen. Dass der Gläubige aus freien Stücken ausharrt, zeigt sich an der Tatsache, dass es für jede besondere kongruente Gnade, die ihm gewährt wird, Welten gibt, in denen der Gläubige diese Gnade ablehnt. Doch durch sein mittleres Wissen bietet Gott dem Gläubigen in jeder dieser Welten eine andere Gnadengabe, von der Gott weiß, dass der Gläubige sie aus freien Stücken annehmen wird. Selbst wenn es also keine möglichen Welten gibt, in denen ein Gläubiger vom Glauben abfällt, harren Gläubige nichtsdestoweniger aus freien Stücken aus. Der entscheidende Punkt ist wiederum, dass Gottes Gnade nur extrinsisch wirksam ist, und somit wird die Freiheit des Gläubigen durch Gottes Handeln nicht kausal beschränkt. [8]

Doch steht es dem Gläubigen frei, abzufallen und Apostasie zu begehen? Einerseits scheint das nicht der Fall zu sein, da es allgemein logisch unmöglich ist, dass er vom Glauben abfällt. Wenn ein Akteur die Freiheit hat, eine Handlung A auszuführen, dann muss es ihm gewiss auch allgemein logisch möglich sein, A zu tun! Andererseits gibt es jedoch nichts, das ihn in irgendeiner Welt kausal darauf beschränkt auszuharren, sodass die allgemein logische Unmöglichkeit seiner Apostasie von seinem freien Willen abhängt. Wie kann er also nicht frei sein? Ein Teil des Problems ist hier, dass die Einführung eines anselmschen Gottes in die Sphäre der allgemein logischen Modalität unsere Intuitionen darüber durcheinanderbringt, was als allgemein logisch möglich oder notwendig betrachtet werden sollte. Zum Beispiel scheint intuitiv offensichtlich zu sein, dass eine mögliche Welt existiert, in der die höchste Form geschöpflichen Lebens Kaninchen sind, die in unablässiger Not existieren. Doch wie Thomas Morris hervorhebt, ist eine solche Welt tatsächlich allgemein logisch unmöglich, weil sie mit einem anselmschen Gott unvereinbar wäre. Ein maximal vollkommenes Wesen würde eine solche Situation unablässigen Leidens nicht erschaffen. Somit sind „…Welten (zumindest teilweise) denkbar, die möglich wären, wenn – per impossibile – der anselmsche Gott nicht existieren würde.“ [9] In ähnlichem Sinn haben wir im vorliegenden Fall das, was intuitiv eine logisch mögliche Welt zu sein scheint (eine, in der Gläubige vom Glauben abfallen), die sich aber als allgemein logisch unmöglich erweist, weil Gott in seiner essentiellen Güte immer so handelt, dass es dazu dient, die freie, bejahende Antwort der Gläubigen auf seine Gnade zu gewinnen. Die Wurzel der Paradoxie scheint hier eine Unzulänglichkeit der Bedingungen für kontrafaktische Propositionen in der zurzeit populären Wahrheitstheorie nach Art von Stalnaker-Lewis zu sein, nämlich die Unfähigkeit der Theorie, mit Kontrafaktualen umzugehen, die ein unmögliches Antezedens haben. Denn was wir wirklich wissen wollen, ist nicht, ob (1) wahr ist, sondern ob folgende Aussage wahr ist:

1*. Wären die Warnungen nicht gegeben worden und hätte Gott keine zusätzlichen Gnadengaben bereitgestellt, wären die Gläubigen vom Glauben abgefallen.

Das Problem ist, dass das Antezedens nach der Auffassung, die wir gerade erörtern, allgemein logisch unmöglich ist, weil Gott zu gut ist, um die Bereitstellung zusätzlicher Gnadengaben zu unterlassen. Daher ist (1*), da sie ein unmögliches Antezedens hat, leer wahr, aber das ist auch ihr Gegenteil, da es keine antezedens-erlaubenden Welten gibt. Intuitiv sollten wir aber sagen wollen, dass (1*) falsch ist, wenn Gottes Gnade intrinsisch wirksam ist, und nicht-leer wahr, wenn seine Gnade extrinsisch wirksam ist. Somit wäre die Annahme des Kongruisten berechtigt, dass der Gläubige die Freiheit der Apostasie hat, selbst wenn es keine Welten gibt, in denen er diese Freiheit ausübt. Diese Schlussfolgerung scheint die Wahrheit der Bemerkung Plantingas herauszustellen, dass die Verwendung möglicher Welten sich nicht dazu eignet, viel Licht auf das Konzept zu werfen, dass etwas „in jemandes Fähigkeit liegt“. [10]

Ist der Kongruist jedoch in jedem Fall der Auffassung verpflichtet, dass es keine möglichen Welten gibt, in denen Gläubige vom Glauben abfallen? Genauere Überlegungen lassen vermuten, dass es nicht so ist. Denn der Begriff der kongruenten Gnade bezeichnet keine Gnade, die dergeschöpfliche Wille nicht ablehnen kann, sondern eine Gnade, die so auf den geschöpflichen Willen abgestimmt ist, dass sie nicht abgelehnt werden würde, wenn sie angeboten würde. Es existieren also mögliche Welten, in denen eine Gnade, die eigentlich kongruent und wirksam wäre, abgelehnt wird, wenn sie angeboten wird, und somit unwirksam ist. Solche Welten müssen auch keine Welten sein, in denen eine andere von Gott angebotene Gnade kongruent ist. Der Kongruist kann behaupten, dass in einigen solchen Welten jede von Gott angebotene Gnade durch den geschöpflichen Willen abgelehnt wird. Die Integrität der Güte und Treue Gottes gegenüber dem Gläubigen wird in solchen Welten bewahrt, weil er dem Gläubigen die größte gnädige Hilfe gibt, die er geben kann, doch der apostasierende Gläubige lehnt jede Gnadengabe ab, die ihm angeboten wird. Eine solche Möglichkeit ist auch keine Beeinträchtigung der Lehre vom Ausharren, da der Kongruist behaupten wird, dass solche Welten für Gott nicht durchführbar oder realisierbar sind, weil der Gläubige tatsächlich auf solche gnädigen Hilfen eingehen würde, wenn sie ihm wirklich angeboten werden würden. [11] In jeder von Gott realisierbaren Welt sind seine verschiedenen Gnaden kongruent und wirksam; daher gibt es keine realisierbare Welt, in der Gläubige abfallen und verloren gehen. Dies mag zunächst seltsam erscheinen, weil das Wort „durchführbar“, das normalerweise die Reihe der von Gott realisierbaren Welten beschreibt, meist mit der Konnotation verbunden ist, dass Welten, die für Gott nicht durchführbar sind, Welten sind, die er gern verwirklichen würde (wie Welten, in denen alle Geschöpfe immer aus freien Stücken nicht sündigen), aber nicht verwirklichen kann, weil der Wille der Geschöpfe nicht kooperiert. Doch im Fall des Ausharrens gefällt es Gott zweifellos, dass Welten, in denen Gläubige abfallen, für ihn undurchführbar sind und das, weil der Wille der Geschöpfe immer mit seiner Gnade kooperieren wird. Eine kongruistische Lehre vom Ausharren verlangt also nicht, dass es keine logisch möglichen Welten gibt, in denen Gläubige aus der Gnade fallen.

In diesem Licht lässt (4) sich aufschlussreicher wie folgt formulieren:

4.' Wären die Warnungen nicht gegeben worden, hätte Gott andere Gnadengaben bereitgestellt, und der Gläubige hätte diese aus freien Stücken angenommen.

Der Kongruist betrachtet (4') als wahr, behauptet aber, dass es mögliche Welten gibt, in denen der Gläubige alle anderen ihm angebotenen Gaben der göttlichen Gnade ablehnt; er fügt nur hinzu, dass alle solche Welten für Gott undurchführbar sind. Somit ist klar: Obwohl alle wahrhaft neu gewordenen Gläubigen bis zum Ende ausharren werden, haben sie nichtsdestoweniger die Freiheit, vom Glauben abzufallen.

Wenn der klassische Verteidiger des Ausharrens also seine Auffassung von einer molinistischen Perspektive unterscheiden will, muss er mehr tun, als auf der Wahrheit von (4) zu beharren. Denn auch der Kongruist wird insistieren, dass Gläubige immer in der Gnade ausharren, und dass Gott, sollten die biblischen Warnungen nicht gegeben werden, den Gläubigen andere Gaben angeboten hätte, von denen er wusste, dass sie kongruent sind; er wird aber auch insistieren, dass es dem Gläubigen völlig frei steht, Gottes Gnade abzulehnen und vom Glauben abzufallen. Um seine Auffassung vom Molinismus zu unterscheiden, muss der klassische Verteidiger des Ausharrens also offenbar an der intrinsischen Wirksamkeit der Gnade Gottes und somit an der kausalen Unmöglichkeit der Apostasie des Gläubigen festhalten. Doch in diesem Fall scheinen die Warnungen der Bibel vor der Gefahr der Apostasie müßig und unwirklich zu werden. Vielleicht besteht der beste Ansatz für den klassischen Verteidiger darin, eine Art Okkasionalismus der Mahnung anzunehmen und zu sagen, dass Gott anlässlich der Warnung des Gläubigen vor der Apostasie seine intrinsisch wirksame Gnade eingibt, damit er ausharrt.

Die Behauptung, dass die Warnungen der Bibel das Mittel sind, durch das Gott das Ausharren der Erwählten gewährleistet, bedeutet, eine molinistische Perspektive einzunehmen. Diese Perspektive braucht nicht so radikal zu sein wie der Kongruismus. Der Molinist, der am Ausharren der Heiligen festhält, kann (4) und (4') als falsch betrachten, weil er anders als der Kongruist behauptet, dass es realisierbare Welten gibt, in denen Gläubige Gottes Gnade ablehnen und vom Glauben abfallen. Das heißt, solche Welten sind nicht nur logisch möglich, sondern sie sind für Gott durchführbar. Doch der Molinist, der am Ausharren festhält, wird einfach hinzufügen, dass Gott nicht beschließen würde, eine dieser Welten zu verwirklichen, oder noch bescheidener gesagt, dass Gott tatsächlich nicht beschloss, eine solche Welt zu verwirklichen. In der Welt, die er zu verwirklichen beschloss, harren die Gläubigen immer im Glauben aus. Vielleicht sind die Warnungen in der Bibel das Mittel, durch das Gott ihr Ausharren schwach aktualisiert. Das heißt, dass Gott in dem Moment logisch vor der Schöpfung durch sein mittleres Wissen wusste, wer aus freien Stücken Christus als Heiland annehmen würde und welche Arten von Warnungen vor der Apostasie extrinsisch wirksam sein würden, um sie vor dem Glaubensabfall zu bewahren. Deshalb beschloss er, nur diejenigen Personen zur Errettung zu erschaffen, von denen er wusste, dass sie aus freien Stücken auf seine Warnungen eingehen und daher ausharren würden, und er beschloss gleichzeitig, solche Warnungen bereitzustellen. Nach dieser Erklärung wird der Gläubige gewiss ausharren, und doch tut er es aus freien Stücken, indem er die Warnungen ernstnimmt, die Gott ihm gegeben hat.

Der Molinismus schließt die Lehre vom Ausharren der Heiligen natürlich nicht ein. Der Verteidiger des mittleren Wissens könnte behaupten, dass Gott logisch vor der Schöpfung wusste, dass es keine für ihn durchführbaren Welten gab, in denen alle Gläubigen ausharren, oder dass solche Welten, falls es sie gab, in anderer Hinsicht vordringliche Defizite hatten. Deshalb gewährleisten die Warnungen der Bibel das Ausharren der Gläubigen nicht, denn Gläubige können sie ignorieren und tun das tatsächlich auch. Nichtsdestoweniger scheint mir, dass diejenigen, die die Warnungen der Bibel als das Mittel auslegen, durch das Gott das Ausharren der Heiligen sichert, das klassische Verständnis dieser Lehre aufgegeben und stattdessen eine Perspektive des mittleren Wissens in Bezug auf das Ausharren angenommen haben.

(Übers.: Marita Wilczek)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/lest-anyone-should-fall-a-middle-knowledge-perspective-on-perseverance
 

  • [1]

    Dies war offenbar die Auffassung von Johannes Calvin in: Institutio Christianae Religionis 3.3.21,24; 4.1.10; 4.24.6-11. Siehe auch seine Kommentare zu Hebräer 6 und 10 in: Calvin's Commentaries, Bd. 12: The Epistle of Paul the Apostle to the Hebrews and the First and Second Epistles of St. Peter, übers. von Walter B. Johnston (Grand Rapids, Mich.: Wm. B. Eerdmans, 1963).

  • [2]

    Siehe I. Howard Marshall, Kept by the Power of God (Minneapolis: Bethany Fellowship, 1983).

  • [3]

    Siehe zum Beispiel Judy Gundry-Wolf, „Perseverance and Falling Away in Paul's Thought“ (D.Theol. Dissertation, Eberhardt-Karls-Universität Tübingen, 1987); zu einer Kritik siehe I.H. Marshall, „Election and Calling to Salvation in 1 and 2 Thessalonians“, Vortrag beim 38. Colloquium Biblicum Lovaniense, 1988, Veröffentlichung des Papers in Vorbereitung in: Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium.

  • [4]

    Louis Berkhof, Systematic Theology (Grand Rapids, Mich.: Banner of Truth Trust, 1969), S. 548.

  • [5]

    Das heißt: Wenn die Warnungen nicht gegeben worden wären, dann wären die Gläubigen nicht vom Glauben abgefallen. Der Verteidiger des Ausharres könnte sagen, dass sowohl (1) als auch das Gegenteil von (1) falsch sind; aber ich halte diese Position für unplausibel. Siehe meine Kritik zu dieser Position in: Divine Foreknowledge and Human Freedom (Leiden: E.J. Brill, 1990), Kap. 13.

  • [6]

    Siehe Luis Molina, On Divine Foreknowledge: Teil IV von: „De Liberi Arbitrii cum Gratia Donis, Praescientia, Providentia, Praedestinatione et Reprobatione Concordia“, übers. und mit einer Einleitung und Anmerkungen vers. von Alfred J. Freddoso (Ithaca, N.Y.: Cornell University Press, 1988); William Lane Craig, The Problem of Divine Foreknowledge and Future Contingents from Aristotle to Suarez, Brill's Studies in Intellectual History 7 (Leiden: E.J. Brill, 1988), Kap. 7, 8; Dictionnaire de théologie catholique, hrsg. von A. Vacant, E. Mangenot und E. Amann (Paris: Librairie Letouzey et ane, 1929), s.v. „Molinisme“, von E. Vansteenberghe, Bd. 10, Teil 2, Spalten. 2094-2187.

  • [7]

    Siehe Francisco Suarez, Opera omnia, Bd. 10: Appendix prior: Tractatus de vera intelligentia auxilii efficacis, ejusque concordia cum libertate voluntarii consensus 1, 12, 13, 14; idem De concursu et auxlio Dei 3.6, 14, 17, 20; Craig, Divine Foreknowledge and Future Contingents, Kap. 8; Dictionnaire de théologie catholique, s.v. „Congruisme“, von H. Quillet, Bd. 3, Teil 1, Spalten 1120-1138.

  • [8]

    Siehe die sehr anregenden Bemerkungen von Thomas V. Morris, The Logic of God Incarnate (Ithaca, N.Y.: Cornell University Press, 1986), S. 151-152. Er stellt sich einen Fall vor, bei dem das Gehirn von Jones so mit Elektroden versehen ist, dass die Elektroden immer dann, wenn er versuchen sollte, anders zu entscheiden, als er es tut, aktiviert werden und diese Entscheidung verhindern. „Es wäre ihm nicht möglich gewesen, anders zu handeln, doch es gab tatsächlich nichts außer seinen eigenen Entscheidungen, die herbeiführten, dass er tat, was er tat“ (Ibid., S. 152). Ersetzt man die Elektroden durch Gottes kongruente Gnade, sehen wir, dass Jones aus freien Stücken ausharrt, obwohl es keine Welten gibt, in denen er nicht ausharrt. Und da Gottes Gnade, anders als die Elektroden, nur extrinsisch wirksam ist, wird das freie Ausharren von Jones sogar noch evidenter.

  • [9]

    Morris, Logic of God Incarnate, S. 112-13.

  • [10]

    Alvin Plantinga, „Ockham's Way Out“, in: Faith and Philosophy 3 (1986): 265.

  • [11]

    Zu dem Begriff der für Gott durchführbaren Welten siehe Thomas P. Flint, „The Problem of Divine Freedom“, in: American Philosophical Quarterly 20 (1983): 257.