#297 Vorbehalte, zum christlichen Glauben zurückzukehren
September 02, 2018Sehr geehrter Prof. Craig,
ich möchte Ihnen gerne für alle Ihre harte Arbeit und Hingabe danken und möchte Sie wissen lassen, dass Ihre Arbeit mir sicherlich einen Anstoß gab, einen Glauben, den ich einst hatte, für selbstverständlich nahm und nun versuche, neu zu gewinnen, tiefer zu erforschen. Meine zwei größten Hindernisse sind:
Erstens: Aus einer philosophischen Perspektive weiß ich, dass die Vielfalt religiöser Glaubenssysteme nicht notwendigerweise die Wahrheit eines Systems negiert oder gar irgendeine logische Inferenz für die Nicht-Existenz Gottes liefert. Jedoch finde ich es manchmal entnervend, wenn ich sehe und erfahre, wie Anhänger anderer Glaubensrichtungen, wie des Buddhismus, Hinduismus und selbst des Islams, dasselbe Gefühl von Frieden und Authentizität erlangen, das ich gelernt habe, mit meiner eigenen Erfahrung des christlichen Glaubens in meinem Leben und dem Leben von Menschen, die ich treffe, zu verbinden.
Dies neigt dazu, mich zu dem Denken zu veranlassen, dass wir schlussfolgern könnten, wenn auch nicht, dass Gott existiert oder nicht existiert, so doch, dass der christliche Weg nicht der exklusive Weg zu einer wirklichen Erkenntnis Gottes sein mag. Mir kommt der quälende Gedanke, dass vielleicht eine Religion genauso gut wie eine andere ist, was Gott betrifft. Wäre es nicht so, wenn Gott beabsichtigte, dass der christliche Glaube wahr ist, dass andere Glaubensrichtungen dort versagten, wo unsere Erfolg hat? Meine Beobachtungen tendieren zu der Anzeige, dass dies nicht der Fall ist.
Zweitens, aus einer theologischen Perspektive: Ich finde es schwer, mich zu rechtfertigen, wenn Skeptiker des Gottes des Alten Testamentes mich unter Druck setzen. Wie ich weiß, gibt es eine Vielfalt von Interpretationen, welche für die manchmal schockierenden Beschreibungen des alttestamentlichen Gottes geleistet wurden. Ich habe ein Werk gelesen, das Sie in einem Ihrer Vorträge empfohlen haben: “Is God a Moral Monster“ [Ist Gott ein moralisches Monster?], von Paul Copan. Aber es scheint, dass jedes Mal, wenn ich beginne, mich in Bezug auf diese Fragen zu rechtfertigen, es so abgetan wird, als würde ich durch eine passende Interpretation, die durch die inhärenten sprachlichen Tücken möglich wird, etwas „wegerklären“. Bei einer Gelegenheit wurde mir vorgeführt, wie ähnliche Interpretationsübungen auch bei offensichtlich verabscheuungswürdigen Texten, wie Hitlers „Mein Kampf“, durchgeführt werden können, um ihnen den Anschein moralischer Integrität zu verleihen.
Ich weiß, dies mag eine Menge zu verdauen sein, aber ich wäre wirklich für Ihre Geduld und Weisheit dankbar.
Danke.
Jon
United States
Prof. Craigs Antwort
A
Danke für Ihre Fragen, Jon, und auch für Ihre ermutigenden Kommentare! Ich hoffe, dass ich Ihnen auf Ihrer geistlichen Reise ein Stück weit Hilfe bieten kann.
In Bezug auf Ihre erste Frage, so scheint mir, beruht diese auf der falschen Annahme, dass der Zweck religiösen Glaubens in psychologischen Vorteilen besteht, die er dem Gläubigen verleiht. Lassen Sie uns annehmen, Sie haben damit recht, dass viele Religionen neben dem christlichen Glauben im Leben ihrer Anhänger effektiv „ein Gefühl von Frieden und Authentizität“ vermitteln. Dies wäre nur besorgniserregend, wenn der Zweck des christlichen Glaubens darin bestünde, ein Gefühl von Frieden und Authentizität auf einzigartige Weise in das Leben von christlich Gläubigen zu bringen.
Doch während viele Evangelisten Menschen ermutigen, an Christus aufgrund des Friedens und der Freude und der Liebe zu glauben, die der christliche Glaube bringt, scheint mir, dass der Zweck des christlichen Glaubens nicht in solchen psychologischen Vorteilen besteht, obgleich sie ein schöner Nebeneffekt sind. Der Zweck des christlichen Glaubens besteht nicht darin, Menschen zu helfen, dass sie sich gut fühlen. Der Zweck des Christentums ist, Menschen Rettung, Vergebung der Sünden und ewiges Leben zu bringen. Und ich würde argumentieren, dass keine andere Religion so effektiv wie das Christentum der Menschheit diese Vorteile bringt. In dieser Hinsicht hat das Christentum Erfolg, wo andere Religionen versagen.
Natürlich wirft das die Frage auf, wie wir denn wissen, dass der christliche Glaube wahr ist. Wir dürfen nicht denken, eine Religion sei wahr, nur, weil sie ihren Anhängern psychologischen Vorteil bringt. Ein Moslem, der glaubt, dass alles, was geschieht, der Wille Allahs ist oder ein Buddhist, dem es gelingt, alle Begierden auszulöschen, mögen als Folge davon ein Gefühl von Frieden erfahren. Aber das bestätigt nicht die Wahrheit ihrer Glaubenssysteme. Die Argumente der natürlichen Theologie und die Indizien für den christlichen Glauben liefern gute Gründe für den Glauben an die Wahrheit des Christentums, ganz abgesehen von jeglichen psychologischen Vorteilen, die der christliche Glaube verschaffen mag.
Was Ihre zweite Frage betrifft: Ich bemerke, dass Ihre Sorge nicht die Wahrheit von Copans Exegese betrifft, sondern die Frage, wie Sie eine solche Antwort überzeugend Skeptikern vermitteln können. Hierzu würde ich zweierlei sagen:
Erstens: Vielen Skeptikern geht es nicht wirklich um eine sorgfältige Exegese des biblischen Textes, sondern lediglich darum, die biblische Beschreibung von Gott zu attackieren. Wir müssen Ihnen helfen, sich mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass sie den hebräischen Text nicht sorgfältig studiert und in vielen Fällen einfach missverstanden haben. Sogenannte „Sklaverei“ im Alten Testament ist ein Paradebeispiel. Ich denke, Copans Argument ist ziemlich überzeugend, dass unser Verständnis dieses Begriffes durch die Erfahrung des amerikanischen Südens vor dem Bürgerkrieg geformt ist, und das, was im Alten Testament beschrieben wird, in Wirklichkeit eine Art Anti-Armuts-Programm war, dazu bestimmt, den Armen in Ermangelung einer starken nationalen Regierung zu helfen. Ich bezweifle, dass eine ähnlich überzeugende Interpretation im Falle von Mein Kampf geboten werden könnte.
Zweitens: Wenn uns ein Einwand geboten wird, dann sollten wir uns immer fragen, was wir aufgeben müssten, falls der Einwand sich als korrekt erwiese. Wie ich an anderer Stelle betont habe: Einwände gegen verschiedene Passagen des Alten Testamentes würden höchstens von uns fordern, nicht mehr an der biblischen Unfehlbarkeit festzuhalten. Zwar wäre das eine bedeutsame Schlussfolgerung, doch sie würde nichts dazu beitragen, Gottes Existenz oder seine Selbstoffenbarung in Jesus von Nazareth zu unterhöhlen.
So neige ich dazu, dem Skeptiker einfach seinen Einwand um des Argumentes willen zu lassen, und dann zu wichtigeren Themen, wie der Existenz Gottes und der Auferstehung Jesu, weiterzugehen. Dadurch wird der Schwerpunkt darauf gelegt, wo er hingehört, und der Skeptiker gezwungen, sich mit der grundlegenden Wahrheit des Christentums auseinanderzusetzen.
(Übers.: B. Currlin)
Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/reservations-about-returning-to-christian-belief
- William Lane Craig