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#362 Neue Beweise für die Ausdehnung des Universums

June 01, 2016
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

In den Nachrichten höre ich, dass das BICEP2-Projekt Messdaten zur Polarisation [1] der kosmischen Hintergrundstrahlung aufgrund der Gravitationswellen aus den ersten Momenten der Existenz unseres Universums veröffentlicht hat. Die Physiker scheinen ziemlich aufgeregt zu sein: Sie behaupten, das stütze die Theorie eines Multiversums. Ich kenne mich mit der Mathematik, die der Kosmogonie zugrunde liegt, nicht aus, daher habe ich mich gefragt, ob Sie zu diesem Anspruch der Physiker nicht ein paar Bemerkungen abgeben könnten:

Behauptung 1: „Die Gravitationswellen belegen die kosmische Ausdehnung.“ Könnten Gravitationswellen auch mit einer weniger bekannten Alternativtheorie in Einklang stehen?

Behauptung 2: „Die Ausdehnung des Universums beweist die Multiversen-Theorie.“ Andrei Linde (einer der ersten Ausdehnungstheoretiker) geht so weit zu behaupten: „Wenn es die Ausdehnung gibt, dann auch das Multiversum.“ Ist diese Behauptung mathematisch gut gestützt? Halten Sie diese Behauptung für philosophisch solide?

Ich würde wirklich gern wissen, wie Sie diese jüngste Entwicklung beurteilen.

Danke,

Pete

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Die jüngsten Neuigkeiten über das BICEP-Experiment erinnern an die Nachrichten des vergangenes Jahres über die Entdeckung des ›Higgs-Boson‹: der bestätigte Nachweis dessen, was ohnehin schon fast jeder glaubte. Diese Geschichte veranschaulicht wieder einmal sehr schön, wie Experimentalphysiker genau das entdeckten, was die Theoretiker postuliert hatten. Es ist also nichts Revolutionäres an dieser Entdeckung (was aber wiederum nicht deren Bedeutung kleinreden will!).

Das hat aber wieder manche Leute nicht davon abgehalten, unverantwortliche Schlüsse daraus zu ziehen. Ich habe beispielsweise gesehen, wie Lawrence Krauss auf diese Entdeckung mit seiner langweiligen, oft widerlegten Behauptung reagiert hat: Das ganze zeige, wie sich das Universum „ganz natürlich“ aus dem „Nichts“ entwickelt haben könne. Dass das Universum schon vor der Ausdehnung existiert hat, lässt er dabei ganz außer Acht! Wie wir alle wissen, versteht Krauss unter dem Begriff des „Nichts“ einen physikalischen Zustand des jungen Universums, aus dem das jetzige sich herausbildet habe.

Was nun die Behauptungen betrifft, die Sie erwähnen:

(1) Die kosmische Hintergrundstrahlung gleicht so etwas wie einer Schirmwand, hinter die wir nicht blicken können, um zu sehen, was sich in den Frühstadien der Universumsentwicklung ereignet hat. Nichtsdestoweniger kann das, was sich auf der anderen Seite der „Schirmwand“ ereignet hat, seine Spuren oder „Abdrücke“ darauf hinterlassen haben. Durch die Untersuchung der Muster dieser „Abdrücke“ können die Astrophysiker Schlüsse auf das ziehen, was sich auf der „anderen Seite“ ereignet hat und solche Abdrücke auf der Schirmwand hinterlassen hat. Einige der Forscher rund um BICEP entdeckten, dass die kosmische Hintergrundstrahlung nicht nur den Abdruck der Dichteschwankungen aufweist, die sich schließlich so weit entwickelten, dass Galaxien und Sterne entstanden, sondern auch von etwas anderem, das auf die Polarisation der Hintergrundstrahlung eine Art "Wirbelmuster" einprägte. Die beste Erklärung dieses Musters ist, sie als Abdruck der so genannten Gravitationswellen zu sehen, eines Phänomens, das den Experimentalphysikern bislang unentdeckt geblieben war, obwohl es von der allgemeinen Relativitätstheorie vorausgesagt worden ist. Gravitationswellen sind Kräuselungen im Raumzeitgefüge, von denen man glaubt, sie entstehen normalerweise durch die gegenseitige Beschleunigung bei Massenanziehung, ähnlich wie in einem System, wo zwei Sterne asymmetrisch um ein gemeinsames Massezentrum kreisen. Was hat die Schwerkraftwellen, deren „Abdruck“ in der Hintergrundstrahlung zurückgeblieben ist, ausgelöst? Die Hypothese, nach der das Universum in einem kurzen Moment eine ultraschnelle oder inflationäre Ausdehnung durchmachte, sagt eben dieses Verhalten voraus.

Das Team versuchte sorgfältig sicherzustellen, dass das entdeckte Polarisationsmuster nicht auf Gerätefehler oder den Einfluss kosmischen Staubs oder irgendwelche anderen Faktoren der Galaxis zurückzuführen ist. Anscheinend haben sie andere Ursachen als die Gravitationswellen als die Quelle des beobachteten Musters ausgeschlossen. Ob es auch ein anderes Nicht-Ausdehnungs-Modell geben mag, das die Gravitationswellen vom Beginn des Universums glaubwürdig erklären würde, wurde nicht andiskutiert. Paul Steinhardt, der die Inflationstheorie des Universums bezweifelt, hat bereits zugegeben: Wenn die Ergebnisse stimmen, ist sein Modell nicht haltbar. Vielleicht sind noch andere Modelle denkbar, die erst noch entwickelt werden müssten, aber die Bestätigung einer Vorhersage auf theoretischer Basis durch das Experiment ist ein kraftvoller Hinweis auf die Stimmigkeit einer Theorie.

(2) Zu Lindes Bemerkung zum Multiversum: Aus der Ausdehnung des Universums folgt nicht, dass es ein Multiversum gibt. Es hängt alles von den Eigenschaften des ursprünglichen Feldes ab, das für die Ausdehnung verantwortlich ist, und über dieses Feld und seine Eigenschaften können wir nur spekulieren. Vielleicht gibt es andere sich ausdehnende Universen, vielleicht auch nicht. Drei Dinge muss man da jedenfalls im Auge behalten:

(i) Theologisch gibt es keinen Grund, abzustreiten, dass Gott eine größere Wirklichkeit geschaffen haben kann als „nur“ unser Universum.

(ii) Ausdehnungstheorien mögen „zukunftsewig“ sein (also davon ausgehen, dass das Universum in Ewigkeit existieren wird), aber „vergangenheitsewig“ können sie nicht sein (auch ein Multiversum hat einen Anfang gehabt). Versuche, das Multiversum „vergangenheitsewig“ zu sehen (wie etwa im Modell Sean Carrolls) schlagen aus verschiedenen Gründen fehl. [2]

(iii) Multiversums-Szenarien stehen vor dem lästigen Problem des Boltzmann-Gehirns: Ein feinabgestimmtes Universum wie unseres ist für die Naturalismusansicht unfassbar unwahrscheinlich. Je mehr Welten man innerhalb des Multiversums annimmt, um zu gewährleisten, dass irgendwo in einem Multiversum von Welten Beobachter auftauchen, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir „Boltzmann-Gehirne“ wären: isolierte Gehirne, die urplötzlich aus dem Quanten-Vakuum ins Dasein gezuckt sind. Denn wahrnehmbare Welten wie diese kommen in gigantisch größerer Menge vor als Welten, die für Wesen mit Körper und Bewusstsein feinabgestimmt sind. Wären wir also nur Zufallsprodukte eines Multiversums von Welten, dann hätten wir viel eher solche Beobachtungen machen müssen. Das ist aber nicht der Fall, und das widerlegt die Multiversums-Hypothese.

Diese Einzelheiten sind alle kürzlich im Greer-Heard-Forum (Thema: „Die Existenz Gottes im Licht der zeitgenössischen Kosmologie“) [3] diskutiert worden.

(Übers.: I. Carobbio; L: RN)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/new-evidence-for-inflation

  • [1]

    Das BICEP-Programm ("Background Imaging of Cosmic Extragalactic Polarization") versuchte, die Polarisation der kosmischen Hintergrundstrahlung durch Detektoren in der Antarktis (also am Südpol) zu messen.

    Das Experiment BICEP1 dauerte von 2006-2008 und verwendete 98 Detektoren, BICEP2 von 2010-2012 mit 512 Detektoren, BICEP3 von 2014-2015 mit 2560 Detektoren.

    Die Polarisation beschreibt die Richtung der Schwingung einer "Transversalwelle" (also einer physikalischen Welle, bei der die Schwingung senkrecht zu ihrer Ausbreitungsrichtung erfolgt, im Gegensatz zur Longitudinalwelle). Je geordneter und regelmäßiger diese Schwingung erfolgt, desto höher der Polarisationsgrad.

    Die kosmische Hintergrundstrahlung (auch CMB von engl. "Cosmic Microwave Background") ist etwa 380.000 Jahre nach dem Urknall entstanden (als sich Elektronen und Protonen miteinander kombinierten). Eigentlich sind erst Ereignisse nach diesem Zeitpunkt "sichtbar" (mit Licht).

    Gravitationswellen sind schon viel früher entstanden, nämlich nur Sekundenbruchteile nach dem Urknall.

    Im Rahmen des BICEP-Experiments wird davon ausgegangen, dass diese Gravitationswellen eine Art "Spur" in der kosmischen Hintergrundstrahlung hinterlassen haben, in Form einer gewissen "Verwirbelungskomponente", die man durch die Messung der Polarisation feststellen kann.

    Graphische Darstellung: siehe https://en.wikipedia.org/wiki/BICEP_and_Keck_Array#/media/File:History_of_the_Universe.svg

    Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Background_Imaging_of_Cosmic_Extragalactic_Polarization und https://www.cfa.harvard.edu/CMB/bicep3/
    (A.d.L.)

  • [2]

    Vgl. dazu ausführlicher den Artikel "Hat das Multiversum Gott ersetzt?", http://www.reasonablefaith.org/german/Hat-das-Multiversum-Gott-ersetzt (A.d.L.)

  • [3]

    Siehe dazu The Existence of God in Light of Contemporary Cosmology auf Youtube.

- William Lane Craig