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#687 Ist die Annahme, dass Jesus auferstanden ist, berechtigt?

July 04, 2020
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

ich bin ein ernsthafter Sucher. Durch Philosophen wie Thomas Nagel, Edward Feser, John Searle und Raymond Tallis bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass das materialistisch-mechanistische Mainstream-Verständnis der Welt falsch ist (komischerweise sind die meisten dieser Philosophen Atheisten). Ich bin zurzeit Theist und bin zu dieser Position aufgrund langer philosophischer Überlegungen über die Kontingenz und Intelligibilität des Seins gelangt. Ich bin im Wesentlichen ein Anhänger einer klassischen theistischen Deutung der Realität. Der nächste Schritt wäre dann die Prüfung, ob Gott bzw. die Primärursache in die Geschichte eingegriffen hat oder nicht.

Ich bin mit den historischen Argumenten für die Auferstehung, wie sie von Ihnen (Insbesondere in Ihrer sehr gründlichen Untersuchung von 1989), Wright, Licona und Habermas vertreten worden sind, vertraut. Zurzeit bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass ich, was die Auferstehung angeht, ein ziemlicher Agnostiker bin. Paulus hin und die Zeugen, auf die er sich beruft, her, ich glaube immer noch, dass wir kein Recht haben, zu übernatürlichen Erklärungen zu greifen, wo die Geschichte uns letztlich rätselhaft bleibt. Wenn ich einen antiken Text entdecken würde, der einen in der Luft schwebenden blauen Panda erwähnt, der dem Autor und anderen auf dem Forum Romanum erschien, und der fortfährt, dass es 500 noch lebende Augenzeugen gibt, würde ich die Richtigkeit dieser Behauptung sofort in Zweifel ziehen, weil sie ein Ereignis ins Feld führt, das übernatürlich ist. Ich würde dies auch tun, wenn ein Prophet dieses Ereignis vorhergesagt hätte. Ich würde in diesem Fall annehmen, dass dieser Prophet seine Anhänger reif für eine solche Hysterie gemacht hätte. Ich würde von solchen Phänomen wie Wahrnehmungsfehlern, Massenhysterie etc. ausgehen. Und so glaube ich, dass eine vernünftige Erklärung für das frühchristliche Zeugnis von einem auferstandenen Christus irgendeine Art von Massenhysterie ist.

Es gab damals Juden, die an eine Auferstehung der Toten am Jüngsten Tag glaubten, sodass sie für so etwas wie eine Hysterie über eine Auferstehung Christi von den Toten prädisponiert waren. Falls, wie manche christlichen Gelehrten behaupten, Christus seine Auferstehung sogar vorhergesagt hatte, würde dies die Theorie, dass die Jünger in Richtung dieser Hysterie prädisponiert waren, nur zusätzlich bestätigen. Dies ist zweifellos auch der Grund dafür, dass viele Christen damals glaubten, dass das Ende der Welt nahe war; sie hatten Christusvisionen, die sie als Startsignal der allgemeinen Auferstehung am Jüngsten Tag deuteten. Aber vielleicht hat Paulus auch gewisse Indizien übertrieben, um seine eigene Hysterie zu begründen. Kurz: Müssen wir, solange realistische natürliche Erklärungen möglich sind, wirklich eine übernatürliche Erklärung postulieren?

Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen, dies zu lesen.

Bruce
USA

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Es freut mich sehr, dass Sie auf der Suche nach der Wahrheit über Jesus und seine Auferstehung sind, Bruce. Sie scheinen schon recht weit gekommen zu sein.

Die Frage, ob eine übernatürliche Erklärung der Fakten bezüglich dessen, was aus Jesus geworden ist, gerechtfertigt ist, ist schlicht ein Fall des alten Problems der Identifizierung von Wundern. Dies ist in der Tat eine sehr schwierige, mit manchen Unwägbarkeiten verbundene Frage. Ich glaube aber, dass im Falle Jesu die Annahme einer übernatürlichen Erklärung recht vernünftig, ja, wie ich meine, berechtigt ist. Eine ausführliche Diskussion dieser Frage finden Sie in meinem Buch Reasonable Faith.

Stephen Bilynskyj nennt die folgenden Kriterien für die Identifizierung eines Ereignisses E als Wunder:[1]

  1. Die Belege für das Auftreten von E sind mindestens so gut wie die für das Auftreten anderer akzeptabler, aber ungewöhnlicher und von dem Zeitpunkt der Untersuchung zeitlich und räumlich ähnlich weit entfernter Ereignisse.
  2. Eine Erklärung des Wesens und/oder des Vermögens der kausal relevanten natürlichen Faktoren, sodass sie E erklären könnten, wäre umständlich und ad hoc.
  3. Es gibt keine Indizien dafür (außer der Unerklärlichkeit von E), dass es einen oder mehrere natürliche Faktoren gibt, die E hervorbringen konnten.
  4. Es gibt eine gewisse Berechtigung für eine übernatürliche Erklärung von E, ganz abgesehen von der Unerklärlichkeit von E.

Diese Kriterien scheinen mir vollkommen korrekt zu sein; wenden wir sie also auf den Fall der Auferstehung Jesu an.

Was das Kriterium (1) betrifft, fällt mir sofort auf, dass Sie nicht alle relevanten Belege für E berücksichtigen. Sie nehmen nur die „Zeugen“ der Erscheinungen des auferstandenen Jesus, „auf die [Paulus] sich beruft“, in den Blick. Ich habe den Eindruck, dass Sie hier von Habermas und Licona beeinflusst sind, die sich ähnlich auf das Zeugnis des Paulus in 1.  Korinther 15 konzentrieren und damit die Faktenbasis für die Auferstehung Jesu erheblich verkleinern. Auch N.T. Wright, den Sie ebenfalls erwähnen, nimmt nur einen einzigen Aspekt der Fakten, die die Schlussfolgerung, dass Jesus von den Toten auferstanden sein muss, stützen, in den Blick (nämlich die Entstehung des Glaubens der Jünger, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hatte), womit er ebenfalls die Evidenzbasis für die Auferstehung Jesu einschränkt. Keiner dieser Autoren präsentiert die ganze Palette der Fakten, die für E sprechen.

Eine volle Darstellung der Fakten, die der Schlussfolgerung, dass Jesus von den Toten auferstanden ist, zugrunde liegen, muss die folgenden drei Grundtatsachen sowie alle aus diesen folgenden begleitenden Fakten berücksichtigen:

  1. An dem auf die Kreuzigung Jesu und seine Grablegung durch Josef von Arimathäa folgenden Sonntag entdeckten mehrere seiner Jüngerinnen, unter ihnen Maria Magdalena, dass sein Grab leer war.
  2. Danach erlebten diverse Einzelpersonen sowie ganze Gruppen (darunter Petrus, Jakobus und die ursprünglichen Zwölf, ohne Judas Iskariot) Erscheinungen Jesu als lebendiger Person.
  3. Die Jünger Jesu kamen plötzlich zu dem festen Glauben, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hatte, und dies, obwohl sie allen Grund gehabt hatten, das Gegenteil anzunehmen.

Wie vor einem ordentlichen Gericht, ist es die kumulative Kraft aller Fakten (und nicht irgendein Einzelindiz, nur für sich genommen), die die Basis für unser Urteil abgibt.

Was Sie als Nächstes tun, ist, dass Sie abrupt auf eine Analogie-Argumentation umschwenken: „Wenn ich einen antiken Text entdecken würde, der einen in der Luft schwebenden blauen Panda erwähnt . . .“ etc. Dies ist einfach schlechte historische Methodologie, Bruce. Sie können die Fakten, die wir vorliegen haben, nicht aufgrund einer imaginären Parallele in Form einer hypothetischen Situation, die kaum irgendwelche Ähnlichkeiten mit der Evidenzlage, um die es geht, aufweist, vom Tisch fegen. Ihr Beispiel erfüllt eindeutig nicht das vierte Kriterium von Bilynskyj, sodass es in der Tat keinen Grund gibt, eine übernatürliche Erklärung zu suchen. Aber, aber, Bruce – und dies ist wichtig! –: Der Grund, warum wir solchen Behauptungen wie der mit dem blauen Panda keinen Glauben schenken sollten, ist nicht, dass sie „ein Ereignis ins Feld führen, das übernatürlich ist“. Wenn dies der Grund wäre, würden Sie der ganzen Wunderfrage schlicht ausweichen, und wir müssten die Diskussion über die Evidenz für die Auferstehung Jesu sein lassen und zurückgehen zu der Frage des Theismus und der Möglichkeit (nicht der Identifizierung) von Wundern. Im Theismus (den Sie doch, wie Sie schreiben, bejahen) können wir eine Erklärung eben nicht deswegen ausschließen, weil sie eine übernatürliche Ursache voraussetzt. Was in Ihrem imaginären Beispiel eine übernatürliche Erklärung ausschließt, ist, dass Bilynskyjs Kriterium (4) nicht erfüllt ist.

Dagegen erfüllt die Auferstehung Jesu als Erklärung der drei erwähnten Grundtatsachen Bilynskyjs Kriterium (4), denn die übernatürliche Erklärung erfolgt direkt in dem religiösen und historischen Kontext, in welchem das Ereignis geschah. Die Auferstehung Jesu war nicht einfach ein anomales Ereignis, das im luftleeren Raum geschah; sie war vielmehr der Höhepunkt des beispiellosen Lebens und Lehrens Jesu. Wie der Theologe Wolfhart Pannenberg erklärt:

Der Vollmachtsanspruch Jesu, durch den er sich . . . selbst an die Stelle Gottes setzte, dieser für jüdische Ohren blasphemische Anspruch, dessentwegen Jesus denn auch von den Juden bei der römischen Gerichtsbarkeit als Aufrührer verleumdet worden ist, dieser Anspruch ist von dem angeblich durch Jesus gelästerten Gott Israels sichtbar und eindeutig bestätigt worden, wenn Jesus wirklich auferweckt worden ist.[2]

Der religiöse und historische Kontext liefert uns mithin den Schlüssel zur Rechtfertigung einer übernatürlichen Erklärung der Fakten.

Aber jetzt zu Bilynskyjs Kriterium (2). Auch dieses wird von Ihrem Beispiel mit dem blauen Panda nicht erfüllt. Eine Erklärung der Berichte über die Erscheinung des blauen Pandas anhand von „Wahrnehmungsfehlern, Massenhysterie etc.“ wäre weder umständlich noch ad hoc (obwohl ich glaube, dass ich bessere Erklärungen liefern könnte). Aber muss ich hier wirklich alle Einwände gegen die Halluzinationshypothese zur Erklärung der Auferstehung Jesu wiederholen?[3] Ich hoffe doch, nicht. Der Versuch, das leere Grab, die Erscheinungen des Auferstandenen und den Ursprung des Glaubens der Jünger an die Auferstehung Jesu mit Halluzinationen zu erklären, ist, wie Licona, Habermas und Wright alle gezeigt haben, äußerst unplausibel, wenn nicht hoffnungslos.

Und auch Bilynskyjs Kriterium (3) wird von dem blauen Panda nicht erfüllt. Wir haben gute Gründe zu der Annahme, dass solch eine Geschichte nicht wahr sein kann, und es gibt denn auch eine ganz natürliche Erklärung für sie: Wir wissen, dass Sie sie erfunden haben! Bei Jesus dagegen gibt es keinerlei Hinweise auf eine natürliche Erklärung des leeren Grabes, der Erscheinungen der Auferstandenen und des Ursprungs des Glaubens der Jünger; die einzige „natürliche“ Erklärung ist, dass es sich um etwas Übernatürliches gehandelt hat.

Als ich Ihren Brief las, Bruce, war mir klar, dass Ihr Panda-Beispiel nicht alle von Bilynskyjs Kriterien erfüllen würde, aber ich wusste noch nicht, dass es kein einziges erfüllt! Wenn Sie also folgern, „dass eine vernünftige Erklärung für das frühchristliche Zeugnis von einem auferstandenen Christus irgendeine Art von Massenhysterie ist“, ist das einfach eine absolut schwache historische Beweisführung.

Nun versuchen Sie in Ihrem letzten Absatz, aufzuzeigen, dass es tatsächlich Gründe für die Annahme gibt, dass eine realistische natürliche Erklärung (nämlich eine Massenhysterie) für die Fakten um die Auferstehung vorliegt, wie dies das Kriterium (3) verlangt. Aber die Gründe, die Sie anführen, sind denkbar schwach: 1. Der jüdische Glaube an die Auferweckung am Jüngsten Tag hätte höchstens zu Visionen eines im Himmel sitzenden Jesus geführt, was die Jünger zu dem Glauben gebracht hätte, dass Jesus entsprechend der jüdischen Vorstellungen in den Himmel aufgenommen worden war, aber nicht zu dem Glauben an seine Auferweckung, der den jüdischen Vorstellungen gerade zuwiderlief. – 2. Sie behaupten, dass Jesu Vorhersagen seiner Auferstehung die Jünger zu einer Massenhysterie prädisponierten. Hier muss ich Ihnen sagen, dass Sie sich nicht einfach die Stellen aus den Evangelien herauspicken können, die Sie glauben wollen, und die anderen beiseitelassen. Die physischen Erscheinungen Jesu nach seinem Tod sind besser bezeugt als seine Vorhersagen, die nach Meinung der meisten Gelehrten erst nach der Auferstehung niedergeschrieben wurden. Wenn Sie also die Vorhersagen der Auferstehung akzeptieren, müssen Sie auch die Erscheinungen bejahen, womit die Halluzinationshypothese erledigt ist. – 3. Sie sagen, dass Christusvisionen die Christen zu dem Glauben führten, dass das Ende der Welt nahe war. Dieser Einwand macht keinen Sinn. Ihr Argument muss umgekehrt lauten, dass diese Leute ihre Visionen hatten, weil sie glaubten, dass das Ende nahe war; aber dies wäre ein Trugschluss des Nichtfolgens (non sequitur). – 4. Und was Ihre Behauptung betrifft, dass Paulus gewisse Dinge übertrieb, um seine eigene Hysterie zu begründen: Die Psychoanalyse historischer Personen wie Paulus ist eine Unmöglichkeit (was der Grund dafür ist, dass Historiker lieber keine Psychobiografien verfassen). Ich darf Ihnen einfach Mut machen, Bruce, noch einmal nachzulesen, was die von Ihnen genannten Autoren über die Hypothese der Massenhysterie und Halluzination geschrieben haben.

Es stimmt natürlich: „Solange realistische natürliche Erklärungen möglich sind“, brauchen wir keine übernatürlichen anzunehmen, was Bilynskyjs Kriterium (3) entspricht. Aber ist die Halluzinationshypothese eine realistische Erklärung? Wohl eher nicht. Wenn wir uns also an Bilynskyjs Kriterien für die Identifizierung eines Ereignisses als Wunder halten, ist die Annahme, dass Jesus tatsächlich von den Toten auferstand, die beste Erklärung für die drei oben genannten Grundtatsachen; sie ist vernünftig und sie ist berechtigt. Bitte denken Sie einmal in aller Ruhe darüber nach.

(Übers.: Dr. F. Lux)

Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/are-we-justified-in-inferring-jesus-resurrection/

 

[1] Stephen S. Bilynskyj, „God, Nature, and the Concept of Miracle“ (Ph.D. dissertation, University of Notre Dame, 1982), S. 222.

[2] Wolfhart Pannenberg, Grundzüge der Christologie (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, 1964), S. 62.

[3] Diese Einwände werden ausführlich behandelt in dem Buch Jesus‘ Resurrection: Fact or Figment? A Debate between William Lane Craig and Gerd Lüdemann, ed. Paul Copan und Ronald K. Tacelli (Downers Grove, Ill.: Inter-Varsity Press, 2000), mit Erwiderungen von Stephen T. Davis, Michael Goulder, Robert H. Gundry und Roy Hoover.

- William Lane Craig