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#686 Sprache und Nonsense

July 04, 2020
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

wir behandeln in meinem Seminar über politische Philosophie gerade Rorty und Nietzsche. Mein Professor vertritt eine nominalistische Sicht der Sprache (also dass sie eine bloße menschliche Konvention ist) und argumentiert auf dieser Basis, dass es keine Wahrheit geben kann, da ja die Sprache als bloße Erfindung von uns nicht mit der Welt korrespondieren kann, die ja in sich sinnlos ist. Ich sehe das ganz anders, aber tue mich enorm schwer, eine Erwiderung auf diese Position zu formulieren. Ich habe hin und her gesucht auf Ihrer Website, um eine Antwort zu finden. Danke im Voraus.

Ayo

USA

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Hallo, Ayo! Ich kann nicht abschätzen, ob das, was Studenten mir über die Äußerungen ihrer Professoren erzählen, auf einem Missverständnis dieser Äußerungen beruht oder eine korrekte Wiedergabe der Positionen dieser Professoren ist. Aber ich muss sagen, dass mich das, was meine Kollegen da offenbar im Seminarraum von sich geben, nicht selten schockiert.

Was dieser Professor nach Ihrer Darstellung gesagt hat, ist schlicht selbstreferentiell inkohärent. Wie kann jemand in einer Vorlesung (die logischerweise ein sprachliches Gebilde ist), ohne rot zu werden, behaupten, dass es aufgrund der Konventionalität der Sprache „keine Wahrheit geben kann“? Trifft er diese Behauptung nicht auf Englisch, also in einer Sprache? Dann kann sie also nicht wahr sein! Seine Sicht hebelt sich prompt selber aus; er könnte genauso gut vor seine Studenten treten und irgendein Kauderwelsch plappern.

Selbstverständlich ist Sprache immer eine Konvention. Verschiedene Sprachen ordnen ähnlichen Lautfolgen unterschiedliche Bedeutungen zu. „Pain“ z. B. bedeutet auf Französisch „Brot“, aber auf Englisch „Schmerz“. Aber wenn ich als Sprecher des Englischen sage: „I’m in pain“, ist die Bedeutung vollkommen klar; dafür sorgen die Konventionen der englischen Sprache. Und weiter: Ich und ein Sprecher des Französischen können den gleichen Sachverhalt ausdrücken, auch wenn die Art, wie wir ihn ausdrücken, unterschiedlich ist. Wenn ich Schmerzen habe und sage „I’m in pain“, dann ist dies eine wahre Aussage. Man kann nicht von der Konventionalität der Sprache darauf schließen, dass Sprache keine Wahrheiten ausdrücken kann.

Gut, Wahrheit ist kein Gegenstand bzw. Sache, wie ein Elektron oder eine Person. Das Prädikat „ist wahr“ ist eine Art und Weise, einer Aussage semantisch beizupflichten. Ich treffe keine Aussage, sondern ich rede über eine Aussage. Anstatt z. B. zu sagen: „Donald Trump ist der Präsident der Vereinigten Staaten“, kann ich eine semantische Beipflichtung vornehmen und sagen „Es ist wahr, dass Donald Trump der Präsident der Vereinigten Staaten ist.“ Das Prädikat „ist wahr“ ist in erster Linie in sogenannten blinden Wahrheitszuschreibungen nützlich, wo wir nicht wissen, was gesagt worden ist, bzw. es nicht in Gänze wiederholen können, wie in den Sätzen: „Alles, was in diesen Geheimunterlagen steht, ist wahr“ oder: „Alles, was der Papst gesagt hat, ist wahr.“ Doch das wird Ihrem Professor logischerweise nicht helfen, sein Argument kohärenter oder weniger kontraproduktiv zu machen.

Zur Vertiefung kann ich Ihnen meinen Vortrag „Are There Objective Truths about God?” sowie meinen Artikel „Propositional Truth—Who Needs It?” empfehlen.

(Übers.: Dr. F. Lux)

Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/language-and-nonsense/

- William Lane Craig