#463 Im Clinch mit dem ontologischen Argument
November 10, 2016Ich arbeite bei einem Luft- und Raumfahrtunternehmen und bin immer davon ausgegangen, dass mich, wenn überhaupt, wahrscheinlich nur so etwas wie ein teleologisches Argument von der Existenz Gottes überzeugen könnte. Der Anschein von Design im Universum selbst und in so vielen Dingen, die darin vorkommen, ist wahrlich faszinierend, hat aber nie genügt, um mich zu überzeugen. Ich verstehe, warum Theisten es zwingend finden, doch gegenwärtig finde ich die Gegenthese weiterhin hinreichend plausibel, um bei meiner Überzeugung zu bleiben. Es mag Sie daher – so wie mich selbst – überraschen, dass ich mich immer wieder dabei ertappe, wie ich mit dem ontologischen Argument ringe, dessen Überzeugungskraft nur schwer zu widerstehen ist. Meine Unfähigkeit, dieses Argument tatsächlich zu widerlegen, nagt nun schon seit Jahrzehnten an mir. Angefangen hat alles an der Universität, als ich in einem philosophischen Einführungskurs zum ersten Mal Anselm von Canterbury las. Zuerst spottete ich mit den anderen Studenten über das Argument. Als ich dann aber eine Darstellung der Widerlegungsversuche hörte, wurde mir klar, dass sie alle Kategorienfehler begingen oder anderswie den Punkt verfehlten. So ertappte ich mich dabei, wie ich – als Skeptiker – Anselm im Kurs verteidigte! Ich war zwar sicher, dass das Argument falsch war. Aber keiner der dagegen erhobenen Einwände lieferte eine gute und stichhaltige Erklärung dafür, WARUM es falsch war. Einerseits fand ich das Argument wenig überzeugend, andererseits nervte es mich, nicht erklären zu können, warum ich es nicht überzeugend fand. Und es nervte mich das ganze Semester hindurch so sehr, dass ich meine Hausarbeit schließlich über Anselms Argument schrieb. Wenn dieses Argument so wenig überzeugend ist, wieso um alles in der Welt kann ich dann nicht erklären, WARUM es falsch ist? Einige Jahre später ließ ich mich von einem befreundeten Christen dazu überreden, eine Sammlung von Descartes' Werken zu lesen, in denen ich zufällig erneut auf dieses kopfzerbrechende Argument stieß. Ehrlich gesagt finde ich, dass viele moderne Denker Descartes' Verdienste um dieses Argument nicht genügend würdigen. Aber wie dem auch sei, ich befand mich wegen meiner Unfähigkeit zu erklären, warum das Argument falsch war und es mich nicht überzeugen konnte, in einer ziemlich verzwickten Lage. Ich las Alvin Plantingas Weiterentwicklung des Arguments und Ihre Verteidigung seiner Version. Ich las Bertrand Russell, wie er selbst mit der Schwierigkeit rang, die Unschlüssigkeit des Arguments nachzuweisen. Wie ich hielt auch er es für falsch, fand es aber merkwürdig, dies nicht begründen zu können! Von aller Logik abgesehen, stand ich eines Tages auf der Spitze der unteren Wasserfälle des Yellowstone Rivers und blickte auf die atemberaubende Größe des Flussbeckens. Da sah ich mich dem gegenüber, was ich einen existenziellen Beweis des Größten Denkbaren Wesens (GDW) nenne. Die ganze Welt schien mir sagen zu wollen, dass das Argument wahr ist, aber irgendwie konnte ich ihm nach wie vor keinen Glauben schenken. Es war, wie Morpheus in dem Film „Die Matrix“ sagt, „wie ein Splitter in deinem Kopf. . . der dich verrückt macht“.
Meine Frage läuft also auf Folgendes hinaus: Am Ende sehe ich nur einen Grund, der gegen das ontologische Argument spricht. Wenn es wahr ist, dass das GDW logisch notwendig ist, dann muss auch wahr sein, dass die Behauptung eines Universums, in dem ein solches fehlt, logisch absurd und selbstwiderlegend ist. Ich brauche ja auch niemandem zu beweisen, dass es Wahrheit gibt, weil Wahrheit logisch notwendig ist; selbst im Akt ihrer Leugnung muss man sie noch behaupten. Doch verhält es sich bei der Behauptung, es gebe kein GDW, wirklich genauso? Ist das eine logisch absurde und selbstwiderlegende Behauptung? Es scheint, als müsse sie es sein, wenn das ontologische Argument wahr ist. Ich kann jedoch die im Begriff eines atheistischen Universums liegende rein logische Absurdität nicht sehen. Könnten Sie mir erklären, warum die Behauptung, dass es keinen Gott gibt (oder die Leugnung des GDW) logisch absurd und selbstwiderlegend ist? Oder aber, wie es sein kann, dass das GDW logisch notwendig, die Leugnung seiner Existenz aber irgendwie NICHT logisch absurd ist?
Danke für Ihre Hilfe und dafür, dass Sie ein intellektuell engagierter Christ sind, den aufrichtige Skeptiker bei Ihrer Suche nach Wahrheit mit derartigen Fragen behelligen dürfen.
Luke
United States
Prof. Craigs Antwort
A
Ich liebe es, Luke, wenn Menschen auf redliche Weise lange und hart mit einem theistischen Argument ringen, statt es mit oberflächlichen Kommentaren im Eilverfahren abzuservieren, wie man es, um nur ein Beispiel zu nennen, gewöhnlich auf Facebook sieht. Das sind sehr profunde Fragen, die es verdienen, gründlich überdacht zu werden.
So wie Sie war auch ich lange Jahre skeptisch gegenüber dem ontologischen Argument eingestellt. Bestenfalls bediente ich mich seiner als Modell für Gott, den Begriff des größten denkbaren Wesens, der dessen metaphysische Notwendigkeit impliziert. Erst als ich Alvin Plantingas Verteidigung des Arguments in The Nature of Necessity (Oxford: Clarendon Press, 1974) und die Reaktionen darauf las, überzeugte ich mich zu meiner großen Überraschung davon, dass es eigentlich doch ein gutes Argument für die Existenz Gottes darstellt.
Lassen Sie mich für all diejenigen, die mit dem Argument nicht vertraut sind, kurz erklären, dass Platinga Gott als Wesen denkt, das in jeder möglichen Welt „maximal vortrefflich“ (maximally excellent) ist, wobei der Begriff maximaler Vortrefflichkeit Eigenschaften wie Allwissenheit, Allmacht und moralische Vollkommenheit einschließt. Ein Wesen, dem in allen möglichen Welten maximale Vortrefflichkeit zukäme, besäße nach Platinga „maximale Größe“. Es wäre das, was Sie, Luke, das Größte Denkbare Wesen (GDW) nennen. Plantinga argumentiert nun wie folgt:
1. Es ist möglich, dass ein maximal großes Wesen existiert.
2. Wenn es möglich ist, dass ein maximal großes Wesen existiert, dann existiert ein maximal großes Wesen in einer möglichen Welt.
3. Wenn ein maximal großes Wesen in einer möglichen Welt existiert, dann existiert es auch in jeder möglichen Welt.
4. Wenn ein maximal großes Wesen in jeder möglichen Welt existiert, dann existiert es auch in der wirklichen Welt.
5. Wenn ein maximal großes Wesen in der wirklichen Welt existiert, dann existiert ein maximal großes Wesen.
6. Folglich existiert ein maximal großes Wesen.
Nun fragen Sie: „Könnten Sie mir erklären, warum die Behauptung, dass es keinen Gott gibt (oder die Leugnung des GDW) logisch absurd und selbstwiderlegend ist? Oder aber, wie es sein kann, dass das GDW logisch notwendig, die Leugnung seiner Existenz aber irgendwie NICHT logisch absurd ist?“
Ich denke, die Antwort lautet, dass die Leugnung des GDW zwar logisch absurd, aber nicht selbstwiderlegend ist. Ihrer ersten Frage liegt folgende Annahme zugrunde: „Wenn es wahr ist, dass das GDW logisch notwendig ist, dann muss auch wahr sein, dass die Behauptung eines Universums, in dem ein solches fehlt, logisch absurd und selbstwiderlegend ist.“ Diese Annahme ist meiner Meinung nach falsch.
Denn das Argument erfolgt nicht im Rahmen dessen, was Platinga strenge bzw. enge logische Notwendigkeit nennt, sondern im Rahmen weiter logischer Notwendigkeit. Weite logische Notwendigkeit wird häufig auch als metaphysische Notwendigkeit bezeichnet und hat mit dem zu tun, was realisierbar ist. Einige Sachverhalte können metaphysisch unmöglich sein, obwohl sie keinen logischen Widerspruch beinhalten und somit im strengen Sinne nicht logisch unmöglich sind. Mein Lieblingsbeispiel von Platinga ist die Aussage: "Der Premierminister ist eine Primzahl". Jeder sieht, dass dies metaphysisch unmöglich ist, obwohl die Aussage keinen logischen Selbstwiderspruch einschließt. Daher ist die Behauptung, der Premierminister sei eine Primzahl, zwar (im weiten Sinne) logisch absurd, aber nicht selbstwiderlegend.
Dementsprechend ist die Nicht-Existenz des GDW zwar logisch absurd (also im weiten Sinne logisch unmöglich), ihre Behauptung aber nicht selbstwiderlegend. Einer der angestaubteren Einwände gegen das ontologische Argument lautet, dass die Behauptung „Gott existiert nicht“ kein Widerspruch und daher die Existenz Gottes nicht, wie das ontologische Argument behauptet, logisch notwendig sei. Dieser Einwand ist nunmehr durch die Einsicht überholt, dass die in einer Mögliche-Welten-Semantik enthaltene Modalität keine strenge, sondern eine weite logische Möglichkeit und Notwendigkeit ist. Und deshalb sollten Sie, Luke, das Argument auch nicht verwerfen: Die Behauptung „Das GDW existiert nicht“ ist nicht selbstwiderlegend.
Bleibt noch die Frage: “Könnten Sie mir erklären, warum die These, dass es keinen Gott gibt, (oder die Leugnung des GDW) logisch absurd [wenn nicht gar] selbstwiderlegend ist?“ Und die Antwort darauf ist eben genau das ontologische Argument! Dieses zeigt, dass das GDW existieren muss, wenn sein Begriff im weiten Sinne logisch möglich ist. So kommt am Ende alles darauf an, ob Sie die erste Prämisse für wahr halten.
(Übers.: M. Köhler)
Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/struggling-with-the-ontological-argument
- William Lane Craig