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#623 Feinabstimmung und die Bibliothek von Babel

July 21, 2019
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

ich habe eine Frage zu verschiedenen teleologischen Argumenten. Ich versuche, eine Kurzgeschichte von Jorge Luis Borges mit dem Titel Die Bibliothek von Babel zu verstehen, in der es eine unendlich große Bibliothek von Büchern gibt, in denen jede mögliche Kombination von Buchstaben vorkommt. Dahinter liegt die Idee, dass alle großen Werke der Literatur auch durch reinen Zufall geschrieben werden können, so ähnlich wie bei dem Beispiel mit den Affen, die aufs Geratewohl auf Schreibmaschinen herumhämmern. Auf dem Papier klingt das Ganze absurd, aber offensichtlich ist diese Geschichte mittlerweile in die Realität umgesetzt worden, da es jetzt eine Internetversion der Bibliothek von Babel gibt, die seit ihrer Einrichtung Zufallstexte in ein angeblich unendliches Archiv füttert. Als ich Abschnitte aus meinen eigenen Geschichten in das Suchfeld eingab, fand ich auf den Seiten dieser unendlichen Bücher Wort-für-Wort-Entsprechungen. Es sieht also so aus, als ob Borges absurde Hypothese zu einer Realität geworden ist.

Das macht mir Angst, weil es Fragen im Zusammenhang mit Teleologie und Intelligent Design aufwirft, auf der kosmologischen wie auf der biologischen Ebene. Wenn es möglich ist, dass aus unendlicher Zufälligkeit etwas offensichtlich Geordnetes entsteht, welchen Wert haben dann noch die teleologischen Argumente für die Existenz Gottes? Könnte es sein, dass die Ordnung und der Sinn, die wir im Universum wahrnehmen, nur eine Illusion sind? Ich hoffe, meine Frage ist nicht allzu esoterisch. Ich habe wirklich Probleme, das alles zu verstehen, und wäre Ihnen für Ihre Hilfe dankbar.

Sam

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Sam, das, wovon Sie hier reden, ist die gute alte Multiversum-Erklärung für die kosmische Feinabstimmung! Das Multiversum ist nichts weiter als eine unendliche Menge von Welten, in denen jede mögliche Kombination von Konstanten und Quantitäten ausprobiert wird. Selbstverständlich kommen in solch einer Ansammlung auch Welten mit Feinabstimmung vor, gerade so, wie in einer unendlich großen Sammlung von Büchern, in denen jede mögliche Buchstabenabfolge ausprobiert wird, auch die Worte erscheinen werden, die ich gerade schreibe. Das braucht Sie nicht zu beunruhigen (obwohl es ein komisches Gefühl sein muss, seine eigenen Kreationen in der Bibliothek von Babel wiederzufinden!).

Die eigentliche Frage ist doch, ob ein Multiversum dieser Art (also eine kosmische Bibliothek von Babel) existiert. Wenn es nicht existiert, ist die Erklärung mit dem Zufall genauso hoffnungslos, als wenn man den Mueller-Report als reines Zufallsprodukt erklären wollte. In meinen Schriften (vgl. z.B. www.reasonablefaith.org/writings/popular-writings/existence-nature-of-god/has-the-multiverse-replaced-god ) habe ich Gründe dafür dargelegt, dass es nicht nur keinerlei Belege für die Existenz eines solchen Multiversums gibt, sondern dass die Faktenlage den Schluss nahelegt, dass solch ein Multiversum nicht existiert. Wenn aber die Multiversum-Hypothese versagt, muss der Zufall das Feld dem Design räumen.

(Übers.: Dr. F. Lux)

Link to the original article in English: www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/fine-tuning-and-the-library-of-babel

- William Lane Craig