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#496 Auf Einwände antworten – aber richtig!

January 20, 2017
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

ich bin sehr verunsichert worden durch einen möglichen Einwand gegen das kalam-kosmologische Argument (das ich für eines der stärksten Argumente halte, die es für den Theismus gibt). Inwiefern kann man sich Gott als zeitlos existierende Entität vorstellen? Impliziert der Begriff des Existierens nicht automatisch auch die Zeit? Ich bin nicht davon überzeugt, dass es möglich ist, dass etwas ohne oder außerhalb der Zeit „existiert“.

Wenn irgendein Nichtchrist mit diesem Einwand käme, wäre es, glaube ich, echt schwierig, ihn zu entkräften. Was würden Sie auf diesen Einwand erwidern?

Rahul

India

Prof. Craigs Antwort


A

Ich habe schon oft Fragen über die Zeitlosigkeit Gottes beantwortet (vgl. z. B. Q&A #364 und #391), aber Ihre Frage, Rahul, scheint mir gleich mehrere wichtige Aspekte anzusprechen.

Erstens: Wenn man mit einem Einwand konfrontiert wird, ist es immer hilfreich, sich als Erstes den schlimmsten aller Fälle vorzustellen (nämlich dass der Einwand korrekt ist) und sich zu fragen, wie groß in diesem Fall der Schaden wäre. Oft ist der Schaden gering oder sogar gleich null – wie auch in Ihrem Beispiel.

Wie ich an anderer Stelle dargelegt habe, bedeutet das Kalam-Argument nicht automatisch, dass die Zeit einen Anfang hatte. Es erfordert, dass die metrische Zeit – also Zeit als Zusammensetzung von vom Geist unabhängigen Subintervallen – einen Anfang hatte. Dagegen ist das Argument vollkommen kompatibel mit der Sicht, dass Gott vor der Schöpfung buchstäblich in einer nichtmetrischen „Zeit“ existiert, in welcher man keine Intervalle ausmachen kann – so die Position von Philosophen der von mir so genannten Oxford-Schule des Denkens, wie z. B. John Lucas, Richard Swinburne und Alan Padgett. Der von Ihnen genannte Einwand ist mithin irrelevant, da das Kalam-Argument nicht die Zeitlosigkeit erfordert (auch wenn diese meine persönliche Präferenz ist).

Zweitens: Man muss bei jedem Einwand fragen, inwieweit er begründet und gerechtfertigt ist. Muten Sie dem Diskussionspartner den ihm zustehenden Anteil an der Beweislast zu. Ein Einwand, der nicht gerechtfertigt ist, bewirkt nichts. In diesem Fall müssen Sie die Frage stellen, warum man glauben soll, dass es unmöglich ist, dass etwas zeitlos existiert – was ja eine recht radikale Position ist. Unmöglich? Warum? Mir fällt kein einziger Grund dafür ein, warum eine zeitlose Existenz unmöglich sein soll. Solange unser Diskussionspartner keine Argumente anführen kann, braucht sein Einwand, alldieweil er unbegründet ist, uns nicht zu jucken. Noch einmal: Erlassen Sie dem anderen die Beweislast nicht!

Drittens: Suchen Sie nach plausiblen Gegenbeispielen zu der Behauptung Ihres Gegners. Manchmal sind dies bloße Gedankenexperimente und nicht etwas, das real existiert. In Ihrem Fall reicht es vollkommen, wenn Ihnen etwas einfällt, das atemporal existieren könnte.

Wer glaubt, dass ein atemporales Existieren unmöglich sei, leidet nicht nur an mangelndem Vorstellungsvermögen, sondern auch an mangelndem wissenschaftlichen Verständnis. Denken Sie nur einmal an mathematische Objekte, wie Zahlen. Der typische Platonist glaubt, dass solche Objekte zeitlos existieren; es ist nicht so, als ob die Zahl 2 von gestern bis morgen existiert. Diese Sicht des temporalen Status von Zahlen ist nicht nur allgemein plausibel, sondern wird von zahlreichen brillanten Philosophen und Mathematikern vertreten. Ihr Gegner hat es also nicht nur mit all denen zu tun, die solch eine Sicht vertreten, sondern auch mit denen, die diese Sicht für kohärent halten.

Der Skeptizismus bezüglich der zeitlosen Existenz Gottes ist auch unwissenschaftlich. Sehr viele Physiker (von den Philosophen ganz zu schweigen) halten die Raumzeit für real. So war es auch bei Albert Einstein. Die Zeit ist nach dieser Sicht lediglich eine interne Dimension der Anordnung des Raum-Zeit-Kontinuums. Die vierdimensionale Raumzeit-Mannigfaltigkeit als Ganzes existiert selbst nicht in der Zeit; sie ist nicht in eine dimensional höhere Hyper-Zeit eingebettet. (Deshalb ist die Frage, warum der Urknall nicht „früher“ passiert ist, sinnlos.) Das Raumzeit-Mannigfaltigkeit selbst existiert also nicht zeitlos. Auch wenn wir selber keine Raumzeit-Realisten sind, ist die realistische Position doch kohärent.

Und viertens kann man einen Einwand dadurch zu entkräften versuchen, dass man Argumente für eben das liefert, was er verneint. Viele Christen, die mit einem Einwand konfrontiert werden, versuchen es vorschnell mit dieser Methode und laden sich damit völlig unnötig eine Beweislast auf, die eigentlich der andere tragen sollte. (Dies passiert oft in Diskussionen über das Problem des Bösen, wenn der Christ die Vereinbarkeit von Gott und dem Leiden nachweisen soll.) Diese vierte Art der Reaktion auf einen Einwand ist eine Art freiwillige Extraleistung des Christen (die Philosophen nennen das Supererogation), die zur Widerlegung des Einwandes eigentlich nicht nötig ist.

Aber in Ihrem Fall haben wir meines Erachtens gute argumentative Gründe für die Sicht, dass Gott außerhalb der Schöpfung zeitlos existiert. Im relationalen Zeitverständnis hängt die Zeit mit Veränderungen zusammen. Ohne jegliche Ereignisse gibt es keine Zeit; es gäbe dann nur einen zeitlosen Zustand. Stellen wir uns eine mögliche Welt vor, in der Gott nichts erschafft, sondern ohne jede Veränderung allein existiert; in solch einer Welt gibt es keine Zeit; ergo würde Gott zeitlos existieren. Es ist also möglich, dass Gott zeitlos existiert. So müsste unser Diskussionspartner nun nachweisen, dass eine relationale Sicht der Zeit unmöglich ist – viel Vergnügen!

Wenn man mit Einwänden konfrontiert wird, muss man diese vier Schritte fest im Auge behalten. In vielen Fällen (so auch in Ihrem) zeigt es sich, dass der Einwand nicht halb so stark ist, wie er zunächst aussah.

William Lane Craig

(Übers.: Dr. F. Lux)

Link to the original article in English: www.reasonablefaith.org/how-to-answer-objections-a-case-in-point

- William Lane Craig