Über die Unverzichtbarkeit theologischer meta-ethischer Grundlagen für die Moral
Summary
Eine Gegenüberstellung von Theismus und Naturalismus in Bezug auf die Frage, inwiefern sie adäquate Grundlagen für ein moralisches Leben liefern. Der Artikel zeigt, dass gemäß einer theistischen Weltanschauung eine adäquate Grundlage für die Bestätigung objektiver moralischer Werte, moralischer Pflichten und moralischer Verantwortung existiert. Im Gegensatz dazu versagt der Naturalismus in allen drei Aspekten. Insofern wir glauben, dass moralische Werte und Pflichten sehr wohl existieren, haben wir darum guten Grund zu glauben, dass Gott existiert. Ferner wird auf der Grundlage moralischer Verantwortung ein praktisches Argument für den Glauben an Gott angeführt.
Quelle: „The Indispensability of Theological Meta-ethical Foundations for Morality.” Foundations 5 (1997): 9-12.
Nun ist es wichtig, bei der vor uns liegenden Frage ein klares Verständnis beizubehalten. Die Frage lautet nicht: Müssen wir an Gott glauben, um ein moralisches Leben zu führen? Es besteht kein Grund für die Annahme, Atheisten und Theisten könnten nicht in gleicher Weise das führen, was wir normalerweise als ein gutes und anständiges Leben bezeichnen. Gleicherweise lautet sie nicht: Können wir ein ethisches System ohne Bezug auf Gott formulieren? Wenn der Nicht-Theist zugesteht, dass Menschen objektiven Wert besitzen, dann gibt es keinen Grund für die Annahme, er könne nicht ein Ethiksystem ausarbeiten, mit dem auch der Theist weitgehend einverstanden wäre. Wiederum lautet die Frage auch nicht: Können wir die Existenz objektiver moralischer Werte ohne den Bezug auf Gott erkennen? Der Theist wird typischerweise behaupten, dass ein Mensch nicht an Gott glauben muss, um, sagen wir einmal, zu erkennen, dass wir unsere Kinder lieben sollten. Vielmehr ist es so, wie der humanistische Philosoph Paul Kurtz es ausdrückt: „Die zentrale Frage bezüglich moralischer und ethischer Prinzipien betrifft deren ontologische Grundlage. Wenn sie weder von Gott abgeleitet sind, noch von irgendeinem transzendenten Grund, sind sie dann rein vergängliche Gebilde?“ [1]
Wenn es keinen Gott gibt, dann scheint damit jeglicher Grund, die vom Homo sapiens entwickelte Herdenmoral als objektiv wahr zu betrachten, beseitigt worden zu sein. Was ist denn schließlich an Menschen so Besonderes? Sie sind nur zufällige Abfallprodukte der Natur, die sich vor relativ kurzer Zeit auf einem winzigen Staubkorn entwickelt haben, das irgendwo in einem feindseligen und geistlosen Universum umherirrt, dazu verdammt, in einer relativ kurzen Zeit als Einzelne und als Gemeinschaft zugrunde zu gehen. Irgendeine Handlung, sagen wir Inzest, mag biologisch oder gesellschaftlich nicht von Vorteil sein und hat sich so, im Laufe der menschlichen Evolution, zum Tabu entwickelt. Doch nach atheistischer Sicht ist nichts wirklich Falsches daran, Inzest zu begehen. Wenn, wie Kurtz behauptet: „Die moralischen Prinzipien, die unser Verhalten steuern, in Gewohnheit und Brauchtum, Gefühl und Mode wurzeln“ [2], dann begeht der Nonkonformist, der sich dafür entscheidet, die Herdenmoral zu missachten, nichts Schlimmeres, als gegen die Mode zu verstoßen.
Die objektive Wertlosigkeit von Menschen nach naturalistischer Sicht wird von zwei Implikationen dieser Weltanschauung untermauert: dem Materialismus und dem Determinismus. Naturalisten sind typischerweise Materialisten oder Physikalisten, die den Menschen als einen rein tierischen Organismus betrachten. Wenn aber am Wesen des Menschen nichts Immaterielles ist, (man bezeichne es als Seele oder Geist oder was auch immer), dann unterscheidet er sich qualitativ nicht von anderen Tierarten. Hält er menschliche Moral für objektiv, dann tappt er damit in die Falle des Speziesismus. Nach materialistischer Anthropologie gibt es keinen Grund für die Annahme, Menschen seien objektiv wertvoller als Ratten. Zweitens: Wenn es keinen Geist gibt, der sich vom Gehirn unterscheidet, dann wird alles, was wir denken und tun, durch den Einfluss unserer fünf Sinne und unseres genetischen Erbgutes bestimmt. Es gibt keinen persönlichen Akteur, der frei entscheidet, etwas zu tun. Aber ohne Freiheit ist keine unserer Entscheidungen von moralischer Bedeutung. Sie gleicht den Zuckungen der Glieder einer Marionette, die durch die Fäden der Sinnesreize und der physischen Konstitution kontrolliert werden. Und was für einen moralischen Wert hat eine Marionette oder ihre Bewegungen?
Wenn also Naturalismus wahr ist, wird es unmöglich, Krieg, Unterdrückung oder Verbrechen als Böse zu verurteilen. Noch kann man Brüderlichkeit, Gleichheit oder Liebe als gut preisen. Es spielt keine Rolle, welche Werte man wählt – denn es gibt kein Richtig und Falsch. Gut und Böse existieren nicht. Das bedeutet, eine Grausamkeit wie der Holocaust war in Wirklichkeit moralisch neutral. Sie mögen denken, dass es falsch war, doch Ihre Meinung besitzt nicht mehr Gültigkeit als die des Nazikriegsverbrechers, der ihn für gut hielt. In seinem Buch Morality after Auschwitz stellt Peter Haas die Frage, wie sich eine ganze Gesellschaft über ein Jahrzehnt bereitwillig an einem vom Staat finanzierten Programm der Massenfolter und des Genozids beteiligen konnte, ohne irgendeinen ernsthaften Widerstand zu leisten. Er vertritt den Standpunkt:
Weit davon entfernt, Ethik zu verachten, handelten die Täter streng konform mit einer Ethik, die davon ausging, dass, egal, wie schwer und unangenehm die Aufgabe auch sein mag, die Massenvernichtung der Juden und Zigeuner völlig gerechtfertigt sei (…) der Holocaust als ein anhaltendes Bemühen war nur möglich, weil eine neue Ethik galt, welche die Verhaftung und Deportation von Juden nicht als falsch definierte, sondern sogar als ethisch verträglich und durchaus gut. [3]
Haas führt ferner aus: Aufgrund ihrer Kohärenz und internen Konsequenz konnte die Ethik der Nazis nicht von innen diskreditiert werden. Nur von einem transzendenten, einem den relativistischen, soziokulturellen Sittenkodex überragenden Blickwinkel aus, konnte eine solche Kritik bekundet werden. Doch in der Abwesenheit Gottes ist es eben gerade ein solcher Blickwinkel, der uns fehlt. Ein Rabbi, der in Auschwitz inhaftiert war, sagte, es sei so gewesen, als habe man alle Zehn Gebote ins Gegenteil verkehrt: Du sollst töten, du sollst lügen, du sollst stehlen. Die Menschheit hat noch nie eine solche Hölle erlebt. Und doch, wenn der Naturalismus wahr ist, dann ist unsere Welt in einem realen Sinne Auschwitz. Es gibt kein Gut und Böse, kein Richtig und Falsch. Objektive moralische Werte existieren nicht.
Wenn der Atheismus wahr ist, gibt es zudem keine moralische Rechenschaftspflicht für das, was jemand tut. Selbst, wenn es objektive moralische Werte und Pflichten im Naturalismus gäbe, sind sie irrelevant, denn es gibt keine moralische Rechenschaftspflicht. Wenn das Leben am Grab endet, ist es gleichgültig, ob man als ein Stalin oder als ein Heiliger gelebt hat. Wie der russische Schriftsteller Fjodor M. Dostojewski treffend bemerkt: „Wenn es keine Unsterblichkeit gibt, dann sind alle Dinge erlaubt.“ [4]
Die staatlichen Folterknechte in sowjetischen Gefängnissen verstanden das nur allzu gut. Richard Wurmbrand berichtet:
Für uns ist die Grausamkeit des Atheismus kaum zu fassen. Wenn aber ein Mensch nicht an eine Belohnung des Guten und eine Bestrafung des Bösen glaubt, dann gibt es auch keinen Grund mehr, menschlich zu sein. Da gibt es keine Zurückhaltung mehr vor den Abgründen des Bösen, die im Menschen verborgen sind. Die kommunistischen Folterknechte sagten oft: ‚Es gibt keinen Gott, kein danach, keine Bestrafung des Bösen. Wir können machen, was wir wollen.‘ Einen dieser Peiniger habe ich sogar sagen hören: ‚Ich danke Gott, an den ich nicht glaube, dass ich diese Stunde erlebt habe, wo ich allem Bösen in meinem Herzen freien Lauf lassen konnte.‘ Er brachte das auch zum Ausdruck, in unglaublicher Brutalität und unmenschlicher Folter, die er den Häftlingen antat. [5]
Angesichts der Endgültigkeit des Todes zählt es nicht wirklich, wie man lebt. Was sagt man also zu jemandem, der zu dem Schluss kommt, dass wir genauso gut auch leben können, wie es uns gefällt, aus reinem Selbstinteresse? Für einen atheistischen Ethiker wie Kai Nielsen von der Universität Calgary in Kanada bietet sich hier ein ziemlich düsteres Bild. Er schreibt:
Wir sind bisher nicht in der Lage gewesen nachzuweisen, dass Vernunft den moralischen Standpunkt erfordert oder alle wirklich rational denkenden Menschen keine individualistischen Egoisten oder klassischen Amoralisten sein sollten. Die Vernunft ist hier nicht ausschlaggebend. Das Bild, das ich Ihnen gezeichnet habe, ist nicht angenehm. Wenn ich darüber nachdenke, drückt es mich nieder (…). Die praktische Vernunft alleine, auch bei guter Kenntnis der Fakten, wird niemanden zur Moral führen. [6]
Jemand mag nun einwenden, es sei in unserem besten Eigeninteresse, einen moralischen Lebensstil anzunehmen. Doch dies ist eindeutig nicht immer der Fall: Wir alle kennen Situationen, in denen das Eigeninteresse der Moral ins Gesicht schlägt. Und besitzt man ausreichend Macht, wie ein Ferdinand Marcos oder ein Papa Doc Duvalier, dann kann man die Diktate des Gewissens ganz gut ignorieren und sich beruhigt dem Wohlleben hingeben. Der Historiker Stewart C. Easton fasst es gut zusammen, wenn er schreibt: „Es besteht kein objektiver Grund dafür, weshalb der Mensch moralisch sein sollte, es sei denn, Moral ‚zahle sich‘ in seinem sozialen Leben ‚aus‘ oder vermittele ihm ein ‚gutes Gefühl‘. Es besteht kein objektiver Grund dafür, weshalb ein Mensch irgendetwas tun sollte, es sei denn, weil es ihm Vergnügen bereitet.“ [7]
Aufopferndes Handeln wird auf Grundlage einer naturalistischen Weltanschauung ganz besonders unpassend. Warum sollte man für jemand anders sein Eigeninteresse oder gar sein Leben opfern? Nach naturalistischer Weltsicht kann es keinen guten Grund dafür geben, einen solchen sich selbst verleugnenden Handlungskurs einzuschlagen. Aus sozio-biologischer Perspektive betrachtet, ist ein solches altruistisches Verhalten lediglich die Folge von evolutionärer Konditionierung, die dabei hilft, den Fortbestand der Spezies zu sichern. Eine Mutter, die in ein brennendes Haus rennt, um ihre Kinder zu retten oder ein Soldat, der seinen Körper über eine Handgranate wirft, um seine Kameraden zu retten, tut aus moralischer Sicht nichts Bedeutsameres oder Lobenswerteres als eine Kämpferameise, die sich selbst für den Ameisenhügel opfert. Der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass wir, wenn wir es können, solchen selbstzerstörerischen Aktivitäten widerstehen und uns stattdessen dafür entscheiden sollten, in unserem besten Eigeninteresse zu handeln. Der Religionsphilosoph John Hick lädt uns ein, uns eine Ameise vorzustellen, die plötzlich soziobiologische Erkenntnisse empfängt und die Freiheit, persönliche Entscheidungen zu treffen. Er schreibt:
Nehmen wir an, die Ameise wird dazu aufgerufen, sich für den Ameisenhaufen zu opfern. Sie spürt den mächtigen Druck des Instinktes, der sie zu dieser Selbstvernichtung drängt. Doch sie fragt sich, warum sollte sie denn freiwillig (…) das selbstmörderische Programm, zu dem ihr Instinkt sie treibt, ausführen? Warum sollte sie die zukünftige Existenz von Abermillionen anderer Ameisen für wichtiger als die Fortdauer ihrer eigenen Existenz erachten? (. . .) Da alles, was sie ist und hat oder jemals haben kann, ihre eigene gegenwärtige Existenz ist, wird sie sich, insofern sie von der Beherrschung durch die blinde Macht des Instinktes frei ist - für das Leben entscheiden – ihr eigenes Leben. [8]
Warum sollten wir uns anders entscheiden? Das Leben ist zu kurz, um es durch Handlungen zu gefährden, die irgendetwas anderem als dem reinen Eigennutz entspringen. Sich für eine andere Person zu opfern, ist einfach töricht. Somit lässt die fehlende moralische Verantwortung in der Philosophie des Naturalismus eine Ethik des Mitgefühls und der Selbstaufopferung zur hohlen Abstraktion werden. R. Z. Friedemann, Philosoph an der Universität von Toronto, kommt zu dem Schluss: „Ohne Religion lässt sich die Kohärenz einer Ethik des Mitgefühls nicht begründen. Das Prinzip der Achtung vor Menschen und das Prinzip des Überlebens des Stärkeren schließen sich gegenseitig aus.“ [9]
Je nachdem, ob Gott existiert oder nicht, gelangen wir also zu radikal unterschiedlichen Anschauungen über die Moral. Wenn Gott existiert, dann gibt es eine solide Grundlage für Moral. Wenn Gott nicht existiert, dann landen wir, wie Nietzsche es voraussah, letztendlich im Nihilismus.
Doch die Wahl zwischen diesen beiden Anschauungen muss nicht willkürlich erfolgen. Ganz im Gegenteil: Es sind genau die Überlegungen, die wir hier diskutiert haben, die eine moralische Rechtfertigung für die Existenz Gottes darstellen können.
Wenn wir zum Beispiel sehr wohl davon ausgehen, dass moralische Werte existieren, führt uns das logisch zu der Schlussfolgerung, dass Gott existiert. Und was läge deutlicher auf der Hand, als dass objektive moralische Werte wirklich existieren? Es besteht nicht mehr Anlass dazu, die objektive Realität moralischer Werte zu leugnen, als die objektive Realität der physikalischen Welt zu leugnen. Ruses Argumentation ist schlimmstenfalls ein Lehrbuchbeispiel für den genetischen Fehlschluss und bestenfalls nur ein Beweis dafür, dass unsere subjektive Wahrnehmung objektiver moralischer Werte eine Entwicklung durchlaufen hat. Doch wenn moralische Werte nach und nach entdeckt und nicht erfunden werden, dann untergräbt eine solche allmähliche und fehlerhafte Wahrnehmung im moralischen Bereich die objektive Realität dieses Bereiches nicht mehr, als unsere allmähliche, fehlerhafte Wahrnehmung der physikalischen Welt deren Objektivität untergräbt. Tatsache ist, dass wir objektive Werte wahrnehmen, und wir alle wissen es. Handlungen wie Vergewaltigung, Folter, Kindesmissbrauch und Brutalität sind nicht nur sozial unakzeptables Verhalten – sondern moralische Abscheulichkeiten. Wie Ruse selbst feststellt: „Der Mann, der sagt, es sei moralisch akzeptabel, kleine Kinder zu vergewaltigen, irrt sich genauso wie jemand, der behauptet: „2+2=5“. [10] In gleicher Weise sind Liebe, Großzügigkeit, Gleichheit und Selbstaufopferung wirklich gut. Menschen, die dies nicht erkennen, sind einfach moralisch behindert, und es gibt keinen Grund, ihrer beeinträchtigten Sehfähigkeit zu erlauben, das infrage zu stellen, was wir klar erkennen. Somit dient die Existenz objektiver moralischer Werte dazu, die Existenz Gottes nachzuweisen.
Oder betrachten wir das Wesen der moralischen Verpflichtung. Wodurch werden bestimmte Handlungen für uns richtig oder falsch? Was oder wer legt uns moralische Pflichten auf? Warum sollten wir bestimmte Dinge tun und andere nicht? Woher kommt dieses „sollte“? Traditionell glaubte man, unsere moralischen Verpflichtungen seien uns durch Gottes moralische Gebote auferlegt. Doch wenn wir Gottes Existenz leugnen, dann ist es schwer, wie Richard Taylor ausführt, in moralischer Pflicht oder richtig und falsch einen Sinn zu erkennen:
Eine Pflicht ist etwas, dessen man schuldig ist (…). Aber man kann immer nur einer Person oder Personen gegenüber etwas schuldig sein. Eine Pflicht für sich genommen kann es nicht geben (…). Die Vorstellung von politischer oder gesetzlicher Pflicht ist klar genug (…). Gleicherweise ist die Vorstellung von einer Verpflichtung, die diese übersteigt, und die als moralische Verpflichtung bezeichnet wird, klar genug, vorausgesetzt, man versteht sie in Bezug auf einen Gesetzesgeber (…), der über den staatlichen Gesetzgebern steht. Anders gesagt: Unsere moralischen Verpflichtungen können wir als von Gott auferlegt verstehen. Dadurch erhält die Behauptung eindeutig Sinn, dass unsere moralischen Verpflichtungen für uns bindender sind als unsere politischen Verpflichtungen (…). Was ist aber, wenn dieser über dem Menschen stehende Gesetzgeber nicht länger mehr berücksichtigt wird? Ergibt dann die Vorstellung von einer moralischen Verpflichtung (…) immer noch Sinn? (…) Das Konzept von moralischer Verpflichtung [ist], getrennt von der Vorstellung von Gott, nicht nachvollziehbar. Die Worte bleiben, aber ihre Bedeutung ist verschwunden. [11]
Daraus folgt, dass moralische Verpflichtungen sowie ein Richtig und Falsch die Existenz Gottes erforderlich machen. Und gewiss haben wir solche Verpflichtungen. Als ich vor einiger Zeit auf dem Campus einer kanadischen Universität sprach, bemerkte ich ein Plakat, das ein Informationszentrum für sexuelle Übergriffe aufgehängt hatte. Es lautete: „Sexueller Übergriff: Niemand hat das Recht, ein Kind, eine Frau, einen Mann zu missbrauchen.“ Die meisten von uns erkennen an, dass diese Aussage offensichtlich wahr ist. Aber der Atheist kann für das Recht einer Person, nicht sexuell von einer anderen missbraucht zu werden, keine Gründe liefern. Die beste Antwort auf die Frage nach der Quelle der moralischen Verpflichtung lautet: Das moralisch Richtige oder Falsche einer Handlung besteht in deren Übereinstimmung bzw. fehlender Übereinstimmung mit dem Willen oder den Geboten eines heiligen, liebenden Gottes.
Betrachten wir zum Schluss das Problem der moralischen Verantwortung. Hier bietet sich uns ein kraftvolles praktisches Argument für den Glauben an Gott. Laut William James können praktische Argumente nur verwendet werden, wenn theoretische Argumente nicht ausreichen, um eine Frage von drängender pragmatischer Bedeutung zu entscheiden. Doch scheint es auf der Hand zu liegen, dass ein praktisches Argument auch dazu verwendet werden kann, ein solides theoretisches Argument zu untermauern oder ein Motiv für seine Akzeptanz zu liefern. Der Glaube an die Nichtexistenz Gottes und damit auch daran, dass es keine moralische Rechenschaftspflicht gibt, wäre also nahezu wortwörtlich demoralisierend, denn dann wären wir gezwungen zu glauben, dass unsere moralischen Entscheidungen letztendlich bedeutungslos sind, da sowohl unser Schicksal als auch das des Universums gleich sein werden, egal, was wir tun. Mit „De-Moralisierung“ meine ich, dass die moralische Motivation zerbröckelt. Es ist schwer, das Richtige zu tun, wenn dies bedeutet, sein Eigeninteresse zu opfern, und es ist schwer, der Versuchung zu widerstehen, das Falsche zu tun, wenn das Verlangen danach stark ist. Doch die Überzeugung, es sei letztlich gleichgültig, wofür du dich entscheidest, eignet sich dafür, die eigene moralische Entschlusskraft zu schwächen und damit das moralische Leben zu untergraben. Wie Robert Adams bemerkt: „Dass man gezwungen ist, es für sehr wahrscheinlich zu halten, dass die Geschichte des Universums insgesamt nicht gut verlaufen wird, egal, was man auch tut, scheint dazu geeignet, ein zynisches Empfinden für die Vergeblichkeit eines moralisch geführten Lebens herbeizuführen und somit die moralische Entschlusskraft und das Interesse an moralischen Überlegungen zu untergraben.“ [12] Im Gegensatz dazu trägt nichts so wahrscheinlich zur Stärkung des moralischen Lebens bei, wie die Überzeugungen, dass man für seine Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden wird und dass die eigenen Entscheidungen dazu beitragen, das Gute zustande zu bringen. Der Theismus ist somit eine für die Moral vorteilhafte Überzeugung. Angesichts jeglicher fehlenden theoretischen Argumente zur Begründung des Atheismus liefert dies praktische Gründe für den Glauben an Gott sowie eine Motivation, die Schlussfolgerungen aus den beiden von mir gerade dargelegten theoretischen Argumente anzuerkennen.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Theologische meta-ethische Grundlagen scheinen durchaus für die Moral erforderlich zu sein. Wenn Gott nicht existiert, dann ist die Annahme plausibel, dass es keine objektiven moralischen Werte gibt, dass wir keine moralischen Pflichten haben und dass keine moralische Verantwortung dafür besteht, wie wir leben und handeln. Das Erschreckende einer solchen moralisch neutralen Welt liegt auf der Hand. Wenn wir andererseits, wie es rational erscheint, die Überzeugung vertreten, dass objektive moralische Werte und Pflichten in der Tat existieren, dann haben wir gute Gründe für den Glauben an die Existenz Gottes. Zudem haben wir angesichts der moralisch stärkenden Auswirkungen, den der Glaube an moralische Verantwortung hervorbringt, kraftvolle praktische Gründe, den Theismus anzunehmen. Wir können also ohne Gott nicht wahrhaftig gut sein; aber wenn wir bis zu einem gewissen Grade gut sein können, dann folgt daraus, dass Gott existiert.
(Übers.: B. Currlin)
Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/the-indispensability-of-theological-meta-ethical-foundations-for-morality#ixzz3WpBt6JJz
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[1]
Paul Kurtz, Forbidden Fruit (Buffalo, N. Y.: Prometheus Books, 1988), S. 65. Deutsche Ausgabe: Paul Kurtz, Verbotene Früchte. Ethik des Humanismus, Arnher E. Lenz (Übersetzer), Lenz: Neu-Isenburg, 1998. [Übs. d. Textzitates BC.]
Paul Kurtz, Forbidden Fruit (Buffalo, N. Y.: Prometheus Books, 1988), S. 65. Deutsche Ausgabe: Paul Kurtz, Verbotene Früchte. Ethik des Humanismus, Arnher E. Lenz (Übersetzer), Lenz: Neu-Isenburg, 1998. [Übs. d. Textzitates BC.]
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[2]
Ebda, S. 73.
Ebda, S. 73.
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[3]
Kritische Anmerkung von Peter Haas, Morality after Auschwitz: The Radical Challenge of the Nazi Ethic (Philadelphia: Fortress Press, 1988), von R. L. Rubenstein, Journal of the American Academy of Religion 60 (1992): 158.
Kritische Anmerkung von Peter Haas, Morality after Auschwitz: The Radical Challenge of the Nazi Ethic (Philadelphia: Fortress Press, 1988), von R. L. Rubenstein, Journal of the American Academy of Religion 60 (1992): 158.
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[4]
Fyodor Dostoyevsky, The Brothers Karamazov, trans. C. Garnett (New York: Signet Classics, 1957), Buch II, Kp. 6; Buch V, Kp. 4; Buch XI, Kp. 8. Deutsche Ausgabe: Fjodor M. Dostojewskij, Die Brüder Karamasow: Roman. Richard Hofmann (Übers.), Hans Ruoff (Übers.), dtv: München, 1998. [Übs. d. Textzitates BC].
Fyodor Dostoyevsky, The Brothers Karamazov, trans. C. Garnett (New York: Signet Classics, 1957), Buch II, Kp. 6; Buch V, Kp. 4; Buch XI, Kp. 8. Deutsche Ausgabe: Fjodor M. Dostojewskij, Die Brüder Karamasow: Roman. Richard Hofmann (Übers.), Hans Ruoff (Übers.), dtv: München, 1998. [Übs. d. Textzitates BC].
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[5]
Zitiert nach Richard Wurmbrand, Gefoltert für Christus: Ein Bericht vom Leiden und Bekennen der Märtyrerkirche. 19. Aufl. 2004, HMK: Uhldingen, S. 39.
Zitiert nach Richard Wurmbrand, Gefoltert für Christus: Ein Bericht vom Leiden und Bekennen der Märtyrerkirche. 19. Aufl. 2004, HMK: Uhldingen, S. 39.
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[6]
Kai Nielsen, „Why Should I Be Moral?“ American Philosophical Quarterly 21 (1984): 90.
Kai Nielsen, „Why Should I Be Moral?“ American Philosophical Quarterly 21 (1984): 90.
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[7]
Stewart C. Easton, The Western Heritage, 2. Aufl. (New York: Holt, Rinehart & Winston, 1966), S. 878.
Stewart C. Easton, The Western Heritage, 2. Aufl. (New York: Holt, Rinehart & Winston, 1966), S. 878.
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[8]
John Hick, Arguments for the Existence of God (New York: Holt, Rinehart, & Winston, 1966), S. 63.
John Hick, Arguments for the Existence of God (New York: Holt, Rinehart, & Winston, 1966), S. 63.
-
[9]
R. Z. Friedeman, „Does the ‚Death of God‘ Really Matter?” International Philosophical Quarterly 23 (1983), S. 63.
R. Z. Friedeman, „Does the ‚Death of God‘ Really Matter?” International Philosophical Quarterly 23 (1983), S. 63.
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[10]
Michael Ruse, Darwinism Defended (London: Addison-Wesley, 1982), S. 275.
Michael Ruse, Darwinism Defended (London: Addison-Wesley, 1982), S. 275.
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[11]
Taylor, Ethics, Faith, and Reason, S. 83-4.
Taylor, Ethics, Faith, and Reason, S. 83-4.
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[12]
Robert Merrihew Adams, „Moral Arguments for Theistic Belief,“ in Rationality and Religious Belief, Hrsg. C. F. Delaney (Notre Dame, Ind.: University of Notre dame Press, 1979), S. 127.
Robert Merrihew Adams, „Moral Arguments for Theistic Belief,“ in Rationality and Religious Belief, Hrsg. C. F. Delaney (Notre Dame, Ind.: University of Notre dame Press, 1979), S. 127.