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Noli me tangere“: Warum John Meier nicht die Finger vom Auferstandenen lassen will

Summary

John Meier unterscheidet zwischen dem „wirklichen Jesus“ und dem „historischen Jesus“. Er behauptet, dass, was auch immer mit dem wirklichen Jesus nach seinem Tod geschah, seine Auferstehung nicht zu dem historischen Jesus gehören kann, weil sie prinzipiell kein Ereignis ist, das der Beobachtung durch einen externen Beobachter zugänglich ist. Aber warum sollte die Auferstehung nicht auf diese Weise beobachtbar sein? Meier stützt sich auf die These von Gerald O’Collins, dass die Auferstehung Jesu zwar ein reales Ereignis sei, aber nicht ein Ereignis in Raum und Zeit, sodass man es nicht historisch nennen könne, da es eine notwendige Bedingung historischer Ereignisse sei, dass sie sich in unserem Raumzeit-Kontinuum zugetragen haben. Ist dies ein gutes Argument dafür, die Auferstehung für im Prinzip nicht zu dem historischen Jesus zugehörig zu halten? Eine gründliche Prüfung des Arguments ergibt, dass diese Frage zu verneinen ist und dass Meiers damit, dass er dieser Trennung folgt, seiner eigenen historischen Methodologie widerspricht.

„‘Noli Me Tangere‘: Why John Meier Won’t Touch the Risen Lord“, Heythrop Journal L (2009), S. 91-97.

John Meier ist der derzeit wichtigste und einflussreichste Forscher des historischen Jesus. [1] Wenn er daher erklärt, dass er prinzipiell qua Historiker das Thema der angeblichen Auferstehung Jesu nicht behandeln kann und daher auch nicht behandeln will, wird natürlich jeder, der sich für die Leben-Jesu-Forschung interessiert, die Gründe für diese schwerwiegende Einschränkung wissen wollen.

Von den ersten Seiten seiner umfangreichen und noch andauernden Studie des historischen Jesus an stellt Meier klar, dass für ihn als Historiker die Behandlung der Auferstehung Jesu tabu ist. Seine Studie „wird uns bis zu den ebenso bedeutsamen wie tragischen letzten Tagen des Lebens Jesu führen und mit seiner Kreuzigung und seinem Begräbnis enden … Die Auferstehung wird nicht thematisiert werden – nicht, weil ich sie leugnen würde, sondern schlicht, weil die restriktive Definition des historischen Jesus, mit der ich arbeiten werde, es uns nicht erlaubt, uns Dingen zuzuwenden, die nur dem Ja des Glaubens zugänglich sind.“ [2]

Auf den ersten Blick könnte es so scheinen, als ob hier bei Meier ein methodischer Naturalismus zum Ausdruck kommt. Es ist eine oft zu hörende Klage unter konservativen Bibelforschern, dass die Skepsis gegenüber der Historizität der Auferstehung Jesu nicht so sehr darauf beruht, dass es zu wenige Fakten gibt, sondern darauf, dass man von einem methodischen oder gar metaphysischen Naturalismus ausgeht, der die Hypothese „Jesus ist von den Toten auferstanden“ als mögliche Erklärung der Fakten schlicht ausschließt. [3] Als Wunder wird die Auferstehung von vornherein aus dem Pool möglicher Erklärungen ausgeschlossen, der auf rein naturalistische Hypothesen begrenzt ist, und kann daher für den Historiker kein Thema sein.

Doch die Ursache von Meiers Hemmungen liegt nicht hier. Wie aus seiner Behandlung der Wunder Jesu erhellt, ist Meier durchaus bereit, die Historizität eines angeblichen Wunderereignisses als solches in Erwägung zu ziehen, auch wenn er sich eines Urteils darüber, ob es ein Wunder ist, bewusst enthält. Er definiert ein Wunder wie folgt:

Ein Wunder ist (1) ein ungewöhnliches, überraschendes oder erstaunliches Ereignis, dass grundsätzlich von einem interessierten und unvoreingenommenen Beobachter wahrgenommen werden kann, (2) ein Ereignis, das man nicht anhand der Fähigkeiten des Menschen oder anderer bekannter Kräfte, die in unserer raumzeitlichen Welt wirksam sind, einleuchtend erklären kann, und (3) ein Ereignis, das das Ergebnis eines speziellen Aktes Gottes ist, der tut, was keine menschliche Macht tun kann. [4]

Es ist das dritte Kriterium, das in Meiers Denken das Hindernis für das Urteil des Historikers, dass ein Ereignis x ein Wunder ist, darstellt. Er führt aus: „Jeder, der behauptet, dass ein Wunder geschehen sei, sagt damit praktisch: ‚Hier hat Gott gehandelt, um etwas zu tun, was keine menschliche Macht oder irgendeine andere in unserer Welt bekannte Macht tun kann. Dieses außerordentliche Ereignis ist durch Gott allein verursacht worden.‘“ [5] Meier glaubt, dass es dem Historiker möglich ist, nachzuweisen, dass solch eine Behauptung im Einzelfall falsch ist; dagegen hält er es für „der Natur der Sache nach unmöglich, dass Historiker, die mit empirischen Fakten innerhalb der von ihrem Fachgebiet gesetzten Grenzen arbeiten, je das positive Urteil treffen können: ‚Gott hat hier direkt eingegriffen, um etwas zu bewerkstelligen, das jenseits aller Menschenmacht liegt.‘“ [6]

Interessanterweise glaubt Meier, dass der Philosoph oder Theologe berechtigt ist, solch ein Urteil zu treffen, aber nicht der Historiker:

Sicher, ein Berufshistoriker, der gleichzeitig gläubiger Christ ist, kann unter Umständen von einem ersten Urteil („für dieses erstaunliche Ereignis, das in einem religiösen Kontext geschehen ist, gibt es keine erkennbare Erklärung“) weitergehen zu einem zweiten Urteil („dieses Ereignis ist ein Wunder, das Gott getan hat“). Aber dieses zweite Urteil trifft er nicht in seiner Eigenschaft als Historiker. Mit dem Urteil, dass dieses besondere Ereignis ein Wunder Gottes sei, betritt die Person, die dieses Urteil äußert, zwangsläufig das Territorium der Philosophie oder Theologie. [7]

Diese Unterscheidung scheint mir von einer bemerkenswert naiven Dichotomie zwischen Philosophie und Geschichte auszugehen. Meier tut so, als sei Geschichte gleichsam ein Stück unberührter Natur, frei von philosophischen Urteilen. Dass solch eine Trennung unhaltbar ist, ergibt sich aus Meiers eigenen philosophischen Urteilen, die er in seiner Eigenschaft als Historiker trifft, denn alles, was wir in diesem Beitrag untersuchen, hat mit Geschichtsphilosophie zu tun. Meiers Definition des Wunderbaren, seine Forderung, dass der Historiker sich jeglicher Urteile über das Wunderbare von Ereignissen zu enthalten habe, seine diversen Unterscheidungen bezüglich des historischen und des wirklichen Jesus, sein Argument, dass die Auferstehung kein historisches Ereignis sei – all dies sind Ergebnisse philosophischer Urteile Meiers. Wenn dem Historiker bei seiner Arbeit diese philosophischen Urteile erlaubt sind, warum dann nicht auch das philosophische Urteil, dass ein Ereignis ein Wunder ist? Meier liefert keine Begründung für die Annahme, dass solch ein Urteil von dem Philosophen (oder dem Historiker, der in die Rolle des Philosophen schlüpft) getroffen werden kann, aber nicht vom Historiker als Historiker. Er fragt lediglich: „Was für Fakten und Kriterien könnten es rechtfertigen, dass ein Historiker als Historiker zu solch einem Urteil kommt?“ [8] Wie Meier aus der in seinen Fußnoten erwähnten umfangreichen Literatur über das Problem der Wunder wissen sollte, ist diese Frage durchaus nicht unbeantwortet geblieben bei denen, die der Meinung sind, dass Wunder durch historische Analyse nachweisbar sind. [9]

Doch lassen wir das. Meiers Verbot der Identifikation von Wundern durch den Historiker bedeutet höchstens, dass der Historiker sich solcher Urteile wie „Gott hat Jesus von den Toten auferweckt“ enthalten muss; das Urteil „Jesus ist von den Toten auferstanden“ ist nach wie vor erlaubt. Solche differenzierten Urteile wären parallel zu denen, die nach Meier dem die angeblich von Jesus vollbrachten Wunder untersuchenden Historiker verboten bzw. erlaubt sind. Meier erklärt die Wundergeschichten, anders als die Auferstehungsgeschichten, nicht für verbotenes Terrain, sondern versucht, zu einem historischen Urteil über ihr Vorkommen zu gelangen, während er die Frage nach ihrer Wunderhaftigkeit offen lässt. So wie der Historiker erklären kann, dass Jesus mehrere Personen vom Tode auferweckt hat, kann er aufgrund der Faktenlage auch sagen, dass Jesus selber von den Toten auferstanden ist. Man kann nach Meiers Methodologie dem Historiker konsequenterweise die Möglichkeit des Urteils „Jesus ist von den Toten auferstanden“ nicht mit der Begründung verweigern, dass solch ein Ereignis so offensichtlich ein Wunder ist, denn damit würde der Historiker ein Urteil über das wundersame Wesen des angeblichen Ereignisses treffen, das er nach Meier gar nicht treffen kann. Wir können in dieser Situation eine reductio ad absurdum von Meiers Behauptung sehen, dass der Historiker nicht irgendein Ereignis als Wunder einordnen kann, aber wenn wir das Spiel mitmachen und seine Einschränkung bezüglich der Art von Urteilen, die der Historiker treffen kann, akzeptieren, dann muss das Urteil „Jesus ist von den Toten auferstanden“ ein mögliches Urteil sein, da es sich weder auf Gott bezieht noch die Auferstehung Jesu als Wunder bezeichnet.

Nebenbei sei hier ein Kuriosum in dieser Debatte bemerkt, das darin besteht, dass Meier selber nicht glaubt, dass die Auferstehung Jesu, so sie denn geschah, ein Wunder war. Er warnt davor, „die Wunder während des öffentlichen Wirkens Jesus und seine Auferstehung in einen Topf zu werfen“. [10] Er schreibt: „Ich würde die Auferstehung nicht als Wunder einordnen, da sie nicht der oben von mir vorgeschlagenen Definition entspricht, d.h. nicht prinzipiell von einem beliebigen Beobachter wahrgenommen werden kann (vgl. die Äußerung des Apostels Petrus in Apostelgeschichte 10,40-41).“ [11] Lassen wir hier einmal den tendenziösen Hinweis auf die Stelle Apostelgeschichte 10,40-41 beiseite, die angesichts der physikalistischen Darstellung der Auferstehungserscheinungen Jesu bei Lukas sicher eher damit zu tun hat, dass Gott die Zeugen ausgesucht hat, als damit, dass diese Erscheinungen nur in den Köpfen der Zeugen geschahen. Wenn Meier die Auferstehung Jesu nicht als Wunder entsprechend seiner Definition gelten lassen will, dann ist das eindeutig eine reductio dieser Definition.

Überhaupt ist seine Definition mit epistemischen Begriffen belastet, die für den Status eines Ereignisses als Wunder irrelevant sind. Warum müssen z.B. in Bedingung (2) die Kräfte „bekannt“ sein? Wenn ein Ereignis durch rein natürliche Kräfte verursacht wird, die aber mangels Wissens der Menschen noch nicht entdeckt worden sind, ist es dann also trotzdem ein Wunder? Nach einer Definition wie dieser haben Ereignisse, die früher Wunder waren (und nicht nur für solche gehalten wurden), diesen Status plötzlich nicht mehr. Das Wundersein wird zu einer Funktion des menschlichen Wissens. Und warum muss die in Bedingung (2) angesprochene Erklärung „einleuchtend“ sein? Worauf es ankommt, ist doch wohl, ob das Ereignis anhand menschlicher Fähigkeiten oder natürlicher Kräfte erklärbar ist, und nicht, ob diese Erklärung vor dem Hintergrund des aktuellen Standes des menschlichen Wissens einleuchtend ist. Ähnlich ist die Bedingung (1) zwar sicher wesentlich für die Identifizierung eines Ereignisses als Wunder, aber irrelevant für die Frage, ob es ein Wunder ist. Es wäre zweifellos ein Wunder, wenn Gott alle wahrnehmungsfähigen Beobachter im Universum auf einen Schlag vernichten würde, aber solch ein Ereignis wäre im Prinzip nicht beobachtbar! Epistemische Überlegungen sind mithin wichtig für das Erkennen eines Wunders, aber nicht dafür, ob ein Ereignis an sich ein Wunder ist. Was für die Auferstehung Jesu bedeutet: Selbst wenn sie, wie Meier glaubt, nicht im Prinzip von einem beliebigen Beobachter wahrgenommen werden könnte, wäre sie deswegen noch lange nicht als Nichtwunder zu klassifizieren.

Also: Meiers Abneigung gegen eine historische Untersuchung der angeblichen Auferstehung Jesu beruht nicht auf seinen Bedenken, ob ein Historiker ein Ereignis als Wunder identifizieren kann. Denn er ordnet die Auferstehung Jesu gar nicht als Wunder ein, und die Anwendung seines Verbotes, ein Ereignis als Wunder zu identifizieren, würde dem Historiker ohnehin lediglich Urteile wie „Gott hat Jesus von den Toten auferweckt“ verwehren, aber die Möglichkeit von Urteilen wie „Jesus ist von den Toten auferstanden“ offen lassen. Warum also weigert Meier sich, die Auferstehung Jesu bzw. die Auferstehungsberichte zu untersuchen?

Er sagt, dass die Auferstehung tabu ist aufgrund der restriktiven Definition des „historischen Jesus“, die er in seiner gesamten Untersuchung benutzen wird. Was ist diese Definition? Meier sagt, dass der „historische Jesus“ bzw. (er benutzt die Begriffe synonym) der „Jesus der Geschichte“ „eine moderne Abstraktion und Konstruktion [ist]. Mit dem Jesus der Geschichte meine ich den Jesus, den wir mittels der wissenschaftlichen Instrumente der modernen historischen Forschung ‚rekonstruieren‘ und untersuchen können.“ [12] Meier merkt an: „Diese Definition ist keine arbiträre persönliche Erfindung von mir, sondern die Definition, die in der gegenwärtigen Jesus-der-Geschichte-Forschung allgemein akzeptiert ist.“ [13] Man muss den historischen Jesus und den wirklichen Jesus auseinanderhalten. Meier stellt dies gleich zu Anfang des ersten Kapitels seines ersten Bandes klar: „Der historische Jesus ist nicht der wirkliche Jesus. Der wirkliche Jesus ist nicht der historische Jesus.“ [14] Man könnte hier denken, dass Meier mit dem „wirklichen Jesus“ die menschliche Person meint, die damals lebte und wirkte, aber dies wäre ein Fehler. Für Meier ist auch der wirkliche Jesus eine moderne Abstraktion und Konstruktion – sie ist lediglich umfassender. Die größte Annäherung an eine Definition des wirklichen Jesus, die Meier bietet, lautet, dass er „eine hinreichend vollständige Dokumentation der öffentlichen Worte und Taten“ Jesu ist. [15] Etwas später nennt er den wirklichen Jesus „ein hinreichend vollständiges biografisches Porträt“. [16] Und hinter diesen beiden Abstraktionen lauert unter der Oberfläche noch eine dritte, die Meier die „ganze Realität“ Jesu nennt, d.h. „alles … was er je dachte, fühlte, erlebte, tat und sagte.“ [17]

Obwohl dies für unsere Untersuchung nicht strikt von Belang ist, muss ich hier einflechten, dass diese Unterscheidung bizarr, ja fast schon ungereimt ist und für die eigentliche Aufgabe des Historikers fast völlig irrelevant. Weder die ganze Realität Jesu noch der wirkliche Jesus noch der historische Jesus ist ein menschliches Wesen aus Fleisch und Blut, das real lebte. Alle diese Begriffe sind vielmehr bloße Abstraktionen, sodass es völlig irreführend ist, sie mit dem Eigennamen „Jesus“ zu bezeichnen, gerade so, als ob je eine von ihnen ein Mensch gewesen wäre. Das Individuum, das wir Jesus von Nazareth nennen, war ein Jude, der im Palästina des 1. Jahrhunderts lebte, während die von Meier benannten Entitäten Sammlungen von Propositionen bzw. Aussagen sind. Sie sind nicht Menschen, sondern Sachen, ja sie bezeichnen noch nicht einmal etwas Individuelles, sondern eine Menge. Die „ganze Realität“ Jesu scheint mir die Menge aller wahren Aussagen über Jesus zu sein (also über jene oben erwähnte Person, die im Palästina des 1. Jahrhunderts lebte). Der „wirkliche Jesus“ scheint mir die Menge aller wahren Aussagen über das öffentliche Wirken Jesu zu sein. [18] Der wirkliche Jesus wäre dann eine echte Teilmenge der gesamten Realität Jesu, der genügend Aussagen aus ihr enthält, um zu einer hinreichend vollständigen Beschreibung des öffentlichen Lebens Jesu von Nazareth zu kommen. Der historische Jesus scheint die Menge aller Aussagen zu sein, die durch die historische Forschung als wahrscheinlich erwiesen werden können. Damit kann der historische Jesus eine echte Teilmenge des wirklichen Jesus sein oder auch nicht, da die den historischen Jesus bildenden Aussagen möglicherweise nicht alle wahr sind. Der historische Befund kann eine Aussage stützen, die in Wirklichkeit falsch ist, sodass es Aussagen über den historischen Jesus geben kann, die nicht zu dem wirklichen Jesus gehören.

Es ist evident, dass keine dieser Aussagenmengen eine Person ist und dass diese Mengen somit kein Objekt der historischen Forschung sein können. Der Philosoph kann Aussagen (Propositionen) zu seinem Forschungsobjekt machen und z.B. fragen, ob das Bivalenzprinzip allgemein für sie gültig ist oder ob wahre Aussagen Wahrmacher haben. Doch der Historiker wählt als sein Untersuchungsobjekt nicht Mengen von Aussagen, sondern er untersucht die von diesen Aussagen bezeichneten Personen und Ereignisse. Man fragt sich, wie die konkrete Person Jesus von Nazareth der Aufmerksamkeit Meiers entgangen ist. Die reductio von Meiers Anspruch, in seiner Studie dem historischen Jesus nachzugehen, ist die Tatsache, dass dann, wenn „Jesus“ den historischen Jesus meint, praktisch jeder Satz über Jesus in Meiers umfangreichen Bänden sich als falsch erweist. Denn der historische Jesus wurde, anders als von Meier behauptet, nicht in Nazareth geboren, sprach kein Griechisch und wurde nicht gekreuzigt. Als Menge von Aussagen ist der historische Jesus kein Mensch und wurde folglich nie geboren, sprach nie irgendeine Sprache und konnte auch nicht sterben. All diese Dinge kann nur eine Person tun, und nach Meiers Darstellung ist der historische Jesus keine Person und kann somit nicht zum Gegenstand der Forschung des Historikers werden. Aber was Meier und wir alle wirklich wissen wollen, ist doch, ob die Person Jesus von Nazareth wirklich in Nazareth geboren wurde, ob sie Griechisch konnte, ob sie die Hinrichtung durch Kreuzigung erlitt, usw.

Meier sagt, dass die fehlende Unterscheidung zwischen dem wirklichen Jesus und dem historischen Jesus zu „Verwirrung ohne Ende“ bei der Suche nach dem historischen Jesus geführt hat. [19] Tatsächlich jedoch ist es die von Meier vorgenommene Unterscheidung, die verworren ist. Das Durcheinander zeigt sich in Meiers eigenen Aussagen, so z. B. wenn er sagt, dass „die ‚hinreichend vollständige‘ Dokumentation des ‚wirklichen‘ Jesus für uns heute unwiderruflich verloren“ sei. [20] Nach seiner Definition müssten wir die offensichtlich inkohärenten Folgerungen akzeptieren, dass der wirkliche Jesus keine wirkliche Person war und dass der historische Jesus keine historische Person war. Als guter Historiker geht es Meier aber eigentlich um den Jesus, der tatsächlich lebte; den Eigennamen „Jesus“ an Zusammenstellungen von Aussagen zu heften, kann nur zu Verwirrung führen.

Aber bin ich hier nicht zu pedantisch und ein logischer Erbsenzähler? Man muss doch wohl eine Unterscheidung vornehmen zwischen dem, wie Jesus wirklich war, und dem, was die historische Forschung über ihn herausfinden kann, oder nicht? Doch, ohne Zweifel ja, aber dies ist keine Unterscheidung zwischen zwei Jesussen. Die Formulierungen „wie Jesus wirklich war“ und „was die historische Forschung über Jesus herausfinden kann“ meinen vielmehr zwei Klassen von Aussagen (Propositionen) über Jesus. Wir versuchen, herauszufinden, wie Jesus wirklich war, indem wir ihn vom Historiker unter die Lupe nehmen lassen, und da die historische Forschung nicht zu absolut sicheren Aussagen führt, werden unsere Ergebnisse immer vorläufig sein. Aber es werden Aussagen über Jesus sein, d.h. über die konkrete Person, die der Gegenstand all dieser Aussagen ist. Sowohl in der Alltagssprache als auch in der Forschungsgeschichte meinen Formulierungen wie „der historische Jesus“ und „der wirkliche Jesus“ typischerweise das Individuum, das damals real lebte, und diese Ausdrücke als Benennungen von Klassen von Aussagen zu benutzen, ist idiosynkratisch und führt in die Irre. Wir können die nötigen Unterscheidungen auf eine Art vornehmen, die philosophisch exakter und weniger verwirrend ist, und so die Illusion vermeiden, dass wir, wenn wir Jesus historisch untersuchen, nicht den Jesus untersuchen, der tatsächlich lebte und webte.

Aber ich schweife ab. Wie wir gesehen haben, versteht Meier den historischen Jesus als das, was wir über Jesus mit den Werkzeugen der modernen historischen Wissenschaft rekonstruieren und untersuchen können. Was an jener Definition hindert uns daran, auch die Auferstehungsberichte mit solchen Methoden zu untersuchen und so ein Bild von der Auferstehung Jesu als Teil des historischen Jesus zu erhalten? Meiers Antwort lautet: „Im historisch-kritischen Kontext ist das ‚wirklich‘ definiert worden – und muss es definiert werden – als das, was in dieser Welt der Zeit und des Raumes existiert, was im Prinzip durch einen beliebigen Beobachter erfahren werden kann und was vernünftigerweise aus solchen Erfahrungen gefolgert werden kann“. [21] Hier scheint Meier drei notwendige Bedingungen dafür zu nennen, dass etwas im Kontext der historischen Analyse real (d.h. Teil eines hinreichend vollständigen biografischen Porträts einer Person) ist. Wenn wir das Historische als echte Teilmenge des Wirklichen begreifen, dann kann nichts ein Teil des historischen Jesus sein, wenn es nicht ein Teil des wirklichen Jesus ist. Wenn die Auferstehung Jesu die Bedingungen dafür, dass sie ein Teil des wirklichen Jesus ist, nicht erfüllt, dann folgt daraus, dass sie auch nicht ein Teil des historischen Jesus ist. Die Schwierigkeit dieser Konstruktion in Meiers Denken ist, dass der historische Jesus offenbar keine echte Teilmenge des wirklichen Jesus ist. Denn wenn die historische Indizienlage sich ändert, kommt es faktisch zu vielen historischen Jesussen, aber wenn ich Meier richtig verstanden habe, will er sagen, dass es nur einen wirklichen Jesus gibt. Wenn wir sagen, dass es eine Vielzahl auch von echten Jesussen gibt, dann muss der aktuelle historische Jesus nicht eine Teilmenge von diversen möglichen wirklichen Jesussen sein. Es könnte dann etwas (wie z.B. die Auferstehung) zum historischen Jesus gehören, obwohl es kein Teil des wirklichen Jesus ist. Vielleicht verstehen wir Meier am besten so, dass für ihn die drei oben genannten Bedingungen dafür, dass etwas zum wirklichen Jesus gehört, auch notwendige Bedingungen dafür sind, dass etwas zum historischen Jesus gehört.

Nun machen die drei von Meier genannten Bedingungen dafür, dass etwas historisch rekonstruierbar ist, einen eher unauffälligen Eindruck. Welche von ihnen – so wollen wir nun fragen – verwehren es der Auferstehung, ein Teil des historischen Jesus zu sein? Und jetzt wird es wirklich interessant. Meines Wissens verneint Meier nirgends, dass die dritte Bedingung erfüllt werden kann, d.h. dass man aus solchen Fakten wie dem leeren Grab Jesu, seinen nachtodlichen Erscheinungen und der Entstehung des Christentums vernünftigerweise den Schluss ziehen kann, dass Jesus tatsächlich von den Toten auferstand. Aber Meier bezweifelt, dass die erste Bedingung durch die Auferstehung Jesu erfüllt werden kann. Er behauptet, Gerald O‘Collins zitierend: „Obwohl die ‚Auferstehung ein reales, leibliches Ereignis ist, an dem die Person Jesu von Nazareth beteiligt ist‘, ist die Auferstehung Jesu ‚nicht ein Ereignis in Raum und Zeit und sollte mithin nicht historisch genannt werden‘, da ‚wir von einem historischen Ereignis erwarten sollten, dass es etwas Bedeutendes ist, von dem man weiß, dass es sich in unserem Raumzeit-Kontinuum ereignet hat.‘“ [22]

Hier erklärt Meier, dass Jesu Auferstehung ein tatsächliches, physisches Ereignis war, aber dass sie nicht in Raum und Zeit geschah. Man kann also sagen, dass sie tatsächlich geschehen ist, aber dass sie nicht historisch in Meiers eigenwilligem Sinne ist, also nicht mit den wissenschaftlichen Methoden der Geschichtsforschung fassbar. Die Behauptung, dass Jesu Auferstehung ein tatsächliches, physisches Ereignis sein kann, das die Person Jesu von Nazareth betrifft, ohne ein Ereignis in Raum und Zeit zu sein, ist recht merkwürdig. Leider erklärt Meier dieses Paradox nicht, aber ein Blick in den in diesem Journal veröffentlichten Artikel von O’Collins erhellt das Rätsel etwas. [23]

Der Schlüssel zum Verständnis von O’Collins‘ Behauptung, dass die Auferstehung nicht in Raum und Zeit geschah, ist sein Verständnis der Auferstehung als einer Art Übergang. Für ihn ist die Auferstehung Jesu dessen Hinüberwechseln aus Raum und Zeit in eine neue Realität. „Durch die Auferstehung geht Christus aus der empirischen Sphäre dieser Welt in eine neue Existenzweise in der ‚anderen‘ Welt Gottes über.“ [24] Durch die Auferstehung verlässt Christus die vertrauten, datier- und lokalisierbaren Bedingungen unserer Erfahrung, um eine Realität zu werden, die dieser Welt entrückt ist. Während die Menschen, die Jesus während seines irdischen Wirkens von den Toten auferweckte, „unter normalen körperlichen Bedingungen in das Leben zurückkehren“, sodass „ihr raumzeitliches Leben sich fortsetzt“, kehrt Jesus „nicht innerhalb unseres Raumzeit-Kontinuums in das Leben zurück“. [25] Der Christus „jenseits der Auferstehung“ existierte nicht mehr unter den körperlichen Bedingungen, wie wir sie erleben, und innerhalb derer der Historiker agiert. [26]

Bevor ich weitergehe, muss ich hier erwähnen, dass O’Collins‘ Behauptung, dass Jesu Auferstehung keine Rückkehr zum Leben in unserem Raumzeit-Kontinuum beinhaltete, bedeutet, dass er die Evangelienberichte, ganz zu schweigen von jüdischen Texten, offensichtlich nicht richtig verstanden hat. Eine der Leistungen von N.T. Wrights umfassender Studie antiker Texte über die Auferstehung von den Toten ist, dass er aufzeigt, dass die Auferstehung damals nicht als Übergang in eine überweltliche, nicht mehr raumzeitliche Sphäre verstanden wurde, sondern dass zu ihr die Wiederherstellung des Lebens in Raum und Zeit gehörte. [27] Natürlich war dieses Leben keine bloße Reanimation zurück in das irdische Leben, aber es war körperlich, physisch und raumzeitlich. O’Collins dagegen macht Jesu Auferstehung zu einer Art Himmelfahrt wie bei Henoch und Elia, was eine ganz andere Kategorie ist als die Auferstehung von den Toten.

Aber lassen wir das. Sagen wir ruhig mit Collins, dass mit der Auferstehung der vierdimensionale Raumzeit-Wurm, der der Mensch Jesus von Nazareth war, abrupt aufhörte. Dann könnten wir immer noch einwenden, dass die letzte dreidimensionale Oberfläche dieses Raumzeit-Wurms spezifische raumzeitliche Koordinaten hatte. Die Auferstehung geschah an diesem Ort und zu dieser Zeit. Pannenberg bringt ein ähnliches Argument, wenn er bemerkt, dass dann, wenn das leere Grab historisch ist, die Auferstehung durchaus im Raum geschah. „Wenn sie tatsächlich geschehen ist“, so versetzt er, „dann geschah sie in Palästina und nicht z.B. in Amerika.“ [28] Worauf man fortfahren könnte: „Und sie fand auch in der Zeit statt, nämlich irgendwann um 30 n. Chr. und nicht z.B. 1967.“

In O’Collins‘ Erwiderung auf Pannenberg spielt seine Konzeption der Auferstehung als Übergang in eine andere Sphäre eine zentrale Rolle. O‘Collins schreibt:

Es erscheint mir jedoch merkwürdig, von einem Übergang „hinaus aus“ dem Raum zu reden (also hinein in eine Realität, die nicht räumlich lokalisierbar ist), der aber im Raum stattfindet, nämlich in Palästina. Denn selbst dann, wenn der „Ausgangspunkt“ dieses Übergangs räumlich lokalisiert wäre, würde uns das nicht das Recht zu der Folgerung geben, dass der Übergang sich im Raum „ereignete“. Im Übrigen scheint es mir besser zu sein, das Grab mit dem Leichnam des historischen Jesus nicht als „Ausgangspunkt“ des Übergangs zu bezeichnen, sondern als den letzten Ort, wo Jesus im normalen historischen Sinne lokalisierbar war. [29]

Dass das Grab nicht der Ausgangspunkt des Übergangs ist, können wir gleich als falsche Fährte abhaken, denn dergleichen hat niemand behauptet. Es ist doch vielmehr so, dass der vierdimensionale Raumzeit-Wurm, der in seinen letzten Stadien der Leichnam Jesu ist, an einem bestimmten Ort, der das Grab ist, sein Ende findet. Warum können wir nicht einfach sagen, dass die Auferstehung dort (und damals) geschah? Die Antwort ist, so O’Collins, dass ein Übergang hinaus aus dem Raum nicht als im Raum geschehend beschrieben werden sollte.

Diese Antwort ist zugleich ein Stück wahr und falsch. Nehmen wir eine Hausfrau, die nach ihrem Einkauf das Lebensmittelgeschäft wieder verlässt. Geschieht das Verlassen des Ladens in dem Laden? Für jeden beliebigen Punkt in dem Laden, einschließlich seines Ausgangs, gilt, dass die Kundin noch in dem Laden ist und ihn mithin noch nicht verlassen hat. Aber sobald sie draußen ist, gibt es keinen ersten Punkt, von dem man sagen könnte, dass sie hier den Laden verlassen hat, denn zwischen jedem Punkt draußen vor dem Laden und der Ausgangstür gibt es eine dichte Serie von Punkten, an denen die Kundin bereits aus dem Laden herausgegangen war. Also: Wo geschieht das Verlassen des Ladens?

Es ist offensichtlich, dass O’Collins sich, ohne es zu wollen, in den alten Sorites-Paradoxien der Bewegung verheddert hat. [30] Für Übergangsereignisse wie Aufhören, Hinausgehen und Sterben gibt es keinen konkreten Punkt in der Raumzeit, an dem sie geschehen. Dass der Bösewicht hier die Sorites-Paradoxien sind und nicht das Wesen der Auferstehung, ergibt sich aus der Tatsache, dass selbst dann, wenn wir uns die Auferstehung als eine Verwandlung vorstellten, die vollständig innerhalb von Raum und Zeit geschah, wir keinen konkreten Raumzeit-Punkt nennen könnten, wo sie sich ereignete. Sie wäre immer entweder noch nicht geschehen oder bereits geschehen. Aber trotzdem: So wie es vollkommen in Ordnung ist, zu sagen, dass die Kundin den Laden, sagen wir, durch den Haupteingang und nicht durch die Hintertür verlassen hat, so können wir auch Jesu Verwandlung hin zu seinem verherrlichten Zustand lokalisieren, in dem Sinn, dass man den Raumzeit-Punkt beschreiben kann, an welchem seine vergängliche Existenz endete. So wie der Historiker feststellen kann, wann jemand ein Gebäude verlassen hat oder wann er gestorben ist, gibt es keine prinzipiellen Einwände dagegen, dass er feststellen kann, wo und wann die Auferstehung Jesu sich ereignete. Das Ganze ist so ähnlich, wie wenn jemand auf der Grundlage von Zeugenaussagen und Indizien feststellt, wo und wann die Kinder in C. S. Lewis‘ Narnia-Geschichten das erste Mal aus dieser Welt nach Narnia kamen.

Eine letzte Ironie von Meiers Berufung auf O’Collins als argumentativen Gewährsmann für das Ignorieren der Auferstehungsberichte ist, dass O’Collins, selber ein entschiedener Verfechter der historischen Glaubwürdigkeit der Auferstehung Christi, in demselben Artikel insistiert: „Zu behaupten, dass die Auferstehung Christi nicht mit Recht als ein historisches Ereignis beschrieben werden kann, bedeutet nicht, dass man behauptet, dass historische Fakten und historische Forschung irrelevant sind.“ [31] Er nennt drei Bereiche der historischen Untersuchung: (1) Der „Verkündigungsglaube“ der Jünger kann von dem Historiker untersucht werden. (2) Die Erscheinungen Christi zu bestimmten Zeiten und Orten vor einer bestimmten Anzahl von Personen sind vonseiten derer, die ihm da begegneten, historisch. Und (3): Das leere Grab kann Gegenstand der Untersuchung durch den Historiker sein. Dies sind genau die drei unabhängig voneinander existierenden Fakten, die ich an anderer Stelle als am besten durch die Auferstehung Jesu erklärbar bezeichnet habe, nämlich der Ursprung des christlichen Glaubens, Jesu Erscheinungen nach seinem Tod und die Entdeckung seines leeren Grabes. [32] Selbst nach O’Collins‘ Fazit, dass die Auferstehung Jesu nicht „historisch“ in seinem nicht wörtlich zu nehmenden Sinne war, sind die Indizien für die Auferstehung Jesu nach wie vor alle da und harren der Analyse mit den Mitteln der Geschichtswissenschaft. Doch diesen Aspekt von O’Collins‘ Argument übergeht Meier stillschweigend.

Man kann also nicht sagen, dass die Ereignisse der Auferstehungsberichte oder sogar die Auferstehung selber nicht die erste der von Meier genannten Bedingungen für Historizität erfüllen. Aber was ist mit der zweiten Bedingung – dass ein Ereignis im Prinzip durch einen beliebigen Beobachter erfahrbar sein muss? Wir haben bereits gesehen, dass Meier es verneint, dass die Auferstehung „im Prinzip der Beobachtung durch einen beliebigen Beobachter zugänglich ist“. [33] Aber er erklärt nicht, wie er dies meint. Ich sehe keinen Grund für die Annahme, dass jemand, der in dem Grab Jesu saß, um über dem Leichnam zu wachen, die Auferstehung nicht mitbekommen hätte. Wenn Meier lediglich O’Collins‘ Argument, dass die Auferstehung ein Übergang hinaus aus dieser Welt war, wiederkauen möchte, wäre die Auferstehung nur in dem Sinne nicht beobachtbar gewesen, dass jemand, der plötzlich verschwindet, nicht beobachtet werden kann; man sieht die Person an dem letzten Punkt, an dem sie sichtbar existierte, aber es gibt keinen ersten Punkt, an dem sie weg ist (die Sorites-Paradoxien lassen grüßen). Und noch einmal: Selbst wenn es wahr wäre, dass die Auferstehung im Prinzip von niemandem beobachtbar war, wäre dies keine Entschuldigung dafür, die von O‘Collins aufgelisteten Ereignisse der Auferstehungsberichte zu ignorieren.

Das führt mich zu meinem letzten Punkt. O’Collins‘ Argument, dass die Auferstehung Jesu nicht in Raum und Zeit erfolgte, ist das Ergebnis einer langen historischen Untersuchung der neutestamentlichen Indizien für die Auferstehung Jesu. Aber wie will Meier in Abwesenheit einer solchen Untersuchung wissen, ob die Auferstehung Jesu, wenn sie denn geschah, innerhalb von Raum und Zeit geschah oder nicht und ob sie beobachtbar war oder nicht? Wie kann er a priori wissen, dass Wright falsch liegt, wenn er sagt, dass die Auferstehung Jesu ein raumzeitliches Geschehen war, das im Prinzip von jedem unvoreingenommenen, interessierten Beobachter beobachtet werden konnte? Woher will er wissen, dass man die Auferstehung Jesu nur im Glauben behaupten kann und nicht aufgrund historischer Untersuchungen, wenn er keine solche Untersuchung vorgenommen hat?

Mir fällt nur eine Antwort auf diese Frage ein: Meiers Theologie. Es ist eine persönliche theologische Überzeugung von Meier, dass man die Auferstehung Jesu nur im Glauben behaupten kann. Meiers theologische Position zeigt sich in einem Kommentar wie dem folgenden über Pannenbergs historisches Herangehen an die Auferstehung: „Meiner Meinung nach schafft Pannenbergs ganzer Ansatz bezüglich Offenbarung und Glauben einerseits und Geschichte und Verstand andererseits mehr Probleme, als er löst. Manchmal ist er nur noch einen Schritt von der Behauptung entfernt, dass das Objekt des Glaubens durch die historische Forschung bewiesen werden könne.“ [34] Das Ironische ist hier natürlich, dass Meier in seiner Arbeit als Historiker theologische Festlegungen meidet und bemüht ist, die Fragen theologisch neutral anzugehen. Aber der Grund dafür, dass John Meier als Historiker die Finger vom auferstandenen Herrn lassen will, scheint mir eindeutig der zu sein, dass seine theologische Position dergleichen ausschließt. Ich hoffe, dass er im Lichte der obigen Kritik diese Position aufgeben und seine beträchtlichen Talente in den Dienst der Untersuchung der Frage der Historizität der nachtodlichen Erscheinungen Jesu, des leeren Grabes, des Entstehens des Glaubens der Jünger an die Auferstehung und letztlich des Rätsels der Auferstehung Jesu selber stellen wird. Dies wäre ein würdiger Abschluss seines Meisterwerkes.

(Übers.: Dr. F. Lux)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/noli-me-tangere-why-john-meier-wont-touch-the-risen-lord

  • [1]

    Meiers Hauptwerk ist sein mehrbändiges A Marginal Jew: Rethinking the Historical Jesus. Von den geplanten vier Bänden sind drei bereits erschienen: A Marginal Jew I: The Roots of the Problem and the Person (New York: Doubleday, 1991); A Marginal Jew II: Mentor, Message, and Miracle (New York: Doubleday, 1994); A Marginal Jew III: Companions and Competitors (New York: Doubleday, 2001). Der Untertitel des mit Spannung erwarteten vierten Bandes wird lauten: The Enigmas Jesus Posed and Was. Enden wird er bezeichnenderweise mit dem Rätsel des Todes Jesu, das Meier „das zentralste der Rätsel, die Jesus aufwarf und die er war“ nennt. Meier weiter: „Jede Rekonstruktion des historischen Jesus muss mit diesem Rätsel enden“ (Marginal Jew III, S. 646). Das Rätsel der Auferstehung Jesu kommt gar nicht erst nicht in den Blick.

  • [2]

    Meier, Marginal Jew I, S. 13.

  • [3]

    Die Mitarbeiter des Jesus Seminars sind Beispiele für solch einen naturalistischen Ansatz. Vgl. dazu die Ausführungen in: R.W. Funk, R. W. Hoover and the Jesus Seminar, „Introduction“ zu The Five Gospels (New York: Macmillan, 1993), S. 2-3. Siehe auch S. 398, wo klar wird, dass die Autoren den auferstandenen Jesus per definitionem nicht als historische Figur betrachten.

  • [4]

    Meier, Marginal Jew II, S. 512.

  • [5]

    Ebd., S. 513.

  • [6]

    Ebd., S. 513.

  • [7]

    Ebd., S. 514.

  • [8]

    Ebd., S. 513f.

  • [9]

    So schlägt z.B. Bilynskyj die folgenden Kriterien vor, um ein Ereignis E als Wunder zu identifizieren: 1. Die Indizien dafür, dass es E gegeben hat, sind mindestens genauso gut wie für andere akzeptable, aber ungewöhnliche Ereignisse, die ähnlich weit von Ort und Zeitpunkt der Untersuchung entfernt sind. – 2. Eine Beschreibung des Wesens und/oder der Macht der kausal relevanten natürlichen Agenten, die erklären würde, warum sie E verursacht haben, wäre umständlich und ad hoc. – 3. Außer der Unerklärlichkeit von E gibt es keine Indizien, dass einer oder mehrere natürliche Agenten E hervorgebracht haben. – 4. Es gibt auch unabhängig von der Unerklärlichkeit von E Faktoren, die für eine übernatürliche Erklärung von E sprechen. (Stephen S. Bilynskyj, „God, Nature and the Concept of Miracle“, Ph.D. Dissertation, University of Notre Dame, 1982, S. 222.)

  • [10]

    Meier, Marginal Jew II, S. 529.

  • [11]

    Ebd., S. 529; vgl. ebd., S. 525.

  • [12]

    Meier, Marginal Jew I, S. 25.

  • [13]

    Meier, Marginal Jew I, S. 34. Dass Meier hier recht haben könnte, erhellt aus einer ähnlichen Unterscheidung eines anderen prominenten Leben-Jesu-Forschers, James D.G. Dunn, dessen gewichtiger erster Band eines geplanten mehrbändigen Werkes mit dem Titel Christianity in the Making kürzlich ebenfalls erschien (James D. G. Dunn, Christianity in the Making, I: Jesus Remembered, Grand Rapids, Mich.: William B. Eerdmans, 2003, S. 126f., 130f., 827, 876, 882). Dunn erkennt, dass der historische Jesus zwar immer als Konstruktion der historischen Forschung bezeichnet wird, dass aber in der Praxis die Bezeichnung Jesus selber meint. Mir scheint, dass diese Bedeutungsverschiebung unvermeidlich und nicht weiter bemerkenswert ist für jeden Historiker, der kein narrativer Nichtrealist ist. Dunn selber unterscheidet zwischen Jesus selber und dem erinnerten Jesus – gerade so, als seien genaue Erinnerungen an Jesus nicht Erinnerungen an Jesus selber! Dunn behauptet, dass das einzige vernünftige Ziel einer Suche nach dem historischen Jesus der erinnerte Jesus sei, fährt dann aber inkonsequenterweise fort, dass wir aus den Spuren, die Jesus in den Traditionen über ihn hinterlassen hat, etwas über die Person erkennen können, die diese Spuren hinterließ. Was Dunn zu der bizarren Folgerung führt, dass „die Jesus-Tradition der erinnerte Jesus ist. Und der so erinnerte Jesus ist Jesus …“ (S. 335), wonach also Jesus selber eine Tradition wäre! Wie bei Meier ist auch hier die Person Jesus von Nazareth aus dem Blick verschwunden. Was Dunn eigentlich sagen sollte und vielleicht auch sagen will, ist, dass wir in der synoptischen Tradition verschriftlichte Erinnerungen an das finden, was Jesus sagte und tat, und dass diese Erinnerungen weitgehend zutreffend sind. Wir können also eine ganze Menge über Jesus wissen, und es gibt kein alternatives Porträt von Jesus, das historisch so glaubwürdig wäre wie das, was die Tradition uns liefert, und das man benutzen könnte, um die auf der Grundlage dieser Tradition gezogenen Schlüsse auszuhebeln.

  • [14]

    Meier, Marginal Jew I, S. 21.

  • [15]

    Ebd., S. 22.

  • [16]

    Ebd., S. 24.

  • [17]

    Ebd., S. 21.

  • [18]

    Dies ist nicht ganz klar. Denn wenn eine hinreichend vollständige Dokumentation mit historischen Methoden konstruiert wird, wie Meier dies vorschlägt, braucht sie nicht unbedingt richtig zu sein und könnte somit Aussagen enthalten, die falsch sind. In diesem Falle ist es der historische Jesus, der eine echte Teilmenge des wirklichen Jesus ist. Doch solch eine Position ist problematisch, da es dann keine Entität wie den wirklichen Jesus gibt, weil es möglich ist, dass es mehrere verschiedene hinreichend vollständige Dokumentationen historischer Personen gibt.

  • [19]

    Meier, Marginal Jew I, S. 21.

  • [20]

    Ebd., S. 22.

  • [21]

    Ebd., S. 197.

  • [22]

    Ebd., S. 201.

  • [23]

    G. G. O’Collins, „Is the Resurrection an ‘Historical’ Event?”, Heythrop Journal 8 (1967), S. 381-387. Der Einfluss dieses Artikels auf Meiers Denken erhellt aus der Tatsache, dass Meier in Band I wie II von A Marginal Jew O’Collins‘ Artikel zitiert und den Gedankengang in einem späteren Interview mit John Bookser Feister wiederholt: „Finding the Historical Jesus“, St. Anthony Messenger, Dezember 1997, http://www.americancatholic.org/Messenger/Dec1997/feature3.asp.

  • [24]

    O‘Collins, „Ressurection“, S. 384.

  • [25]

    Ebd., S. 385.

  • [26]

    Ebd., S. 385.

  • [27]

    N. T. Wright, Die Auferstehung des Sohnes Gottes (Marburg: Francke, 2014). Vgl. vor allem S. 580ff., wo Wright dies sehr klar zum Ausdruck bringt.

  • [28]

    Wolfhart Pannenberg, Theology as History, S. 265, Fußnote 76; zitiert in O’Collins, „Resurrection“, S. 386.

  • [29]

    O’Collins, „Resurrection“, S. 387.

  • [30]

    Siehe die fesselnde Diskussion dieser Paradoxien in: Richard Sorabji, Time, Creation, and the Continuum (Ithaca, N.Y.: Cornell University Press, 1983), Kap. 26.

  • [31]

    O’Collins, „Resurrection“, S. 385.

  • [32]

    Siehe z.B. William Lane Craig, Assessing the New Testament Evidence for the Historicity of the Resurrection of Jesus, 3rd ed., Studies in the Bible and Early Christianity 16 (Toronto: Edwin Mellen, 2004).

  • [33]

    Meier, Marginal Jew II, S. 525.

  • [34]

    Ebd., S. 529.