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#501 Würde es den christlichen Glauben widerlegen, wenn man den Leichnam Jesu fände?

January 20, 2017
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

meine Frage hat zwei Teile. Erstens: Sehen Sie es auch so, dass man gute Gründe dafür hätte, den christlichen Glauben als falsch zu betrachten, wenn man den Leichnam Christi fände? (Ich gehe davon aus, dass es sich ohne Zweifel um den Leichnam Christi handelt.) Dies scheint mir eine vernünftige Behauptung zu sein.

Und jetzt die Frage, die mir Bauchschmerzen macht: Sie untersuchen und widerlegen eine ganze Reihe von natürlichen Erklärungen für die Auferstehung Christi und die damit zusammenhängenden Fakten. Aber wenn morgen früh Archäologen Christi Leiche fänden, dann müsste doch eine dieser natürlichen Erklärungen wahr sein! Doch Sie behaupten steif und fest, dass sie unmöglich wahr sein können. Ist das denn philosophisch überhaupt ein Problem?

Danke für die Zeit, die Sie sich für mich nehmen.

Tom

Akrotiri

Greece

Prof. Craigs Antwort


A

Um Ihre erste Frage zu beantworten, Tom: Natürlich würde eine Entdeckung der sterblichen Überreste Jesu einen triftigen Grund dafür liefern, den christlichen Glauben für falsch zu halten. Paulus schrieb an die Korinther: „Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich“ (1. Korinther 15,14). [1] Die Auferstehung Jesu ist ein Grundpfeiler des Christentums.

Ich selber habe ausführlich dargelegt, dass die Auferstehung Jesu impliziert, dass der Leichnam des gekreuzigten und begrabenen Jesus auferweckt wurde. Das Wort „Auferstehung“ meinte definitiv die Auferweckung des verstorbenen Körpers. Der bekannte Neutestamentler Dale C. Allison, Jr., betont:

Nirgends in der Bibel oder der alten jüdischen und christlichen Literatur meint das Reden von der Auferstehung einen materiell neuen Körper, der keine physische Beziehung zu dem alten hat. Ein auferweckter Leib ist immer der alte Leib (oder ein Teil davon), der zurück ins Leben gekommen und/oder verwandelt worden ist. … Auferstehung, das bedeutete, dass Körper, die in der Erde lagen, wieder lebendig wurden. Von den Toten auferstehen hieß aus dem Grab steigen. [2]

Paulus‘ Verständnis der Auferstehung ist, dass es sich bei ihr um eine Verwandlung des irdischen, sterblichen Leibes in einen übernatürlichen Leib handelt – und nicht um den Ersatz des sterblichen Leibes durch einen anderen. Lassen Sie mich vier Gründe für diesen Glauben des Paulus nennen:

  1. In 1. Korinther 15,51-52 spricht Paulus eindeutig von einer intrinsischen Veränderung des Leibes, nicht von einem Austausch gegen einen anderen Leib. Das griechische Verb allasso hat den gleichen Bedeutungsumfang wie das englische „change“ [3]. Seine typische Bedeutung ist die intrinsische Veränderung eines Einzelnen. So sagen wir z. B. zu einem alten Freund, den wir lange nicht mehr gesehen hatten: „Mensch, was hast du dich verändert!“ Doch manchmal kann allasso auch „austauschen“ bedeuten, wie in dem Satz: „Ich habe am Flughafen Geld gewechselt.“ Wenn allasso in dieser Bedeutung gebraucht wird, ist es typischerweise aktiv, mit folgendem direkten Objekt oder Präpositionalgefüge. So sagt Paulus in Römer 1,23: „... und haben die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauscht mit einem Bild …“ Doch in 1. Korinther 15 sagt Paulus an keiner Stelle: „Wir werden unsere Körper tauschen“, sondern er sagt: „Denn es wird die Posaune erschallen … und wir werden verwandelt werden“ (1. Korinther 15,52). Dies ergibt nur als intrinsische Veränderung einen Sinn.
  2. Die in 1. Korinther 15,42-44 verwendeten Verben „säen“ und „auferstehen“ (Elberfelder: „auferwecken“) haben dasselbe implizite Subjekt. „Es wird gesät … und wird auferstehen ...“ Vier Mal sagt Paulus das. Um diese Implikation der Identität zu umgehen, müsste man die Verse falsch übersetzen, sodass die Verben unterschiedliche Subjekte erhalten: „Einer wird gesät … einer [d.h. ein anderer] wird auferstehen …“
  3. Paulus‘ Verwendung des Pronomens „dies“ in 1. Korinther 15,53 weist auf unsere sterblichen Leiber bzw. unser sterbliches Wesen hin, die verwandelt werden müssen. Vier Mal betont er, dass dieses Verwesliche die Unverweslichkeit anziehen muss, dieses Sterbliche die Unsterblichkeit. Gemeint ist die Verwandlung, die an unseren Körpern geschehen muss.
  4. Auch in anderen seiner Briefe spricht Paulus von der Verwandlung unseres Leibes bei der Auferstehung. z. B.: „... der unsern nichtigen Leib verwandeln wird, dass er gleich werde seinem verherrlichten Leibe“ (Philipper 3,21). – „... so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen ...“ (Römer 8,11). – „[Wir] sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes“ (Römer 8,23).

Aus diesen und anderen Gründen stimmen die allermeisten heutigen Ausleger überein, dass Paulus bei der Auferstehung an eine Verwandlung des irdischen Körpers denkt. Wir können also bezüglich der Auferstehung Jesu sagen, dass in der Tat kein Leichnam mehr da war, und wenn einer entdeckt würde, würde das heißen, dass die Auferstehung nicht stattfand.

Wie Sie ganz richtig anmerken, bliebe hier immer noch die Frage, ob es sich bei dem, was die Archäologen da entdeckt hätten, zweifelsfrei um den Leichnam Christi handelte. Ich glaube, dass es im Lichte dessen, was wir wissen, ein solches „zweifelsfrei“ kaum geben könnte, aber das wäre eine separate Frage.

Was Ihre zweite Frage betrifft: „Wenn morgen früh Archäologen Christi Leiche fänden“, würde daraus mitnichten folgen, dass eine der vorgeschlagenen natürlichen Erklärungen für die Auferstehung Christi, die ich untersucht und widerlegt habe, richtig wäre. Was folgen würde, wäre, dass irgendeine natürliche Erklärung wahr sein müsste, vielleicht eine, die ich noch nicht untersucht habe (wie wäre es mit Marsmenschen?). Ich habe übrigens nie behauptet, dass diese naturalistischen Erklärungen unmöglich wahr sein können; da übertreiben Sie. Was ich behauptet habe, ist, dass diese naturalistischen Erklärungsversuche nicht die Kriterien erfüllen, die sie zur besten Erklärung der Fakten machen würden. Sie haben keine genügende Erklärungskraft oder Reichweite, sie sind nicht plausibel oder ad hoc usw. und so fort. Dies ist die gängige Art, wie historische (und übrigens auch wissenschaftliche) Hypothesen geprüft werden. Wenn diese Erklärungen für die Auferstehung buchstäblich unmöglich wären, würden sie gar nicht erst in Erwägung gezogen, sondern von vornherein als unsinnig verworfen werden. Sie sind also durchaus mögliche Erklärungen der Fakten, aber, wie ich dargelegt habe, nicht die besten. Wenn nun plötzlich zu den zu erklärenden Fakten die Tatsache dazukäme, dass man den Leichnam Jesu gefunden hat, würde die Auferstehungshypothese definitiv nicht als Erklärung dieser Tatsache taugen und wäre somit nicht mehr die beste Erklärung!

Es gibt hier also eigentlich gar kein Problem. Und angesichts der Fakten brauchen wir keine Sorgen zu haben, dass aus Ihrem Gedankenspiel jemals Realität werden wird.

(Übers.: Dr. F. Lux)

Link to the original article in English: www.reasonablefaith.org/would-finding-jesus-corpse-falsify-christianity?

  • [1]

    Die Bibelzitate folgen, wo nichts anderes angegeben ist, der Lutherübersetzung 1984.

  • [2]

    C. Allison Dale, Jr., „The Resurrection of Jesus and Rational Apologetics”, Philosophia Christi 10 (2008), S. 315-338. Mit „oder ein Teil davon“ meint Allison die Gebeine des Verstorbenen, die denn auch für den gläubigen Juden der zentrale Gegenstand der Auferstehung waren und in Ossuarien sorgfältig für den Tag der Auferstehung aufbewahrt wurden.

  • [3]

    Dt. „(ver)ändern“ – Anm. d. Übers.

- William Lane Craig