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#593 Was tun in einer Patt-Situation?

May 12, 2019
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

ich habe eine Frage zur Debatte, die ich mit meinem Professor über den religiösen Pluralismus führe. Er hat folgendes Argument angeführt: „A und B gehören unterschiedlichen religiösen Traditionen an. As Religion und Bs Religion können nicht gleichzeitig wahr sein, weil sie sich ihre Aussagen in einem Punkt widersprechen, beispielsweise in der Frage, ob Jesus von den Toten auferstanden ist. A hat keine besseren Gründe als B zu glauben, dass seine Ansicht wahr ist – und umgekehrt. (Und A und B sehen das ein.) Daher ist es nicht rational, wenn einer von ihnen der Meinung ist, dass er im Besitz der Wahrheit ist und der andere nicht. Daher ist religiöser Glaube irrational. Stimmt’s?“ Was soll ich hierauf antworten?

Aaron
Vereinigte Staaten

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Es gibt verschiedene Wege, hierauf zu antworten, Aaron.

Die erste und offensichtlichste Antwort bestünde darin, die Annahme Ihres Professors zu hinterfragen, nach der die Situation, in der sich A und B befinden, den Standpunkt eines Christen gegenüber Anhängern einer anderen Religion darstellt. Ihr Professor nimmt einfach an, dass der Christ „keine besseren Gründe als B hat, zu glauben, dass seine Ansicht wahr ist“. Warum sollten wir hiervon ausgehen? Nehmen wir an, B ist ein Moslem. Der Christ hat viel bessere Gründe zu glauben, dass das Christentum wahr ist, als der Moslem Gründe hat zu glauben, dass der Islam wahr ist.

Nun, Ihr Professor stimmt dieser Einschätzung sicherlich nicht zu. Sonst hätte er A und B ja nicht so beschrieben. Doch Sie können diese Annahme hinterfragen. Er muss beweisen, dass die Belege für den Islam genauso gut sind wie die für das Christentum. Kann er das? Um genauer zu sein und das Beispiel Ihres Professors zu verwenden: Kann er beweisen, dass der Christ keine besseren Gründe hat, zu glauben, dass Christus von den Toten auferstanden ist, als der Moslem Gründe hat, zu bestreiten, dass er jemals gekreuzigt wurde? (An dieser Stelle könnten Sie Ihren Professor fragen, ob er sich mit den Belegen für die Historizität der Auferstehung Jesu jemals ernsthaft beschäftigt hat, und ihm ein Exemplar von The Son Rises geben.)

Zweitens: Selbst wenn der Christ sich in einer Situation befindet, wie sie Ihr Professor beschrieben hat, impliziert das nicht, dass der Glaube des Christen irrational ist. Verweisen Sie Ihren Professor auf William Alstons Artikel „Religious Diversity and Perceptual Knowledge of God,” Faith and Philosophy 5, no. 4 (1988): 433-48. (Geben Sie ihm am besten eine ausgedruckte Fassung). Alston sagt auch, dass diese Situation, in Isolation betrachtet, vom epistemischen Standpunkt her in einem Patt endet. Denn keiner der beiden Beteiligten den anderen zu überzeugen davon weiß, dass nur er selbst eine echte, nicht auf Einbildung beruhende, religiöse Erfahrung macht. Doch dieses Patt untergräbt nicht die Rationalität der Überzeugung des Christen, denn selbst wenn sein Überzeugungsbildungsprozess auch noch so zuverlässig ist, kann er diese Tatsache unmöglich ohne Zirkelschluss beweisen. Seine Unfähigkeit, einen solchen Beweis zu liefern, hebt dann aber nicht die Rationalität seiner Überzeugung auf. Natürlich trifft dies auch auf die andere Person zu. Beide können ihre jeweilige Überzeugung rational aufrechterhalten, auch wenn sie nicht beweisen können, dass die Überzeugungen des Anderen nicht gerechtfertigt sind.

Alston rät, dass der Christ in dieser Situation alles daran setzen sollte, nach Gemeinsamkeiten zu suchen, um ein Urteil über die entscheidenden Unterschiede zwischen den konkurrierenden Ansichten zu fällen, sodass auf nicht-zirkuläre Weise gezeigt werden kann, welche der Ansichten korrekt ist. Wenn der Christ – auf Basis der Gemeinsamkeiten, wie z. B. Sinneswahrnehmungen, rationale Selbstverständlichkeiten und gemeinsame Argumentationsweisen, - zeigen kann, dass seine eigenen Überzeugungen besser belegt sind als die seines Gegners, dann er hat er erfolgreich bewiesen, dass er einen besseren epistemischen Stand hat, um über die Wahrheit in dieser Angelegenheit zu urteilen. Genau das habe ich hier versucht.

Außerdem lohnt es sich vielleicht, auf Folgendes hinzuweisen: Da der Atheismus ein religiöser Glaube ist, befindet sich der Atheist in derselben Situation wie Anhänger anderer Religionen. Aus dem Argument Ihres Professors würde demnach also folgen, dass auch der Atheismus irrational ist. Stimmt’s?

William Lane Craig

(Übers.: J. Booker)

Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/what-to-do-in-a-standoff

- William Lane Craig