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#517 Was passiert, wenn jemand gestorben ist und mit unvergebenen Sünden vor Gott tritt?

February 02, 2019
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

ich bin ein großer Fan Ihrer Arbeit, vor allem Ihrer Defenders-Seminare. Meine Frage ist: Was geschieht, wenn jemand mit unvergebenen Sünden vor Gott tritt?

Ob, wenn ich vor Gott trete, alle meine Sünden unvergeben sind oder nur ein paar oder vielleicht nur eine einzige, scheint mir auf dasselbe hinauszulaufen, denn die Bibel sagt ja klar, dass es nicht auf die Anzahl ankommt; eine einzige unvergebene Sünde reicht aus, um uns von Gott zu trennen.

Ich stelle diese Frage, weil Sie in Ihrer Defenders-Serie in dem Abschnitt über die Erlösungslehre (Teil 7) sagen, dass Sie glauben, dass Gott eine Sünde erst vergeben kann, wenn sie begangen worden ist und wenn der Sünder ihn um Vergebung gebeten hat, und dass sie nicht glauben, dass Gott auch all die Sünden vergibt, die noch in der Zukunft liegen, also noch nicht begangen worden sind.

Sie sagen:

"Verstehen Sie die Frage, die er hier stellt? Es ist eine schwierige Frage. Er sagt: Wenn man Christ wird, vergibt Gott einem nicht nur die Sünden, die man schon begangen hat, sondern auch die künftigen Sünden. Ich finde das etwas merkwürdig. Ich weiß, dass das oft behauptet wird, aber denken wir doch einmal darüber nach: Wie kann eine Sünde vergeben werden, die man noch gar nicht begangen hat? Es sei denn natürlich, man hält es mit der B-Theorie der Zeit [Gelächter] und stellt sich vor, dass man sich bereits in der Zukunft befindet und diese Sünden getan hat. (Ich muss an dieses Beispiel denken, weil wir das Thema gerade behandelt haben.) Wenn man aber davon ausgeht, dass das zeitliche Werden etwas Reales ist und die Zukunft noch nicht real ist, dann existiert diese künftige Sünde noch nicht – und wie soll sie dann vergeben werden können?

Nein, Christus muss nicht noch einmal für uns sterben oder ein anderes Opfer bringen. Sein Opfer gilt für alle Zeiten. Aber ich verstehe es so, dass Johannes hier sagt, dass wir uns diesen Opfertod zu eigen machen müssen, indem wir vor Gott treten, ihm unsere Sünden bekennen und ihn um Vergebung bitten, wenn wir sie tun. Ich glaube, was diese Aussage besagt, ist, dass der Sühnetod Christi für alle Sünden ausreicht – für die vergangenen, für die, die wir gerade begehen, und für die, die wir noch begehen werden. Aber es bedeutet nicht, dass ich dann, wenn ich vor Christus trete, die Vergebung für Sünden bekomme, die ich noch gar nicht begangen habe."

So wie ich das sehe, glauben Sie also, dass Sie – William Lane Craig – genauso wie der Nichtchrist einmal mit unvergebenen Sünden vor Gott treten werden, weil Sie a) gar nicht alle Ihre Sünden merken und daher auch nicht um Vergebung für sie bitten können (1. Korinther 4,4), weil es b) unmöglich ist, nach seiner Bekehrung ein sündloses Leben zu führen, und weil c) zwischen der Begehung einer Sünde und der Bitte um Vergebung immer etwas Zeit vergeht, in welcher einen der Tod ereilen könnte.

Ich habe also zwei Fragen:

  1. Auf was für einer Grundlage kann man mit unvergebener Sünde vor Gott stehen und trotzdem in den Himmel kommen? Wie kann Gott so etwas durchgehen lassen?
  2. Wenn Sie glauben, dass Sie einmal in den Himmel kommen werden, obwohl Sie mit unvergebenen Sünden vor Gott treten, wie können Sie dann glauben, dass ein Nichtchrist, der mit unvergebenen Sünden vor Gott treten muss, nicht in den Himmel kommt?

Danke.

Chad

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Wie ich während der Sendung in meiner Antwort sagte, ist dies eine schwierige Frage, und Sie sollten meine Antwort nicht als Gesetz der Meder und Perser verstehen. Ich bin jederzeit bereit, meine Meinung zu ändern, falls meine Antwort sich als problematisch erweist.

Die Aussage „Alle meine Sünden sind vergeben“ ist eine universal quantifizierte Aussage (oder auch All-Aussage), und das Problem scheint mir in der Frage zu liegen, was in dem „alle“ inbegriffen ist. Schließt „alle“ auch künftige Sünden ein oder nicht? Ich würde sagen, nein, denn wenn ich von der Objektivität des zeitlichen Werdens ausgehe, habe ich die in der Zukunft liegenden Sünden ja noch gar nicht begangen, sodass ich für sie weder zur Rechenschaft gezogen werden kann noch Vergebung bekommen kann. Einer Sünde, die ich nicht begangen habe, habe ich mich nicht schuldig gemacht! Wenn wir in diesem Satz „alle“ sagen, meinen wir damit also „alle Sünden, die ich begangen habe.“ Das, was in dem „alle“ inbegriffen ist, ändert sich im Laufe der Zeit, in dem Maße, wie ich weitere Sünden begehe. Als ich 30 Jahre alt war, stimmte der Satz „Alle meine Sünden sind vergeben“, und heute stimmt er genauso – aber heute gehören zu den in dem „alle“ mitgedachten Sünden eine Menge Sünden, die ich noch nicht getan hatte, als ich erst 30 war. Es wäre also genauer, wenn wir, anstatt zu sagen: „Alle meine Sünden sind vergeben“, sagen würden: „Alle Sünden, die ich begangen habe, sind vergeben.“

Nun ist es, wie gesagt, so, dass dann, wenn ich in Christus bin, alle Sünden, die ich begangen habe, von Christus bezahlt sind. Ich glaube also, dass dann, wenn ich plötzlich sterbe und es Sünden aus meinem Leben gibt, die ich noch nicht bekannt habe, Gott mir diese Sünden nach meinem Tod vergibt. Was Johannes über das Bekennen von Sünden anordnet, ist der Normalfall des Umgangs mit Sünde in unserem Christenleben, und diesen Normalfall hatte ich in den Sätzen, die Sie oben zitiert haben, im Kopf. Ich glaube selbstverständlich nicht, dass ein Christ seine Erlösung verliert, wenn er plötzlich stirbt, nachdem er, sagen wir, eine Minute zuvor eine verletzende Bemerkung gegenüber seiner Frau gemacht hat.

Um also Ihre Fragen zu beantworten:

  1. Auf was für einer Grundlage kann man mit unvergebener Sünde vor Gott stehen und trotzdem in den Himmel kommen?

Man kann nur dann in den Himmel kommen, wenn man in Christus ist, der für alle Sünden, die wir je begangen haben, die Strafe bezahlt und die Vergebung erwirkt hat.

  1. Wenn Sie glauben, dass Sie einmal in den Himmel kommen werden, obwohl Sie mit unvergebenen Sünden vor Gott treten, wie können Sie dann glauben, dass ein Nichtchrist, der mit unvergebenen Sünden vor Gott treten muss, nicht in den Himmel kommt?

Der Nichtchrist ist nicht in Christus, sodass seine Sünden nicht vergeben werden, da er ja die Bezahlung, die Christus für diese Sünden geleistet hat, nicht anerkennt. Doch der Mensch, der in Christus ist, wird in den Kleidern der Gerechtigkeit Christi vor dem Thron Gottes stehen.

(Übers.: Dr. F. Lux)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/what-happens-when-a-person-appears-before-god-with-unforgiven-sin?

- William Lane Craig