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#506 Warum soll der Hedonismus moralisch verwerflich sein?

January 20, 2017
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

ich bin ein Hedonist, der glücklich sein und etwas vom Leben haben will. Ich sehne mich überhaupt nicht danach, für andere zu leben oder jemandem zu dienen – selbstverständlich auch nicht Gott. Meine persönliche Moral sagt mir, dass das völlig in Ordnung und nichts Strafwürdiges ist, und meine lieben Verwandten und andere liebe Menschen in meinem Leben sehen das genauso.

Aber nach Gottes moralischen Maßstäben ist mein Lebensstil sündig und wird mich in die Hölle bringen. Ich muss Gottes Gebote befolgen und die Sünden, die er darin nennt, meiden. Es reicht nicht, dass ich Jesus als meinen Erlöser annehme; ich muss auch noch ein Leben führen, das von der Heiligkeit Gottes geprägt ist und nicht von meinen hedonistischen Wünschen und Leidenschaften. Ich kann niemanden so lieben – unmöglich! Bitte versuchen Sie nicht, mir vorzuschwärmen, wie liebend, gerecht und moralisch vollkommen Gott ist; Sie werden es nicht schaffen, mich zu überzeugen.

Wahre Liebe, das ist die meiner Verwandten und der anderen lieben Menschen in meinem Leben. Sie kämen nicht auf die Idee, mich für meinen Lebensstil zu bestrafen, mit dem ich sowieso niemandem etwas Böses tue. Versuchen Sie auch hier nicht, mir zu beweisen, dass ich falsch liege; Sie werden es nicht schaffen. Ich betrachte meine eigenen ethischen Maßstäbe als richtig und gerecht und die von Gott als ungerecht und verrückt und befinde mich dabei in bester Gesellschaft; denken Sie nur an so berühmte Skeptiker wie Richard Dawkins, Sean Carrol, Matt Dillahunty, Sam Harris etc.

Wie können Sie denen böse sein? Wie können Sie so tun, als ob sie um die Heiligkeit und moralische Vollkommenheit Gottes wissen, aber halt nichts damit zu tun haben wollen? So ist das doch gar nicht; diese Leute glauben nicht an Gottes Heiligkeit und moralische Erhabenheit, sie glauben das Gegenteil. Wie können Sie ihnen da böse sein, wenn sie ihre blasphemischen Sprüche gegen Gottes Heiligkeit loslassen?

Wie kann man auf die Idee kommen, dass ich und diese anderen Skeptiker die ewigen Höllenstrafen verdient haben, wenn wir gar nicht daran glauben, dass Gott heilig und moralisch gerecht und vollkommen ist? Man sucht sich seine Überzeugungen doch nicht aus wie eine Ware in einem Laden, sondern sie sind das, wozu man aufgrund seiner persönlichen, ehrlichen Überlegungen kommt, wenn man sich all die Fakten und Argumente von allen möglichen Seiten anschaut. Und meine ehrliche Schlussfolgerung und die dieser anderen Skeptiker ist halt, dass Gott ein moralisches Monstrum ist. Nichts und niemand kann diese Leute vom Gegenteil überzeugen und mich auch nicht, und es gibt überhaupt keinen Grund, uns für schuldig zu erklären und zu verdammen!

Matt

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Matt, ich werde Ihre Wünsche respektieren und also nicht versuchen, Sie davon zu überzeugen, dass Gott liebend, gerecht und moralisch vollkommen ist oder dass Sie falsch liegen, wenn Sie Ihren „hedonistischen Wünschen und Leidenschaften folgen“ und sich „überhaupt nicht danach sehnen, für andere zu leben oder jemandem zu dienen.“ Sie haben offenbar Ihre Meinung und basta, und jegliche Gegenargumente und Fakten sind aussichtslos.

Ich möchte Sie aber auf eines hinweisen, weil Sie mir nicht egal sind: Mit dem egoistischen Lebensstil, für den Sie sich entschieden haben, sind Katastrophen vorprogrammiert. Mit Ihrer Einstellung werden Sie nie eine glückliche Ehe oder Familie haben können; stattdessen werden Sie zunehmend einsam und unglücklich werden. Wer sich auf den hedonistischen Trip begibt, wird am Ende gerade kein glückliches und erfülltes Leben bekommen.

Ich bin mir nicht sicher, ob Ihre Verwandten und die anderen „lieben Menschen“ in Ihrem Leben sich darüber klar sind, was Ihre moralische Einstellung bedeutet. Haben sie begriffen, dass es in Ihrer Weltsicht eine bloße subjektive Entscheidung ist, wenn Sie nett zu ihnen und anderen sind, und dass Sie sich genauso dafür entscheiden könnten, sie auszubeuten, zu drangsalieren oder gar umzubringen, wenn Ihnen der Sinn danach stünde? Meinen Sie im Ernst, dass Ihre Freunde glauben, dass der Hedonist, der, sagen wir, beschließt, ein Pädophiler zu werden, nichts Böses tut und nicht bestraft werden sollte? Ich finde definitiv nicht, dass diese Menschen „lieb“ zu Ihnen sind, wenn sie Ihre Lebensphilosophie bejahen. Im Gegenteil, liebevoll wäre es, wenn sie versuchten, Sie von diesem Weg, der Sie letztlich nur kaputtmachen wird, abzubringen. Indem sie zu Ihrer selbstzerstörerischen Weltanschauung Ja sagen, zeigen sie gerade, dass sie Sie offenbar nicht lieben.

Aber jetzt lassen Sie mich auf Ihre Frage antworten. Wie kann ich also Menschen verurteilen, die nicht an „Gottes Heiligkeit und moralische Erhabenheit“ glauben? Nun, ich glaube, dass es auf diese Frage eine ontologische und eine epistemologische Antwort gibt. Ontologisch betrachtet, kann ich diese Menschen durchaus verurteilen, da Gott ja existiert und es mithin objektive Maßstäbe für „richtig“ und „falsch“ gibt, an die wir uns halten sollten. Wenn Gott existiert, dann handeln Menschen, die ihren hedonistischen Leidenschaften und Wünschen folgen und nicht bereit sind, für jemand anderen zu leben oder ihm zu dienen, zutiefst unmoralisch und sind daher moralisch verdammenswert. Sie verstoßen ja gegen die beiden größten Gebote Gottes: (1) dass ich Gott, den Herrn, von ganzem Herzen und ganzer Seele und mit all meiner Kraft und meinem Verstand lieben soll und (2) meinen Nächsten so lieben soll wie mich selbst.

Ich habe den Eindruck, dass Sie es sind, Matt, der sich hier in einer unhaltbaren Situation befindet. Wenn der Hedonismus wahr ist, dann kann ich Ihren Lebensstil nicht verdammen – aber Sie meinen auch nicht! Nach Ihrer eigenen Philosophie habe ich genauso das Recht wie Sie, das zu tun, was mir Spaß macht, und wenn es mir Spaß macht, ein selbstgerechter Pharisäer zu sein, der über andere herzieht, wie können Sie da behaupten, dass das falsch oder böse sei? Ehrlich gesagt, der Unterton der moralischen Empörung, der Ihren Brief durchzieht, kommt mir komisch vor. Könnte es sein, Matt, dass Sie in Ihre Argumentation objektive moralische Maßstäbe eingeschmuggelt haben, die unabhängig von dem Prinzip sind, was dem Einzelnen am meisten Vergnügen bringt?

Epistemologisch betrachtet, würde ich sagen, dass die, die Gottes Heiligkeit und moralische Gerechtigkeit ablehnen, sich schuldig machen, und dies aus folgenden Gründen:

1. Gott hat sich uns in der Natur und in unserem Gewissen so deutlich geoffenbart, dass die, die ihn ablehnen, sich damit schuldig machen. Die Bibel sagt:

Denn Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird seit der Schöpfung der Welt ersehen aus seinen Werken, wenn man sie wahrnimmt, sodass sie [die Menschen] keine Entschuldigung haben. … Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du auch bist, der du richtest. Denn worin du den andern richtest, verdammst du dich selbst, weil du ebendasselbe tust, was du richtest. Wir wissen aber, dass Gottes Urteil recht ist über die, die solches tun. (Römer 1,20; 2,1-2)

Darüber hinaus gibt es gute Argumente, die es recht wahrscheinlich machen, dass Gott existiert, darunter das sogenannte Moral-Argument, nach welchem Gott der Inbegriff des moralisch Guten und die Quelle des Moralgesetzes ist und das beweist, dass Gott in der Tat „liebend, gerecht und moralisch vollkommen“ ist. Die Skeptiker, einschließlich der „großen Namen“, die Sie erwähnen, wissen um diese Argumente und haben es meiner wohlbegründeten Meinung nach nicht vermocht, sie zu widerlegen.

2. Das Zeugnis des Heiligen Geistes für die Wahrheit des christlichen Theismus reicht aus, um Gott kennenzulernen – selbst bei denen, die mit den Argumenten für Gottes Existenz nicht vertraut sind. Wer diesem Zeugnis des Heiligen Geistes widersteht, stellt sich gegen Gott selber, was seine Schuld noch steigert.

Es ist interessant, wie Sie auf diese Einwände antworten. Sie schreiben: „Man sucht sich seine Überzeugungen doch nicht aus wie eine Ware in einem Laden, sondern sie sind das, wozu man aufgrund seiner persönlichen, ehrlichen Überlegungen kommt, wenn man sich all die Fakten und Argumente von allen möglichen Seiten anschaut. Und meine ehrliche Schlussfolgerung und die dieser anderen Skeptiker ist halt, dass Gott ein moralisches Monstrum ist.“

Ich sehe es nicht so, dass man sich seine Überzeugungen nicht aussucht. Manchmal geht es wirklich um eine bewusste Wahl. Ein Sünder, der von seinen hedonistischen Leidenschaften nicht lassen will, hat ein persönliches Interesse daran, sich Gott vom Leib zu halten, sodass er die Fakten, die dafür sprechen, dass es Gott gibt, womöglich ignoriert oder beiseite wischt. Jeder von uns hat einen skeptischen Wachhund in seinem Hinterkopf, der anschlägt, wenn wir mit Aussagen konfrontiert werden, die wir nicht mögen, und der ruhig bleibt, wenn unsere eigene Meinung bestätigt wird. Ich staune immer wieder, was für Absurditäten die Menschen zu glauben bereit sind, um nicht an Gott glauben zu müssen. Zum Beispiel, dass das gesamte Universum eines schönen Tages einfach so und völlig unverursacht entstand – eine Behauptung, die verrückter ist als der schlimmste Hokuspokus und die diese Leute, wenn es um andere Realitäten in ihrem Leben geht, nie akzeptieren würden. Man braucht sich nur anzuschauen, wie diese Skeptiker auf die Argumente und Fakten, die für die Existenz Gottes sprechen, reagieren, um zu sehen, dass sie nicht die objektiven, unvoreingenommenen Denker sind, für die Sie sie halten. Dazu noch ihr beharrlicher Widerstand gegen das Zeugnis des Heiligen Geistes, und es wird klar, dass wir uns unsere Überzeugungen manchmal doch aussuchen.

Aber ich muss noch einen sehr wichtigen Punkt anführen, Matt, falls Sie immer noch weiterlesen. Was meinen Sie eigentlich, wenn Sie von den „moralischen Maßstäben Gottes“ reden? Woher wollen Sie wissen, was diese Maßstäbe sind? Sicher nicht aus dem Moral-Argument, das beweist, dass Gott vollkommen heilig und gerecht ist! Was die Skeptiker meinen, sind vielmehr die Beschreibungen Gottes in der Bibel, speziell im Alten Testament. Sie lehnen diese Beschreibungen Gottes ab. Was Ihr Problem in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt.

Wie ich in Q&A 16 über die von Gott angeordnete Auslöschung der Kanaaniter schrieb, gibt es im Alten Testament Passagen, die in der Tat moralisch schwierig sind, und ich habe Verständnis dafür, wenn Skeptiker denken, dass Gott doch unmöglich so sein kann. Ich kann diesen Menschen nicht böse sein. Aber worum es bei diesen anstößigen Texten eigentlich geht, ist doch gar nicht so sehr die Existenz oder moralische Erhabenheit Gottes (die sich ja schon aus dem Moral-Argument und dem Ontologischen Argument ergeben), sondern vielmehr die Inspiration und Irrtumslosigkeit des Alten Testaments. Wenn diese Texte sich entgegen dem, was ich zu zeigen versucht habe, nicht mit einem vollkommenen guten und liebenden Gott vereinbaren lassen, dann ist dies ganz offensichtlich keine Widerlegung der Existenz Gottes, sondern eine Widerlegung der Zuverlässigkeit dessen, was das Alte Testament über Gott aussagt. Letztlich kann man diese Texte ablehnen, ohne damit auch Gott oder das Christentum abzulehnen.

Aber ich hoffe, Matt, dass Sie doch nicht so engstirnig sind, wie Sie sich selber darstellen. Immerhin haben Sie sich ja die Zeit genommen, mir zu schreiben! Ich hoffe, Sie schauen sich noch einmal gründlich die Fakten an, die dafür sprechen, dass es in der Tat einen heiligen und gerechten Gott gibt.

(Übers.: Dr. F. Lux)

Link to the original article in English: www.reasonablefaith.org/why-are-hedonists-worthy-of-moral-comdemnation

- William Lane Craig