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#421 Warum ist das Christentum dem Judentum und dem Islam vorzuziehen?

January 14, 2016
F

Hallo Herr Prof. Craig,

Ich habe mich immer gefragt, warum Sie das Christentum als die einzig wahre Religion bezeichnen (wie Sie sagen, basiert Ihre Sicht auf historischen Fakten). Aber wie können Sie so sicher sein, wenn islamische und jüdische Gelehrte dieselbe Behauptung aufstellen?

Ich war früher Atheist und bin jetzt Agnostiker. Daher ist die Frage, welche Religion zu wählen wäre, für mich essentiell. Ich bin sehr vertraut mit Islamischer Theologie, und entgegen Ihrer Behauptung bekräftigt der Islam, dass Christen, Juden und Muslime denselben Gott anbeten. („Allah“ ist nicht ein spezieller Gott der Muslime, sondern es ist der arabische Begriff für Gott.)

Was ist also Ihre Position gegenüber dem Islam? (Und ich würde wirklich gerne wissen, woher Sie Ihre Informationen über islamische Theologie beziehen.)

Ich würde auch gerne einige Zeit investieren, um mich mit christlicher Theologie zu beschäftigen. Können Sie mir einige einleitende Bücher empfehlen?

Vielen Dank.

Sultan

United States

Prof. Craigs Antwort


A

[Die kurze Antwort auf Ihre Frage, warum das Christentum dem Islam oder dem Judentum vorzuziehen ist, lautet: Jesus von Nazareth. Judentum, Christentum und Islam sind die drei großen monotheistischen Glaubensrichtungen, sie sind genetisch verwandt und haben vieles gemeinsam, aber was sie trennt ist ihre Auffassung darüber, wer Jesus ist. Ich bin der Ansicht, dass weder das Judentum noch der Islam eine befriedigende historische Darstellung der Person und des Werkes von Jesus von Nazareth bieten.

Mein Interesse am islamischen Denken wurde entzündet durch meine Beschäftigung mit der Geschichte des sogenannten "Kalam-kosmologischen Argumentes“, besonders seine Weiterentwicklung durch mittelalterliche islamische Theologen wie al-Ghazali. Tatsächlich war es aufgrund ihres Beitrags zur Entwicklung des Argumentes, dass ich es Kalam- kosmologisches Argument genannt habe. („Kalam“ ist, wie Sie vielleicht wissen, der arabische Begriff für die islamische Lehre.) Das Argument geht zurück auf die vor-islamische christliche Periode. In meinem Buch „Das Kosmologische Argument von Platon bis Leibniz“ [1] kann man mehr über den Beitrag islamischer Denker zu dieser und anderen Formen des kosmologischen Argumentes nachlesen.

Nachdem mein Interesse am Islam also geweckt war, wählte ich Islam als eines meiner beiden Spezialgebiete, in denen ich mich im Rahmen des Examens zum Doktor der Theologie an der Universität München prüfen lassen wollte. Sowohl die Lehren des Korans als auch die Dogmengeschichte der islamischen Theologie haben mich sehr fasziniert. Damals hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich einmal das Privileg haben würde, in den USA, Kanada und Südafrika mit muslimischen Apologeten zu debattieren und dass ich Vorlesungen über Islam und Christentum nicht nur in Nordamerika und Europa, sondern auch an muslimischen Universitäten in der Türkei und Tunesien halten würde.

Sie haben sicher recht, dass „Allah“ einfach das arabische Wort für Gott ist, es wird so auch im arabischen Neuen Testament verwandt, aber aus der gemeinsamen Verwendung von Worten oder Vokabeln folgt nicht, Sultan, dass Christen und Muslime dieselbe Vorstellung von Gott haben. Kein Muslim würde zustimmen, dass Gott eine Dreieinigkeit von Personen ist, wie Christen das glauben. Wie Sie vermutlich wissen, verdammt der Koran jeden zur Hölle, der behauptet, Jesus sei Gottes Sohn, was für Christen ein wichtiger Glaubenssatz ist (Koran, Sure 5, Vers 72 [2]). Außerdem habe ich ausgeführt, dass sich der Charakter Gottes im Neuen Testament fundamental vom Charakter Gottes im Koran unterscheidet.

Der Gott des Neuen Testamentes liebt die Ungläubigen mit bedingungsloser und uneingeschränkter Liebe (Matth. 5, 43-48), während der Gott des Korans keine Liebe für die Ungläubigen hat, sondern nur die treuen Muslime liebt (Suren 3,25; 19,95).

Aber die wirkliche Achillesferse des Islam ist seine Darstellung des historischen Jesus. Es ist eine Ironie, dass der Koran ausgerechnet die am besten bezeugte Tatsache über Jesus ablehnt, nämlich seine Kreuzigung (Sure 4, 157 [3]). Nicht nur gibt es nicht den geringsten Hinweis für diese bemerkenswerte Hypothese, sondern die Beweise für die Kreuzigung Jesu sind, wie es der Neutestamentler L. T. Johnson von der Emory University ausdrückt, „überwältigend“. (Vgl. sein Buch The Real Jesus [Der wirkliche Jesus], Harper, San Francisco 1996, S.125). Paula Frederickson, deren Buch From Jesus to Christ [Von Jesus zu Christus] die gleichnamige Dokumentation auf PBS inspirierte, erklärt: „Die Kreuzigung ist die am stärksten bezeugte Tatsache, die wir über Jesus haben.“ (Society of Biblical Literature meeting, 22. November 1999). Die Kreuzigung Jesu wird selbst von den sonst prinzipiell skeptischen Kritikern des „Jesus-Seminars“ als eine – um Robert Funk zu zitieren – „nicht zu leugnende Tatsache“ anerkannt (zitiert aus einem Jesus-Seminar Video).

Wenn wir bedenken, dass der Koran von einem Mann geschrieben wurde, der in Arabien etwa 600 Jahre nach Jesus lebte und keine unabhängigen Informationen über ihn hatte, dann ist es nicht verwunderlich, dass seine Sicht von Jesus verzerrt war. Was immer man sonst über den Islam sagen will, seine Sicht von Jesus ist falsch, und damit kann diese Religion nicht wahr sein. Es gibt auf dieser Webseite gutes Material über Islam und Christentum unter folgenden Links:

www.reasonablefaith.org/who-is-the-real-jesus-the-jesus-of-the-bible-or-the-jesus-of-the-quran,

www.reasonablefaith.org/media/craig-vs-ally-canada, www.reasonablefaith.org/media/craig-vs-badawi-university-of-illinois

Was das Judentum angeht, so ist es entscheidend zu bedenken, dass Jesus behauptete, der jüdische Messias zu sein, und dass dies durch seine Auferstehung bestätigt wird. Jüdische Gelehrte erkennen nach und nach die historischen Fakten an, die Jesu Auferstehung untermauern, und es fällt ihnen schwer, eine Erklärung für diese Fakten zu bieten, die ohne die Auferstehung Jesu auskommt. Einer von ihnen, der vor einigen Jahren verstorbene Pinchas Lapide [4], dessen Vorlesungen ich an der Münchener Universität gehört habe, hat erklärt, er sei selber überzeugt, dass der Gott Israels Jesus von Nazareth von den Toten auferweckt habe. Er sagte auch, dass Jesus von sich selbst geglaubt habe, der Messias zu sein. Mein Doktorvater Prof. Dr. Wolfhart Pannenberg merkte damals an, dass es Lapide merkwürdigerweise schwer fiel, eins und eins zusammenzuzählen und aus diesen beiden Punkten die naheliegenden Konsequenzen zu ziehen. Wenn Sie interessiert sind, wie jüdische Gelehrte auf diese Beweise antworten, dann schauen Sie sich meine Debatte mit Peter Zaas an: Who was Jesus? A Jewish-Christian Dialogue. [Wer war Jesus? Ein jüdisch-christlicher Dialog], Hrsg. von Craig Evans und Paul Copan, Westminster-John Knox Press, 2002, 205 Seiten.

Sie fragen: “Wie können Sie so sicher sein, wenn doch jüdische und islamische Gelehrte dieselben Behauptungen aufstellen?” Nun deswegen, weil sie die Indizien, die sich auf Jesus beziehen, nicht so gut erklären können wie das Christentum. Ich lade Sie ein, dass Sie sich das Material anschauen, das ich erwähnt habe, und für sich selbst entscheiden.

Als gute Einführung in die christliche Theologie empfehle ich Ihnen die dritte Auflage von Bruce Milnes Buch Know the truth (Downers Grove, Il.: Inter-Varsity, 2009) oder meine eigenen Vorlesungen zu christlicher Theologie unter: www.reasonablefaith.org/defenders-2-podcast .

(Übers.: M. Ebeling; L: RN)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/why-christianity-rather-than-judaism-or-islam

  • [1]

    W.L. Craig: The Cosmological Argument from Plato to Leibniz, Wipf & Stock 2001, 318 Seiten, ca. 25 €,

    ISBN-13: 978-1579107871, bislang noch nicht ins Deutsche übersetzt.

  • [2]

    Koran, Sure 5, Vers 72, nach der Übersetzung von Rudi Paret: "Ungläubig sind diejenigen, die sagen: 'Gott ist Christus, der Sohn der Maria.' Christus hat (ja selber) gesagt: 'Ihr Kinder Israels! Dienet Gott, meinem und eurem Herrn!' Wer (dem einen) Gott (andere Götter) beigesellt, dem hat Gott (von vornherein) den Eingang in das Paradies versagt (w. das Paradies verboten). Das Höllenfeuer wird ihn (dereinst) aufnehmen. Und die Frevler haben (dann) keine Helfer."

    Vers 73 droht die Höllenstrafe ebenfalls für diejenigen an, die an die Dreieinigkeit glauben: "Ungläubig sind diejenigen, die sagen: 'Gott ist einer von dreien.' Es gibt keinen Gott außer einem einzigen Gott. Und wenn sie mit dem, was sie (da) sagen, nicht aufhören (haben sie nichts Gutes zu erwarten). Diejenigen von ihnen, die ungläubig sind, wird (dereinst) eine schmerzliche Strafe treffen." (A.d.L.)

    (Anm. d. Übers.)

  • [3]

    Koran, Sure 4, 157: "und (weil sie) sagten: 'Wir haben Christus Jesus, den Sohn der Maria und Gesandten Gottes, getötet.' – Aber sie haben ihn (in Wirklichkeit) nicht getötet und (auch) nicht gekreuzigt. Vielmehr erschien ihnen (ein anderer) ähnlich (so dass sie ihn mit Jesus verwechselten und töteten)." (A.d.L.)

  • [4]

    Pinchas Lapide, jüdischer Religionswissenschaftler, 1922-1997, Autor von über 35 Büchern, die in 12 Sprachen übersetzt wurden. (Anm. d. L.)

- William Lane Craig