English Site
back
05 / 06

#386 Warum Gott der Vater und Gott der Sohn?

July 12, 2016
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

Es freut mich sehr, mich online an Sie wenden zu können. …

Mir ist klar, wie wichtig die Lehre von der Dreieinigkeit ist. Ich habe keinen Zweifel, warum ich an einen dreieinigen Gott glauben soll. Aber ich frage mich: Was ist der Grund für die Vater-Sohn-Beziehung bei dem dreieinigen Gott?

Es gibt in der Welt so viele Beziehungen, z.B. Sohn, Tochter, Mutter, Vater, Schwester, Bruder, Freund, Kumpel, Kollege. Warum wollte Gott sich ausgerechnet als Gott der Vater und Gott der Sohn offenbaren? Warum wollte er zu der zweiten Person der Trinität nicht in einer anderen Beziehung stehen, z.B. ihre Mutter sein oder ihr Freund?

Nun ja, eine andere Beziehung als die Vater-Sohn-Beziehung würde wahrscheinlich die gleiche Frage aufwerfen – warum Mutter und Sohn oder Tochter und nicht etwas anderes? Kann man begründen, warum Jesus als der Sohn des Vaters auf die Erde kam?

Sangeetha

India

Prof. Craigs Antwort


A

Ihre Frage, Sangeetha, geht davon aus, dass Gott ein dreieiniger Gott ist; fangen wir also damit an. Viele Theologen unterscheiden zwischen der ontologischen (immanenten) und der ökonomischen (heilsgeschichtlichen) Trinität. Bei der ontologischen Dreieinigkeit geht es um Gottes Wesen an sich, unabhängig von seinen Geschöpfen, bei der ökonomischen um Gott in Bezug auf uns, insbesondere was die Rollen betrifft, die die verschiedenen Personen der Trinität bei unserer Erlösung spielen. Mir scheint, dass Sie mit Ihrer Frage „Warum wollte Gott sich ausgerechnet als Gott der Vater und Gott der Sohn offenbaren? Warum wollte er zu der zweiten Person der Trinität nicht in einer anderen Beziehung stehen, z.B. ihre Mutter sein oder ihr Freund?“ die ökonomische von der ontologischen Trinität trennen, so, als ob Gott sich als etwas offenbaren könnte, was unvereinbar mit seinem Wesen ist.

Nach der klassischen Dreieinigkeitslehre, wie sie auf dem Konzil von Nicäa (325 n.Chr.) verkündet wurde, hat Gott der Vater von Ewigkeit Gott den Sohn gezeugt. Diese Beziehung wird manchmal auch Filiation genannt; es besteht eine wesensmäßige Vater-Sohn-Beziehung zwischen der ersten und der zweiten Person der Trinität. Es ist somit unmöglich, dass die Personen der Trinität bloße Freunde, Kollegen oder Geschwister sind. Bleibt als Einziges die Frage des Geschlechtes: Warum Gott der Vater und der Sohn und nicht die Mutter und die Tochter? Warum offenbaren sich die Personen der Dreieinigkeit (die ja als nichtkörperliche Wesen kein „biologisches“ Geschlecht haben können) in männlichen Kategorien? Die Bibel sagt ja auch, dass Männer wie Frauen nach dem Bilde Gottes erschaffen sind, sodass zu Gottes Wesen männliche wie weibliche Eigenschaften (im nichtbiologischen Sinne) gehören müssen. Warum hat Gott sich da ausgerechnet als Vater und Sohn geoffenbart?

Im Alten Testament gibt es Passagen, in denen Gott sich als Mutter bezeichnet, die fürsorglich für ihre Kinder da ist. Doch Jesus sah in Gott seinen himmlischen Vater und offenbarte ihn auch so. Mit dem Bild von Gott dem Vater bringt Jesus zwei Eigenschaften Gottes zum Ausdruck, für die das Bild von Gott als Mutter weniger passen würde. Gott der himmlische Vater – darin liegt sowohl die väterliche Liebe, die Gott zu uns hat, als auch die Autorität, die der Vater als Haupt der jüdischen Familie ausübte. Kein anderes Bild könnte das Miteinander dieser beiden Eigenschaften Gottes so schön und passend ausdrücken.

Was die zweite Person der Trinität betrifft, so ist es offensichtlich, dass Jesus, der eindeutig ein Mann war, „Sohn Gottes“ genannt wird. Es wäre höchst unpassend, Jesus von Nazareth Gottes Tochter zu nennen. Hätte die zweite Person der Dreieinigkeit sich dafür entschieden, als Frau Mensch zu werden, wäre dagegen der Titel „Gottes Tochter“ der richtige. Aber es ist (mindestens) zweifelhaft, dass Gott durch eine Inkarnation der zweiten Person der Trinität als Frau am besten sein Wesen offenbaren oder die Welt hätte erreichen können.

Wenn wir nicht von der klassischen Lehre der Beziehungen innerhalb der ontologischen Trinität ausgehen, wird es schwieriger, auszuschließen, dass Gott sich z.B. auch als drei Freunde hätte offenbaren können. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass Jesu Status als von Gott dem Vater gezeugter Sohn im Neuen Testament in Bezug auf seine menschliche Natur dargestellt wird. Die klassische Dreieinigkeitslehre dagegen stellt die zweite Person der Trinität darüber hinaus in Bezug auf ihre göttliche Natur als gezeugt dar. Dass Jesus von Gott in der Jungfrau Maria gezeugt wurde, macht es nur folgerichtig, ihn Sohn Gottes zu nennen. Wie der Engel zu Maria sagte: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind, das du zur Welt bringst, heilig sein und Gottes Sohn genannt werden“ (Lukas 1,35 NGÜ). Die Tatsache, dass Jesus männlich ist, macht es unmöglich, ihn „Gottes Tochter“ zu nennen, und wir können die erste Person der Dreieinigkeit nur als seinen himmlischen Vater bezeichnen. Es ist auch unmöglich, dass die ökonomische Trinität aus bloßen Freunden oder Geschwistern besteht.

Ob wir also an die göttliche Natur Jesu denken oder an seine menschliche Natur – ich glaube, es ist deutlich, warum Gott sich uns als Gott der Vater und Gott der Sohn geoffenbart hat. (Und vergessen wir bitte auch nicht den Heiligen Geist!)

(Übers.: Dr. F. Lux)

Link to the original article in English: www.reasonablefaith.org/why-god-the-father-and-god-the-son

- William Lane Craig