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#274 War Christus eine göttlich-menschliche Person?

April 08, 2018
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

ich habe viele Ihrer Bücher gelesen, höre regelmäßig Ihre Podcasts und habe Sie als Redner in persona erlebt. Ich versuche gerade, eine Frage zu entwirren, und ich brauche Ihre Hilfe.

Ich brauche Klärung über die Person Christi, damit ich effektiv unitarischen Theisten, wie beispielsweise Moslems, antworten und meine eigene Verwirrung klären kann.

In Christus finden wir eine einzigartige Person, die ganz Gott und ganz Mensch ist. So könnten wir dies in einer Gleichung wie folgt darstellen: Gott + Mensch = Christus.

Wir wissen aus der Bibel, dass wir Gott allein anbeten sollen, doch die Person Christi akzeptiert Anbetung von Thomas und wird im Gebet von Stephanus angeredet.

Aber wie kann das sein, da Christus nicht allein Gott ist, sondern für immer der Gott-Mensch? Als ein Christ bete ich nicht den menschlichen Körper Christi an, sondern ich bete seine Person an. Und diese Person ist nicht nur Gott, sondern auch Mensch. Verletzt dies nicht das Prinzip der Schrift, Gott allein anzubeten?

Bitte helfen Sie mir, mein Denken zu entwirren, damit ich effektiv mit anderen kommunizieren kann. Danke.

Kerry

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Ihre Frage wirft subtile, aber wichtige Fragen der Christologie an, Kerry. Die orthodoxe Doktrin, die bei dem Konzil von Chalzedon (451) verkündet wurde, lautet, dass Christus eine Person mit zwei vollständigen Naturen ist, einer menschlichen und einer göttlichen. Statt also zu sagen, Christus ist „ganz Gott und ganz Mensch“, was wie ein Widerspruch klingt, sollten wir vielmehr mit dem Konzil sagen, dass Christus wahrer Gott und wahrer Mensch ist (vere Deus, vere homo).

Sie haben recht, dass die Anbetung sich allein an Gott richten soll und dass die Anbetung im Neuen Testament rechtmäßig an Jesus Christus gerichtet wird. Daraus folgt, dass Christus Gott ist. Ferner haben Sie recht, wenn Sie sagen, dass wir die Person Christi anbeten, das heißt, die Person, die Christus ist.

Wo Sie in Ihrem Denken irren ist, dass “diese Person nicht nur Gott, sondern auch Mensch ist.” Das ist ein Fehler. Christus ist die zweite Person der Trinität, die vor seiner Inkarnation existierte. Er ist Gott, schlicht und einfach. Er ist eine göttliche Person, nicht eine göttlich-menschliche Person. Aus diesem Grund gaben Theologen des Mittelalters immer darauf Acht, sich niemals auf Jesus als menschliche Person zu beziehen. Er ist eine göttliche Person, die die menschliche Natur zu seiner göttlichen Natur, die er bereits besaß, zusätzlich angenommen hat. Aufgrund dessen, dass er sowohl eine vollständig menschliche Natur als auch eine göttliche Natur besitzt, ist Christus sowohl Gott als auch Mensch, menschlich und göttlich. Aber er ist nicht eine menschliche Person. Er ist eine göttliche Person, die sowohl eine menschliche als auch eine göttliche Natur besitzt.

Dass dies die angemessene Art ist, die Person Christi zu verstehen, geht aus einigen der frühen christologischen Debatten hervor. Beispielsweise war Nestorius, Erzbischof von Konstantinopel, dagegen, Maria als „Mutter Gottes“ (theotokos) zu bezeichnen, denn das, was sie in ihrem Leib zeugte und trug, war nicht die göttliche Natur Christi, sondern seine menschliche Natur.

Aber das Konzil von Chalzedon billigte die Bezeichnung Marias als „der Mutter Gottes“, weil die Person, die sie trug und gebar, göttlich war. Es stimmt, sie zeugte nicht seine göttliche Natur, sondern seine menschliche Natur; aber die Person, die sie trug, war die göttliche zweite Person der Trinität. Somit wird sie zurecht die Mutter Gottes genannt. Unglücklicherweise wurde diese Bezeichnung vollkommen (wenn auch verständlicherweise) von Mohammed Jahrhunderte später missverstanden, zum bleibenden Nachteil der Religion, die er zu gründen half.

Ferner waren das Konzil von Chalzedon und alle Theologen danach sehr darauf bedacht, zu leugnen, dass die individuell menschliche Natur Christi (diese Zusammensetzung aus Körper und Seele, die über die Hügel und entlang der Ufer von Galiläa ging) eine Person war. Dies würde bedeuten, zwei Personen in Christus zu postulieren, eine menschliche und eine göttliche. Die Kirchenväter bestanden darauf, dass es nur eine Person gibt, die Christus ist, und dass diese Person göttlich ist. Die Regel, der alle orthodoxen Christologien folgen müssen, lautete: die Person weder teilen, noch die Naturen miteinander vermischen.

Nun beantwortet dies offensichtlich nicht alle Fragen! In der Tat bleibt vielleicht die schwierigste: Wie kann eine Person zwei Naturen haben, eine menschliche und eine göttliche? Insbesondere, wenn Christus eine vollständig menschliche Natur hatte, warum gab es dann keine menschliche Person? Diese Fragen habe ich versucht, in unseren Defenders-Podcasts über die Lehre von Christus und in dem Buch Philosophical Foundations for a Christian Worldview anzugehen.

(Übers.: B. Currlin)

Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/was-christ-a-divine-human-person

- William Lane Craig