#169 War Barabbas nur eine literarische Fiktion?
February 15, 2019Sehr geehrter Prof. Craig,
sicher erinnern Sie sich, wie Richard Carrier in seiner Debatte mit Ihnen (video/audio) den Punkt anschnitt, dass Barabbas möglicherweise eine literarische Schöpfung von Markus war, da die Bedeutung des Namens und auch das mögliche Gleichnis für die jüdische Praxis der Opferung von Ziegen zur Vergebung von Sünden darauf hinweisen.
In Ihrer Erwiderung sagten Sie, dass es möglicherweise die Eltern von Barabbas waren, die ihm einen symbolischen Namen gaben, und nicht unbedingt Markus. Mit anderen Worten halten Sie es für einen Zufall, dass nun gerade beide „der Sohn eines Vaters“ waren. Das Problem dabei ist aber, dass in früheren griechischen Handschriften (soweit ich gehört habe), Barabbas „Jesus Barabbas“ genannt wurde, also – Jesus, der Sohn eines Vaters.
Wir haben also zwei Männer mit dem Namen Jesus und der Betonung, dass sie „der Sohn eines Vaters“ waren, und einer von ihnen wird freigelassen, während der andere zur Sühne für die Sünden geopfert wird.
Dies scheint, wie Richard hervorhob, ein offensichtliches Gleichnis für die Tradition des Sündenbocks zu sein.
Und auch wenn ich verstehe, dass das Argument für die Auferstehung nicht von der allgemeinen Zuverlässigkeit der Evangelien abhängt, würde dies definitiv Zweifel auf Markus oder zumindest auf seinen Bericht über die Kreuzigung und die Grablegung werfen. Was aber meiner Meinung nach die meisten Bedenken weckt ist die Tatsache, dass die anderen Evangelien, die angeblich von Markus unabhängig sind, uns ebenfalls die Geschichte von Barabbas erzählen.
Es würde mich interessieren, Ihre Antwort darauf zu erfahren.
Danke schön, und Gottes Segen.
Filip
United States
Prof. Craigs Antwort
A
Ich fürchte, es kursiert sehr viel Fehlinformation über Barabbas in der nicht-gläubigen Online-Community.
Der Name „Barabbas“ ist eine Zusammensetzung aus den aramäischen Wörtern „bar“ (Sohn) und „abba“ (Vater). Im Griechischen wird am Ende ein Sigma („s“) hinzugefügt, wie bei bestimmten anderen männlichen Namen.
„Barabbas“ ist in Wirklichkeit kein ungewöhnlicher Name, sondern ein häufig belegter Beiname. Belege für die aramäische Form „Bar-Abba“ findet man schon seit dem fünften Jahrhundert vor Christus bis in die ganze Zeit der Rabbis in der Periode der Amoraim vom zweiten bis zum fünften Jahrhundert nach Christus. Wir haben sogar eine Inschrift aus der Zeit Christi in einer Grabhöhle bei Giv’at ja-Mivtar in der Nähe von Jerusalem mit dem Namen „Abba“, dem Namen eines Mannes, dessen Sohn im Griechischen Barabbas genannt würde. Die Tatsache, dass Barabbas ein häufiger Beiname war, entkräftet jedes Argument, das auf dem vermeintlich ungewöhnlichen Charakter dieser Bedeutung beruht. Semitische Namen brachten oft eine tiefere Bedeutung zum Ausdruck, und das ist auch hier der Fall.
Eine weitere interessante Möglichkeit, die zumindest erwähnt werden sollte, ist, dass „Barabbas“ vielleicht nicht der Familienname des Mannes war, sondern ein Spitzname, den seine Anhänger ihm gaben. Der dritte jüdische Aufstand (132-135 n. Chr.) wird nach dem Anführer dieses Aufstandes gewöhnlich als Bar Kochba-Aufstand bezeichnet. Doch der wirkliche Name dieses Mannes war Simon ben Kosiba. „Bar Kochba“, was im Aramäischen „Sternensohn“ bedeutet, war der Name, den seine Anhänger ihm nach 4. Mose 24,17 gaben. Es interessant, dass Markus Barabbas folgendermaßen einführt: „Es war aber einer, genannt Barabbas, mit den Aufrührern gefangen, die in dem Aufstand einen Mord begangen hatten“ (Markus 15,7). Die Verwendung des bestimmten Artikels zeigt, dass Markus davon ausgeht, dass seine Leser wissen, welchen Aufstand er meint. Barabbas war offenkundig ein Rebellenführer, der „Barabbas“ „genannt wurde“ (vgl. Josephus‘ Hinweis auf Jakobus „den Bruder Jesu, der Christus genannt wurde“ [Jüdische Altertümer 20.9.1 §200]). Es ist nicht unplausibel, dass „Barabbas“ ein Name war, den dieser Aufrührer gerade wegen seiner symbolischen Bedeutung von seinen Anhängern erhielt.
Was den Vornamen „Jesus“ (im Namen „Jesus Barabbas“) betrifft, ist dieser nur in einigen Handschriften des Matthäusevangeliums in Matthäus 27,16-17 belegt. Ironischerweise ist das beste Argument dafür, dass er zum ursprünglichen Text gehört, genau das Gegenteil der Argumentation von Nicht-Gläubigen, nämlich dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass Christen den Namen des Herrn Jesus einem sündigen Verbrecher zuschreiben würden; wahrscheinlicher wäre, dass sie ihn weglassen würden! Umstritten ist, ob es sich um eine Hinzufügung bei einer späteren Abschrift handelt. Doch in jedem Fall würde seine Ursprünglichkeit nur zeigen, dass sie zum Text von Matthäus gehört, nicht aber zum Text von Markus, der früher ist.
Der Name „Barabbas“ zieht also in keiner Weise die Historizität der Begebenheit mit Barabbas in Zweifel, die zur Passionsgeschichte vor Markus gehört und somit sehr früh zu datieren ist und durch Johannes unabhängig belegt ist (Joh 18,40).
Was den Sündenbock betrifft, ist diese Hypothese verfehlt, da der Sündenbock nicht zum Passahfest gehörte, an dem Jesus starb, sondern zum Jom Kippur, das zu einer anderen Zeit gefeiert wurde. Außerdem wurden die Sünden der Menschen symbolisch auf den Sündenbock gelegt, der dann in die Wüste getrieben wurde. Diese Interpretation der Barabbas-Begebenheit würde Barabbas und nicht Jesus zu demjenigen machen, der unsere Sünden trug! Theologisch wäre es also völlig verfehlt, die Barabbas-Geschichte auf dieser Basis zu konstruieren.
(Übers.: M. Wilczek)
Link to the original article in English:
http://www.reasonablefaith.org/barabbas
- William Lane Craig