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#254 Die Korrespondenztheorie der Wahrheit und Kontrafaktuale der Freiheit

January 14, 2016
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

In seinem Buch “ Four Views on Divine Providence“ [1] stellt der Gelehrte Paul Kjoss Helseth einige Anfragen an Ihr molinistisches Modell, auf die Sie bisher nicht die Gelegenheit hatten, im Detail einzugehen.

Für mich lautet die wichtigste und entscheidendste Frage Helseths:

“Was ist der ontologische Status des Kontrafaktuals kreatürlicher Freiheit für Molinisten im Allgemeinen und für Prof. Dr. Craig im Besonderen?“ (S.101)

Meiner Meinung nach steht oder fällt das molinistische Modell mit der Antwort auf diese Frage.

Sofern ich Helseths Frage recht verstehe, will er wissen, ob solche Kontrafaktuale [2] sich auf eine ontologisch objektive Realität bezieht. (Er fragt nicht, ob solche Kontrafaktuale qua Propositionen, also als abstrakte Objekte in einem platonischen Sinne existieren).

Darüber hinaus möchte ich noch eine weitere ähnliche Frage zu der von Helseth hinzufügen: Was ist der ontologische Status der „wird“-Aussagen, die zu Gottes Vorherwissen gehören? Referieren sie auf eine ontologisch existente, tatsächlich vorhandene objektive Realität im Augenblick des Vorherwissens Gottes?

In Ihrem Buch “The Only Wise God” argumentieren Sie, Gottes Vorherwissen, dass Jones X tun “wird“, bedeutet nicht, dass Jones X tun „muss“. (Jones ist immer noch frei, anders zu handeln, nur wird er es nicht tun).

Ich finde dieses Argument im Licht von Helseths Frage unbefriedigend: Was ist der ontologische Status der Handlung X (, die von Jones ausgeführt werden wird)?

Wenn X (objektiv) existiert, dann ist es unmöglich, dass Jones TATSÄCHLICH anders handeln könnte, und die Unterscheidung zwischen „wird“ und „muss“ erscheint rein semantischer oder linguistischer Art, aber nicht ontologischer Art. (Beachten Sie, dass Jones nur in einem rein theoretischen oder logischen, aber nicht in einem ontologischen oder metaphysischen Sinn anders handeln kann, denn was er tun wird, ist faktisch und metaphysisch unvermeidbar).

Wenn die Handlung X nicht objektiv existiert, (sondern erst NACHDEM Jones sie tatsächlich vollzogen hat), dann sind Aussagen über die Zukunft nicht wahr, und Gottes Vorherwissen kann überhaupt kein Wissen (im Sinne einer begründeten wahren Annahme) sein. Somit könnte Gott kein Vorherwissen über kreatürliche freie Entscheidungen besitzen.

Deshalb die Frage: Bezieht sich eine “wird”-Aussage auf etwas, was objektiv existiert (d. h. auf einen wirklich existierenden Tatbestand)?

Meine laienhafte Auffassung lautet:

Zukünftige Ereignisse, die auf kreatürlich freie Entscheidungen gründen, existieren nicht, bevor sie nicht vollzogen wurden. Die Zukunft existiert nicht in irgendeinem objektiven Sinne. Deshalb können alle „wird“-Aussagen, (die sich nicht auf Schlussfolgerungen, sondern auf echtes Vorherwissen über freie Entscheidungen gründen,) nicht wahr sein, und somit besitzt Gott kein Vorherwissen.

Freie Entscheidungen werden ERST wahr, nachdem sie frei von einem Individuum vollzogen wurden, und erst in diesem Moment haben sie einen Wahrheitswert, der von Gott erkannt werden kann.

Somit sind Aussagen über die Zukunft nicht wahr, bevor das Zukünftige realisiert wird.

Was jedoch wahr ist, sind die zukünftigen KONSEQUENZEN der Summe der Taten aller Menschen zu einem gegebenen Zeitpunkt, und dies ist vielleicht das, was in Fällen von menschlicher Vorahnung und göttlichem „Vorherwissen“ erkannt werden kann.

Menschen mit hellseherischen Fähigkeiten könnten (angenommen auf paranormalem Weg) die Konsequenzen der Handlungen von Menschen vorhersehen, (die zu einem bestimmten Zeitpunkt, sagen wir am 18. Februar 2022, vollzogen werden).

Zum Beispiel werden die Konsequenzen der Handlungen von Menschen am 18. Februar 2022, ceteris paribus, ganz spezifische Effekte im Jahr 2026 erzielen, und diese Effekte könnten JETZT von manchen Menschen (auf paranormalem Weg) und von Gott erkannt werden. Aber diese Effekte können durch Handlungen von Menschen im März 2022 verändert werden.

Das heißt, aus jeder tatsächlichen Handlung erfolgt eine bestimmte zukünftige Konsequenz, und diese kann im Prinzip erkannt werden. Aber eine nächste Handlung könnte diese Konsequenzen verändern und andere Konsequenzen hervorrufen, die wiederum erkannt werden könnten.

Ich weiß nicht, ob diese Vorstellung zu naiv oder ignorant ist, aber sie erschien mir zumindest auf einer intuitiven Ebene richtig und als der beste Weg, die Kompatibilität von Vorherwissen, Vorahnung und menschlicher Freiheit zu verstehen.

Besten Dank,

Mary

Venezuela

Prof. Craigs Antwort


A

Ich freue mich über Ihre Frage, Mary, denn sie ermöglicht es mir, noch einmal näher auf meine Ausführungen einzugehen, die ich vor meinen Kollegen bei der ETS–Tagung (Tagung der "Evangelical Theological Society") im letzten November darlegte. Ihre Fragen beruhen auf ein paar Verwechslungen, erlauben Sie mir daher, Schritt für Schritt darauf einzugehen.

Zunächst, was ist der ontologische Status des Kontrafaktuals kreatürlicher Freiheit? Diese Frage wird sowohl von Highfield als auch von Helseth aufgeworfen. Helseth entfaltet nicht, worin das Problem bestehen soll. An manchen Stellen scheint Highfield anzudeuten, dass der Molinismus in Bezug auf Propositionen auf einen Platonismus verpflichtet ist. Er behauptet:

"Es gibt eine gleichermaßen ewige Realität, die weder Gott noch Gottes Schöpfung ist; jedoch bestimmt und begrenzt diese quasi-göttliche Realität, was Gott sein und tun kann. Notwendige Wahrheiten bestimmen, welche göttlichen Eigenschaften Gott haben kann, und die Wahrheiten des mittleren Wissens bestimmen, was für eine Welt Gott erschaffen kann."

Nun, die Herausforderung des Platonismus an die göttliche Aseität ist eine Herausforderung, der wir uns alle stellen müssen. Wie Highfields Beispiel notwendiger Wahrheiten zeigt, ist das Problem nicht auf kontrafaktische Propositionen beschränkt. Wenn Propositionen irgendeiner Art unerschaffene abstrakte Objekte sind, dann ist Gottes Aseität in fataler Weise gefährdet. (Siehe das Symposium in der Ausgabe 2/2011 von Philosophia Christi, dem Journal der Evangelical Philosophical Society, in dem drei verschiedene Ansichten zu diesem Thema verteidigt werden [3]). Keine der dort vertretenen Positionen ist zwingend die einzig richtige für Molinisten. Was mich betrifft, so neige ich zu einer nominalistischen Perspektive, welche die Existenz abstrakter Objekte wie Propositionen verneint, einschließlich derjenigen, die durch Kontrafaktuale ausgedrückt werden. Wir können in der Regel ontische Bekenntnisse zu Propositionen vermeiden, indem wir uns einfach weigern, „semantisch aufzusteigen“ und anstatt die Wahrheit einer Proposition zu behaupten, einfach die relevante Behauptung machen.

Es gibt ein breites Spektrum nominalistischer Sichtweisen, die einem Theisten heute zur Verfügung stehen. Ich habe festgestellt, dass Highfields eigene Ansicht eine Art Nominalismus darstellt: Er leugnet, dass Propositionen abstrakte Objekte sind, die unabhängig von Gott oder selbst von Vorstellungen in Gottes Gedanken existieren. Nach Ansicht Highfields gibt es nicht wirklich Propositionen. Vielmehr kennt Gott sich selbst einfach als ein konkretes Objekt. Indem Gott sich selbst kennt, weiß er, was wir als notwendige Wahrheiten formulieren, wie z. B. „2+2 = 4“, „Wenn es regnet, dann regnet es“. „Wenn p oder q, und nicht-p, dann q“ usw.

Highfield denkt, dass sein Ansatz keinen Raum für mittleres Wissen lässt. Aber stimmt das? Da Gott sich selbst kennt, kennt Er auch die logischen Grenzen Seiner Macht, bestimmte Tatbestände zu realisieren. Zum Beispiel weiß Er, dass Er keinen Stein erschaffen kann, der schwerer ist als Er ihn heben kann. Aber auf genau dieselbe Weise können die Molinisten behaupten, Gott weiß, dass Er es nicht bewirken kann, dass Petrus, wenn er sich in den Umständen U befände, dreimal freiwillig zu Christus bekennen würde. Wir artikulieren, was Gott weiß, indem wir sagen, Gott weiß, dass die kontrafaktische Proposition, ausgedrückt in dem Satz „wenn Petrus in den Umständen U wäre, würde er dreimal freiwillig Christus verleugnen“ wahr ist. Aber Gottes Wissen ist in seiner Art und Weise nicht propositional. Er kennt einfach Sich selbst und was er fähig ist zu tun.

So glaube ich nicht, dass die kontrafaktischen Propositionen, die Gott durch Sein mittleres Wissen bekannt sind, auf irgendeine Weise existieren.

Doch so interpretieren Sie ja Helseths Frage nicht. Sie denken, dass er fragt, ob solche Kontrafaktuale „sich auf eine ontologisch objektive Realität beziehen“. Gleicherweise wollen Sie wissen, ob Propositionen, die durch Sätze im Futur ausgedrückt werden, „sich auf eine ontologisch existente, tatsächliche, objektive Realität in dem Augenblick von Gottes Vorherwissen beziehen“.

Und an dieser Stelle setzt die Verwirrung ein. Propositionen oder Sätze referieren nicht auf Dinge. Die Referenz ist eine Funktion sogenannter singulärer Termini (also Worte wie Eigennamen, eindeutige Beschreibungen und Demonstrativpronomen wie „dies“ oder „das“). Wahre Propositionen oder Sätze hingegen korrespondieren mit der Realität – zumindest gemäß einer Korrespondenztheorie der Wahrheit.

So lautet die Frage nun: Korrespondieren echte Kontrafaktuale bezüglich der Freiheit und Aussagen im Futur mit der Realität? Ich denke, ja. Mir scheint, dass die Annahme, Wahrheit sei die Eigenschaft, mit der Realität übereinzustimmen, nicht voraussetzt, dass alle singulären Termini in einem wahren Satz sich auf Objekte beziehen, die in der Welt existieren. All zu viele Philosophen, so meine ich, sind immer noch einer Abbildtheorie der Sprache verhaftet, gemäß der Termini, die sich erfolgreich auf etwas beziehen, ihnen korrespondierende Objekte (oder Denotationen) in der Welt haben müssen. Doch eine solche Ansicht ist ziemlich verkehrt. Wir treffen häufig wahre Aussagen, welche singuläre Termini beinhalten, die keine existenten Objekte bezeichnen. Bedenken Sie die folgenden Beispiele:

• Das Wetter in Atlanta wird heute heiß sein.
• Sherries Enttäuschung über ihren Ehemann war tief und durch nichts zu lindern.
• Der Preis der Tickets beträgt 10 Euro.
• Mittwoch liegt zwischen Dienstag und Donnerstag.
• Seine Aufrichtigkeit war berührend.
• James konnte seine Hypothek nicht bezahlen.
• Der Blick auf das Jesreel Tal von der Spitze des Karmelberges war atemberaubend.
• Dein ständiges Klagen ist sinnlos.
• Spasskys Aufgabe beendete das Match.
• Er tat es um meinetwillen und um der Kinder willen.

Es wäre absurd anzunehmen, dass es zu allen diese singulären Termini, welche in diesen plausiblen wahren Sätzen auftauchen, Objekte in der Welt gibt, die mit ihnen korrespondieren.

Beispiele wie diese gibt es haufenweise. Ich vermute sogar, dass singuläre Termini, die sich auf reale Objekte in der Welt beziehen, in der gewöhnlichen Sprache sogar eher die Ausnahme als die Regel bilden. Betrachten Sie einmal den folgenden Abschnitt, den der britische Philosoph Michael Dummet aus einer Londoner Tageszeitung zitiert:

„Margaret Thatcher sprach gestern ihre bisher stärkste Warnung vor den Gefahren globaler durch Luftverschmutzung verursachter Erwärmung aus. Aber sie kündigte keine neue Politik zur Bekämpfung des Klimawechsels und des Anstiegs des Meeresspiegels an, abgesehen von einer eingeschränkten Verpflichtung, dass Britannien bis zum Jahr 2005 seine Emission von Kohlendioxyd stabilisieren würde – dem wichtigsten für die Klimaänderung verantwortlichen „Treibhaus“- Gas. Britannien würde seiner Verpflichtung nur nachkommen, wenn andere nicht näher bezeichnete Nationen versprechen würden, sich ähnlich einzuschränken“.

Es ist nichts Ungewöhnliches an einer solchen Rede – aber, wie Dummet feststellt, „außer ‘Margaret Thatcher’, ‘Luft’ und ‘Meer’ gibt es kein Substantiv und keine Nominalphrase in diesem Abschnitt, die unbestreitbar für ein konkretes Objekt stehen oder darauf angewandt werden …“ [4]. Es besteht keine Notwendigkeit, unsere Ontologie mit solch bizarren Objekten aufzublähen, wie sie die Denotationen der singulären Termini in dem oberen Abschnitt darstellen würden.

So muss dasjenige, was nach der Korrespondenztheorie der Wahrheit mit der Realität korrespondiert, sozusagen nicht als Korrespondenz individueller Worte oder anderer Teilelemente eines Satzes gedacht werden. Eher besteht die Korrespondenz zwischen ganzen Aussagen und der Welt. Eine solche holistische Korrespondenz entspricht dem Prinzip der Zitattilgung von Alfred Tarskis sogenanntem T-Schema:

T. Für jede Aussage „S“ gilt, „S“ ist wahr, wenn und nur wenn „S“.

So ist die Aussage “Schnee ist weiß” dann wahr, wenn und nur wenn Schnee weiß ist. Das ist alles, was hinter der Wahrheit als Korrespondenz steckt! Um also auf eines unserer obigen Beispiele zurückzukommen: Der Satz „Mittwoch liegt zwischen Dienstag und Donnerstag“ ist dann und nur dann wahr, wenn Mittwoch zwischen Dienstag und Donnerstag liegt. Es ist verquer, für alle singulären Termini, die im Satz S auftauchen, nach Korrelaten (in diesem Fall Mittwoch) in der Realität zu suchen.

Der Grund, weshalb einige Philosophen meinen, Korrespondenz impliziere Objekte in der realen Welt, die mit den singulären Termini einer Aussage korrelieren, ist, dass sie die Korrespondenztheorie der Wahrheit mit einer weiteren Theorie vereinen, welche als Wahrmachertheorie bezeichnet wird. Diese Theorie besagt, dass (einige) Aussagen wahr sind, wenn und nur wenn es etwas in der Welt gibt, das sie wahr macht. Wahrmacher-Maximalismus ist die Auffassung, dass jede wahre Aussage einen Wahrmacher hat. Die meisten Wahrmacher-Theoretiker identifizieren den Wahrmacher einer Aussage mit der Tatsache oder dem Sachverhalt, der durch das oben genannte T-Schema offenbar wird. Aber einige Philosophen scheinen zu denken, dass die Wahrmacher einer Aussage die Denotationen der singulären Termini sind, welche in der Aussage verwendet werden. Dementsprechend erfordert die Wahrheit des vorher genannten Satzes, dass "Mittwoche" als reale Dinge in der Welt existieren! Aber ich meine, dass diese Annahme aus zwei Gründen unberechtigt ist:

Erstens, wenn das, was korrespondiert, ganze Aussagen sind, dann fordert die Korrespondenz mit der Realität nicht, dass ein Wahrmacher einer Aussage aus Objekten (wenn es solche gibt) besteht, die mit ihren singulären Termini korrelieren. Zum Beispiel ist die Aussage „John konnte seine Hypothek nicht zahlen“ wahr und korrespondiert deshalb mit der Realität, aber ihre Wahrmacher beinhalten keine Nicht-Entität wie eine Hypothek. Was einige Theoretiker als „Wahrheitsverursacher“ einer Aussage bezeichnen, können nicht die etwaig vorhandenen Objekte sein, auf die sich die entsprechende Aussage bezieht. Aber sie sind dennoch Wahrmacher, denn durch sie wird die entsprechende Aussage wahr. Einige Befürworter der Wahrmachertheorie, wie John Heil und Heather Dyke, haben betont, dass die Wahrmacher eines Satzes nicht notwendigerweise die Bezugsobjekte der singulären Termini in einem Satz sein müssen. Dyke bezeichnet die Annahme, dass Beschreibungen der Realität eine Art metaphysische Realität hervorbringen, als den „Abbildungs-Trugschluss“ oder repräsentationalen Fehlschluss. Es ist ein Trugschluss, denn: „Nur weil wir wissen, dass dieser Satz wahr ist, wissen wir noch nicht, was ihn wahr macht.“ [5] Sie fügt hinzu, wenn die Gesamtaussage und nicht deren einzelne Worte der primäre Bedeutungsträger ist bzw. sind, dann müssen wir nicht zustimmen, dass es zu jedem einzelnen Wort jeweils einen Referenten oder eine Entität in der realen Welt gibt, auf den sich dieses Wort bezieht. Dyke behauptet lediglich, wenn ein Diskurs wahre Sätze beinhaltet, dann gibt es etwas an der Welt, das den Wahrheitsmacher für diese Sätze konstituiert. Wenn die singulären Termini eines Satzes also keine Referenten in der realen Welt haben, so bedeutet dies daher nicht, dass dieser Satz keine wahre Beschreibung der Realität darstellt und somit nicht mit der Realität korrespondiert.

Zweitens, nicht alle Aussagen, die mit der Realität korrespondieren, müssen Wahrmacher haben. Wahrmacher-Maximalismus ist eine umstrittene Auffassung, die von einer Minderheit von Denkern vertreten wird. Trenton Merricks hat überzeugend argumentiert, dass allerhöchstens Sätze darüber, dass bestimmte tatsächlich existierende Dinge bestimmte Eigenschaften haben, Wahrmacher haben müssen. [6]

Er liefert eine gute Anzahl von Ausnahmen zu der Doktrin des Wahrmachermaximalismus, wie beispielsweise negative Existenzialien und universelle Verallgemeinerungen wie: „Die Hobbits existieren nicht“ und „alle Raben sind schwarz“, moralische Wahrheiten wie „Unschuldige Menschen dürfen nicht gefoltert werden“, zeitbezogene Wahrheiten wie „Die Trojaner wurden geschlagen“, modale Wahrheiten wie „Es mag ein Dutzend Elementarteilchen mehr gegeben haben“, Kontrafaktuale der Freiheit wie „Wenn der Handelnde S sich in den Umständen U befände, dann würde er frei die Handlung H wählen“ und dispositionale Wahrheiten wie „träfe dieses Glas ein Schlag, es würde zersplittern“.

Merricks kommt zu dem Schluss, dass “einige Wahrheiten nicht aufgrund der Tatsache wahr sind, wie sie sich auf eine existierende Entität oder Entitäten beziehen. “ [7]

 Dennoch sagen uns solche Wahrheiten etwas darüber, wie die Welt ist, und somit kann man sagen, dass sie mit der Realität korrespondieren. Wenn wir Korrespondenz im Sinne des T-Schemas verstehen, dann müssen Wahrheiten, die mit der Realität korrespondieren, wie Merricks Beispiele illustrieren, überhaupt keine Wahrmacher haben. Wenn jemand auf der Notwendigkeit von Wahrmachern für Kontrafaktuale und Zukunftsaussagen besteht, dann kann man sich einfach auf die Kontrafaktuale und zeitbezogene Fakten, wie sie das T-Schema offenbart, als deren Wahrmacher beziehen. [8]

Auf Grundlage dessen, was ich hier dargelegt habe, Mary, denke ich, können Sie verstehen, weshalb die Aussage “Wenn X nicht objektiv existiert, (sondern erst NACHDEM Jones tatsächlich gehandelt hat), dann sind Aussagen über die Zukunft nicht wahr und Gottes Vorherwissen kann überhaupt kein Wissen sein“ nicht gerechtfertigt ist. Ich stimme mit Ihrer Zeittheorie darin überein, dass zukünftige Ereignisse nicht existieren. Doch aus einer zeitlichen oder zeitbezogenen Theorie der Zeit [9] folgt ganz und gar nicht, dass Zukunftsaussagen über mögliche Ereignisse nicht wahr sind. Eine solche Anschauung beinhaltet eine fehlerhafte oder selten vertretene Theorie der Logik, die entweder das Bivalenz-Prinzip (das Prinzip, dass jede Proposition p entweder wahr oder falsch ist) leugnet, oder alle auf die Zukunft bezogenen Aussagen als falsch deutet, mit allen logischen Verzerrungen, die das zur Folge hat. Darüber hinaus ist es eine unbiblische Sichtweise, die nicht nur mit allen wahren Zukunftsaussagen in der Schrift inkompatibel ist, sondern insbesondere auch mit Gottes Vorherwissen und mit Prophetien über zukünftige kontingente Ereignisse.

William Lane Craig

(Übers.: B. Currlin)


Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/does-correspondence-preclude-the-truth-of-counterfactuals-of-freedom

  • [1]

    Paul Kjoss Helseth, William Lane Craig, Ron Highfield, Gregory A. Boyd: Four Views on Divine Providence, Zondervan 2011, 272 S.

  • [2]

    Kontrafaktuale, auch "Kontrafaktische Konditionalsätze" genannt, sind Aussagen der Form „Wenn X der Fall wäre, dann wäre Y der Fall“.

    Zur Erläuterung: Ein Faktum ist etwas, was der Fall ist. Wenn es draußen regnet, dann ist die Aussage "es regnet" den Fakten entsprechend.

    Wenn es hingegen regnet, und man sagt "Wenn draußen die Sonne scheinen würde, dann würde ich den Rasen mähen", so widerspricht die Bedingung den Fakten; es handelt sich daher um eine kontrafaktuale Bedingung bzw. Aussage.

  • [3]

    Die Beiträge sind erschienen in Philosophia Christi 2/2011 (Jahrgang 13) . Die Titel der Beiträge lauten:
    1.) Paul Gould: The Problem of God and Abstract Objects: A Prolegomenon (S. 255-274).

    2.) Keith Yandell: God and Propositions (S. 275-288).

    3.) Richard Davis: God and the Platonic Horde: A Defence of Limited Conceptualism (S. 289-304).

    4.) William Lane Craig: A Nominalist Perspective on God and Abstract Objects (S. 305-320).

    Die Ausgabe 2/2011 kann für 20 US$ bestellt werden unter: http://www.epsociety.org/store/default.asp?mode=category&did=2&aid=8000063

    (Philosophia Christi ist eine zweimal jährlich erscheinende wissenschaftliche Fachzeitschrift, die von der Evangelical Philosophical Society herausgegeben wird. Siehe http://www.epsociety.org/philchristi/default.asp

    Die jährliche Mitgliedschaftsgebühr in der Evangelical Philosophical Society für Studenten beträgt 24 US$, sowie 37 US$ für eine Vollmitgliedschaft. In der Mitgliedsgebühr ist die Abonnementsgebühr von Philosophia Christi bereits enthalten. Philosophia Christi kann auch ohne Mitgliedschaft abonniert werden. Außerhalb der USA fallen darüber hinaus Portokosten an.)
    (Anm. d. Übers.)

  • [4]

    Michael Dummett, Frege: Philosophy of Mathematics (Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1991), p. 231.

  • [5]

    Heather Dyke, Metaphysics and the Representational Fallacy, Routledge Studies in Contemporary Philosophy (London: Routledge, 2008), p. 5; cf. John Heil, From an Ontological Point of View (Oxford: Clarendon Press, 2003), chap. 7.

  • [6]

    Trenton Merricks, Truth and Ontology (Oxford: Clarendon Press, 2007), p. xvii; cf. p. 168.

  • [7]

    Ibid., p. 181.

  • [8]

    Siehe meinen Artikel zu diesem Thema: “Middle Knowledge, Truth-Makers, and the Grounding Objection”, http://www.reasonablefaith.org/middle-knowledge-truth-makers-and-the-grounding-objection (zuerst erschienen in Faith and Philosophy 18 (2001): 337-52).

  • [9]

    Die zeitliche Theorie der Zeit, die W.L. Craig vertritt, wird auch "A-Theorie" der Zeit genannt und wird unterschieden von der B-Theorie der Zeit. Gemäß der B-Theorie der Zeit existieren zukünftige Ereignisse schon jetzt genauso real wie die Gegenwart, und es scheint nur uns Subjekten so, dass die Zukunft noch nicht real ist. (Anm. d. Übers.)

- William Lane Craig