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#166 Liebe und Gerechtigkeit in der Trinität

February 15, 2019
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

In Ihrer Debatte mit Shabir Ally über den Gottesbegriff im Islam und im Christentum sagten Sie, dass Liebe ein Teil der vollkommenen Natur Gottes ist. Sie erklärten weiter, inwiefern der dreieinige Gottesbegriff plausibler ist als der unitarische Gottesbegriff im Islam, wenn man diese Tatsache berücksichtigt. Da Liebe einschließt, sich selbst für andere hinzugeben, ist ein unitarischer Gottesbegriff unzulänglich. In der Dreifaltigkeit dagegen ist Liebe als eine essentielle Eigenschaft der vollkommenen Natur Gottes einleuchtend. Das führt mich zu der Frage, die ich stellen möchte: Warum verstehen wir Liebe nicht in derselben Weise wie Gottes andere Vollkommenheiten? Zum Beispiel verstehe ich es so, dass Gottes vollkommene Gerechtigkeit erst einen Moment, nachdem Seine Schöpfung gegen Ihn rebelliert hat, zum Ausdruck kommt. Wenn nun Gottes Gerechtigkeit nicht irgendwie innerhalb der drei göttlichen Personen zum Ausdruck kommt, warum sollte man dann behaupten, dass Gott vor der Erschaffung irgendeines anderen Wesens, das rebellieren kann, vollkommen gerecht ist? Wenn wir behaupten können, dass Gott gerecht ist, ohne es bis zur Schöpfung zum Ausdruck bringen zu müssen, warum sollte man dann nicht behaupten, dass ein unitarischer Gott ohne die Schöpfung liebend sein kann (und es später gegenüber den erschaffenen Wesen zum Ausdruck bringt)?

Ich hoffe, meine zentrale Frage ergibt einen Sinn. Ich möchte Ihnen für Ihren Dienst danken, der auf jeden Fall ein Segen und eine Inspiration für mich war. Gott segne Sie und Ihre Familie!

In Christus,

Juan

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Sehr gute Frage, Juan! Man könnte antworten, dass Gerechtigkeit – wie Liebe – zwischen den Personen der Dreifaltigkeit zum Ausdruck kommt. Wir müssen Gerechtigkeit nicht einfach als Bestrafung von Sünde auffassen, obwohl Gerechtigkeit dies verlangt. Das Konzept der Gerechtigkeit umfasst mehr als das. Gerechtigkeit verlangt, dass wir andere Personen gerecht behandeln, dass wir niemanden begünstigen, dass wir anderen Personen in ihrem Selbstwert begegnen und sie nicht als Mittel zum Zweck benutzen. Die Personen der Dreifaltigkeit weisen alle diese Tugenden auf. Es wäre absurd, sich vorzustellen, dass die Personen der Dreifaltigkeit in ihren Beziehungen zueinander  Begünstigung oder Parteilichkeit zeigen! (Zu beachten ist, dass die Unterordnung eines Mitglieds unter das andere in der heilsgeschichtlichen sogenannten „ökonomischen Trinität“ um unserer Erlösung willen kein Ausdruck irgendeiner Bevorzugung ist.)

Grundlegender ist aber mein Argument, dass es nicht genügt, sich die Eigenschaft der Liebe als reine Veranlagung vorzustellen, als die Neigung zu lieben, falls irgendeine andere Person existieren würde. Liebend zu sein ist nicht nur die Neigung, sich selbst für einen Anderen hinzugeben, falls dieser Andere existierte. Liebend zu sein beinhaltet, sich tatsächlich für einen Anderen hinzugeben. Diese Disposition kann also nicht nur latent in Gott vorhanden sein und nie aktualisiert werden. Daraus würde folgen, dass ein unitarischer Gott notwendigerweise andere Personen erschaffen müsste, was etwas ist, das Ihr Vorschlag impliziert. Dies aber widerspricht dem, was sowohl Christen als auch Muslime über Gottes Schöpferfreiheit glauben. Deshalb muss Gott eine Pluralität unerschaffener Personen sein, wie es die Lehre der Dreifaltigkeit behauptet.

Mein Argument läuft also darauf hinaus: Liebe kann nicht auf eine bloße Veranlagung reduziert werden. Obwohl sie mindestens dies ist, ist sie weit mehr als dies. Deshalb ist der unitarische Gottesbegriff inadäquat.

(Übers.: M. Wilczek)

Link to the original article in English:

http://www.reasonablefaith.org/love-and-justice-in-the-trinity

- William Lane Craig