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#114 Ist Gott moralisch lobenswert?

July 12, 2016
F

In einer Ihrer Antworten auf das Euthyphron-Dilemma (Frage #46, „Noch einmal zum Euthyphron-Dilemma“ [1]) stellen Sie folgende Behauptung auf:

„Das „theologische Unglück“ der Aussage, „Gott könnte ja auch ein bösartiger, verletzender kosmischer Diktator sein, hat sich aber liebenswerter Weise dagegen entschieden“ ist, dass nach einer solchen Sicht ein Gott, der sich so hätte entscheiden können, von seinem Wesen her nicht gut ist. In einer möglichen Welt könnte sich Gott demnach frei entscheiden, Böses zu tun. Gehen Sie wirklich so weit zu sagen, Gott hätte auch ein böser Gott sein können? In einer solchen Welt wäre er jedenfalls nicht wert, verehrt zu werden. Ein Wesen aber, das einer Verehrung nicht wert ist, ist per definitionem nicht Gott. Folgt man Ihrer Sicht, hätte es sein können, dass Gott gar nicht Gott ist. Das scheint mir aber keinerlei Sinn zu ergeben – was wäre denn in einer solchen Welt die Wahrheit? Der Atheismus? Oder wäre dann noch ein anderer Gott da? Und Gott wäre dann von diesem anderen Gott geschaffen worden?“

Ich würde sagen, dass Gott nur dann der Verehrung wert sein kann, wenn es Gott möglich ist, moralisch nicht tugendhaft zu sein. Hier ist mein Argument:

1. Wenn S moralisch lobenswert sein soll, muss S sich frei entscheiden, tugendhaft zu sein.

2. Damit S sich frei entscheiden kann, tugendhaft zu sein, muss es eine mögliche Welt geben, in der S nicht tugendhaft ist.

3. Gott ist moralisch lobenswert.

4. Deshalb gibt es eine mögliche Welt, in der Gott nicht tugendhaft ist.

Ich würde ergänzen, dass Gott, um der Verehrung wert zu sein, moralisch lobenswert sein muss; es liegt kein Verdienst darin, aus Notwendigkeit zu handeln, da man gar nicht anders handeln konnte. Verehrenswert zu sein ist also keine Essenz Gottes.

Um es klarzustellen: Ich glaube, dass in allen aktualisierbaren Welten Gott moralisch lobenswert handelt – er ist das höchste Paradigma transweltlicher Heiligkeit [2], wie einige es genannt haben. Aber dennoch kann Gott, da er nicht aus Notwendigkeit tugendhaft handelt, nicht die Grundlage moralischer Werte sein. Ohne irgendeinen externen Maßstab der Güte handelt er nur beliebig.

Danke vorweg für Ihre Antwort,

John

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Wie ich in der Antwort auf die frühere Frage erläutert habe, John, denke ich, dass Gott vom Wesen her gut ist und dass es keinen Sinn ergibt zu sagen, dass ein Wesen, das nicht vollkommen gut ist, der Verehrung wert und somit Gott sein könnte. Deshalb ist es inkohärent zu sagen, dass es eine mögliche Welt gibt, in der Gott nicht vollkommen gut ist. Diesen Aspekt müssten Sie unbedingt berücksichtigen, wenn Sie ein Argument formulieren wollen, sonst ist Ihre Prämisse (4) falsch und dient höchstens dazu, als reductio ad absurdum Ihr ganzes Argument zu widerlegen.

Ihre abschließenden Kommentare zielen offenbar darauf, dieses Problem anzusprechen, sind aber, denke ich, durcheinander geraten. Sie möchten bekräftigen, dass „Gott in allen aktualisierbaren Welten moralisch lobenswert handelt – er ist das höchste Paradigma transweltlicher Heiligkeit.“ Aber, John, wenn Philosophen von möglichen Welten sprechen, sprechen sie über aktualisierbare Welten. Eine mögliche Welt ist ein maximaler Stand der Dinge oder eine vollständige Beschreibung einer aktualisierbaren Wirklichkeit. Wenn in jeder aktualisierbaren Welt Gott moralisch gut und das Paradigma der Tugend ist, dann ist es im weiteren Sinne logisch unmöglich [3], dass er in untugendhafter Weise handelt. Es gibt keine mögliche Welt, in der er versäumt, gut zu sein. Deshalb handelt er nach Ihrer Auffassung notwendigerweise tugendhaft. Weit davon entfernt, die Kraft meines Arguments zu widerlegen, bestätigen Sie also in Wirklichkeit dessen Schlussfolgerung.

Was nun Ihr Argument betrifft, denke ich, dass zwei der Prämissen falsch sind. Erstens scheint mir (2) sowohl aus philosophischen wie auch aus theologischen Gründen falsch zu sein. Philosophisch überzeugen mich Argumente, wie sie von Harry Frankfurt dargelegt wurden, die besagen, dass Entscheidungsfreiheit nicht die Fähigkeit einschließen muss, anders zu handeln. Stellen Sie sich vor, dass ein wahnsinniger Wissenschaftler Ihr Gehirn heimlich mit Elektroden versehen hat, sodass er Ihre Entscheidungen kontrollieren kann. Angenommen, er wollte bei der letzten Präsidentschaftswahl, dass Sie für Obama stimmen, und hatte festgelegt, dass er, falls Sie für McCain stimmen würden, die Elektroden aktivieren würde, sodass Sie doch Obama wählen. Nun ist es aber so, dass Sie selbst ohnehin für Obama stimmen wollten, und als Sie in die Wahlkabine gingen, gaben Sie Obama Ihre Stimme, weshalb der Wissenschaftler die Elektroden nie aktivierte. Ich denke, es ist klar, dass Sie frei für Obama stimmten, obwohl es Ihnen gar nicht möglich gewesen wäre, anders zu handeln. Was dieses Gedankenexperiment zeigt ist, dass das Wesen der Entscheidungsfreiheit in der Abwesenheit eines kausalen Zwangs in Bezug auf Ihre Entscheidung liegt; es liegt allein an Ihnen, wie Sie sich entscheiden.

Was nun Gott betrifft: Wenn Gott vom Wesen her gut ist, dann gibt es keine mögliche Welt, in welcher er Böses tut. Aber ist daraus zu folgern, dass Gott das Gute nicht aus freier Entscheidung tut? Nicht, wenn Frankfurts Analyse richtig ist. Denn Gott handelt in völliger Abwesenheit irgendeines kausalen Zwangs, dem er unterliegen würde. Es liegt an Ihm und an Ihm allein, wie er handelt. Somit handelt er frei, indem er das Gute tut. Dass Gott frei handelt, zeigt sich an der Tatsache, dass sein Wille nicht notwendig zu einem bestimmten, finiten Guten neigt [4]; Er beschließt zu tun, was immer Er will.

Theologisch wirft diese Erklärung der Freiheit Licht auf die Versuchungen Christi und seine Unfehlbarkeit. Christus ist nach orthodoxer christlicher Lehre nicht nur sündlos, sondern unfähig zu sündigen: er ist unfehlbar. Doch er widerstand der Versuchung aus freier Entscheidung. Wie ist das zu verstehen? Nach dem Modell der Inkarnation, das ich verteidigt habe (siehe Frage #112 über „Dreieinigkeit und Inkarnation“ [5]), hatte Christus ein normales menschliches bewusstes Leben. Deshalb spürte er die Verlockung der Versuchung in ihrer ganzen Macht. Doch er bot seine Kraft auf und widerstand ihr. Ich behaupte, dass er der Versuchung aus freier Entscheidung widerstand, obwohl es keine mögliche Welt gibt, in welcher er der Versuchung erliegen und selbst ein erlösungsbedürftiger Sünder werden würde. Frankfurts Konzept der Freiheit erklärt schlüssig, dass Christus trotz seiner Unfehlbarkeit aus freier Entscheidung der Versuchung widerstand.

Ich bin also aus Gründen, die von Ihrem Argument ganz unabhängig sind, davon überzeugt, dass (2) falsch ist.

Noch überraschender ist vielleicht, dass ich auch (3) für falsch halte. Moralisches Lob und moralischer Tadel haben mit Pflichterfüllung zu tun. Jemand, der seine moralischen Verpflichtungen erfüllt, ist moralisch lobenswert. Aber wie ich in meiner Abhandlung über Gottes Güte erklärt habe, denke ich nicht, dass Gott irgendwelche moralischen Pflichten hat. Denn moralische Pflichten beruhen auf Gottes Geboten, und es ist davon auszugehen, dass Gott sich nicht selbst Gebote erteilt. Somit hat er keine Verpflichtungen, denen er entsprechen müsste. Mit einer Unterscheidung von Kant können wir sagen, dass Gott im Einklang mit einer Pflicht aber nicht aus einer Pflicht handelt. Weil Gott vom Wesen her liebend, freundlich, unvoreingenommen, gerecht, usw. ist, handelt er in einer Weise, die für uns die Erfüllung unserer Pflichten wäre.

Diese überraschende Konsequenz der "Divine-Command"-Theorie (DCT) [6] über die Moral wurde zuerst von Thomas Morris in seinem ausgezeichneten Buch Anselmian Explorations aufgezeigt. Morris sucht die Frage zu beantworten, in welchem Sinn dann Gott zu loben ist. Morris antwortet, dass Gott für seine supererogatorischen Handlungen zu loben ist, das heißt für seine Taten der Güte, die über jegliche Pflichten noch hinausgehen. Ich denke, es gibt eine bessere Antwort. Ich denke, unser Lob Gottes für Seine Güte ist eher im Sinne der Verehrung richtig zu verstehen. Gott ist das Paradigma und die Quelle unendlicher Güte, und deshalb beten wir Ihn als den an, der Er ist. Wir geben Ihm kein moralisches Lob in dem Sinne, als würden wir Ihn dafür loben, dass Er seinen moralischen Pflichten entspricht; vielmehr lieben wir Ihn, weil Er die Güte selbst ist.

Übrigens denke ich, dass dies eine der besten Illustrationen für den heilsamen Nutzen ist, den die theologische Reflexion für unser geistliches Leben hat. Unsere Ehrfurcht vor Gott wird vertieft und unsere Anbetung Gottes wird bereichert, indem wir klar sehen, wie wir Ihn als den anbeten sollten, der Er ist.

(Übers.: M. Wilczek)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/is-god-morally-praiseworth

  • [1]

    Vgl. http://www.reasonablefaith.org/german/qa46

  • [2]

    Zur Erläuterung: Der Begriff „transweltliche Heiligkeit“ nimmt Bezug auf den Begriff „möglicher Welten“. Es gibt nur eine Welt, aber diese hätte auch anders sein können. (Beispiel: In der realen Welt regnet es heute in Berlin, es hätte aber auch die Sonne scheinen können, d.h. es gibt eine mögliche Welt, in der heute in Berlin die Sonne scheint.) Wenn jemand in einigen möglichen Welten Klavierspieler ist, so ist er eben in gewissem Maße ein „transweltlicher Klavierspieler“ (trans- im Sinne von: über mehrere Welten hinweg).

    Wenn Gott in dieser und auch in jeder anderen möglichen Welt heilig ist, dann hat er das Maximum an „transweltlicher Heiligkeit“.

    (Anm. d. Übers.)

  • [3]

    "Im engeren Sinne" logisch unmöglich ist ein Satz wie "Der Tisch hat vier Beine und hat nicht vier Beine". (Dieser Satz enthält einen direkten logischen Selbstwiderspruch, denn er impliziert: A ist B, und A ist nicht-B. Er widerspricht dem "Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch", einem fundamentalen Grundgesetz unseres Denkens).
    "Im weiteren Sinne" logisch unmöglich ist ein Satz wie "Bundeskanzlerin Merkel ist eine Primzahl". Der Satz enthält zwar keinen direkten Widerspruch (denn man kann ihn mit „A = B“ übersetzen). Er ist aber metaphysisch unmöglich, da Primzahlen abstrakte Objekte (ohne Ort und Zeit und ohne kausale Wirkkraft) sind, Menschen hingegen räumlich / zeitlich gebunden sind. (Beispiel in Anlehnung an Q&A #09). (A.d.Übers.)

  • [4]

    Zur Verdeutlichung:
    Es ist z.B. gut von Gott, einem Menschen eine musikalische Begabung mitzugeben, aber es ist auch gut von Gott, einem Menschen eine mathematische Begabung mitzugeben; beide sind nur „vorletzte“ (finite) Güter, die keinen letzten Selbstzweck darstellen, denn die Gaben sollten verwendet werden im Blick auf ein letztes Gut (z.B. zur Ehre Gottes). Gott wählt also z.B. oft frei zwischen mehreren verschiedenen guten Möglichkeiten.
    (Anm. d. Übers.)

  • [5]

    Vgl. http://www.reasonablefaith.org/german/qa112, „Dreieinigkeit und Inkarnation“.

  • [6]

    Die "Divine Command"-Theorie (DCT) ist eine metaethische Theorie, die sich mit der Begründung moralischer Werte und Pflichten befasst. Nach der "Divine Command"-Theorie basieren objektive moralische Werte auf dem Wesen Gottes, und objektive moralische Pflichten auf dem Willen Gottes, den er in Geboten zum Ausdruck bringt; menschliche Pflichten gehen also auf konkrete Befehle Gottes zurück (z.B. in den 10 Geboten, "Du sollst nicht stehlen" etc.).

- William Lane Craig