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#285 Invasion der Boltzmann-Gehirne

June 17, 2018
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

ich bin mit der Theorie der Boltzmann-Gehirne vertraut, die oft als Antwort auf die atheistische Multiversums-Theorie gegeben wird. Ein „Boltzmann-Gehirn“ ist ein Universum, in dem nur ein einziges Gehirn existiert und sonst nichts. Die Existenz eines solchen Universums sei angeblich „weit wahrscheinlicher“ als unseres. Ich bin jedoch neugierig zu erfahren, wie ein solches Gehirn sich in einer Welt dieses Ausmaßes bilden könnte.

Wie ich das Gehirn verstehe, braucht es einen Körper, um zu überleben, und ein Körper braucht eine externe Welt, mit dem er interagieren kann, und diese externe Welt muss unglaublich groß sein, um den Körper und das Gehirn überhaupt hervorgebracht zu haben usw. … Macht dies nicht die gesamte Boltzmann-Gehirn-Theorie lächerlich? Ein Gehirn könnte nicht in einem Universum ganz für sich allein existieren – zumindest kein Gehirn, wie wir es verstehen! Die einzige Art, diese Theorie eines Boltzmann-Gehirn-Universums zu retten, scheint mir, den Begriff „Gehirn“ durch „Intellekt“ zu ersetzen – aber ein Intellekt braucht kein Universum, um darin zu existieren, da wir geklärt haben, dass Gott ein Intellekt ohne Körper ist, der getrennt vom Universum existiert.

Ist die Boltzmann-Gehirn-Vorstellung von einem Ein-Gehirn-Universum wirklich so schlüssig, wie Sie in Ihren populären und akademischen Arbeiten behaupten? Habe ich die Theorie missverstanden?

Grüße,

Ein ernsthafter, wissenschaftlich gesinnter Suchender

Ben

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Man muss Boltzmann Gehirne einfach lieben! Was für eine Vorstellung!

Für diejenigen, denen Ihr Hintergrund zu dieser Frage fehlt, Ben, lassen Sie uns diese Vorstellung noch einmal durchgehen. So unglaublich, wie es auch klingen mag: Heute ist die Hauptalternative und beinahe einzige Alternative zu einem kosmischen Designer, um die unfassbar präzise Feinabstimmung der Naturkonstanten und Grundgrößen zu erklären, die Postulierung eines Weltenensembles (von vorzugsweise unendlicher Anzahl) zufällig angeordneter Universen. Indem man so seine Wahrscheinlichkeitsressourcen vervielfältigt, stellt man sicher, dass allein durch Zufall irgendwo in diesem unendlichen Ensemble feinabgestimmte Universen wie das unsere auftreten werden.

Nun kommt der entscheidende Schritt: Da Beobachter nur in Welten wie der unseren leben können, die auf ihre Existenz feinabgestimmt sind, können wir NATÜRLICH unsere Welt als feinabgestimmt beobachten! Die Welten, die nicht feinabgestimmt sind, haben keine Beobachter in sich und können darum nicht beobachtet werden! Daher ist unsere Beobachtung des Universums als feinabgestimmt auf unsere Existenz keine Überraschung: wäre es nicht so, wären wir nicht hier, um überrascht zu sein. So beruht diese Erklärung der Feinabstimmung auf (i) der Hypothese eines Weltenensembles und (ii) einen Selbstselektionseffekt des Beobachters.

Nun, abgesehen von Einwänden gegen (i) direkter Art, sieht sich diese Alternative einem sehr beeindruckenden Einwand zu (ii) gegenüber, nämlich, wenn wir lediglich ein zufälliges Mitglied eines Weltenensembles wären, dann sollten wir ein ganz anderes Universum beobachten. Roger Penrose hat ausgerechnet, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich unser Sonnensystem unmittelbar durch die zufällige Kollision von Partikeln bildet, unfassbar größer ist, als dass das Universum so feinabgestimmt ist, wie es ist. Wenn wir also ein zufälliges Mitglied eines Weltensembles wären, sollten wir in einem Meer von Chaos einen Fleck Ordnung beobachten, der nicht größer ist als unser Sonnensystem.

Welten wie diese sind einfach unbegreiflich zahlreicher in dem Weltenensemble als Welten wie unsere und müssten somit von uns zu beobachten sein, wenn wir nur ein zufälliges Mitglied eines solchen Ensembles wären.

An diesem Punkt kommt das Boltzmann-Gehirn ins Bild. Um beobachtbar zu sein, muss der Ordnungsfleck nicht einmal so groß sein wie das Sonnensystem. Die wahrscheinlichste beobachtbare Welt wäre eine Welt, in der ein einziges Gehirn aus einem Quantenvakuum in die Existenz fluktuiert und seine ansonsten leere Welt beobachtet. Die Vorstellung lautet nicht, dass das Gehirn das gesamte Universum ist, sondern nur ein Fleck Ordnung inmitten von Unordnung. Sorgen Sie sich nicht darum, dass das Gehirn nicht lange bestehen könnte: Es muss nur lang genug existieren, um eine Beobachtung zu haben, und die Unwahrscheinlichkeit von Quantenfluktuationen, die dafür notwendig sind, dass es so lange existiert, wird im Vergleich zur Unwahrscheinlichkeit der Feinabstimmung trivial sein.

In anderen Worten, der Effekt der Selbstselektion des Beobachters erklärt sich selbst als inhaltsleer. Es genügt nicht nachzuweisen, dass nur feinabgestimmte Welten beobachtbar sind. Wie Robin Collins bemerkte, ist das, was erklärt werden muss, nicht nur das intelligente Leben, sondern in Körper gefasste, interaktive, intelligente Agenten wie wir selbst. Die Berufung auf den Effekt einer Selbstselektion des Beobachters bewirkt nichts, denn es gibt keinerlei Grund für die Annahme, dass die meisten beobachtbaren Welten solche Welten sind, in denen diese Art von Beobachter existiert. Ja, das Gegenteil scheint wahr zu sein: Die meisten beobachtbaren Welten werden Boltzmann Gehirn-Welten sein.

Es ist erstaunlich, dass eine solch metaphysische Spekulation wie die Weltenensemble-Hypothese für eine Widerlegung anfällig sein soll. Man könnte annehmen, dass zwischen einer solch spekulativen Hypothese und der Design-Hypothese lediglich eine Pattsituation besteht. Aber das Argument von Penrose scheint etwas anderes zu zeigen. Die Weltenensemble-Hypothese versagt als eine Erklärung der Feinabstimmung des Universums für interaktive Akteure wie uns selbst.

(Übers.: B. Currlin)

Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/invasion-of-the-boltzmann-brains

- William Lane Craig