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#173 Eine Übung in Argumentation und Logik

February 15, 2019
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

meine Frage bezieht sich auf Ihre Ausführungen in Philosophical Foundations for a Christian Worldview. In dem Abschnitt „Argumentation und Logik“ hat mich Argument B in der ersten Übungsreihe auf Seite 39 irritiert.

Das Argument lautet:

1. Gott ist nur dann zeitlos, wenn er unwandelbar ist.
2. Gott ist nur unwandelbar, wenn er nicht weiß, welche Zeit es jetzt ist.
3. Wenn Gott allwissend ist, dann weiß er, welche Zeit es jetzt ist.
4. Gott ist allmächtig und allwissend.

Die Aufgabe besteht darin, jedem Argument ein Symbol zuzuweisen und die Schlussfolgerung zu ziehen, wobei man für jeden Schritt die Regel und die Begründung nennen soll.

Ich denke also, dass das Argument so aussehen sollte:

1. P → Q
2. Q → R (MP 1)
3. S → T
4. O & S (MP/Konj. 3)

Ich verstehe nicht, wie das Argument von Gottes Unwandelbarkeit zu seiner Allwissenheit führen kann.

Ich weiß nicht, welche Regel angewendet wird, und hoffte, Sie könnten mir helfen, diese neun Regeln der Logik besser zu begreifen und zu erkennen, welche in diesem Argument Anwendung finden.

Vielen Dank und Gottes Segen!

Daniel

Afghanistan

Prof. Craigs Antwort


A

Das ist eine gute Übung für unsere Leser. Welche(n) Fehler hat Daniel gemacht? Hat er die vier Prämissen richtig symbolisiert? Was folgt aus diesen Prämissen? Können Sie die Inferenzregeln nennen, die in diesem Argument anzuwenden sind? Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, über eine Lösung des Problems nachzudenken, bevor Sie weiterlesen.

Nun, Daniel, wo haben Sie sich geirrt? Zuerst einige geringfügige Punkte: (2) ist keine Inferenz aus (1) unter Anwendung der Regel MP (Modus ponens), wie Ihre Notierung zu verstehen gibt. Sie ist einfach eine Prämisse für sich. Modus ponens ist die Regel, die Ihnen erlauben würde, aus P → Q und P zu folgern, dass somit Q. Aber in diesem Argument steht P nicht als Prämisse; es ist einfach der Antezedens (Vordersatz) zu (1).

Zweitens ist Prämisse (4) gleichfalls keine Inferenz, sondern einfach eine Prämisse in dem Argument. Es handelt sich um eine Konjunktion, aber sie verwendet nicht die als Konjunktion bezeichnete Inferenzregel, um aus „O ist der Fall“ und „S ist der Fall“ zu folgern, dass somit „O & S ist der Fall“. Das Argument schließt nicht „von Gottes Unwandelbarkeit auf seine Allwissenheit“.

Ihr wichtigster Fehlschritt, Daniel, liegt in Ihrer Symbolisierung der Prämissen (2) und (3). Betrachten Sie den Konsequens[1] von (2) und den Konsequens von (3). Der Konsequens von (2) ist einfach die Negation des Konsequens‘ von (3)! Der Satz sollte daher durch denselben Buchstaben mit einem vorangestellten Negationszeichen „¬“ symbolisiert werden, also:

2. Q → ¬R

Somit wird (3) zu:

3. S → R

Unsere Symbolisierung der Prämissen sollte jetzt so aussehen:

1. P → Q
2. Q → ¬R
3. S → R
4. O & S

Gut, wenden Sie jetzt Ihre Inferenzregeln an und was bekommen Sie?

5. S

(Vereinfachung, aus 4)

6. R

(Modus ponens, aus 3, 5)

7. ¬¬R

(Doppelte Verneinung, aus 6)

8. ¬Q

(Modus tollens, aus 2, 7)

9. ¬P

(Modus tollens, aus 1, 8)

Einfach gesagt: Wir können folgern, dass Gott nicht zeitlos ist. Das ist doch ganz hübsch, oder? Jetzt brauchen wir nur noch die Wahrheit der Prämissen zu ermitteln, um zu sehen, ob wir ein solides Argument für Gottes Zeitlichkeit haben. Zu dieser Erörterung siehe mein Buch Time and Eternity. Exploring God‘s Relationship to Time (Crossway Books 2001).

(Übers.: M. Wilczek)

Link to the original article in English:

http://www.reasonablefaith.org/argumentation-and-logic-exercise

 

[1]          In einem Bedingungssatz, also einem Wenn-Dann-Satz, heißt der Wenn-Teil auch „Antezedens“ oder „Vordersatz“; der „Dann-Teil“ heißt „Konsequens“ oder „Nachsatz“ / „Hintersatz“.

                  Beispiel: Wenn es regnet, dann wird die Straße nass.

                  „Wenn es regnet“ = Antezedens (oder Vordersatz.) 

                  „dann wird die Straße nass“ = Konsequens (oder Nachsatz).

                  (Anm. d. Übers.)

- William Lane Craig