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#577 Dialog mit Jordan Peterson

January 20, 2019
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

ich habe vor kurzem Ihre Debatte mit Rebecca Goldstein und Dr. Jordan Peterson an der Wycliffe University gesehen und dabei eine Diskrepanz bemerkt zwischen Ihrem Verständnis von Sinn (genauer gesagt: Bedeutung) und Dr. Petersons Verständnis hiervon. Leider wurde das im Kontext des Forums nicht weiter diskutiert, deshalb möchte ich Sie hier direkt fragen.

Sie begannen Ihr Eröffnungsstatement mit Ausführungen darüber, dass das Aussterben des Menschen und der Tod des Universums unausweichlich sind, und welche Schwierigkeiten das letztlich für die Sinnfrage im Atheismus mit sich bringt. Peterson begann sein Statement jedoch mit der Aussage, dass es nicht notwendig ist, den Zeitrahmen, in dem man Bedeutung sucht, auf die gesamte Geschichte des Universums auszudehnen. Er verwendete dafür die Analogie einer Symphonie: Wenn er eine unglaublich gute Musikaufführung genießt und ihm jemand mittendrin auf die Schulter tippt und sagt, „Das alles hat keine Bedeutung, weil es bald zu Ende ist“, dann würde er (wie die meisten Menschen, denke ich) diese Ansicht ablehnen. Folgt wirklich aus der Tatsache, dass die Symphonie ein Ende hat, dass sie keine Bedeutung hatte?

Zwar halte ich Ihre Begründung objektiver moralischer Werte in der Existenz Gottes für philosophisch schlüssiger als Petersons Betonung der entwickelten Moral (und sein vages Anerkennen irgendwelcher Transzendenz oder eines platonischen Ideals), doch fand ich diesen spezifischen Einwand sehr überzeugend. Warum muss jemand, der die Existenz Gottes ablehnt, den Zeitrahmen, in dem er die eigene Bedeutung bewertet, auf die gesamte Zeitdauer des Universums ausdehnen? Warum muss die letztgültige Bedeutung im Fokus sein, und nicht die vorübergehende? Wenn Sie in der Debatte die Gelegenheit gehabt hätten, direkt auf Petersons Symphonie-Analogie und seine Eröffnungsaussagen zu reagieren, was hätten Sie dann gesagt?

Danke für Ihre Zeit.

Talia

Neuseeland

New Zealand

Prof. Craigs Antwort


A

Als ich Jordan Petersons Eröffnungsstatement in unserem Dialog zum Thema „Hat das Leben einen Sinn?“ gelauscht habe, fand ich seine Ausführungen sehr merkwürdig. Unsere Eröffnungsreden hatten durchaus einige Gemeinsamkeiten. Daher fragte ich mich, ob seine Ausführungen eine Art Antwort auf das sein sollten, was ich gerade gesagt hatte. Wenn ja, dann wiesen seine Ausführungen auf ein Missverständnis hin und passten also nicht zu dem, was ich gerade gesagt hatte. Oder sollten seine Ausführungen auf problematische Konsequenzen einer atheistischen Weltanschauung hinweisen? Es war nicht ganz klar.

Eines von Petersons Argumenten, Sie erinnern sich, war, dass es für ein todkrankes Kind kein Trost wäre, wenn man zu ihm sagen würde: „Ach, in 10 Millionen Jahren sind wir alle tot, also ist das hier unwichtig!“ Sollte das eine Antwort auf meine Ausführungen sein? Habe ich so etwas jemals gesagt? Meiner Ansicht nach tröstet man ein sterbendes Kind, indem man ihm versichert, dass Gott es liebt und dass sein Leiden nicht sinnlos ist, dass es ein Zuhause im Himmel erwartet, wo es kein Leiden oder Tod, sondern ein ewiges Leben unaussprechlicher Freude geben wird. Ich habe in meinen Büchern sogar Russels Atheismus im Hinblick auf die Herausforderung kritisiert, was man einem sterbenden Kind sagen soll. War Petersons eigentlicher Punkt der, dass es nach der Ansicht Nietzsches, Russels und Sartres zur Realität keinen Trost darin gibt, das zu sagen, was der Atheist anscheinend sagen muss, „Ach ja, in zehn Millionen Jahren sind wir alle tot, also ist das hier unwichtig!“? Wenn ja, dann ist dies ein Hieb gegen den Atheismus, nicht gegen den Theismus.

Oder nehmen wir die Veranschaulichung mit dem Symphonie-Orchester. Wenn jemand sagen würde, „Ach, das hat keine Bedeutung, weil die Aufführung bald vorbei ist“, wären wir alle perplex. „Folgt aus der Tatsache, dass die Symphonie einmal zu Ende geht, wirklich, dass die Aufführung keine Bedeutung hat?“ Natürlich nicht! Habe ich das je behauptet? Ganz im Gegenteil: Ich habe genau das Gegenteil gesagt, nämlich dass unsere Entscheidungen und Handlungen in diesem Leben absolut sinnvoll sind, weil es Gott und die Unsterblichkeit gibt. Ein schönes Musikstück ist wert- und sinnvoll, obwohl es endlich ist. Wenn solche Dinge gemäß dem Atheismus letztendlich sinnlos sind, liegt das nicht an ihrer endlichen Dauer. Es liegt daran, dass solche Dinge ohne Gott und Unsterblichkeit letztendlich keinen Zweck, keinen Wert und keine Bedeutung haben.

Für den Atheismus ist es letztlich egal, ob die Symphonieaufführung gelungen war oder vom betrunkenen Paukisten ruiniert wurde (oder ob sie überhaupt stattfand), denn am Ende ist alles gleichgültig. Das thermodynamische Vergessenmachen durch ein sich ausdehnendes Universums löscht alles aus, was wir jemals getan haben, sodass unsere Entscheidungen letztendlich ohne Bedeutung sind.

Nun möchte man vielleicht versuchen, die Bedeutung der Symphonie-Aufführung zu retten, indem man auf ihren ästhetischen Wert hinweist. Doch nach Nietzsches, Russels und Sartres Ansicht der Realität gibt es keine objektiven Werte, ob moralisch oder ästhetisch, wie ich Goldstein später im Dialog erklärte. Schönheit liegt nur im Auge des Betrachters. Wenn Ihnen das falsch erscheint (wie es mir falsch erscheint), dann sollten Sie den Atheismus verwerfen.

Talia, in Ihrem letzten Absatz scheinen Sie schon anzuerkennen, dass das Leben gemäß dem Atheismus letztendlich ohne Zweck, Werte und Bedeutung ist. Doch was Sie sagen wollen, ist dies: Wir brauchen keinen letzten Zweck, Wert oder Sinn. Wir können auch ganz gut mit nur relativem Zweck, Wert und Sinn leben, den Menschen zugegebenermaßen haben. „Warum muss die letztgültige Bedeutung im Fokus sein, und nicht die vorübergehende?

Das bringt uns vom ersten Teil meines Arguments zum zweiten: Es ist unmöglich, mit einer solchen Weltanschauung glücklich und konsequent zu leben. Es gibt, denke ich, eine unbezwingbare Versuchung, vom Anerkennen des relativen Sinns unserer mickrigen Pläne und Projekte zum Glauben überzugehen, dass solche Dinge sehr wohl wichtig sind und ihren Wert haben. Deswegen denken die Leute oft, sie lehnen den ersten Teil des Arguments ab, obwohl sie das gerade nicht tun. Wir können nicht so leben, als wäre unser Leben und das Leben der Leute um uns herum, die wir ja lieben, letztendlich sinnlos; als hätten wir und sie letztendlich keine moralischen Werte, weil es kein Gut oder Böse gäbe, sondern nur unsere subjektiven Empfindungen; als wäre unser Leben wirklich zwecklos. Deswegen ist der Atheismus meiner Meinung nach eine unlebbare Weltanschauung.

(Übers.: J. Booker)

Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/dialogue-with-jordan-peterson

- William Lane Craig