English Site
back
05 / 06

#666 Der Glaube und das innere Zeugnis des Heiligen Geistes

April 10, 2020
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

da meine fromme christliche Mutter weiß, dass ich schon vor langer Zeit dem christlichen Glauben entschlossen den Rücken gekehrt habe, wobei ich zunächst eine kleinkarierte nihilistische Atheistin wurde, dann eine sanftmütige Agnostikerin und Jahre später schließlich eine überzeugte spinoza’sche Pantheistin, was ich heute noch bin, haben wir nie über Religion diskutiert.

Aber vor kurzem hatten wir dann doch eine ziemlich heftige Diskussion über den christlichen Glauben, in der nach vielem Hin und Her meine Mutter schließlich mit Tränen in den Augen behauptete, dass der christliche Glaube wahr sei, weil sie das Zeugnis des Heiligen Geistes in ihrem Herzen habe. Als ich von ihr wissen wollte, was für zwingende Beweise sie denn habe, die ihr Gefühl des inneren Zeugnisses des Heiligen Geistes zu mehr machen als lediglich einem starken Gefühl, suchte sie nach den richtigen Worten und fand keine.

Und so frage ich jetzt Sie: Was für zwingende Beweise haben Sie selber dafür, dass das, was Sie als inneres Zeugnis des Heiligen Geistes erleben, mehr ist als nur ein starkes Gefühl, das entweder eine äußere natürliche Ursache hat oder auch eine innere natürliche Ursache (z. B. ganz einfach Ihr Wunsch, der christliche Glaube möge wahr sein)? Es gibt ja viele religiöse Menschen, die glauben, eine starke innere Bestätigung ihrer Religion zu besitzen. Was macht die Erfahrung des Heiligen Geistes durch einen Christen so besonders? Wenn Sie hier die Bibel zitieren, hilft Ihnen das nicht groß, denn die Tatsache, dass Ihr heiliges Buch das innere Zeugnis des Heiligen Geistes beschreibt, ist natürlich mitnichten ein zwingender Beweis, dass das, was Sie und meine Mutter erleben, mehr ist als ein starkes Gefühl, das natürliche Ursachen hat. Warum ist das so? Nun, Ihr Heiliges Buch ist ja für Sie die Basis für Ihr Wissen um die Existenz des Heiligen Geistes, sodass das Argument, Ihr inneres Zeugnis des Heiligen Geistes sei ein zwingender Beweis für die Wahrheit des christlichen Glaubens, ein Zirkelschluss ist. Finde ich jedenfalls.

Mit freundlichen Grüßen,

Alice

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Normalerweise werde ich nicht gebeten, in Familienstreitigkeiten den Vermittler zu machen. Doch da es in diesem Fall um ein philosophisches Problem geht, möchte ich es einmal versuchen.

Ich habe den Eindruck, Alice, dass Sie die Behauptung Ihrer Mutter, dass der Glaube an den christlichen Theismus für sie eine berechtigterweise basale Überzeugung  ist, die in dem Zeugnis des Heiligen Geistes gründet, damit verwechseln, dass sie ihre religiöse Erfahrung als Argument für den christlichen Theismus benutzt. Wenn Ihre Mutter das Letztere täte, wäre Ihr Einwand relevant; aber er sticht nicht gegenüber jemandem, der seinen Glauben an die Existenz Gottes als Basisüberzeugung betrachtet.

Ihre Mutter bringt in der Tat ein Argument vor – aber nicht ein Argument für den christlichen Theismus, sondern für die Behauptung, dass der christliche Glaube auch ohne Argumente und Beweise rational und gerechtfertigt sein kann. Die Philosophen nennen solche Überzeugungen „berechtigterweise basale Überzeugungen.“ Dies sind Überzeugungen, die nicht in anderen Überzeugungen gründen, sondern die zum Fundament des Glaubenssystems einer Person gehören. Andere eigentliche Basisüberzeugungen sind z. B. der Glaube an die Realität der Vergangenheit, an die Existenz der uns umgebenden Welt oder an die Gegenwart anderer Bewusstseine, die dem eigenen ähneln.

Mal ehrlich: Keine dieser Überzeugungen ist beweisbar. Wie will man beweisen, dass die Welt nicht erst vor fünf Minuten erschaffen worden ist, mit eingebauten „Alterungsspuren“ wie dem Frühstück in unserem Magen, das wir nie gegessen haben, oder Erinnerungen im Gehirn an Ereignisse, die wir in Wirklichkeit nie erlebt haben? Wie will man beweisen, dass Sie kein nacktes Gehirn in einem Behälter voller Chemikalien sind, das von einem verrückten Professor so mit Elektroden stimuliert wird, dass Sie sich wie eine Frau vorkommen, die einen Körper und Beziehungen zu anderen Menschen hat? Wie wollen wir beweisen, dass die Menschen in unserer Umgebung nicht in Wirklichkeit Androiden sind, die sich genauso verhalten wie „richtige“ Personen, die aber in Wirklichkeit seelenlose Roboter sind?

All dies sind Basisüberzeugungen, aber das heißt nicht, dass sie willkürlich wären. Sie sind vielmehr begründet – begründet in dem Sinne, dass sie im Kontext bestimmter Erfahrungen entstehen. In dem Erfahrungskontext des Sehens, Fühlens und Hörens komme ich ganz natürlich zu der Überzeugung, dass es gewisse physische Objekte gibt, die ich sinnlich wahrnehme. Meine basalen Überzeugungen sind also nicht willkürlich, sondern auf angemessene Weise auf meine Erfahrung gegründet. Es mag nicht möglich sein, diese Überzeugungen je zu beweisen, aber es ist vollkommen vernünftig, sie zu haben. Tatsache ist, dass man verrückt sein müsste, um ernsthaft zu glauben, dass die Welt erst vor fünf Minuten erschaffen wurde oder dass wir Gehirne in einem Behälter sind! Und so sind Überzeugungen dieser Art nicht nur basale Überzeugungen, sondern sie sind dies berechtigterweise.

In gleicher Weise scheint mir der Glaube an Gott für die, die Gott kennen, eine eigentliche Basisüberzeugung zu sein, die in unserer Erfahrung von Gott gründet. Auf diese Art kannten die Menschen, von denen die Bibel redet, Gott, wie der britische Theologe und Religionsphilosoph John Hick erklärt:

Sie kannten Gott als einen dynamischen Willen, der mit ihrem eigenen Willen interagierte, als unübersehbare Realität, mal verheerender Sturm, mal Leben spendender Sonnenschein, an der man nicht vorbeikam. . . . Für sie war Gott keine Entität, auf die man logisch schloss, sondern eine, die man handgreiflich erfuhr. Gott war für sie nicht . . . eine Idee, die der Verstand sich zu eigen machte, sondern eine Erfahrungsrealität, die ihrem Leben Sinn gab.[1]

In Abwesenheit einer Widerlegung dieser Erfahrung handelt der gläubige Christ vollkommen vernünftig, wenn er den Glauben an Gott als berechtigterweise basale Überzeugung behandelt. Ihre Mutter steht unter keiner rationalen Verpflichtung, zu beweisen, dass ihre Erfahrung der Wahrheit entspricht, so wie auch Sie nicht verpflichtet sind, dem Skeptiker zu beweisen, dass Ihr Glaube an die Außenwelt wahr ist. Es liegt an Ihnen (und an dem Skeptiker), zu beweisen, dass die Erfahrung Ihrer Mutter rein emotional ist oder auf einem Irrglauben beruht.

Ich würde die Argumentation Ihrer Mutter wie folgt formulieren:

  1. Überzeugungen, die angemessen begründet sind, können vernünftigerweise als basale Überzeugungen akzeptiert werden, die nicht in einer Argumentation gründen.
  2. Die Überzeugung, dass der Gott der Bibel existiert, ist angemessen durch das Zeugnis des Heiligen Geistes begründet.
  3. Folglich kann man die Überzeugung, dass der Gott der Bibel existiert, vernünftigerweise als eine basale Überzeugung akzeptieren, die nicht in einer Argumentation gründet.

Es kann sein, dass Sie (2) nicht akzeptieren, aber Sie haben ja auch nicht das Zeugnis des Heiligen Geistes, auf das Ihre Mutter sich beruft. Dass Sie solch eine Erfahrung nicht vorweisen können, ist keine Widerlegung dessen, was Ihre Mutter erfahren hat.

Wie wäre es, wenn Sie sich einmal den Science-Fiction-Film „Contact“ ansehen? Der Höhepunkt in dem Film kommt, als die skeptische Heldin, die von Jodie Foster gespielt wird, ein überwältigendes Erlebnis hat, das ihr den tiefen Sinn des Kosmos enthüllt. „Das hab ich ja gar nicht gewusst!“, ruft sie aus. „Das hab ich ja gar nicht gewusst!“ Sie kann ihren Kollegen unmöglich beweisen, dass das, was sie da erlebt hat, real ist, aber sie weiß es. Sie hat eine berechtigterweise basale Überzeugung bekommen, die in ihrer Erfahrung gründet, obwohl sie nicht weiß, wie sie denen, die diese Erfahrung nicht gehabt haben, beweisen soll, dass sie real und wahr ist. Ganz ähnlich ist es bei Ihrer Mutter.

Interessanterweise tauchen etwas später in dem Film gewisse Belege dafür auf, dass das Erlebnis der Heldin echt war. Dies ist analog zu sehen zu solchen Phänomenen im Christentum wie der historischen Evidenz für die Person Jesu und für seine Auferstehung. Manchmal wird das, was man als Basisüberzeugung weiß, durch äußere Belege und Indizien bestätigt.

Aber jetzt noch etwas: Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, Alice, dass Ihre Mutter den Spieß leicht hätte umdrehen können, indem sie Sie fragte, was für Beweise Sie denn für Ihren spinoza’schen Pantheismus haben? Warum ist der nicht auch ein bloßer emotionaler Irrglaube? Es gibt starke Widerlegungen des spinoza’schen Pantheismus. Nicht nur gibt es keinen Grund für die Annahme, dass das Universum notwendig und ewig ist, geschweige denn göttlich, sondern die gesamte Evidenz, die wir haben, sagt uns, dass das Universum kontingent und zeitlich begrenzt ist. Die verschiedenen Argumente für die Existenz Gottes, die ich verteidigt habe, sind alle mit dem spinoza’schen Pantheismus unvereinbar. Sie sind also, erkenntnistheoretisch gesprochen, in einer schwächeren Position als Ihre Mutter.

 

[1] John Hick, „Introduction“, in: The Existence of God, ed.with an Introduction by John Hick, Problems of Philosophy Series (New York: Macmillan Publishing Co., 1964), S. 13f.

- William Lane Craig