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#569 Christus lieben

December 02, 2018
F

Sehr geehrter Dr. Craig,

ich weiß, Sie hören das sehr oft, aber sie haben wirklich mein Leben geprägt. Vielen Dank für all die Arbeit, die Sie darin investiert haben, den christlichen Glauben rational zu verteidigen, und für die ganzen Ressourcen und Werke, die Sie veröffentlicht haben. Früher war mir der christliche Glaube völlig gleichgültig, doch Sie haben in mir das leidenschaftliche Interesse an christlicher Theologie, Philosophie und Apologetik geweckt.

Das bringt mich zu meinem Problem. Ich denke, ich könnte den christlichen Glauben gegen die meisten Einwände verteidigen und überzeugende Argumente für den Glauben anführen. Doch da fehlt was. Ich bejahe zwar all die richtigen Lehren und kenne die Argumente genau, bin aber kein Christ. Mir scheint, als müsse man nur ein Kriterium erfüllen, um Christ zu sein: Man muss Christus lieben. Wenn man Christus liebt, resultiert daraus die richtige Lehre. Auf Ihrem Weg zu Jesus (korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liege) haben Sie zuerst die Gegenwart Jesu in Ihrem Leben gespürt und haben dann später die Bestätigung dadurch bekommen, dass sie die Argumente erforscht haben. Bei mir ist es falsch herum! Ich kann Argumente für die Propositionen des Christentums formulieren, aber ich kenne oder liebe Jesus nicht und spüre seine Gegenwart in meinem Leben nicht.

Sie unterscheiden zwischen „kennen“ und „zeigen“. Es scheint, als könne ich „zeigen“, ohne zu „kennen“. Dies wurde mir vor kurzem besonders klar, als ich auf die fundamentale Frage des Christentums stieß: Wie weiß man, dass das Christentum wahr ist? Mir wurde sofort klar, dass ich das überhaupt nicht weiß und dass die Argumente von Reasonable Faith das Fundament meines „Glaubens“ sind. Das ist nicht haltbar, denn Argumente könnten mich genauso gut vom Atheismus überzeugen. Ich bin, sozusagen, ganz ungewollt ein Evidentialist. Ich habe mich mit Ihren und Plantingas Werken über die reformierte Epistemologie und Ihren Gedanken der „doppelten Berechtigung“[1] befasst und finde sie sehr überzeugend. Wie kann ich aber ohne das Zeugnis des Heiligen Geistes diese doppelte Berechtigung haben? Wie komme ich aus meinem evidentialistischen Loch, um Jesus zu finden? Wie kann ich wissen, dass mein Glaube wahr ist? Ich weiß nicht, wer Jesus ist, ich spüre ihn nicht in meinem Leben. Ich spüre nicht, dass er meine Gebete hört, und mir fällt es sehr schwer, an einen personalen Gott zu glauben. Momentan fühlt es sich so an, als wäre mein Christentum tot. Haben Sie vielleicht praktische oder intellektuelle Ratschläge für das Dilemma, in dem ich mich befinde? Es fühlt sich wie eine Wand an, die ich nicht durchbrechen kann.

In der Sehnsucht nach Jesus,

J

Kanada
 

 

[1] En. „double warrant“ – Anm. d. Übers.

Canada

Prof. Craigs Antwort


A

Ihr Dilemma, J, veranschaulicht sehr gut, dass beim Christsein längst nicht nur darum geht, an bestimmte lehrmäßige Wahrheiten zu glauben. Die Bibel sagt, dass sogar die Dämonen lehrmäßige Wahrheiten des Christentums glauben, aber dadurch werden sie offensichtlich nicht gerettet (Jak 2,19).

Rettender Glaube erfordert nicht nur ein intellektuelles Zustimmen zu bestimmten Wahrheiten, sondern auch Vertrauen auf Jesus. Man setzt sein Vertrauen auf ihn als Retter und Herr. Das heißt, man vertraut darauf, dass er einem die Sünden vergibt und nun das Leben nach seinem Willen bestimmt.

Nun ist mir aber nicht klar, warum Sie Ihren Glauben nicht auf Jesus setzen, auch wenn Sie keine Liebe für Christus verspüren. Glaube bedeutet einfach, auf das zu vertrauen, was Sie aus guten Gründen für wahr halten. Sie haben ja guten Grund zu glauben, dass das Christentum wahr ist, und daher glauben Sie auch, dass es wahr ist. Sie glauben, dass Christus der menschgewordene Gott ist, dass er für Ihre Sünden gestorben ist und dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat, um die Tauglichkeit seines Opfers zu bestätigen. Warum setzen Sie also nicht Ihr Vertrauen auf ihn als Retter und Herrn? Warum vertrauen Sie ihm nicht Ihr Leben an? Ausgehend von dem, was Sie glauben, wäre das das Rationalste, was sie tun könnten.

Warum vertrauen Sie Jesus also nicht Ihr Leben im Gebet an? Hier ein Vorschlag eines solchen Gebets:

Herr Jesus, ich brauche dich wirklich. Ich erkenne an, dass ich schuldig vor dir bin wegen der Dinge, die ich gesagt und getan habe, und daher deine Vergebung brauche. Ich glaube, dass du für meine Sünden gestorben und von den Toten auferstanden bist. Und so übergebe ich dir jetzt mein Leben. Vergib meine Sünden, komm‘ in mein Leben, übernimm du die Kontrolle und mach‘ mich zu dem Menschen, der ich sein soll. Ich gebe mich dir als Retter und Herr hin.

Der genaue Wortlaut ist nicht wichtig, sondern Ihre Herzenseinstellung. Wenn Sie Ihr Vertrauen ernsthaft auf Christus setzen, werden Sie vom Heiligen Geist neu geboren. Ein Teil der Frucht des Heiligen Geistes in Ihrem Leben ist Liebe (Galater 5,22). Der Geist wird in Ihnen Liebe für Christus und Ihren Nächsten hervorbringen.

Jesus selbst hat in einem seiner Gleichnisse einmal etwas sehr Tiefgehendes darüber gesagt, Christus zu lieben. Das Gleichnis erzählt er im Kontext seines Besuchs bei einem Pharisäer, der von einer Prostituierten unterbrochen wird:

Es bat ihn aber einer der Pharisäer, mit ihm zu essen. Und er ging in das Haus des Pharisäers und setzte sich zu Tisch. Und siehe, eine Frau war in der Stadt, die war eine Sünderin; als sie hörte, dass er in dem Haus des Pharisäers zu Gast war, da brachte sie ein Alabasterfläschchen voll Salböl, und sie trat hinten zu seinen Füßen, weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu benetzen; und sie trocknete sie mit den Haaren ihres Hauptes, küsste seine Füße und salbte sie mit der Salbe. Als aber der Pharisäer, der ihn eingeladen hatte, das sah, sprach er bei sich selbst: Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er doch, wer und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt, dass sie eine Sünderin ist! Da antwortete Jesus und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Er sprach: Meister, sprich! Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Der eine war 500 Denare schuldig, der andere 50.Da sie aber nichts hatten, um zu bezahlen, schenkte er es beiden. Sage mir: Welcher von ihnen wird ihn nun am meisten lieben? Simon aber antwortete und sprach: Ich vermute der, dem er am meisten geschenkt hat. Und er sprach zu ihm: Du hast richtig geurteilt! Und indem er sich zu der Frau wandte, sprach er zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen, und du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; sie aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit den Haaren ihres Hauptes getrocknet. Du hast mir keinen Kuss gegeben; sie aber hat, seit ich hereingekommen bin, nicht aufgehört, meine Füße zu küssen. Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt, sie aber hat meine Füße mit Salbe gesalbt. Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben worden, darum hat sie viel Liebe erwiesen; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig. (Lukas 7:36-47, Schlachter)

Der selbstgerechte Pharisäer hatte wenig Liebe für Christus, weil er im Gegensatz zur Frau blind gegenüber seiner eigenen Sündhaftigkeit war.

Nun, wenn das stimmt, dann besteht ein Weg, Christus mehr zu lieben, darin, immer mehr zu begreifen, wie viel uns vergeben worden ist. Das wiederum erfordert unsererseits ein klares Bewusstsein darüber, wie sündig wir sind ohne Christus. Der große Reformator Johannes Calvin brachte das sehr eloquent zum Ausdruck:

Aber wenn er nun auf der anderen Seite hört, was die Schrift lehrt: Du bist durch die Sünde wirklich von Gott abgekommen, bist ein Erbe des Zorns, bist dem Fluch des ewigen Todes verfallen, ausgeschlossen von jeder Hoffnung auf das Heil, fremd aller Segnung Gottes, Sklave des Satans, Gefangener unter dem Joch der Sünde, schrecklichem Verderben ausgeliefert, ja, schon mitten darin! – dann aber ist Christus als Fürsprecher ins Mittel getreten und hat die Strafe auf sich genommen, hat gelitten, was nach Gottes gerechtem Urteil alle Sünder leiden mussten, hat all das Böse, das sie vor Gott verhakt machte, mit seinem Blut gesühnt; und nun ist durch dieses Sühnopfer dem Vater Genüge getan, durch diesen Fürsprecher sein Zorn besänftigt, auf diesem Grund der Friede Gottes mit den Menschen fest gegründet, nun ruht auf dieser Verbindung Gottes Wohlgefallen gegen uns! – ich frage, wenn der Mensch das hört, wird er nicht umso tiefer das alles zu Herzen nehmen, je deutlicher und lebendiger ihm vor Augen gestellt wird, wie groß die Not ist, aus der ihn Gott herausreißt?

Denken Sie einmal über den katastrophalen Zustand nach, aus dem wir laut Calvin erlöst wurden. Wir waren:

            1. von Gott abgekommen
            2. unter Gottes Zorn
            3. zu ewigem Tod verflucht
            4. ohne Hoffnung
            5. von Gottes Segen ausgeschlossen
            6. Sklaven Satans
            7. Gefangene der Sünde
            8. dem Verderben ausgeliefert
            9. schon mitten im Verderben

Wenn Sie mehr Liebe für Jesus haben möchten, dann arbeiten Sie an Ihrem Sündenverständnis!

Denken Sie nun einmal darüber nach, was Christus laut Calvin für Sie getan hat. Er:

            1. hat eingegriffen.
            2. hat die Strafe für die Sünde getragen, die wir rechtmäßig verdient gehabt hätten
            3. hat sein Leben für uns gegeben, um unsere Sünden wegzunehmen
            4. hat dem Zorn Gottes Genüge getan
            5. hat Gottes Zorn besänftigt
            6. hat Frieden zwischen Gott und uns hergestellt
            7. hat Gottes Freundlichkeit uns gegenüber sichergestellt

Wenn wir darüber nachdenken, was Christus um unseretwillen getan hat, um uns aus der Tiefe unserer katastrophalen Situation zu erlösen, werden unsere Herzen ganz natürlich mit Danksagung und Liebe ihm gegenüber erfüllt. Wenn uns das nicht bewegt, wird das daran liegen, dass wir die oben genannten Punkte nicht wirklich begreifen oder glauben.

Daher möchte ich Sie, J, dringend anhalten, über ihren sündigen Zustand ohne Christus nachzudenken, zu verstehen, was er aufgrund seiner Liebe und ohne Ihren Verdienst für Sie getan hat, und Ihr Leben ihm als Retter und Herr zu geben. Der Heilige Geist wird seine Frucht in Ihrem Leben hervorbringen, einschließlich der Liebe für Ihren Herrn und Retter und der Gewissheit, errettet zu sein, die bloße Argumente übersteigt.

William Lane Craig

(Übers.: J. Booker)

Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/loving-christ

- William Lane Craig