#69 Bedenken bezüglich der Auferstehung Jesu
June 01, 2016Sehr geehrter Herr Prof. Craig,
Ich habe gerade Ihr sehr gut durchdachtes Buch The Son Rises: The Historical Evidence for the Resurrection of Jesus [1] mit dem aufrichtigen Ziel fertig gelesen, dass es meine Zweifel an der Auferstehung Jesu auflösen würde, die, wie Sie richtig betonen, die zentrale Lehre des Christentums ist, ohne die das Christentum zusammenbricht. Obwohl ich christlich erzogen wurde, habe ich die Gemeinde schon vor langer Zeit wegen Zweifeln an der historischen Zuverlässigkeit der Bibel verlassen. Ich gehöre keiner Religion an. Dennoch versuche ich, offen zu bleiben, und setze mich gelegentlich aufs Neue mit der christlichen Lehre auseinander, in der Hoffnung, meine Zweifel irgendwie zu überwinden.
Leider musste ich feststellen, dass es Ihr Buch nicht geschafft hat, meine größten Zweifel an den Berichten über die Auferstehung Jesu zu behandeln, die man in den vier Evangelien findet.
Ich schreibe Ihnen, um Sie zu fragen, ob Sie so freundlich wären, sich die unten aufgelisteten Fragen anzusehen, die ich über die Auferstehung habe, und Klarstellungen zu bieten, die Ihrer Meinung nach hilfreich dabei sein könnten, diese Bedenken aufzulösen.
Bedenken #1: In Matthäus 27,51-53 wird die Auferstehung vieler gottesfürchtiger Menschen beschrieben, die den Friedhof am Karfreitag verließen und nach Jerusalem zurückkehrten, wo sie von vielen Menschen gesehen wurden. Wenn das stimmt, hätte dieses Ereignis ganz Jerusalem erstaunt und wäre zweifelsohne von zahlreichen Menschen aufgezeichnet worden – Evangelisten oder nicht – und hätte eine Schockwelle ausgelöst, die sogar die Auferstehung Jesu hätte klein aussehen lassen. Doch dieses Wunder der Auferstehung wird außerhalb von Matthäus nirgends bekräftigt. Warum gibt es keine Bekräftigung, wenn es wirklich eine Tatsache und keine Legende ist? Und wenn es eine Legende ist, stellt das nicht den Rest der Auferstehungsgeschichte in Frage?
Bedenken #2: Sie betonen in Ihrem Buch mehrfach, dass Jesu Auferstehung nicht bloß eine Legende hätte sein können, weil Legenden sich in einer Kultur nicht innerhalb einer Generation verwurzeln können, vor allem wenn es Augenzeugen mit Autorität gibt, die diesen Legenden widersprechen. Doch mir fallen viele moderne, zusammengeschusterte Legenden ein, die in nur einer Generation aufgeblüht sind. Ein Beispiel: die beliebten Verschwörungstheorien über die Ermordung John F. Kennedys sind in nur einer Generation entstanden, trotz hunderter Augenzeugen des Ereignisses, einer Filmaufzeichnung des Mordes und der Existenz von Institutionen mit Autorität (die Warren Commission, die Medien, der Gesetzesvollzug), die danach strebten, den offiziellen und glaubwürdigen Bericht aufrechtzuerhalten, dass Lee Harvey Oswald alleine gehandelt hat. Zu weiteren sonderbaren, sich stur haltenden Legenden gehören: die in vielen muslimischen Ländern weit verbreitete Überzeugung, dass Israel hinter den Terroranschlägen vom 11. September steckt und dass am Tag des Anschlags keine Juden im World Trade Center waren; die in manchen Milieus existierende (und kürzlich erst in den Nachrichten von Rev. Jeremiah Wright, dem ehemaligen Pastor von Barack Obama, erwähnte) Überzeugung, dass die Regierung den AIDS-Virus geschaffen haben könnte, um ihn gegen Afro-Amerikaner zu verwenden; weit verbreitete Berichte von Leuten, die UFOs in Roswell, New Mexico, und anderswo gesehen und angetroffen haben wollen; die dubiose Geschichte vom Massenvernichtungs-Waffenarsenal im Irak unter Saddam Hussein – eine „Legende“, für deren Widerlegung es einen Krieg brauchte. Und schließlich: Die übernatürlichen Überzeugungen der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage und anderer Religionen, die schnell entstanden sind, zeigen, dass sich Legenden in großen Glaubensgemeinden in nur einer einzigen Generation durchsetzen können.
Bedenken #3: Auf S. 119 schreiben Sie: „Die von Markus erwähnte Erscheinung in Galiläa ist historisch. Da diese Erscheinung wahrscheinlich Teil des markinischen Quellenmaterials war, ist sie sehr alt und zweifelsohne eine zuverlässige Information.“ Jeder Journalist wird Ihnen sagen: Informationen sind nur so gut wie ihre Quellen, und Primärquellen – sprich: Augenzeugenberichte – werden allgemein als glaubwürdiger betrachtet als „Zweit- oder Dritthandquellen“. Da wir nichts von der Identität der Person wissen, die Markus mit seinem „alten“ Quellenmaterial versorgte, können wir überhaupt kein Urteil über dessen Zuverlässigkeit fällen. Dadurch, dass es sich um eine Sekundär-, und keine Primärquelle handelt, wird sie sogar weniger zuverlässig. Genauso Matthäus, Lukas und Johannes: Wenn sie tatsächlich von Augenzeugen-Jüngern Jesu geschrieben wurden, warum haben sie sich dann so sehr auf andere, sekundäre Quellen für ihre Informationen verlassen – nämlich Q und Markus? Als ältestes Evangelium ist Markus zeitlich näher an den tatsächlichen Ereignissen dran als die späteren Evangelien. Und doch endet das Markus-Evangelium in den ältesten und zuverlässigsten Exemplaren, noch bevor irgendwelche Begegnungen mit dem auferstandenen Jesus beschrieben werden. Beunruhigend ist außerdem, dass die Auferstehungsgeschichte in den späteren Evangelien immer mehr ausgeschmückt wird. In den ältesten Handschriften des Markus-Evangeliums lesen wir nichts von der Auferstehung Jesu. Im Lukas-Evangelium isst der auferstandene Jesus Fisch. Im Johannes-Evangelium sagt er den Jüngern, wo sie fischen sollen, und bereitet ihnen ein Frühstück. Das riecht für mich nach legendenhafter Ausschmückung.
Bedenken #4: Markus 16,18 bietet die Möglichkeit, dass künftige Gläubige die Glaubwürdigkeit von Jesu Auferstehung und die Glaubwürdigkeit derjenigen, die an sie glauben, bestätigen: Sie werden problemlos mit Schlangen umgehen, Gift trinken und Kranke heilen können. Nimmt man das wörtlich, haben sich der Umgang mit Schlangen und das Trinken von Gift als derart unzuverlässige Zeichen für die Glaubwürdigkeit des Evangeliums erwiesen, dass sie niemand praktiziert außer ein paar vereinzelte fanatische Kirchen in den Appalachen. Ja, mehr noch: Die bis dato größte Studie, die die Wirksamkeit des Gebets bei Krankenheilungen untersucht hat, hat keinen klaren Nutzen ergeben. Außerdem hat der Missionarsarzt Paul Brand in Christianity Today geschrieben, dass er in all den Jahrzehnten seines ärztlichen Schaffens unter Leprakranken kein einziges Mal eine Heilung bezeugen konnte, die als Bona-fide-Wunder durchgehen würde. Wenn die bestätigenden Zeichen nur bildlich zu verstehen sind, wirft das die offensichtliche Frage auf, was in der Auferstehungsgeschichte noch bildlich zu verstehen ist – vielleicht die Auferstehung selbst?
Bedenken #5: Die vier Evangelien widersprechen sich hinsichtlich der Zeugen am Grab. Das ist ein großes Problem für die Glaubwürdigkeit der Evangelien, weil das Vorfinden des leeren Grabes ein solch schockierendes Ereignis gewesen wäre, dass es sich tief in das Gedächtnis der Anwesenden hätte einprägen müssen, sodass niemand hätte vergessen können, wer anwesend war und wer nicht. Wenn die Geschichte aber eine Legende ist, ist es verständlich, dass unterschiedliche Berichte unterschiedliche Zeugen aufzählen.
Bedenken #6: In den Evangelien widersprechen sich die Augenzeugen in Bezug darauf, wie viele Engel am leeren Grab waren – ein unvergessliches Detail, das keine widersprüchlichen Berichte unter den Augenzeugen hätte erzeugen dürfen, wenn die Geschichte stimmt und keine Legende ist.
Bedenken #7: Aus Matthäus 27,62 geht hervor, dass Jesu Grab während der ersten Nacht, in der Jesus im Grab lag, unbewacht war – was es möglich macht, dass unbekannte Grabräuber den Leichnam gestohlen haben.
Bedenken #8: Die Evangelien machen unterschiedliche Angaben zum Ort, an dem Jesus den Jüngern erschien, und zur Anzahl der anwesenden Jünger. Matthäus 28,16 besagt, dass Jesus den 11 Jüngern auf dem Weg nach Galiläa auf einem Berg erschien. Lukas 24,33-36 besagt, dass Jesus den 11 Jüngern in Jerusalem erschien. Und laut Johannes 20,24 erschien Jesus anfangs nicht allen 11 Jüngern, weil Thomas nicht anwesend war. Diese Diskrepanzen stellen große Probleme für die Glaubwürdigkeit der Evangelien dar.
Bedenken #9: Auf S. 132 schreiben sie dass „... Halluzinationen als Projektionen des Geistes nichts Neues enthalten können.“ Auf welcher Basis stellen Sie diese Behauptung auf? Mir fallen viele Gegenbeispiele aus dem echten Leben ein, vor allem dieses: Viele Menschen haben regelmäßig surreale Träume, die dramatisch von ihren normalen Gedanken und ihrem normalem Leben abweichen. Und auch hier führe ich die Visionen und anderen übernatürlichen Erfahrungen der Gründer der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage und auch der Gründer anderer Religionen als Beweis dafür an, dass Menschen Visionen/Halluzinationen haben können, die ihrem normalen Verständnis von der Welt nicht im Geringsten ähneln.
Nach der sorgfältigen Lektüre Ihres Buches und dem Abgleichen desselben mit dem Inhalt der Evangelien muss ich schlussfolgern, dass die historischen Belege für die Auferstehung Jesu weniger als überzeugend sind. Ja, ich finde die historischen Aufzeichnungen insgesamt zu knapp und widersprüchlich, um eine Schlussfolgerung in irgendeine Richtung zu ziehen. Das stärkste Argument für die Auferstehung Jesu liegt im Verhalten seiner Jünger nach der Kreuzigung, die große Not auf sich genommen haben, um die frohe Botschaft zu verkündigen. Doch dieselbe Leidenschaft findet man auch bei der ersten Generation der Nachfolger des Sekten-Gründers Joseph Smith wieder, und ich bin sicher, dass keiner von uns beiden Smiths Begegnungen mit dem Engel Moroni oder den goldenen Platten des Engels (deren Existenz von Smiths unmittelbaren Nachfolgern bezeugt wurde, die amtliche Erklärungen unterschrieben, in denen sie schworen, dass sie die Platten mit eigenen Augen gesehen hätten) als irgendetwas anderes als Fiktion oder Legende bezeichnen würde.
Vielen Dank noch einmal für Ihre Zeit und Geduld, die Sie für das Lesen dieses Briefes aufgewendet haben. Wenn Sie bei diesen Fragen Licht ins Dunkel bringen könnten, wäre ich äußerst dankbar.
Viele Grüße
D.
United States
Prof. Craigs Antwort
A
Nun, D., hierzu gibt es viel zu sagen! Der wichtigste Punkt ist meiner Meinung nach aber der, dass Sie und ich mit völlig verschiedenen Vorhaben im Kopf an die Belege herangehen. Wie bei so vielen Gläubigen, die in konservativen christlichen Gemeinden aufgewachsen sind, betrifft Ihre Sorge die Zuverlässigkeit des biblischen Texts. Deswegen Ihre Aussage: „... habe ich die Gemeinde schon vor langer Zeit wegen Zweifeln an der historischen Zuverlässigkeit der Bibel verlassen.“
Als ich das gelesen habe, dachte ich mir: „Was für eine merkwürdige Reaktion!“ Warum passen Sie nicht Ihre Theologie so an, dass die Bibel als fehlbares menschliches Zeugnis für die Offenbarung Gottes in der Geschichte gilt, oder – weniger radikal – dass die göttliche Inspiration der Schrift nicht die Irrtumslosigkeit der Bibel impliziert? Warum diese „alles-oder-nichts“-Einstellung? Warum sollen derlei relativ kleine Bedenken bezüglich der Zuverlässigkeit der Evangeliumsberichte die Gottheit Jesu und seine Auferstehung oder die Existenz Gottes in Frage stellen?
Ich komme nicht um den Verdacht herum, dass es daran liegt, dass Sie ein fehlerhaftes System theologischer Überzeugungen haben. Wir können uns unsere Theologie wie ein Spinnennetz vorstellen: Manche Überzeugungen sind eher mittig im Netz platziert, andere eher weiter draußen am Rand. Zu viele konservative Christen haben die Lehre von der biblischen Irrtumslosigkeit in der Mitte ihres Überzeugungsnetzes oder in der Nähe der Mitte, sodass die gesamte Struktur des Netzes zusammenfällt und sie ihren christlichen Glauben verlieren, wenn diese Überzeugung in Mitleidenschaft gezogen wird.
Das ist sehr unvernünftig. Ins Zentrum unseres Überzeugungsnetzes gehören bestimmte essentielle Lehren wie die Existenz Gottes und die Gottheit Jesu und dann, ein bisschen weiter außen, beispielsweise die Lehre vom Sühnetod Jesu und noch etwas weiter draußen Lehren wie beispielsweise die Sakramente und die biblische Inspiration und ihre „kleine Schwester“, die biblische Irrtumslosigkeit. Wenn eine der zentralen Lehren verworfen wird, dann stürzt in der Tat das gesamte Netz zusammen. Doch wenn eine Überzeugung am Rand verworfen wird, wird das nicht die Struktur des gesamten Netzes beeinträchtigen, auch wenn es anderswo im Netz Anpassungen erforderlich macht. Wenn Ihre Zweifel nicht zerstreut werden, dann hätten Sie höchstens Anlass, eine Lehre der biblischen Irrtumslosigkeit aufzugeben, doch Christus sollten Sie nicht aufgeben.
Ja, aufgrund Ihrer Zweifel müssen Sie nicht einmal eine starke apologetische Argumentation für die Historizität der Auferstehung verwerfen! Mein Doktorvater in München, Wolfhart Pannenberg, war der Meinung, dass die Evangeliumsberichte der Auferstehung Jesu so legendenhaft sind, dass sie kaum ein historisches Körnchen beinhalten. Und doch erstaunte er die deutsche Theologie mit seinen Argumenten für die Historizität der Erscheinungen Jesu nach seinem Tod und sein leeres Grab und damit für seine Auferstehung aus rein historischen Gründen.
Ja, meine eigene Argumentation für die Auferstehung Jesu würde von den meisten Ihrer Zweifel nicht berührt. Ich verteidige die Auferstehung Jesu mit einem Argument, das zwei Schritte hat: Dass es – erstens – drei Tatsachen gibt, die jeder verantwortungsbewusste Historiker, der über Jesus berichten will, erklären muss, und, zweitens, dass die Auferstehungshypothese die beste Erklärung für diese Tatsachen ist. Die drei Tatsachen lassen sich ganz bescheiden formulieren:
1. Am Sonntagmorgen nach Jesu Kreuzigung wurde sein Grab von einer Gruppe seiner Nachfolgerinnen leer vorgefunden.
2. Verschiedene Einzelpersonen und Menschengruppen sahen Erscheinungen des lebenden Jesus nach seinem Tod.
3. Die ursprünglichen Jünger glaubten trotz aller entgegenstehenden Neigungen plötzlich und aufrichtig daran, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hatte.
Die Stärke meiner Argumentation – was mir erst danach dämmerte – liegt darin, dass diese drei Tatsachen das Urteil der meisten heutigen Neutestamentler darstellt. Sie sind nicht das exklusive Eigentum evangelikaler Gelehrter, sondern repräsentieren die Ansichten der großen Mehrheit unter den Kritikern des Neuen Testaments, die etwas zu diesem Thema veröffentlicht haben.
Nun, das sollte sie zutiefst ermutigen! Zweifel an der Historizität von Mt 27,51-53 oder an der Anzahl der Engel am Grab oder an den Namen der Frauen am Grab werden, wenn nicht irrelevant, zumindest unwichtig im Hinblick auf die Argumente für Jesu Auferstehung. Sie können und sollten trotz Ihrer Bedenken begeisterter Christ sein.
Die Sache ist also, dass ich nicht dasselbe Ziel verfolge wie Sie: Ich versuche nicht, die Zuverlässigkeit der Evangeliumsberichte unter Beweis zu stellen. Ich wäge vielmehr die historischen Belege für die Auferstehung Jesu gegeneinander ab. Ich beanspruche nicht, die allgemeine Zuverlässigkeit der Evangeliumsberichte zu begründen, sondern die drei oben genannten spezifischen Tatsachen, und ich versuche zu belegen, dass die beste Erklärung dieser Tatsachen diese Hypothese ist: „Gott hat Jesus von den Toten auferweckt.“ Das Erreichen dieses bescheidenen Ziels würde den Glauben an die allgemeine Zuverlässigkeit der Evangelien nicht rechtfertigen, setzt sie aber auch nicht voraus.
Beschäftigen wir uns nun mit einigen Ihrer Bedenken. Sie sind eine interessante Mischung: Die Bedenken # 1, 3, 5, 6 und 8 haben mit den Tatsachen selbst zu tun (Schritt 1 meiner Argumentation), während die Bedenken # 2, 4, 7 und 9 damit zu tun haben, was die beste Erklärung dieser Tatsachen ist (Schritt 2 meiner Argumentation). Sehen wir sie uns also in der Reihenfolge meiner zwei Schritte an.
Zuerst zu den Tatsachen selbst.
Bedenken #1 greift keine meiner drei Tatsachen auch nur dem ersten Anschein nach an. Es greift nicht einmal die Zuverlässigkeit der anderen Evangelien an. Denken Sie einmal darüber nach, D. Nehmen wir an, Matthäus hat zu Markus' Kreuzigungserzählung die unhistorische Geschichte der Auferstehung der Heiligen des Alten Testaments hinzugefügt. Wie beweist das auch nur im Entferntesten, dass Markus' Bericht unzuverlässig ist, ganz zu schweigen von Lukas' oder Johannes' Bericht? So würde höchstens die Glaubwürdigkeit des Matthäus in Frage gestellt.
Und nicht einmal das ist gesagt. Was wenn Matthäus das nicht wörtlich meinte? Was wenn es einfach nur zur apokalyptischen Bildersprache gehört, die typisch für jüdisch-apokalyptische Schriften war, und es einfach nur veranschaulichen sollte, wie zeitenwendend Jesu Tod war? Dann liegt das Problem darin, dass wir literarische Metaphorik unangemessen, d. h. wortwörtlich verstehen; das Problem wären dann also wir, nicht Matthäus.
Stellt diese Schlussfolgerung nicht den Rest von Matthäus' Auferstehungsbericht in Frage? Überhaupt nicht! Denn Matthäus hängt diese Geschichte nicht dem Bericht über Jesu Auferstehung an, sondern dem über seine Kreuzigung, welche zu den am besten gesicherten Tatsachen über den historischen Jesus gehört.
Doch was wenn Matthäus sehr wohl wollte, dass dieser Vorfall wörtlich genommen wird? Woher wissen wir, dass er nicht passiert ist? Woher wissen wir, dass bestimmte Leute in Jerusalem nicht behauptet hatten, Erscheinungen von alttestamentlichen Heiligen zur Zeit des Todes Jesu gesehen zu haben? Sie sagen, es „wäre zweifelsohne von zahlreichen Menschen aufgezeichnet worden“. Wirklich? Von welchen Menschen? Welche Aufzeichnungen haben wir, abgesehen von Josephus, von dieser Zeit? Und warum sollte man meinen, dass Josephus das extra erwähnen würde? Er erwähnt ja nicht einmal Jesu Auferstehungserscheinungen, die, wie wir mit absoluter Sicherheit wissen, verschiedene Menschen in Jerusalem gesehen haben wollten. Wir wissen von den Evangelien selbst, wie selektiv sie bei der Auswahl der Geschichten sind, die sie erzählen möchten. Alle Argumente, die auf Nicht-Erwähnungen beruhen, sind also sehr dünn.
Bedenken #3 ist der perverse Versuch, eine positive Eigenschaft der markinischen Erzählung in eine negative umzuwandeln. Wann immer neutestamentliche Historiker feststellen können, dass ein Evangelist mit einer älteren Überlieferung arbeitet, fördert dies seine historische Glaubwürdigkeit, statt sie zu beeinträchtigen, weil das Zeitfenster für legendenhafte Ausschmückungen so noch enger wird. Wenn die Geschichte vom leeren Grab also Teil der prämarkinischen Passionsgeschichte ist, stellt dies ein großes Plus für ihre historische Glaubwürdigkeit dar. Das erkennen alle Historiker auch an.
Was die anderen Evangelisten angeht: Lukas war kein Augenzeuge und erwähnte sogar andere, die zuvor Berichte vom Leben Jesu geschrieben hatten. Johannes' Evangelium hängt weder von Markus noch von Q ab. Was Matthäus' Evangelium angeht: Vielleicht war er keiner der Zwölf, oder vielleicht fügte er seine Aufzeichnungen von Jesu Lehren (Q) in das Gerüst der Erzählung ein, das Markus günstigerweise aufgestellt hatte.
Ja, Markus' Evangelium endete entweder mit 16,8 oder das ursprüngliche Ende ist verloren gegangen. In letzterem Fall hätte es gut sein können, dass das ursprüngliche Ende – wie im Matthäusevangelium – eine Geschichte von einer Auferstehungserscheinung in Galiläa enthalten hätte. Wenn V. 8 das ursprüngliche Ende ist, hat Markus die Erscheinung in Galiläa mit der Prophetie der Engel angekündigt. Auch in diesem Fall hängt nichts in meiner Argumentation von den Einzelheiten der Auferstehungserscheinungen ab. Ironischerweise wird die physische Natur der Auferstehungserscheinungen, wie Sie selber angemerkt haben, von Lukas und Johannes unabhängig voneinander bestätigt und kann somit nicht als deren kreative Ausschmückung abgetan werden. Wie ich auch in The Son Rises argumentiere: Die Evangelien und Paulus stimmen darin überein, dass der Auferstehungsleib Christi physisch war.
Bei Bedenken #5 übersehen Sie die Tatsache, dass der Name Maria Magdalena in allen vier Evangelien in Verbindung mit der Entdeckung des leeren Grabes erwähnt und somit mehrfach und unabhängig voneinander bestätigt wird. Die Belege stimmen damit überein, dass sie von einer Gruppe vonFrauen begleitet wird, von denen in den verschiedenen Evangelien verschiedene Personen erwähnt werden. Wir können also mindestens sagen, dass Maria und andere da waren. Dass ein Evangelist nur selektiv die Namen der anderen nennt oder sogar die falschen nennt, impliziert nicht, dass überhaupt niemand da war (siehe meine Illustration im nächsten Punkt). Vergessen Sie auch nicht, dass die Entdeckung des Grabes durch Frauen eines der überzeugendsten Elemente der Erzählung ist, da in einem legendenhaften Bericht männliche Jünger das Grab entdeckt hätten. (Dass Sie diesen Punkt, mit dem ich auch in The Son Rises argumentiere, ignorieren, stimmt mich nachdenklich.)
Bedenken #6 ist auch völlig trivial und würde nur jemanden beschäftigen, der um die biblische Irrtumslosigkeit besorgt ist. Derlei Diskrepanzen sind in historischen Erzählungen geläufig. Mein Freund Mike Licona betont beispielsweise gerne, dass Überlebende der Titanic sich uneinig darüber waren, ob das Schiff entzwei gebrochen ist, bevor es gesunken ist. Man sollte meinen, dass das so dramatisch wäre, dass sich kein Augenzeuge irren dürfte! Erst als das Schiff gefunden wurde, fand man die Wahrheit heraus (es ist tatsächlich entzwei gebrochen). Können Sie sich vorstellen, dass man sich über den Untergang der Titanic streitet, weil die Augenzeugen sich über diesen Aspekt der Geschichte nicht einig waren?
Bedenken #8 ist unbegründet, wie Sie aus The Son Rises wissen sollten.Die Auferstehungserscheinungen können gemäß der Festreisen der Jünger problemlos nacheinander angeordnet werden: Passahfest und Fest der ungesäuerten Brote (Jerusalem), zurück nach Galiläa und dann zu Pfingsten wieder nach Jerusalem.
Zusammengefasst, D., muss man festhalten, dass Jesus-Historiker sich all dieser Punkte bewusst sind und durch sie nicht davon überzeugt wurden, dass die drei Tatsachen, auf denen ich meine Argumentation aufbaue, deswegen unhistorisch sind. Warum sind Sie dieser Meinung?
Nun zur besten Erklärung dieser Tatsachen.
Bedenken #2 beruht auf einer Verwechslung von Legenden mit Lügen. Legenden sind das Ergebnis einer Zeit mündlicher Überlieferungen, die weitergegeben wurden, bis die ursprünglichen Tatsachen verloren waren. Richard Bauckham schreibt in seinem kürzlich erschienen Werk Jesus and the Eyewitnesses ganz richtig, dass wir bei den Evangelien nicht einmal von mündlicher Überlieferung sprechen sollten, sondern eher von mündlicher Geschichte, weil die ursprünglichen Augenzeugen und Quellen der Überlieferung immer noch lebten und so jegliche Abweichungen von der Überlieferung korrigieren konnten! Doch Lügen, wie jene, die Sie erwähnt haben, können unverzüglich entstehen, da sie doch absichtlich fabriziert sind. Es braucht nur noch gesagt zu werden, dass kein Gelehrter den Glauben der Jünger an die Auferstehung Jesu für absichtlich fabriziert hält. (Siehe mein Buch Reasonable Faith [2] für detaillierte Argumente.)
Bedenken #4 passt nicht zu Bedenken #3, der zu Recht besagt, dass Mk 16,18 eine falsche spätere Ergänzung des Evangeliums ist. (D., je länger ich schreibe, desto mehr zweifle ich an Ihrer Aufrichtigkeit oder zumindest Ihrer Objektivität.) Wie könnte #4 denn eines Ihrer Bedenken sein, wenn Sie doch anerkennen, dass der Abschnitt nicht authentisch ist?)
Bedenken #7 ist albern, weil ich meine Argumentation nicht mal darauf stütze, dass eine Wache am Grab war. Meine Argumentation schreitet mit der Annahme fort, dass das Grab unbewacht war und lehnt die Diebstahlhypothese aus anderen Gründen ab (The Son Rises, S. 86-87).
Bedenken #9 lässt sich leicht beantworten, wenn man versteht, dass eine Halluzination eine geistige Projektion des Halluzinierenden ist. Sie kann somit nichts enthalten, was nicht schon im Geist ist. Zwar können diese Elemente gewiss auf bizarre Art und Weise vermischt werden, doch der schwerer wiegende – und sehr überzeugende – Punkt ist der, dass die Jünger, wenn sie über Jesus halluzinierten, Visionen vom im Himmel erhöhten Jesus gehabt hätten, wo die gerechten Toten nach ihrem Tod hinkamen. Sie hätten dann triumphal Jesu Fahrt oder Überführung in den Himmel verkündet, und nicht seine Auferstehung, die jüdischen Überzeugungen frontal widersprach. Von all den anderen Einwänden, die ich gegen die Halluzinationshypothese erhebe und die Ihre Zweifel an diesem einen Punkt überwinden sollten, sei hier erst gar nicht die Rede.
Auch Ihr letzter Punkt ist fehlerhaft: Nicht die Leidenschaft der Jünger stellt die Wahrheit Ihres Glaubens unter Beweis – schließlich sind Muslime ebenfalls leidenschaftlich –, sondern dass sie etwas zu glauben anfingen, was ihren jüdischen Überzeugungen radikal widersprach, nämlich dass der Messias von seinen Feinden hingerichtet und von Gott als historischer Akt von den Toten auferweckt worden war. Diese erstaunliche Tatsache schreit nach einer Erklärung, genauso wie das leere Grab Jesu und seine mehrfachen Erscheinungen nach seinem Tod. Was für eine bessere Erklärung gibt es denn als jene, die die Jünger anführten?
(Übers.: J. Booker)
Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/qualms-about-the-resurrection-of-jesus
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[1]
William Lane Craig: The Son Rises. The Historical Evidence for the Resurrection of Jesus, Oregon 2000: Wipf and Stock Publishers. (Erste Aufl. Moody Press 1981).
William Lane Craig: The Son Rises. The Historical Evidence for the Resurrection of Jesus, Oregon 2000: Wipf and Stock Publishers. (Erste Aufl. Moody Press 1981).
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[2]
William Lane Craig: Reasonable Faith: Christian Truth and Apologetics. Westchester: Crossway Books, 1994.
William Lane Craig: Reasonable Faith: Christian Truth and Apologetics. Westchester: Crossway Books, 1994.
- William Lane Craig