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#584 Annihilationismus

March 10, 2019
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

meine Frage an Sie betrifft das Wesen der Hölle. Ich habe einige Ihrer Gedanken dazu gelesen bzw. mir angehört, doch habe ich noch nie gehört, wie Sie eine echte Verteidigung Ihres Standpunktes aufbieten. Wenn ich mich nicht irre, halten Sie zur traditionalistischen Ansicht ewiger bewusster Qual und nicht zur Ansicht der bedingten Unsterblichkeit.

Ich finde aber, dass die Bibel viel eher die Ansicht der bedingten Unsterblichkeit unterstützt. Im Alten Testament scheinen die „Prototypen“ des letzten Gerichts (Sintflut, Sodom und Gomorrah) mit der Zerstörung der Verlorenen zu enden – nicht damit, dass sie Qualen erleiden. Und auch im Neuen Testament scheinen Paulus, Petrus und sogar Jesus selbst zu lehren, dass die Nicht-Geretteten den Tod erben – nicht aber ewige bewusste Qual. Die Schrift sagt, dass der Lohn der Sünde der Tod ist (Römer 6,23) und dass diejenigen, die an Jesus glauben, nicht verloren gehen, sondern ewiges Leben haben (Johannes 3,16). Ich bin mir sicher, sie kennen diese Verse und auch die anderen Verse im NT, die anscheinend besagen, dass nur diejenigen ewiges Leben haben werden, die an Christus glauben. Diejenigen, die nicht an ihn glauben, werden letztendlich vernichtet. Zudem geht es hier nicht um Übersetzungs- oder Kontextfragen. Ich möchte hier aber nicht zu weit ausholen, daher nur Folgendes: Eine Untersuchung der Sprache oder des Kontextes stützt die bedingte Unsterblichkeit auch.

Mich würde interessieren, was Sie auf diese Argumente antworten und warum Sie persönlich die bedingte Unsterblichkeit ablehnen. Vielen Dank!

Brantley
Vereinigte Staaten

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Ich denke, die traditionelle Ansicht, dass die Hölle ewige, bewusste Qual impliziert, kann man biblisch recht gut begründen. „Diese werden Strafe erleiden, ewiges Verderben, vom Angesicht des Herrn und von der Herrlichkeit seiner Kraft“ (2. Thessalonicher 1,9; Schlachter 2000). Das Ablehnen dieser Lehre entspringt, glaube ich, primär einer emotionalen Abscheu und unschlüssigen philosophischen Einwänden.

Ich behaupte nicht, dass dem Annihilationisten keine exegetischen Argumente zur Verfügung stehen, aber ich finde die von Ihnen angeführten Argumente, Brantley, grundlegend irrig.

Zunächst einmal ist es hermeneutisch gesehen fatal, alttestamentliche „Prototypen“ als Interpretationsschlüssel für neutestamentliche Lehren über den Status der Verdammten nach dem Tod zu verwenden. Sie riskieren dabei, ein bestimmtes nebensächliches Merkmal dieser Geschichten auf neutestamentliche Lehren anzuwenden, die diesem Merkmal vielleicht widersprechen. Natürlich geht es in diesen alttestamentlichen Gerichten über Menschen um die Vernichtung der betroffenen Menschen im Sinne der Auslöschung ihres irdischen Lebens, sonst wären Sie ja heute noch am Leben (irgendwie über die Jahrhunderte hinweg in Gefängnissen in Palästina verwahrt)! Worum es bei diesen Prototypen im Wesentlichen geht, ist dass die gerichteten Menschen sterben, und die neutestamentliche Lehre der ewigen Qualen lehrt das genauso.

Dies liefert eine schöne Überleitung zu meinem zweiten Punkt. Die grundlegendste Schwäche in Ihrem Argument ist die, dass ewige Existenz nicht gleichzusetzen ist mit ewigem Leben. Im Neuen Testament ist ewiges Leben nicht bios (physisches Leben, wovon wir unser Wort Biologie abgeleitet haben), sondern zoe (geistliches Leben). Die Verlorenen, selbst wenn sie nach der Auferstehung physisches Leben haben, haben kein zoe. Ja, sie sind geistlich tot und werden das auch für immer sein.

Daher ist ewiges Leben natürlich nur durch Christus zu bekommen und ist somit von Buße und Glaube abhängig. Bis Annihilationisten begreifen, dass ein Mensch für immer existieren und dennoch geistlich tot sein kann, werden sie die neutestamentliche Lehre der Unsterblichkeit fundamental missverstehen.

(Übers.: J. Booker)

Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/annihilationism

- William Lane Craig