English Site
back
05 / 06

Humanismus für Kinder

Summary

Eine kritische Analyse einer neuen Anzeigenkampagne und Website der American Humanist Association, die Kindern eine naturalistische oder atheistische Perspektive zu Wissenschaft, Sexualität und anderen Themen vermitteln sollen.

Die American Humanist Association (AHA) betreibt derzeit eine neue Werbekampagne und Website, die Kindern eine naturalistische oder atheistische Perspektive zu Wissenschaft, Sexualität und anderen Themen vermitteln sollen. Das ausdrückliche Ziel der Website ist lobenswert: „Neugier, kritisches Denken und Toleranz unter jungen Menschen zu fördern sowie zuverlässige Informationen über eine große Bandbreite von Themen im Zusammenhang mit Humanismus, Wissenschaft, Kultur und Geschichte zu vermitteln.“

Das Problem ist, dass diese Werte in sich keine Verbindung zum Naturalismus haben, jener philosophischen Sichtweise, die besagt, es existiere nichts jenseits des physischen Inhalts des Universums. Man muss nicht unbedingt ein Naturalist sein, um für Neugier, kritisches Denken, Toleranz und das Streben nach zuverlässigen Informationen über eine große Bandbreite von Themen zu sein.

Warum also sollte man den Blickwinkel der Kinder zu diesen Fragen mit der naturalistischen Philosophie einfärben? Die AHA würde vermutlich darauf antworten, der Naturalismus sei nun einmal wahr. Insofern hat sie auch kein Problem damit, Kindern naturalistisch gefärbte Antworten auf die wichtigsten Fragen des Lebens anzubieten. Das Ironische ist, dass die AHA bemerkenswert selten den Naturalismus und insbesondere den Humanismus selbst kritisch hinterfragt, sondern seine Wahrheit einfach voraussetzt.

Warum zum Beispiel sollte man annehmen, der Naturalismus sei wahr? Im letzten halben Jahrhundert hat eine regelrechte Renaissance der christlichen Philosophie in der englischsprachigen Welt stattgefunden. In einem kürzlich erschienenen Artikel beklagt Quentin Smith, Philosoph an der University of Western Michigan, „die Desäkularisierung der akademischen Welt, die sich seit den späten 1960er Jahren in den philosophischen Fachbereichen entwickelt hat“. Smith beschwert sich über die Passivität der Naturalisten angesichts der Welle „intelligenter und talentierter Atheisten, die heute in die akademische Welt eintreten“, und schließt: „Gott ist in der akademischen Welt nicht ‚tot‘; er erwachte in den späten 1960ern wieder zum Leben und erfreut sich heute in seinen letzten akademischen Hochburgen, den philosophischen Fachbereichen, bester Gesundheit." Begleitet wurde diese Renaissance der christlichen Philosophie von einem neu erwachten Interesse an „natürlicher“ Theologie, jenem Zweig der Theologie, der Gottes Existenz allein aufgrund von Vernunft und Indizien zu belegen versucht, ohne auf die Quellen maßgeblicher göttlicher Offenbarung zurückzugreifen. Alle traditionellen Gottesbeweise, etwa der kosmologische, der teleologische, der moralische und der ontologische Gottesbeweis – von kreativen neuen Argumenten ganz abgesehen –, finden in der gegenwärtigen philosophischen Szene intelligente und wortgewandte Fürsprecher.

Aber wie steht es mit dem sogenannten „Neuen Atheismus“, für den Richard Dawkins, Sam Harris und Christopher Hitchens stehen? Kündigt dieser nicht eine Umkehr dieses Trends an? Eigentlich nicht. Der Neue Atheismus ist de facto ein Phänomen auf populärer Ebene, dem es an intellektueller Muskelkraft fehlt und das von der Revolution, die sich in der angloamerikanischen Philosophie vollzogen hat, nicht das Geringste mitbekommen hat. Wie bei der AHA spiegelt sich darin nicht so sehr die gegenwärtige intellektuelle Szene wider als vielmehr die Wissenschaftsgläubigkeit einer vergangenen Generation. Offen gesagt, in meinen Debatten mit naturalistischen Philosophen und Wissenschaftlern bin ich immer wieder verblüfft über deren Unfähigkeit, sowohl die verschiedenen Argumente für den Theismus zu entkräften als auch irgendwelche überzeugenden Argumente für ihre eigene Sichtweise vorzubringen.

Dazu kommt, dass sich der Naturalismus selbst gravierenden Problemen gegenübersieht. Der Philosoph Alvin Plantinga hat überzeugend dargelegt, dass man den Naturalismus nicht rational bejahen kann, weil unter naturalistischen Vorzeichen nur eine geringe Wahrscheinlichkeit besteht, dass unsere kognitiven Fähigkeiten verlässlich sind. Denn diese Fähigkeiten sind ja durch einen Prozess der natürlichen Zuchtwahl geprägt worden, der lediglich sicherstellt, dass ein Organismus überlebt, nicht aber, dass seine Überzeugungen wahr sind. Es gibt alle möglichen Wege, wie ein Organismus überleben könnte, ohne dass seine Überzeugungen wahr sind. Gesetzt, der Naturalismus ist wahr – dann haben wir nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass unsere Überzeugungen wahr sind, einschließlich des Glaubens an den Naturalismus selbst. Insofern scheint im Naturalismus selbst ein schlagender Gegengrund gegen den Naturalismus eingebaut zu sein, der es unmöglich macht, ihn rational zu bejahen.

Das Problem für den Humanisten ist sogar noch kniffliger. Denn der Humanismus ist nur eine Form des Naturalismus. Er ist eine Version des Naturalismus, die den objektiven Wert menschlicher Wesen bejaht. Warum aber sollte man, wenn der Naturalismus wahr wäre, annehmen, Menschen hätten einen objektiven moralischen Wert? Aus theistischer Sicht sind moralische Werte in Gott verankert, dem Paradigma des Guten. Nach humanistischer Auffassung sind moralische Werte in den Menschen selbst verankert. Nihilisten wiederum glauben, für moralische Werte gebe es überhaupt keine Grundlage, und darum seien sie letzten Endes illusorisch und unverbindlich. Der Humanist kämpft somit an zwei Fronten: auf der einen Seite gegen die Theisten und auf der anderen Seite gegen die Nihilisten. Das ist wichtig, weil es unterstreicht, dass Humanismus nicht eine Art Standardsichtweise ist, die man automatisch hat, wenn der Naturalismus wahr ist. Das bedeutet, selbst wenn die Theisten sich irren würden, würde das nicht bedeuten, dass die Humanisten recht hätten. Denn wenn Gott nicht existiert, dann haben ja vielleicht auch die Nihilisten recht. Als Humanist muss man also sowohl die Theisten als auch die Nihilisten widerlegen. Insbesondere müsste man zeigen, dass ohne Gott der Nihilismus dennoch nicht wahr wäre.

Über diese schwierigen Fragen nach der Rechtfertigung und Begründung des Humanismus informiert die neue humanistische Website die Kinder nie. Humanisten neigen dazu, den Theismus mit herablassender Ablehnung und den Nihilismus mit großer Sorglosigkeit zu behandeln. Dabei rühmen sie unbekümmert die Vorzüge des kritischen Denkens, der Neugier und der Wissenschaft, ohne sich der Inkohärenz im Zentrum ihrer eigenen Anschauung auch nur bewusst zu sein.

(Übers.: C. Rendel)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/humanism-for-children