English Site
back
05 / 06

Christliche Apologetik: Wer braucht sie?

Summary

Kürzlich hatte Prof. Craig das Vorrecht, zwei Vorträge über christliche Apologetik im Rahmen der Stob-Vorlesungen am Calvin Theological Seminary zu halten [1]. In diesem Vortrag beschreibt Prof. Craig, was christliche Apologetik ist, und nennt drei Aspekte, durch die dieser Disziplin eine wichtige Rolle im Leib Christi zukommt – ihre Fähigkeit, die Kultur zu prägen und die Gläubigen zu stärken, sowie ihre Unverzichtbarkeit für die Evangelisierung von Ungläubigen.

Ich fühle mich geehrt und tief bewegt über das Vorrecht der Einladung, in diesem Jahr die Stob-Vorlesungen zu halten. Eigentlich bin ich etwas verlegen, dass Sie so viel Aufhebens davon machen. Es gibt eine gewisse Versuchung, die eigene Wahl als Stob-Referent rechtfertigen zu wollen, indem man zwei hoffentlich beeindruckende gelehrte Vorlesungen präsentiert. Aber ein Anruf des Universitätspräsidenten Plantinga  [2] machte mir ziemlich klar, dass ein solches Unterfangen weder der beabsichtigten Intention noch den Zuhörern dieser Vorlesungen entsprechen würde. Ich hatte daran gedacht, über einige Schlüsselthemen der christlichen philosophischen Theologie zu sprechen. Doch Plantinga legte mir stattdessen nahe, auf die Frage der christlichen Apologetik einzugehen, ein Thema, das Henry Stob offenbar sehr am Herzen lag, das aber in den letzten Jahren etwas vernachlässigt wurde. Er schlug mir vor, aus meiner jahrelangen Tätigkeit als christlicher Apologet zu schöpfen, um einige ganz praktische Gedanken über diese Disziplin mitzuteilen. Das ist es also, was ich zu tun beschlossen habe.

Heute Abend stellen wir uns die grundsätzliche Frage: Christliche Apologetik – Wer braucht sie?

Zu Beginn sollten wir, denke ich, zwischen der Notwendigkeit der Apologetik und der Nützlichkeit der Apologetik unterscheiden. Diese Unterscheidung ist wichtig. Denn selbst wenn die Apologetik sich als nicht absolut notwendig erweisen sollte, folgt daraus nicht, dass sie nutzlos wäre. Es ist zum Beispiel nicht notwendig, mit zehn Fingern tippen zu können, um einen Computer zu bedienen – man kann einfach suchen und hacken wie ich –, aber nichtsdestoweniger sind Tippfertigkeiten für die Verwendung von Computern nützlich. Es ist auch nicht notwendig, sein Fahrrad warten zu können, um damit auf Tour zu gehen, aber es kann ein echter Vorzug sein, seinen Drahtesel stets gut geölt und in Schuss zu halten. In ähnlicher Weise kann christliche Apologetik überaus nützlich sein, selbst wenn sie für einen bestimmten Zweck nicht notwendig ist. Deshalb müssen wir im Blick auf die christliche Apologetik nicht nur fragen: „Wer braucht sie?“, sondern auch: „Wozu ist sie gut?“

Christliche Apologetik – ihre Definition

Christliche Apologetik lässt sich als derjenige Zweig der christlichen Theologie definieren, der vernünftige Gründe für die Wahrheitsansprüche des Christentums zu geben sucht. Diejenigen, die der Apologetik eher ablehnend gegenüberstehen, bemessen ihren Wert meist an ihrer vermeintlichen Notwendigkeit zur Begründung christlicher Überzeugungen. Einige Denker, besonders aus der niederländisch-reformierten Tradition, halten diese Funktion für nicht notwendig und manchmal sogar für fehlgeleitet.

Nun teile ich uneingeschränkt die Meinung zeitgenössischer, so genannter reformierter Epistemologen wie Alvin Plantinga, dass apologetische Argumente und Indizien nicht notwendig sind, damit der christliche Glaube rational ist [3]. Die Behauptung theologischer Rationalisten (oder Evidenzialisten, wie sie heute irreführenderweise genannt werden), der christliche Glaube sei in Abwesenheit positiver Beweise oder Indizien irrational, ist kaum mit der Bibel zu vereinbaren, die offenbar lehrt, dass der Glaube an Christus unmittelbar durch das innere Zeugnis des Heiligen Geistes begründet sein kann (Röm 8,14-16; 1. Joh 2,27; 5,6-10), sodass Argumente und Indizien nicht notwendig sind. An anderer Stelle habe ich das Zeugnis des Heiligen Geistes als selbst-authentifizierend charakterisiert, und mit diesem Begriff meine ich, 1) dass die Erfahrung des Heiligen Geistes für denjenigen, der sie macht und darauf acht hat, wahrheitsgetreu und unmissverständlich (wenn auch nicht unbedingt unwiderstehlich oder unmöglich anzuzweifeln) ist; 2) dass eine solche Person keine zusätzlichen Argumente oder Indizien braucht, um zu wissen und gewiss zu sein, dass sie tatsächlich den Geist Gottes erfährt; 3) dass eine solche Erfahrung in diesem Fall nicht die Funktion einer Prämisse für irgendein Argument hat, das von der religiösen Erfahrung auf Gott schließt, sondern vielmehr die unmittelbare Erfahrung Gottes selbst ist; 4) dass die Erfahrung des Heiligen Geistes in bestimmten Kontexten das Erfassen bestimmter Wahrheiten der christlichen Religion einschließt wie: „Gott existiert“, „Ich bin mit Gott versöhnt“, „Christus lebt in mir“ und so weiter; 5) dass eine solche Erfahrung einem Menschen nicht nur die subjektive Gewissheit der Wahrheit des Christentums vermittelt, sondern auch die objektive Kenntnis dieser Wahrheit; und 6) dass Argumente und Indizien, die mit dieser Wahrheit unvereinbar sind, an Aussagekraft von der Erfahrung des Heiligen Geistes bei weitem übertroffen werden für denjenigen, der sich ganz auf diese Erfahrung einlässt.

Christliche Evidenzialisten mögen darauf beharren, dass man selbst dann, wenn der christliche Glaube auch ohne positive apologetische Argumente gerechtfertigt ist, zumindest die defensiven apologetischen Mittel benötigt, um die verschiedenen Einwände zu widerlegen, mit denen man konfrontiert wird. Doch selbst dieser bescheidenere Anspruch ist übereilt, denn wenn das Zeugnis des Heiligen Geistes im Leben einer Person ausreichend stark ist (wie es der Fall sein sollte), wird es die Einwände, die gegen die christlichen Überzeugungen dieser Person erhoben werden, einfach überwältigen und damit auch die Notwendigkeit einer defensiven Apologetik aufheben. Ein Christ, der zu uninformiert oder zu schlecht ausgerüstet ist, um Argumente gegen den christlichen Glauben zurückzuweisen, ist auf der Grundlage des Zeugnisses des Heiligen Geistes gerechtfertigt zu glauben, auch angesichts solcher unwiderlegten Einwände. Selbst eine Person, die mit für sie nicht zu beantwortenden Einwänden gegen den christlichen Theismus konfrontiert wird, steht durch das Werk des Heiligen Geistes in dem epistemischen Recht – ja sogar in der epistemischen Pflicht – an Gott zu glauben. Da Glaubensüberzeugungen, die im objektiven, wahrheitsgetreuen Zeugnis des Heiligen Geistes begründet sind, Teil der unwiderlegten Erkenntnisse der Vernunft sind, ist der Glaube des Gläubigen selbst dann gerechtfertigt, wenn es ihm an jeglichen apologetischen Argumenten mangelt (wie es bei den meisten Christen heute und in der ganzen Kirchengeschichte der Fall ist).

Im Gegensatz dazu steht der christliche Evidenzialist vor ernsten Schwierigkeiten: 1) Er würde das Recht auf den christlichen Glauben all denen absprechen, denen die Fähigkeit, die Zeit oder die Gelegenheit fehlt, die Argumente und Indizien, die dafür sprechen, zu verstehen und zu beurteilen. Diese Konsequenz würde zweifellos unzählige Millionen Menschen, die Christen sind, dem Unglauben zurechnen. 2) Diejenigen, denen mehr stichhaltige Argumente gegen den christlichen Theismus als dafür präsentiert wurden, hätten vor Gott eine berechtigte Entschuldigung für ihren Unglauben. Aber die Bibel sagt, dass alle Menschen ohne Entschuldigung sind, weil sie nicht auf diejenigen Offenbarungen eingegangen sind, die sie hatten (Römer 1,21). 3) Diese Auffassung schafft eine Art intellektueller Elite, ein Priestertum der Philosophen und Historiker, die der Masse der Menschheit vorschreiben, ob es für sie vernünftig ist oder nicht, an das Evangelium zu glauben. Aber gewiss ist der Glaube jedem Menschen zugänglich, der als Antwort auf das Ziehen des Heiligen Geistes den Namen des Herrn anruft. 4) Der Glaube wird den Einfällen der menschlichen Vernunft und den Treibsänden der Indizienlage unterworfen, sodass der christliche Glauben in einer Generation vernünftig und in der nächsten unvernünftig ist. Aber das Zeugnis des Heiligen Geistes macht jede Generation zu Zeitgenossen Christi und sichert so dem Glauben eine feste Grundlage.

Christliche Apologetik – ihre Nützlichkeit

So bin ich also tatsächlich nicht der Meinung, dass christliche Apologetik dafür notwendig ist, dass christliche Überzeugungen gerechtfertigt sind. Daraus folgt aber nicht, dass christliche Apologetik überflüssig wäre oder keinen Nutzen für die Rechtfertigung des christlichen Glaubens hätte. Wenn die Argumente der natürlichen Theologie und die Indizien für den christlichen Glauben überzeugend sind, dann sind christliche Überzeugungen durch solche Argumente und Indizien für denjenigen gerechtfertigt, der diese Argumente und Indizien versteht, selbst wenn diese Person auch ohne diese Argumente gerechtfertigt wäre. Eine solche Person hat eine doppelte Rechtfertigung für den christlichen Glauben, in dem Sinne, dass sie zwei Quellen der Rechtfertigung hat.

Man kann sich den großen Nutzen vorstellen, den eine solche zweifache Rechtfertigung der eigenen christlichen Überzeugungen bedeutet. Wer zusätzlich zum inneren Zeugnis des Heiligen Geistes über solide Argumente für die Existenz eines Schöpfers und Gestalters des Universums oder über Indizien für die historische Glaubwürdigkeit der neutestamentlichen Berichte über das Leben Jesu verfügt, könnte die eigene Gewissheit über die Wahrhaftigkeit der christlichen Wahrheitsansprüche erhöhen. Zumindest nach dem epistemologischen Modell von Alvin Plantinga [4] hätte man dann eine stärkere Rechtfertigung, solche Ansprüche zu glauben. Die stärkere Rechtfertigung wiederum könnte einen Ungläubigen zu höherer Bereitschaft veranlassen, zum Glauben zu kommen, oder einen Gläubigen dazu inspirieren, seinen Glauben mutiger zu bezeugen. Außerdem könnte das Vorhandensein einer vom Zeugnis des Heiligen Geistes unabhängigen Rechtfertigung für die christlichen Wahrheitsansprüche dazu beitragen, dass ein Ungläubiger eher auf das Ziehen des Heiligen Geistes eingeht, wenn er das Evangelium hört, und dass ein Christ in Zeiten geistlicher Dürre oder geistlicher Zweifel, in denen das Zeugnis des Heiligen Geistes verdunkelt scheint, epistemische Unterstützung erfährt. Zweifellos könnte man sich noch viele weitere Wege vorstellen, wie die Tatsache von Nutzen sein könnte, dass man eine zweifache Rechtfertigung für christliche Überzeugungen hat.

Die Frage lautet also: Rechtfertigen die natürliche Theologie und die christlichen Indizien den christlichen Glauben? Ich denke, das tun sie. In meinem veröffentlichten Werk habe ich Versionen der kosmologischen, teleologischen, axiologischen und ontologischen Argumente für Gottes Existenz formuliert und verteidigt, und ich habe außerdem den Theismus gegen die prominentesten Einwände verteidigt, die atheistische Denker gegen den Glauben an Gott vorgebracht haben, wie das Problem des Bösen, die Verborgenheit Gottes und die Kohärenz des Theismus. Außerdem habe ich für die Authentizität der fundamentalen Aussagen Jesu über sich selbst und für die Historizität seines leeren Grabes, seiner postmortalen Erscheinungen bei verschiedenen Einzelpersonen und Gruppen und des unerwarteten Glaubens der ersten Jünger, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hatte, argumentiert. Außerdem habe ich unter Verwendung der Standardkriterien zur Beurteilung historischer Hypothesen argumentiert, dass die beste Erklärung dieser Tatsachen diejenige ist, die von den Jüngern selbst gegeben wurde: Gott erweckte Jesus von den Toten auf.

Wenn diese Argumente korrekt sind, dann ist der christliche Theismus sowohl durch die natürliche Theologie und die Indizien für das Christentum, als auch durch das innere Zeugnis des Heiligen Geistes gerechtfertigt. Obwohl apologetische Argumente also nicht notwendig sind, um zu wissen, dass das Christentum wahr ist, sind sie dennoch ausreichend, und diese doppelte Rechtfertigung für christliche Glaubensüberzeugungen kann von großem Vorteil sein. Somit bedeuten der Erfolg der Reformierten Epistemologie und das Scheitern des theologischen Rationalismus‘ keineswegs, dass die Apologetik nutzlos oder unwichtig wäre.

Und nicht nur das: Selbst wenn christliche Apologetik zur Rechtfertigung des christlichen Glaubens nicht notwendig ist, kann christliche Apologetik dennoch zu verschiedenen anderen Zwecken nützlich und sogar notwendig sein. Erlauben Sie mir, drei Zwecke zu nennen, zu deren Verwirklichung die christliche Apologetik einen wesentlichen Beitrag leistet.

1. Christliche Apologetik leistet einen wesentlichen Beitrag zur Prägung der Kultur

1. Prägung der Kultur. Apologetik ist nützlich und könnte durchaus notwendig dafür sein, dass das Evangelium heute in der westlichen Welt überhaupt mit irgendeiner nennenswerten Auswirkung weitergegeben werden kann. Im Allgemeinen ist die westliche Kultur zutiefst nach-christlich. Sie ist das Produkt der Aufklärung, die den Sauerteig des Säkularismus in die westliche Kultur einführte, der inzwischen die gesamte westliche Gesellschaft durchdrungen hat. Das Markenzeichen der Aufklärung war die „Freiheit des Denkens“, das heißt, die Suche nach Erkenntnis allein durch die uneingeschränkte menschliche Vernunft. Obwohl es keinesfalls zwingend ist, dass ein solches Bestreben unweigerlich zu nicht-christlichen Schlussfolgerungen führen muss, und obwohl die meisten der ursprünglichen Aufklärungsdenker selbst Theisten waren, veranlasste der starke Einfluss der Aufklärungsmentalität die meisten westlichen Intellektuellen zu der Annahme, theologisches Wissen sei nicht möglich. Theologie sei keine Quelle wirklichen Wissens und damit keine Wissenschaft. Vernunft und Religion stehen daher im gegenseitigen Konflikt. Allein die Erkenntnisse der Naturwissenschaften werden als autoritative Orientierung für unser Verständnis der Welt angenommen, und man geht von der sicheren Annahme aus, dass das Weltbild, das aus den echten Wissenschaften erwächst, ein durch und durch naturalistisches ist. Wer dem Streben der Vernunft unbeirrt bis zum Ende folgt, wird atheistisch oder, bestenfalls, agnostisch sein.

Warum sind diese kulturellen Überlegungen wichtig? Einfach weil das Evangelium nie isoliert gehört wird. Es wird immer auf dem Hintergrund des kulturellen Milieus gehört, in dem man lebt. Wer in einem kulturellen Milieu aufwächst, in dem das Christentum noch als intellektuell gangbare Option gilt, wird dem Evangelium mit einer Offenheit begegnen, wie es ein säkularisierter Mensch nicht tut. Einen säkularen Menschen kann man genauso gut auffordern, an Elfen oder Kobolde zu glauben, wie an Jesus Christus! Oder es ist, um eine realistischere Illustration zu wählen, als würde man auf der Straße von einem Anhänger der Hare Krishna-Bewegung eingeladen, an Krishna zu glauben. Eine solche Einladung kommt uns seltsam, verschroben oder auch amüsant vor. Aber ein Passant auf den Straßen von Bombay würde eine solche Einladung vermutlich für ziemlich vernünftig halten und ernsthaft darüber nachdenken. Ich fürchte, dass Evangelikale den Passanten auf den Straßen von Bonn, Stockholm oder Paris fast genauso seltsam erscheinen, wie die Anhänger von Krishna.

Was uns in Nordamerika erwartet, falls wir weiter unaufhaltsam in den Säkularismus abdriften, ist in Europa bereits offensichtlich. Obwohl die Mehrheit der Europäer eine nominelle Nähe zum Christentum behält, sind nur 10 Prozent von ihnen praktizierende Christen und weniger als die Hälfte davon haben eine evangelikale Theologie. Der wichtigste Trend in der europäischen Religionszugehörigkeit ist der Anstieg derjenigen, die als „nicht-religiös“ eingestuft werden, von praktisch 0 Prozent der Bevölkerung um 1900 auf über 22 Prozent heute. Das hat zur Folge, dass Evangelisation in Europa unermesslich viel schwieriger ist als in den Vereinigten Staaten. Nachdem ich dreizehn Jahre lang in Europa gelebt habe, wo ich überall auf dem Kontinent an Universitäten evangelistisch sprach, kann ich aus eigener Erfahrung sagen, wie hart der Boden ist. Es ist schwierig, dem Evangelium überhaupt Gehör zu verschaffen. Zum Beispiel erinnere ich mich noch lebhaft an meinen Vortrag an der Universität von Porto in Portugal, als die Studenten so fassungslos auf die Ankündigung eines christlichen Intellektuellen mit Doktorgraden von zwei europäischen Universitäten reagierten, dass sie mich tatsächlich für einen Hochstapler hielten. Sie telefonierten sogar mit der Universität von Louvain in Belgien, wo ich gerade als Gastforscher tätig war, um sich meiner Zugehörigkeit zur Universität zu vergewissern!

Die Vereinigten Staaten nehmen mit einigem Abstand dieselbe Entwicklung, während Kanada irgendwo dazwischen liegt. In Kanada hat sich das Abgleiten in den Säkularismus stark beschleunigt. Um 1900 machten die Evangelikalen 25 Prozent der kanadischen Bevölkerung aus. 1989 war der Anteil der Evangelikalen bereits auf weniger als 8 Prozent der Bevölkerung gefallen. Meine Erfahrung als Gastredner an Universitäten überall in Kanada legt nahe, dass Kanada eine Art mittelatlantischer Kultur verkörpert, die in der Entwicklung zum europäischen Säkularismus weiter vorangeschritten ist als ihr südlicher Nachbar. Pluralismus und Relativismus sind zur vorherrschenden Sichtweise an kanadischen Universitäten geworden. Politische Korrektheit und Vorschriften darüber, was gesagt werden darf und was nicht, ersticken die Debatte über Themen von ethischer Bedeutung und dienen als Waffen, um christliche Ideen und Institutionen zurückzudrängen. Kanadas Abdriften in den Säkularismus veranschaulicht, wie wichtig ein kulturelles Milieu, das der christlichen Überzeugung wohlwollend gegenübersteht, für die Wirksamkeit der Evangelisation ist. Erfreulicherweise haben die kanadischen Evangelikalen in den letzten zehn Jahren angefangen, diesem Trend entgegenzuwirken. Aber der Wiederaufstieg wird weitaus schwieriger sein als das Abgleiten, weil es in den Fängen einer Kultur geschieht, die sich heute der christlichen Weltanschauung entgegenstellt.

Aus diesem Grund ist es so kurzsichtig, wenn Christen den Wert der Apologetik abstreiten, weil angeblich „niemand durch intellektuelle Argumente zu Christus kommt“. Denn der Wert der Apologetik reicht weit über eigene unmittelbare evangelistische Kontakte hinaus. Die umfassendere Aufgabe der christlichen Apologetik besteht darin, zur Förderung und Aufrechterhaltung eines kulturellen Milieus beizutragen, in dem das Evangelium als eine intellektuell gangbare Option für denkende Männer und Frauen gehört werden kann. In seinem Artikel „Christianity and Culture“ erklärte der große Princeton Theologe J. Gresham Machen zu recht:

„Falsche Vorstellungen sind das größte Hindernis für die Annahme des Evangeliums. Wir mögen mit dem glühenden Eifer eines Reformators predigen und doch nur hier und dort eine Einzelperson gewinnen, wenn wir zulassen, dass das gesamte kollektive Denken der Nation von Ideen beherrscht wird, die das Christentum daran hindern, als etwas betrachtet zu werden, das mehr ist als eine harmlose Täuschung.“

Leider fand Machens Warnung keine Beachtung, und das biblische Christentum zog sich in die intellektuellen Nischen eines kulturellen Isolationismus zurück, aus denen wir erst seit kurzem wieder aufzutauchen beginnen.

Heute stehen uns die Türen großer Möglichkeiten offen. Wir leben in einer Zeit, in der die christliche Philosophie eine veritable Renaissance erfährt, eine Neubelebung der natürlichen Theologie, in einer Zeit, in der die Wissenschaft für die Existenz eines transzendenten Schöpfers und Gestalters des Kosmos offener ist als zu irgendeinem Zeitpunkt der erinnerlichen jüngeren Vergangenheit, und in einer Zeit, in der die Bibelkritik eine neue Suche nach dem historischen Jesus begonnen hat, welche die Evangelien als wertvolle historische Quellen für das Leben Jesu ernst nimmt und die Hauptlinien des Porträts bestätigt, das die Evangelien von Jesus zeichnen. Wir sind intellektuell gut aufgestellt, einen Beitrag zur Neugestaltung unserer Kultur zu leisten und verlorenen Boden zurückzugewinnen, damit das Evangelium als intellektuell gangbare Option für denkende Menschen gehört werden kann.

Nun kann ich mir vorstellen, dass einige von Ihnen denken: „Aber leben wir nicht in einer postmodernen Kultur, in der eine solche Berufung auf traditionelle apologetische Argumente nicht mehr effektiv ist? Da die Postmodernen den traditionellen Kanon der Logik, der Rationalität und der Wahrheit ablehnen, greifen rationale Argumente für die Wahrheit des Christentums nicht länger. In der heutigen Kultur sollten wir einfach unsere Geschichte erzählen und Menschen einladen, sich daran zu beteiligen.“

Meiner Meinung nach könnte diese Denkweise gar nicht falscher sein. Die Vorstellung, dass wir in einer postmodernen Kultur leben, ist ein Mythos. In Wirklichkeit ist eine postmoderne Kultur eine Unmöglichkeit; sie wäre in keiner Weise lebbar. Niemand ist ein Postmoderner, wenn es darum geht, die Etiketten auf einer Flasche Medizin oder einer Packung Rattengift zu lesen! Man tut gut daran zu glauben, dass Texte eine objektive Bedeutung haben! Menschen sind nicht relativistisch, wenn es um Fragen der Wissenschaft, des Maschinenbaus und der Technik geht; relativistisch und pluralistisch sind sie vielmehr in Fragen der Religion und der Ethik. Aber, sehen Sie, das ist kein Postmodernismus; das ist Modernismus! Es ist einfach das alte Modell des Positivismus und des Verifikationismus, bei dem alles, was man nicht mit seinen fünf Sinnen beweisen kann, einfach eine Frage des individuellen Geschmacks und der emotiven Ausdrucksform ist. Wir leben in einem kulturellen Milieu, das zutiefst modernistisch bleibt.

Tatsächlich meine ich, dass der Postmodernismus eine der perfidesten Täuschungen ist, die Satan ausgeklügelt hat. „Der Modernismus ist tot“, sagt er uns. „Ihr braucht ihn nicht länger zu fürchten. Vergesst ihn; er ist tot und begraben.“ Währenddessen taucht der angeblich tote Modernismus im modisch-neuen Gewand des Postmodernismus wieder auf und gibt sich den Anschein einer neuen Herausforderung. „Eure alten Argumente und eure bisherige Apologetik sind gegen diese neue Erscheinung nicht wirksam“, wird uns erklärt. „Legt sie beiseite; sie nützen nichts. Erzählt einfach eure Geschichte.“ Tatsächlich wird dieser neue Besucher von einigen, die der langen Kämpfe gegen den Modernismus müde sind, mit Erleichterung willkommen geheißen. Und so verleitet Satan uns dazu, freiwillig unsere besten Waffen der Logik und der Beweisführungen beiseite zu legen und damit gerade für den Triumph des Modernismus über uns zu sorgen.Wenn wir diesen selbstmörderischen Weg weiterverfolgen, werden die Folgen für die Kirche der nächsten Generation katastrophal sein. Das Christentum wird auf eine vereinzelte Stimme in einer Kakophonie rivalisierender Stimmen reduziert werden, die jede ihre eigene Geschichte erzählen und von denen keine sich selbst als die objektive Wahrheit über die Wirklichkeit empfiehlt, während der wissenschaftliche Naturalismus die Auffassung unserer Kultur darüber prägt, wie die Welt wirklich ist.

Nun erübrigt es sich natürlich zu sagen, dass wir in der Ausübung der Apologetik relational, demütig und einladend sein sollten; aber das gehört schwerlich zu den ureigenen Einsichten des Postmodernismus. Von Anfang an haben christliche Apologeten gewusst, dass wir die Gründe unserer Hoffnung „mit Sanftmut und Ehrerbietung“ (1. Petrus 3,16) darlegen sollen. Man braucht den Kanon der Logik, der Rationalität und der Wahrheit nicht aufzugeben, um diese biblischen Tugenden zu exemplifizieren.

Und was die Vorstellung betrifft, dass Menschen in unserer Kultur kein Interesse oder keine Offenheit für rationale Argumente und Indizien für die Wahrheit des Christentums mehr haben, so könnte diese Vorstellung falscher nicht sein. Wenn ich aus meiner eigenen Erfahrung schöpfen darf: Ich spreche seit über zwanzig Jahren evangelistisch an Universitäten in Nordamerika und Europa, wo ich das Evangelium im Kontext einer intellektuellen Verteidigung der christlichen Wahrheitsansprüche weitergebe. Stets beende ich meine Vorlesungen mit einer längeren Zeit für Fragen und Antworten. In all diesen Jahren ist buchstäblich niemand je aufgestanden, um zum Beispiel zu sagen: „Ihr Argument beruht auf westlichen, chauvinistischen Standards der Logik und Rationalität“, oder ähnliche postmodernistische Einstellungen auszusprechen. Dies kommt einfach nie vor. Wenn man auf rationaler Ebene auf die Fragen eingeht, reagieren die Leute rational darauf. Wenn Sie wissenschaftliche oder historische Indizien für die christlichen Wahrheitsansprüche darlegen, mögen ungläubige Studenten mit Ihnen über die Fakten diskutieren – was ja genau das ist, was Sie wollen –, aber sie greifen nicht die Objektivität der Wissenschaft oder der Historie selbst an. Wenn Sie ein deduktives Argument für einen christlichen Wahrheitsanspruch präsentieren, mögen ungläubige Studenten gegen Ihre Schlussfolgerung oder gegen Ihre Prämissen Einwände erheben – was wiederum genau der Punkt der Diskussion ist –, aber sie werden nicht Ihre Verwendung der Logik anfechten.

Nun stelle ich allerdings fest, dass Studenten misstrauisch gegen einen christlichen Referenten sein können. Deshalb hören sie gern beide Seiten eines präsentierten Themas. Ich habe festgestellt, dass Debatten aus diesem Grund ein besonders attraktives Forum für die universitäre Evangelisation sind. Acht Jahre lang habe ich an Diskussionen in Debattierclubs der High School und an der Universität teilgenommen und habe über Themen von öffentlichem Interesse wie das Militärhilfeprogramm, Lohn- und Preiskontrollen, und so weiter debattiert. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass die Debatte eines Tages ein geistlicher Dienst werden würde. Doch kurz nach Abschluss meines Theologie-Doktorats wurde ich erstmals von christlichen Studentengruppen in Kanada eingeladen, an Debatten über Themen wie „Existiert Gott?“, „Ist Jesus von den Toten auferstanden?“, „Humanismus versus Christentum“ usw. teilzunehmen. Und dabei entdeckte ich, dass zwar einige Dutzend oder vielleicht mehrere Hundert kommen, um eine Vorlesung von mir zu hören, dass aber mehrere Hundert oder sogar Tausende Studenten kommen, wenn es sich um eine Debatte handelt, in der sie die Argumente beider Seiten hören können. An der UC Riverside kamen zum Beispiel 2.200 Studenten, um meine Debatte mit Greg Cavin über die Auferstehung Jesu zu hören. An der Universität von Wisconsin in Madison kamen 4.000 Studenten – und das am Abend eines Basketball-Spiels! –, um Antony Flew und mich über die Existenz Gottes debattieren zu hören. Erst im vergangenen Februar trotzten 3.000 Studenten an der Universität von Iowa einem Schneesturm, der den Campus mit einer achtzehn Zentimeter dicken Schneedecke überzog, um meine Debatte mit einem örtlichen Professor für Religionswissenschaften zu hören, der für seine Kampagne gegen das Christentum bekannt war. Später im Frühling dieses Jahres kamen 3.000 Studenten der Purdue Universität, um meine Debatte mit dem jungen humanistischen Philosophen Austin Dacey über die Frage „Existiert Gott?“ zu hören. Bei allen diesen Debatten ist die Herangehensweise diejenige der rationalen Argumente und Beweisführungen durch Indizien. Studenten zeigen ein enormes Interesse an ausgewogenen Erörterungen über die Gründe für und wider den christlichen Glauben.

Lassen Sie sich also nicht zu der Annahme verleiten, die Menschen unserer Kultur wären nicht mehr an Beweisen für das Christentum interessiert. Genau das Gegenteil trifft zu. Es ist äußerst wichtig, dass wir eine Kultur bewahren, in welcher das Evangelium als eine lebendige Option für denkende Menschen gehört wird, und die Apologetik wird eine zentrale Rolle spielen, um dieses Ziel zu erreichen.

2. Christliche Apologetik leistet einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Gläubigen

2. Gläubige stärken. Apologetik ist nicht nur wichtig, um unsere Kultur zu prägen, sondern hat auch eine wesentliche Funktion für das Leben des Einzelnen. Eine dieser Funktionen besteht darin, die Gläubigen zu stärken.

Im Sommer 1982 wohnten meine Frau Jan und ich in einem Appartement in Berlin, wo ich mich auf meine mündlichen Theologieprüfungen an der Universität von München vorbereitete. Schon seit über einem Jahr bereitete ich mich auf diese entscheidenden Examen vor, und es gab einen etwa 30 Zentimeter hohen Stapel an Notizen, die ich buchstäblich auswendig gelernt hatte und für das bevorstehende Examen täglich wiederholte. Während dieser Zeit in Berlin hatten wir das Vergnügen, Ann Kiemel und ihren frisch angetrauten Ehemann Will zu Gast zu haben, die auf Durchreise waren. Nun war Ann damals eine der bekanntesten christlichen Referentinnen in Amerika. Sie war eine ganz besondere Persönlichkeit, die oft auf völlig fremde Leute zuging und sie zu ermutigen versuchte, indem sie ihnen kurze improvisierte Lieder vorsang und von ihrem Glauben erzählte. Sie war ausgesprochen gefühlsbetont und emotional. Oft erzählte sie Geschichten – zum Teil rein fiktiv, zum Teil wahr –, die ganze Scharen von Zuhörerinnen innerhalb von Minuten zu Tränen rührten.

Nun, als wir eines Tages zu Tisch saßen, kam ich auf den Gedanken, ich könnte vielleicht aus ihren Erfahrungen einiges lernen. „Ann“, fragte ich, „wie bereitest du dich denn auf deine Vorträge vor?“
„Oh, ich bereite mich nicht vor“, sagte sie.
Ich war völlig verblüfft. „Du bereitest dich nicht vor?“, fragte ich.
„Nein“, bestätigte sie.
Ich war einfach fassungslos. „Ja, aber was machst du dann?“, wollte ich wissen.
„Oh, ich erzähle einfach von meinen Schwierigkeiten.“

Ich konnte es nicht glauben. Da schuftete ich jahrelang zur Vorbereitung auf meinen Dienst – und sie bereitete sich überhaupt nicht vor! Aber es bestand kein Zweifel an ihrer Effektivität. Sie erreichte Tausende mit dem Evangelium. Sie erzählte Geschichten darüber, wie selbst hartgesottene Akademiker durch ihre kleinen Lieder und Geschichten weich wurden und zu Christus kamen. Ich dachte: „Warum mache ich das alles, wenn man nichts zu tun braucht, als über seine Schwierigkeiten zu sprechen?“

Im Herbst desselben Jahres kehrten wir in die Vereinigten Staaten zurück, um ein Sabbatjahr an der Universität von Arizona in Tucson zu verbringen, wo ein ehemaliger Studienkollege wohnte. Eines Tages erzählte ich ihm von meinem Gespräch mit Ann und berichtete, wie es mir buchstäblich den Wind aus den Segeln genommen hatte. Er gab mir etwas zur Antwort, das mich sehr über die Richtigkeit meines Weges vergewisserte: „Bill, eines Tages werden die Menschen, die Ann Kiemel zum Herrn gebracht hat, das brauchen, was du zu geben hast.“

Er hatte recht. Emotionen tragen uns nur ein Stück weit und dann brauchen wir etwas, das mehr Substanz hat. Apologetik bietet einen Teil dieser Substanz. Wenn ich überall im Land in Gemeinden spreche, begegne ich oft Eltern, die nach dem Gottesdienst auf mich zukommen und auf die eine oder andere Weise sagen: „Wären Sie nur vor zwei oder drei Jahren hier gewesen! Unser Sohn (oder unsere Tochter) hatte Fragen über den Glauben, die keiner in der Gemeinde beantworten konnte, und nun hat er seinen Glauben verloren und ist weit weg vom Herrn.“

Es bricht mir wirklich das Herz, solchen Eltern zu begegnen. Auf meinen Reisen habe ich aber auch die Erfahrung gemacht, Menschen zu treffen, die mir erzählten, wie sie vor einer Apostasie bewahrt wurden, indem sie ein apologetisches Buch lasen oder ein Video mit einer Debatte sahen. In ihrem Fall war Apologetik das Mittel, durch das Gott sie befähigte, im Glauben zu verharren. Nun kann Apologetik natürlich nicht garantieren, dass jemand im Glauben standhaft bleibt, aber sie kann eine Hilfestellung geben und in einigen Fällen vielleicht sogar – durch die Vorsehung Gottes – notwendig sein. Kürzlich hatte ich das Vorrecht, an der Princeton Universität über Argumente für die Existenz Gottes zu sprechen, und nach meiner Vorlesung kam ein junger Mann auf mich zu, der mit mir reden wollte. Offensichtlich den Tränen nahe erzählte er mir, wie er einige Jahre zuvor mit Zweifeln gerungen hatte und kurz davor gewesen war, seinen Glauben aufzugeben. Dann gab jemand ihm ein Video mit einer meiner Debatten. Er sagte: „Das bewahrte mich davor, meinen Glauben zu verlieren. Ich kann Ihnen gar nicht genug danken.“

Ich sagte: „Es war der Herr, der Sie davor bewahrte, vom Glauben abzufallen.“

„Ja“, erwiderte er, „aber Er hat Sie dazu benutzt. Ich kann Ihnen nicht genug danken.“ Ich sagte ihm, wie sehr ich mich für ihn freute, und fragte ihn nach seinen Plänen für die Zukunft. „Dieses Jahr mache ich mein Examen“, berichtete er, „und dann will ich ein theologisches Seminar besuchen, um danach im pastoralen Dienst zu arbeiten.“ Preis sei Gott für den Sieg im Leben dieses jungen Mannes!

Andere Studenten, denen ich in Princeton begegnete, hatten sich in ein Seminar eingeschrieben, das die Kritikerin des Neuen Testaments Elaine Pagels hielt und dem sie den Spitznamen „Glaubenskillerkurs“ gegeben hatten, weil es eine so zerstörerische Wirkung auf viele christliche Studenten hatte. Sie konnten nicht wissen, wie weit die Auffassungen dieser Professorin über die gnostischen Evangelien vom Mainstream der Wissenschaft entfernt waren. Es war ein Vorrecht, ihnen Gründe für die Glaubwürdigkeit der neutestamentlichen Berichte über Jesus darzulegen.

Die Erfahrung dieser Studenten ist nicht ungewöhnlich. In der Highschool und im College werden christliche Teenager intellektuell mit allen erdenklichen nicht-christlichen Weltanschauungen konfrontiert, gepaart mit einem alles vereinnahmenden Relativismus. Wenn Eltern sich nicht intellektuell mit ihrem Glauben auseinandersetzen, sodass sie keine soliden Argumente für den christlichen Theismus haben und auf die Fragen ihrer Kinder keine guten Antworten geben können, stehen wir in der ernsten Gefahr, unsere Jugend zu verlieren. Es genügt längst nicht mehr, unseren Kindern einfach biblische Geschichten zu vermitteln; sie brauchen Lehre und Apologetik. Es ist schwer zu verstehen, wie Menschen es heute wagen können, als Eltern Kinder zu erziehen, ohne selber Apologetik studiert zu haben.

Leider haben auch unsere Gemeinden in diesem Bereich Fehler gemacht. Es genügt nicht, wenn Jugendgruppen und Sonntagsschulklassen sich auf Unterhaltung und ein paar seichte geistliche Betrachtungen konzentrieren. Wir müssen unsere Kinder auf geistliche Kämpfe vorbereiten. Wir dürfen nicht riskieren, sie mit Gummischwertern und Plastikrüstungen auf staatliche Schulen und Universitäten zu schicken. Die Zeit für spielerisches Geplänkel ist vorbei.

Christliche Apologetik leistet aber viel mehr, als vor einem Abfall vom Glauben zu schützen. Die positiven, aufbauenden Auswirkungen einer apologetischen Ausbildung sind sogar noch offenkundiger. Das sehe ich ständig, wenn ich an Univerisäten debattiere. John Stackhouse ließ mir gegenüber einmal die Bemerkung fallen, dass diese Debatten eigentlich eine westliche Version dessen sind, was Missiologen eine „Machtkonfrontation“ nennen. Ich denke, das ist eine treffende Analyse. Christliche Studenten gehen mit erhobenem Haupt und mit neuer Glaubenszuversicht aus solchen Begegnungen hervor; sie sind stolz darauf, Christen zu sein, und haben mehr Mut, in ihren Fakultäten offen über Christus zu sprechen. Manchmal sagen Studenten nach einer Debatte: „Ich kann es gar nicht abwarten, mit anderen über meinen Glauben an Christus zu sprechen!“

Viele Christen sprechen einfach aus Befangenheit nicht mit Ungläubigen über ihren Glauben. Sie haben Angst, dass Nicht-Christen ihnen Fragen stellen oder Einwände erheben werden, auf die sie keine Antwort wissen. Und so ziehen sie es vor zu schweigen, sodass sie ihr Licht unter einen Scheffel stellen und dem Missionsbefehl Christi nicht gehorchen. Eine apologetische Ausbildung gibt der Evangelisation enormen Auftrieb, denn nichts inspiriert mehr Zuversicht und Kühnheit als zu wissen, dass man gute Gründe für das hat, was man glaubt, und dass man gute Antworten auf die typischen Fragen und Einwände hat, die Ungläubige vorbringen mögen. Eine solide Schulung in Apologetik ist ein Schlüssel für unerschrockene Evangelisation.

Auf diese und auf vielfältige andere Art und Weise trägt Apologetik dazu bei, den Leib Christi aufzubauen, indem die einzelnen Christen gestärkt werden.

3. Christliche Apologetik leistet einen wesentlichen Beitrag zur Evangelisierung der Ungläubigen.

3. Ungläubige evangelisieren. Wenige Menschen würden mir widersprechen, wenn ich sage, dass Apologetik den Glauben von Christen stärkt. Viele würden aber sagen, dass Apologetik in der Evangelisation nicht sehr nützlich ist. „Niemand kommt durch Argumente zu Christus“, sagen sie. (Ich weiß nicht, wie oft ich das schon gehört habe.)

Nun entspricht diese geringschätzende Einstellung zur Rolle der Apologetik in der Evangelisation gewiss nicht der biblischen Sicht. Wenn man die Apostelgeschichte liest, zeigt sich, dass es das Standardverfahren der Apostel war, um für die Wahrheit der christlichen Sicht zu argumentieren, sowohl gegenüber Juden wie auch gegenüber Nicht-Juden (z.B. Apg 17,2-3.17; 19,8; 28,23-24). Bei jüdischen Zuhörern beriefen sich die Apostel auf die Erfüllung von Prophetien, auf die Wunder Jesu und besonders auf die Auferstehung Jesu, um zu beweisen, dass er der Messias war (Apg 2,22-32). Wenn sie es mit nicht-jüdischen Zuhörern zu tun hatten, die das Alte Testament nicht akzeptierten, beriefen sich die Apostel auf Gottes Werk in der Natur, um die Existenz des Schöpfers zu beweisen (Apg 14,17). Außerdem beriefen sie sich auf die Aussage von Augenzeugen der Auferstehung Jesu, um deutlich zu machen, dass Gott sich in Jesus Christus offenbart hatte (Apg 17,30-31; 1. Kor 15,3-8).

Offen gesagt denke ich, dass diejenigen, die Apologetik in der Evangelisation für überflüssig halten, einfach nicht sehr oft evangelisieren. Ich vermute, dass sie gelegentliche Versuche unternommen haben, apologetische Argumente zu benutzen, und dabei feststellten, dass die Ungläubigen sich nicht überzeugen ließen. Daraus ziehen sie dann pauschal den Schluss, dass Apologetik in der Evangelisation unwirksam ist.

Nun sind solche Leute in gewissem Maß einfach das Opfer falscher Erwartungen. Wenn man bedenkt, dass nur eine Minderheit derjenigen, die das Evangelium hören, es auch annehmen, und dass nur eine Minderheit derjenigen, die es annehmen, dies aus intellektuellen Gründen tun, sollten wir nicht überrascht sein, dass Apologetik nur bei einer relativ kleinen Zahl von Menschen wirksam ist. Es liegt in der Natur der Sache, dass wir damit rechnen müssen, dass die meisten Ungläubigen sich durch unsere apologetischen Argumente nicht überzeugen lassen werden, genauso wie die meisten sich auch durch die Predigt vom Kreuz nicht berühren lassen.

Nun, warum sollten wir uns dann überhaupt mit dieser Minderheit einer Minderheit abgeben, bei welcher die Apologetik wirksam ist? Erstens, weil jede Person in Gottes Augen so kostbar ist, dass Christus für sie starb. Wie ein Missionar berufen ist, irgendeine fast unbekannte Volksgruppe zu erreichen, ist dem christlichen Apologeten aufgetragen, diejenige Minderheit von Menschen zu erreichen, die auf rationale Argumente und Indizien antworten wird.

Zweitens aber – und hier unterscheidet sich die Situation wesentlich vom Fall der fast unbekannten Volksgruppe – hat diese Personengruppe trotz ihrer geringen Zahl einen enormen Einfluss. Eine dieser Personen war zum Beispiel C. S. Lewis. Denken Sie an den Einfluss, den die Bekehrung dieses einen Mannes auch heute noch hat! Ich stelle fest, dass Ingenieure, Menschen in medizinischen Berufen und Rechtsanwälte diejenigen sind, die oft am stärksten auf meine apologetische Arbeit reagieren. Dieser Personenkreis gehört zu den einflussreichsten, die heute unsere Kultur prägen. Das Erreichen dieser Minderheit führt deshalb zu einer großen Ernte für das Reich Gottes.

Die allgemeine Schlussfolgerung, Apologetik sei in der Evangelisation unwirksam, ist voreilig. Lee Strobel machte mir gegenüber kürzlich die Bemerkung, dass er längst nicht mehr zählen kann, wie viele Menschen durch seine Bücher Der Fall Jesus und Glaube im Kreuzverhör [5] zu Christus gekommen sind. Genauso wenig – wenn eine persönliche Bemerkung erlaubt ist – entspricht es meiner Erfahrung, dass Apologetik in der Evangelisation unwirksam wäre. Immer wieder begeistert es uns zu erleben, wie Menschen nach einer apologetisch orientierten Darstellung des Evangeliums ihr Leben Christus weihen. Nach einem Vortrag über Argumente für die Existenz Gottes oder über Beweise für die Auferstehung Jesu oder nach einer Verteidigung des christlichen Partikularismus schließe ich manchmal mit einem Gebet für die Übergabe des eigenen Lebens an Christus, und die Kommentarkarten zeigen, wer diese Lebensübergabe vollzogen hat. Erst im vergangenen Frühling machte ich eine Vortragsreise zu verschiedenen Universitäten in Illinois, und wir stellten begeistert fest, dass fast nach jeder meiner Präsentationen einige Studenten eine Entscheidung für Christus angaben. Ich habe erlebt, dass Studenten einfach dadurch zu Christus kamen, dass sie eine Verteidigung des kalām-kosmologischen Arguments [6] hörten!

Besonders spannend war das bei Eva Dresher, einer polnischen Physikerin, der wir kurz nach dem Abschluss meiner philosophischen Promotion in Deutschland begegneten. Als Jan und ich mit Eva plauderten, erwähnte sie, dass die Physik ihren Glauben an Gott zunichte gemacht hatte und dass das Leben für sie sinnlos geworden war. „Wenn ich das Universum betrachte, sehe ich nur Dunkelheit“, erklärte sie, „und wenn ich mich selbst anschaue, sehe ich in meinem Innern nur Dunkelheit.“ (Was für eine treffende Formulierung des modernen Dilemmas!) Nun, an diesem Punkt warf Jan ein: „Oh, Sie sollten Bills Dissertation lesen! Er beweist mithilfe der Physik, dass Gott existiert.“ Wir gaben ihr also meine Dissertation über das kosmologische Argument zu lesen. In den folgenden Tagen wuchs ihre Begeisterung. Als sie den Abschnitt über Astronomie und Astrophysik las, war sie ganz aufgeregt. „Ich kenne diese Wissenschaftler, die Sie zitieren!“, rief sie erstaunt aus. Bevor sie das Buch zu Ende gelesen hatte, war ihr Glaube wiederhergestellt worden. „Danke, dass Sie mir geholfen haben zu glauben, dass Gott existiert“, sagte sie.

Wir antworteten: „Würden Sie Ihn gern persönlich kennen lernen?“ Dann verabredeten wir uns für den Abend in einem Restaurant. In der Zwischenzeit bereiteten wir aus dem Gedächtnis unsere eigene handgedruckte Version der Vier Geistlichen Gesetze vor. Nach dem Abendessen schlugen wir das Heft auf und fingen an: „So wie es physikalische Gesetze gibt, die das physische Universum regieren, so gibt es geistliche Gesetze für Ihre Beziehung zu Gott...“

„Ah, physikalische Gesetze! Geistliche Gesetze!“, rief sie aus. „Das ist genau das Richtige für mich!“ Als wir am Ende zu den beiden Kreisen kamen, die zwei Lebensweisen darstellen, und fragten, welcher Kreis ihr eigenes Leben darstellte, legte sie die Hand auf die beiden Kreise und sagte: „Oh, das ist aber eine sehr persönliche Frage! Darauf kann ich jetzt nicht antworten.“ Also ermutigten wir sie, das Heft mitzunehmen und zuhause ihr Leben Christus zu geben.

Als wir sie am nächsten Tag trafen, strahlte ihr Gesicht vor Freude. Sie erzählte uns, wie sie nach Hause gegangen war und in ihrem Zimmer ganz persönlich gebetet hatte, um Christus anzunehmen. Anschließend hatte sie den ganzen Wein und sämtliche Beruhigungstabletten, die sie besaß, in die Toilette geschüttet. Sie war wirklich völlig verwandelt. Wir gaben ihr eine Gute Nachricht-Bibel und erklärten ihr, wie wichtig die beständige Gemeinschaft mit Gott im Gebet ist. Dann trennten sich unsere Wege für mehrere Monate. Doch als wir sie wiedersahen, war sie immer noch begeistert im Glauben und erzählte uns, dass ihre Gute Nachricht- Bibel und das handgefertigte Heft mit den Vier Geistlichen Gesetzen nun ihr kostbarster Besitz waren. Für mich war das ein besonders anschauliches Beispiel dafür, wie der Heilige Geist Argumente und Indizien benutzen kann, um Menschen zu einer rettenden Erkenntnis Gottes zu führen.

Spannend war es auch, Geschichten von Menschen zu hören, die eine meiner Veröffentlichungen gelesen hatten und dadurch zu Christus gekommen waren. Als ich zum Beispiel vor einigen Jahren in Moskau sprach, traf ich einen Mann aus Minsk in Weißrussland. Er erzählte mir, dass er kurz nach dem Fall des Kommunismus im Radio von Minsk gehört hatte, wie jemand auf Russisch aus meinem Buch The Existence of God and the Beginning of the Universe (dt. Die Existenz Gottes und der Ursprung des Universums) las. Am Ende der Radiosendung war er zu der Überzeugung gekommen, dass Gott existiert, und hatte sein Leben Christus gegeben. Er erzählte mir, dass er heute in einer Baptistengemeinde in Minsk als einer der Ältesten dem Herrn dient. Gott sei die Ehre! Früher in diesem Jahr traf ich an der Texas A & M Universität eine Frau, die zu einer meiner Vorträge gekommen war. Unter Tränen berichtete sie mir, dass sie 27 Jahre lang fern von Gott lebte und jedes Gefühl von Hoffnung und Sinn verloren hatte. Als sie eines Tages in einem Border‘s Bookstore stöberte, stieß sie auf mein Buch Will the Real Jesus Please Stand Up?, das meine Debatte mit John Dominic Crossan, dem stellvertretenden Vorsitzenden des radikalen Jesus-Seminars enthält, und kaufte ein Exemplar. Sie sagte, dass es für sie so war, als wäre ihr beim Lesen einfach ein Licht aufgegangen, und dass sie ihr Leben Christus gegeben hatte. Als ich sie nach ihrer beruflichen Tätigkeit fragte, sagte sie, dass sie als Psychologin in einem Frauengefängnis in Texas arbeitet. Stellen Sie sich nur den christlichen Einfluss vor, den sie in einer so verzweifelten Umgebung haben kann!

Es sei mir erlaubt, eine letzte Geschichte zu erzählen: In den letzten Jahren hatte ich das Vorrecht, an verschiedenen Universitäten in Kanada und den Vereinigten Staaten an Debatten mit islamischen Apologeten beteiligt zu sein. In diesem Sommer erhielt ich an einem Samstagmorgen einen Anruf. Die Stimme am anderen Ende verkündete: „Hallo! Hier ist Sayd al-Islam aus dem Oman!“ Ich dachte: „Oh nein! Jetzt haben sie mich doch aufgespürt!“ Er fuhr fort zu erklären, dass er insgeheim seinen muslimischen Glauben verloren hatte und Atheist geworden war. Aber nachdem er nun verschiedene christliche apologetische Werke gelesen hatte, die er über Amazon.com bestellte, war er zum Glauben an Gott gekommen und stand im Begriff, sein Leben Christus zu geben. Er war beeindruckt über die Beweise für die Auferstehung Jesu und hatte mich angerufen, weil er noch einige Fragen hatte, die er klären musste. Wir sprachen eine Stunde lang miteinander und ich spürte, dass er in seinem Herzen schon zum Glauben an Christus gekommen war; aber er wollte vorsichtig sein und sich der Indizien für den Glauben vergewissern, bevor er ganz bewusst diesen Schritt tat. Er erklärte mir: „Sie verstehen, dass ich Ihnen meinen wahren Namen nicht nennen kann. In meinem Land muss ich eine Art Doppelleben führen, um nicht getötet zu werden.“ Ich betete mit ihm, dass Gott ihn weiter in die Wahrheit führen würde, und dann verabschiedeten wir uns. Sie können sich vorstellen, welche Dankbarkeit mein Herz erfüllte, dass Gott diese Bücher – und das Internet! – im Leben dieses Mannes gebraucht hatte! Solche Geschichten gibt es in Fülle und die meisten davon bekommen wir natürlich nie zu hören.

Diejenigen, die behaupten, dass Apologetik bei Ungläubigen nicht wirksam sei, tun das also offenbar aus ihrer begrenzten Erfahrung heraus. Wenn Apologetische Argumente überzeugend dargelegt und einfühlsam mit einer Darstellung des Evangeliums und einem persönlichen Lebenszeugnis verbunden werden, stellt sich der Geist Gottes dazu und gebraucht es, um bestimmte Menschen zum Herrn zu führen. Ist Apologetik in solchen Fällen nötig? Wären diese Menschen sowieso zum Glauben gekommen, selbst wenn sie die Argumente nie gehört hätten? Ich denke, wir müssen sagen: „Das weiß nur Gott allein!“ Zumindest weiß er das, wenn er mittleres Wissen hat, richtig? Vielleicht kennen wir den Wahrheitswert solcher kontrafaktischen Aussagen nicht; aber aus Erfahrung können wir wissen und wissen wir tatsächlich, dass Gott Apologetik in der Evangelisation gebraucht, um verlorene Menschen zu sich zu ziehen.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass christliche Apologetik ein wesentlicher Teil des theologischen Curriculums ist. Zwar ist sie nicht notwendig für die Rechtfertigung christlicher Überzeugungen, aber sie ist, so glaube ich, nichtsdestoweniger hinreichend für die Rechtfertigung des christlichen Glaubens, und damit von großem Nutzen. Die Apologetik spielt eine wichtige – und vielleicht sogar entscheidende – Rolle für das Prägen der Kultur, die Stärkung der Gläubigen und die Evangelisierung der Ungläubigen. Aus allen diesen Gründen bin ich – ohne jeden Anflug falscher Zurückhaltung – von der christlichen Apologetik begeistert.

(Übers.: M. Wilczek)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/christian-apologetics-who-needs-it

  • [1]

    Diese Vorlesungen wurden 2004 gehalten. Klicken Sie hier, um zur deutschen Übersetzung der anderen Stob-Vorlesungen zu gelangen: Teil 1 und Teil 2. (Anm. d. Übers.)

  • [2]

    Cornelius Plantinga, jr., geb. 1946, war Präsident des Calvin Theological Seminary von 2002-2011. Cornelius Plantinga ist Bruder des Religionsphilosophen Alvin Plantinga (geb. 1932). Das Calvin College und das Calvin Theological Seminary halten jährlich zu Ehren Dr. Henry J. Stobs die nach ihm benannten „Stob-Vorlesungen“ ab. Die Vorlesungen beschäftigen sich vorwiegend mit Fragen der Ethik, Apologetik und der philosophischen Theologie. Finanzielle Grundlage der Stob-Vorlesungen ist die Henry-J.-Stob-Stiftung. Geleitet werden die Vorlesungen von einem Gremium, dem unter anderem auch die Präsidenten des Calvin Colleges und des Calvin Theological Seminarys angehören. (Anm. d. Übers).

  • [3]

    Ich denke, dass reformierte Epistemologen wie Alvin Plantinga in der Lage waren, ein epistemologisches Modell zu entwickeln, das – wenn der christliche Theismus wahr ist – zeigt, wie der christliche Glaube sogar in Abwesenheit apologetischer Argumente gerechtfertigt sein kann. Ich würde das Modell für die Zwecke der christlichen Theologie nur insofern modifizieren, dass der so genannte sensus divinitatis, für den es keine biblische Grundlage gibt, eliminiert wird zugunsten des testimonium Spiritu Sancti internum oder des inneren Zeugnisses des Heiligen Geistes, das in der Bibel bestätigt wird. Außerdem würde ich das Zeugnis des Heiligen Geistes nicht für einen glaubensbildenden Prozess halten, der einer kognitiven Fähigkeit vergleichbar wäre (eine Deutung, die es schwer macht, die Position zu vertreten, es sei buchstäblich wahr zu sagen: „Ich glaube an Gott“, da die Fähigkeit oder der Prozess nicht meine sind). Vielmehr würde ich es entweder als eine Art von Zeugnis verstehen, das der Geist Gottes mir gibt, oder als einen Teil der Umstände, die den von mir gebildeten Glauben an Gott und an die großen Wahrheiten des Evangeliums begründen.

  • [4]

    Einige reformierte Epistemologen unterstützen zwar die Argumente der natürlichen Theologie, äußern sich aber nichtsdestoweniger skeptisch gegenüber den Perspektiven der historischen Apologetik, denn – so die Begründung - indem man der eigenen Hypothese mehr Spezifizität hinzufügt, verringert sich die Wahrscheinlichkeit dieser Hypothese rapide (unter der Annahme, man müsse die Wahrscheinlichkeiten der Indizien multiplizieren statt addieren, Anm. des Übers.). Ein solcher Einwand ist jedoch in zweifacher Hinsicht fehlgeleitet. Erstens brauchen sich die Wahrscheinlichkeiten nicht zu verringern und können sich sogar erhöhen, wenn man der eigenen Hintergrundinformation progressiv zusätzliche spezifische Indizien hinzufügt, um die Hypothesen zu verfeinern. Der Irrtum des Einwands liegt darin, dass er unterstellt, dass man die Indiziengrundlage konstant hält, während zusätzliche Hypothesen ergänzt werden; stattdessen erweitert man ja die Indiziengrundlage, indem man sich auf die spezifisch christlichen Überzeugungen konzentriert. Zweitens ist es generell so, dass Historiker typischerweise historische Hypothesen nicht aufgrund einer Wahrscheinlichkeitsberechnung beurteilen. Sie benutzen eher Beurteilungskriterien wie die Reichweite der Erklärung, die Aussagekraft der Erklärung, den Grad ihres ad hoc-Charakters und so weiter. Das ist die Art und Weise, wie ich für die Überlegenheit der Auferstehungshypothese argumentiert habe.

  • [5]

    Originaltitel: The Case for Christ und The Case for Faith (Anm. d. Übers.)

  • [6]

    Eine anschauliche Darstellung des kalām-kosmologischen Arguments findet sich in W.L. Craig, On Guard. Defending Your Faith with Reason and Precision, Colorado Springs 2010, Kapitel 4. Das Buch On Guard erscheint 2015 unter demselben Titel auch in deutscher Sprache.

    Für eine detaillierte wissenschaftlich begründete Darstellung vgl. Kapitel 3 in W.L. Craig, J.P. Moreland (Hrsg.), The Blackwell Companion to Natural Theology (Oxford 2012), S. 101-200.
    Siehe auch die auf dieser Webseite verfügbaren Beiträge zu dieser Thematik, etwa die Aufsätze http://www.reasonablefaith.org/popular-articles-the-kalam-cosmological-argument und http://www.reasonablefaith.org/the-scientific-kalam-cosmological-argument. Vgl. auch die Artikel unter "writings" ==> "scholarly articles" ==> "The Existence of God", in denen W.L. Craig u.a. auf Kritiker des Argumentes eingeht. (Anm. d. Übers)