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#596 „Dann auch ich“

May 26, 2019
F

Ein zurzeit sehr beliebtes Worship-Lied, „Dann auch ich“ von Joel Houston, enthält die folgenden Zeilen, die meiner Meinung nach einige ganz faszinierende Fragen ansprechen, zu denen ich Ihre Meinung sehr gerne gehört hätte:

„Ich entdeck Dein Herz fast acht Milliarden Mal
Jeder Einzelne ein Kind, für das Du starbst[1]
Wenn Du Dich aus Liebe hingabst
Dann auch ich
Ja Du tätest es erneut Milliarden Mal

Hier werden mindestens drei interessante theologische Fragen angesprochen:

1) Können wir sagen, wir sehen „Gottes Herz“ in jedem Menschen? Sogar in Menschen wie Adolf Hitler? Ist das eine richtige Ansicht des Konzepts Imago Dei?

2) Ist jeder Mensch ein „Kind“ Gottes, oder sollten nur die Geretteten „Kinder“ genannt werden?

3) Die interessanteste Frage, bei der ich für Ihre Gedanken am meisten dankbar wäre: Das Lied bringt zum Ausdruck, dass Christus Milliarden Mal für uns sterben „würde“ (was, denke ich, ausdrückt, dass Christus für jeden Menschen in der Menschheitsgeschichte persönlich gestorben ist). Ist es jemals vernünftig, darüber zu sprechen, was Gott (ob als erste oder zweite Person der Trinität) tun „würde“? Macht ein solches Kontrafaktum überhaupt Sinn, wenn wir über einen notwendigerweise existierenden Gott sprechen? Von einem „würde“ zu sprechen, impliziert doch eine Reihe kontingenter, kontrafaktischer Umstände, in denen Gott sich sozusagen „wiederfindet“, die sich aber von den tatsächlichen Umständen unterscheiden. Doch ist es nicht so, dass alle Umstände von Gott abhängig sind und nicht anders herum? Macht ein Kontrafaktum im Konjunktiv Sinn, wenn es um Gott geht? Das ist ein beliebtes Lied in vielen Kirchen und Gemeinden, das von vielen gesungen wird, und es zeigt meiner Meinung nach, wie wichtig Theologie für jeden „gewöhnlichen“ Gläubigen ist.

Matthew

Großbritannien

 

[1] Die offizielle deutsche Hillsong-Übersetzung enthält nicht das Wort „Kind“, sondern „Schatz.“ Doch in der englischen Originalfassung steht „child“ und hier auch, weil der Fragensteller darauf Bezug nimmt – Anm. d. Übers.

Afghanistan

Prof. Craigs Antwort


A

Da mir Hymnen viel mehr liegen als moderne Lobpreislieder, bin ich mit diesem Lied nicht vertraut, Matthew. Doch allgemein gesprochen, denke ich, dass wir gut daran täten, derlei poetische Texte nicht zu hölzern zu interpretieren. Ich weiß noch, wie mein Philosophie-Professor Stuart Hackett einen Studenten ermahnte, der seine Zweifel an der Wahrheit des Gospelsongs „Every Day with Jesus is Sweeter than the Day Before“[1] zum Ausdruck brachte. Hackett sagte: Verstehen Sie gar nichts über das Wesen religiöser Sprache?“ Das Lied sollte nicht wortwörtlich verstanden werden, sondern fungiert als ein Ausdruck jemandes Liebe für den Herrn. Genauso sollten wir auch „So Will I“ nicht zu streng nach seinem wörtlichen Wahrheitsgehalt beurteilen.

Nun aber zu Ihren Fragen:

1. Können wir sagen, wir sehen „Gottes Herz“ in jedem Menschen? Klar, warum nicht? Gott liebt diesen Menschen und sandte seinen Sohn, damit dieser für ihn sterbe. „Gott aber beweist seine Liebe zu uns dadurch, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren“ (Römer 5,8). „Gott … will nicht, dass jemand verlorengehe, sondern dass jedermann Raum zur Buße habe“ (2. Petrus 3,9). Dieser Mensch ist zudem, wie Sie sagten, im Bilde Gottes geschaffen und daher intrinsisch wertvoll, unabhängig von seinem gefallenen, sündigen Zustand. Das Lied kann als poetischer Ausdruck des imago Dei verstanden werden, in dem jeder Mensch, sogar Adolf Hitler geschaffen ist.

2. Ist jeder ein „Kind“ Gottes, oder sollten nur die Geretteten „Kinder“ genannt werden? Nur die Geretteten können mit Recht Kinder Gottes genannt werden. Johannes sagt in Bezug auf Jesus: „Allen aber, die ihn aufnahmen, denen gab er das Anrecht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben“ (Johannes 1,12). Wir sind nicht von unserer natürlichen Geburt her Kinder Gottes; Kind Gottes zu sein, ist vielmehr das Ergebnis einer Adoption, ein rechtlicher Stand, den wir in Christus durch geistliche Wiedergeburt haben.

Doch ich habe bemerkt, dass in dem Lied nicht der Ausdruck „Kind Gottes“ verwendet wird, sondern einfach nur „Kind“. Ist das vielleicht Absicht? Möglicherweise ist der Gedanke dahinter der, dass Ungläubige wie wertvolle, wenn auch irrende, Kinder sind. Gott liebt sie und Christus starb, um sie zu retten. Doch sie können erst dann Kinder Gottes genannt werden, wenn an seinen Namen glauben.

3. Ist es jemals vernünftig, darüber zu sprechen, was Gott (ob als erste oder zweite Person der Trinität) tun „würde“? Ich denke schon. Wenn eine Handlung im Konflikt mit Gottes Wesen steht, dann können wir, denke ich, ziemlich zuversichtlich sagen, dass Gott das nicht tun würde. Ich bezweifele zum Beispiel, dass Gott die Welt schaffen würde, wenn er wüsste, dass jeder Mensch Christus aus freien Stücken ablehnen und somit verdammt würde. Das scheint nicht mit seiner Liebe und seinem Rettungswillen vereinbar zu sein. Das Lied sagt also, dass Gott, wenn er etwas von vorne wiederholen müsste, Christus wieder in die Welt schicken würde, damit er sterbe – sogar Milliarden Mal. Gottes Liebe kennt keine Grenzen.

Doch ist es nicht so, dass alle Umstände von Gott abhängig sind und nicht anders herum? Macht ein Kontrafaktum im Konjunktiv Sinn, wenn es um Gott geht? Gewiss, Gott selbst ist von nichts abhängig. Doch Sie scheinen übersehen zu haben, dass Gott der molinistischen Ansicht nach nicht nur die Kontrafakten geschöpflicher Freiheit weiß (mittleres Wissen), sondern auch Kontrafakten göttlicher Freiheit. Er hat kein mittleres Wissen von Kontrafakten göttlicher Freiheit, da solche Kontrafakten logisch vor Gottes Schöpfungsdekret nicht wahr sind (Kontrafakten geschöpflicher Freiheit hingegen schon). Der molinistischen Sichtweise nach schließt Gottes Dekret, eine Welt zu erschaffen, vielmehr auch seine Entscheidung ein, wie er in beliebigen Umständen freiwillig handeln würde. Sein Wissen über seine eigenen freien Entscheidungen liegt nicht logisch vor seinem Schöpfungsdekret, sondern ist simultan dazu. Da sich die meisten Diskussionen über Gottes Wissen über Konditionale im Konjunktiv um sein mittleres Wissen drehen, wird sein Wissen über Kontrafakten göttlicher Freiheit oft übersehen. Doch es ist ein essentieller Teil des molinistischen Modells.

Meine Kritik an dem Lied hingegen bezieht sich lediglich auf den grammatischen Fehler in der letzten Zeile.[2] Es nervt mich einfach, nur Satzfetzen oder gar grammatikalische Fehler singen zu müssen.

 

[1] Zu Deutsch: „Jeder Tag mit Jesus ist süßer als der Tag davor“ – Anm. d. Übers.

[2] Im Englischen steht „Like you would“ statt „As you would” – Anm. d. Übers.

 

 

(Übers.: J. Booker)

Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/so-will-i

- William Lane Craig