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Zeitlosigkeit und Omnitemporalität

Summary

Wie sollen wir die göttliche Ewigkeit und Gottes Beziehung zur Zeit auslegen? Die Auffassung, dass Gott einfach zeitlos ist, steht vor zwei unüberwindlichen Schwierigkeiten: (1) Eine atemporale Gottheit kann nicht in einer kausalen Relation zur temporalen Welt stehen, wenn temporales Werden real ist; (2) Zeitlosigkeit ist mit göttlicher Allwissenheit unvereinbar, wenn es tempushafte Tatsachen über die Welt gibt. Andererseits haben wir gute Gründe anzunehmen, dass die Zeit und das Universum einen Anfang hatten. Somit kann Gott in der Vergangenheit nicht unendlich temporal sein. Vielleicht könnten wir sagen, dass Gott ohne das Universum in einer topologisch amorphen Zeit existierte, in der temporal geordnete Intervalle nicht unterschieden werden können. Doch ein solcher Zustand unterscheidet sich nicht von einem Zustand der Zeitlosigkeit. Das beste Verständnis der Ewigkeit und der Zeit ist daher, dass Gott ohne die Schöpfung zeitlos und seit der Schöpfung temporal ist.

Quelle: Philosophia Christi, Reihe 2, Bd. 2, Nr. 1, 2000, S. 29-33.

Göttliche Beziehungen zur Welt

Setzt man voraus, dass ein temporales Universum existiert, müssen wir fragen, ob Gott von dessen Temporalität unberührt bleiben kann. Es ist sehr schwer zu sehen, wie er das kann. Stellen wir uns vor, dass Gott allein ohne die Schöpfung änderungslos existiert, aber mit einer änderungslosen Entschlossenheit seines Willens, eine temporale Welt mit einem Anfang zu erschaffen. Da Gott allmächtig ist, wird sein Wille ausgeführt und eine temporale Welt kommt in Existenz. Dies stellt uns nun vor ein Dilemma: Entweder Gott existierte vor der Schöpfung oder er existierte nicht. Nehmen wir an, er existierte vor der Schöpfung. In diesem Fall ist Gott temporal, nicht zeitlos, denn vor einem Ereignis zu existieren bedeutet, in der Zeit zu sein. Nehmen wir also an, dass Gott vor der Schöpfung nicht existierte. In diesem Fall existiert er ohne die Schöpfung zeitlos, da offensichtlich ist, dass er nicht im Moment der Schöpfung mit der Welt in Existenz kam.

Diese zweite Alternative stellt uns vor ein neues Dilemma: Sobald die Zeit im Moment der Schöpfung beginnt, wird Gott entweder aufgrund seiner realen Beziehung zur temporalen Welt temporal oder er existiert einfach mit der Schöpfung so zeitlos wie er es ohne sie tut. Wenn wir die erste Alternative wählen, dann ist Gott wiederum temporal. Doch was ist mit der zweiten Alternative? Kann Gott von der Temporalität der Welt unberührt bleiben? Offenbar nicht. Denn im ersten Moment der Zeit steht Gott in einer neuen Relation, in er zuvor nicht stand (da es kein „zuvor“ gab). Selbst wenn Gott bei der Erschaffung der Welt keine intrinsische Veränderung erfährt, erfährt er zumindest eine extrinsische Veränderung. Denn im Moment der Schöpfung kommt Gott in die Relation, das Universum aufrechtzuerhalten oder zumindest mit dem Universum zu koexistieren – Relationen, in denen er zuvor nicht stand. Selbst wenn also nicht gegeben ist, dass Gott vor seiner Erschaffung der Welt temporal ist, erfährt er nichtsdestoweniger eine extrinsische Veränderung im Moment der Schöpfung, die ihn aufgrund seiner realen Relation zur Welt in die Zeit zieht.

Dieses Argument lässt sich wie folgt zusammenfassen.

1. Gott ist in der temporalen Welt schöpferisch aktiv.
2. Wenn Gott in der temporalen Welt schöpferisch aktiv ist, dann ist Gott wirklich in einer Relation zur temporalen Welt.
3. Wenn Gott wirklich in einer Relation zur temporalen Welt ist, dann ist Gott temporal.
4. Also ist Gott temporal.

Dieses Argument, wenn es erfolgreich verteidigt, beweist nicht, dass Gott essentiell temporal ist, sondern dass er, wenn er ein Schöpfer einer temporalen Welt ist – was er tatsächlich ist – temporal ist.

Klassische Versuche wie der von Thomas von Aquin, zu verneinen, dass Gott wirklich in einer Relation zur Welt ist, und zeitgenössische Versuche wie die von Stump, Kretzmann und Leftow, zu verneinen, dass Gottes reale Relation zur Welt ihn in die Zeit einbezieht, scheinen am Ende alle weniger plausibel zu sein als die Prämissen des Arguments selbst. Offenbar muss Gott, indem er in einer Relation zur Welt ist, eine extrinsische Veränderung erfahren und damit temporal sein.

Göttliche Kenntnis tempushafter Tatsachen

Gottes reale Relation zur temporalen Welt gibt uns gute Gründe für die Schlussfolgerung, dass Gott angesichts der extrinsischen Veränderung, die er durch seine veränderlichen Relationen mit der Welt erfährt, temporal ist. Doch aus der Existenz einer temporalen Welt scheint auch eine intrinsische Veränderung in Gott zu folgen, wenn man berücksichtigt, dass er weiß, was in der temporalen Welt geschieht. Ein Wesen, das nur tempuslose Tatsachen über die Welt wüsste – einschließlich des Wissens, welche Ereignisse zu einem beliebigen Zeitpunkt (tempuslos) geschehen – wäre im Hinblick auf tempushafte Tatsachen immer noch völlig im Dunkeln. Es hätte überhaupt keine Vorstellung von dem, was gerade im Universum geschieht, welche Ereignisse vergangen und welche zukünftig sind. Andererseits kann ein Wesen, das tempushafte Tatsachen weiß, nicht zeitlos sein, denn sein Wissen muss sich in einem ständigen Fluss befinden, da die tempushaften Tatsachen, die es weiß, sich ändern.

Daher können wir das folgende Argument für göttliche Temporalität formulieren.

1. Eine temporale Welt existiert.
2. Gott ist allwissend.
3. Wenn eine temporale Welt existiert, dann weiß Gott, wenn er allwissend ist, tempushafte Tatsachen.
4. Wenn Gott zeitlos ist, weiß er tempushafte Tatsachen nicht.
5. Also ist Gott nicht zeitlos.

Zusätzlich zum Argument aufgrund der realen Relation Gottes zur Welt haben wir nun also aufgrund der sich ändernden Kenntnis Gottes von tempushaften Tatsachen einen zweiten starken Grund für die Annahme, dass Gott in der Zeit ist.

Ein Ausweg für Vertreter der göttlichen Zeitlosigkeit?

Es scheint also, als sollten wir mit Nick Wolterstorff den Schluss ziehen, dass Gott temporal ist. Doch für Verteidiger der göttlichen Zeitlosigkeit ist noch ein Ausweg offen. Das Argument, das auf Gottes realer Relation zur Welt beruht, geht von der objektiven Realität des temporalen Werdens aus, und das Argument, das auf Gottes Allwissenheit beruht, geht von der objektiven Realität tempushafter Tatsachen aus. Wenn man die objektive Realität des temporalen Werdens und der tempushaften Tatsachen verneint, dann werden die Argumente untergraben. Kurz: Der Verteidiger der göttlichen Zeitlosigkeit kann den Argumenten entgehen, indem er die statische oder tempuslose Theorie der Zeit annimmt. Dies ist jedoch ein sehr unliebsamer Ausweg, denn gegen die statische Theorie der Zeit gibt es erhebliche philosophische und theologische Einwände, ganz zu schweigen von den Argumenten, die sich aufgrund einer dynamischen Theorie der Zeit anführen lassen. Ich ziehe es daher vor, den Weg der dynamischen Theorie einzuschlagen. Und es ist bemerkenswert, dass fast kein Verteidiger der göttlichen Zeitlosigkeit diesen Ausweg gewählt hat. Paul Helm scheint buchstäblich der Einzige zu sein, der diesen Weg gewählt hat. Nach seiner Auffassung besteht kein ontologischer Unterschied zwischen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Helm scheint also der einzige Vertreter der göttlichen Zeitlosigkeit zu sein, der den Ausweg gesehen und eingeschlagen hat. Aber es ist ein schwieriger und einsamer Weg.

Zeitlosigkeit und Omnitemporalität

Bei einer dynamischen Theorie der Zeit folgt aus Gottes Schöpfungshandeln in der temporalen Welt und aus seiner vollständigen Kenntnis der temporalen Welt, dass Gott temporal ist. Gott existiert ganz buchstäblich jetzt. Da Gott nie anfängt oder aufhört zu existieren, folgt daraus, dass Gott omnitemporal ist. Dies scheint zu implizieren, dass Gott seit unendlicher Zeit in der Vergangenheit existiert hat und für eine unendliche Zeit in der Zukunft existieren wird. Doch was ist, wenn die temporale Welt nicht immer existiert hat? Nach der christlichen Schöpfungslehre ist die Welt nicht vergangen unendlich, sondern wurde vor einer endlichen Zeit aus nichts in Existenz gebracht. Hatte also auch die Zeit selbst einen Anfang? Hat Gott buchstäblich vor der Schöpfung existiert oder ist er ohne die Welt zeitlos?

Es gibt ein altes Problem, das Verfechtern einer unendlichen, leeren Zeit vor der Schöpfung zu schaffen macht, nämlich: Warum erschuf Gott die Welt nicht früher? Nach einer relationalen Auffassung der Zeit existiert die Zeit bei völliger Abwesenheit von Ereignissen nicht. Die Zeit könnte also im Moment der Schöpfung beginnen, und es ist einfach unangebracht zu fragen, warum Gott die Welt nicht früher erschuf, da es vor dem Moment der Schöpfung kein „früher“ gab. Die Zeit kommt mit dem Universum in Existenz, und daher ist die Frage sinnlos, warum sie nicht zu einem früheren Moment in Existenz kam. Wenn die Zeit jedoch nie einen Anfang hatte, dann hat Gott in einer unendlichen Periode schöpferischer Untätigkeit bis zum Moment der Schöpfung existiert. Warum wartete er so lange?

Dieses Problem lässt sich wie folgt formulieren (es sei t jede Zeit vor der Schöpfung und n ein endliches Zeitintervall):

1. Wenn die Vergangenheit unendlich ist, dann verzögerte Gott bei t das Erschaffen bis t + n.

2. Wenn Gott bei t das Erschaffen bis t + n verzögerte, muss er einen guten Grund gehabt haben, dies zu tun.

3. Wenn die Vergangenheit unendlich ist, kann Gott keinen guten Grund gehabt haben, bei t das Erschaffen bis t + n zu verzögern.

4. Also muss Gott, wenn die Vergangenheit unendlich ist, bei t einen guten Grund gehabt haben, das Erschaffen zu verzögern, und Gott kann bei t keinen guten Grund gehabt haben, das Erschaffen zu verzögern.

Wir scheinen also ein gutes Argument zu haben, die Unendlichkeit der Vergangenheit zu verneinen und den Anfang der Zeit zu behaupten. Doch nun stehen wir vor einer äußerst seltsamen Situation. Gott existiert in der Zeit. Die Zeit hatte einen Anfang. Gott hat keinen Anfang. Wie lassen sich diese drei Aussagen vereinbaren? Wenn die Zeit – sagen wir der Einfachheit halber – beim Urknall zu existieren begann, dann muss Gott in einem schwer zu artikulierenden Sinn außerhalb des Urknalls existieren, allein ohne das Universum. Er muss in einem solchen Zustand änderungslos sein; sonst würde die Zeit existieren. Und dennoch kann dieser Zustand, streng genommen, nicht in einem temporalen Sinn vor dem Urknall existieren, da die Zeit einen Anfang hatte. Gott muss kausal, aber nicht temporal, vor dem Urknall sein. Mit der Erschaffung des Universums begann die Zeit, und Gott trat im Moment der Schöpfung aufgrund seiner realen Relationen zur erschaffenen Ordnung in die Zeit ein. Daraus folgt, dass Gott ohne das Universum zeitlos und mit dem Universum temporal sein muss.

Nun ist diese Schlussfolgerung überraschend und ausgesprochen seltsam. Denn nach einer solchen Auffassung scheint es zwei Phasen in Gottes Leben zu geben, eine zeitlose Phase und eine temporale Phase, und die zeitlose Phase scheint früher existiert zu haben als die temporale Phase. Doch das ist logisch inkohärent, denn in einer Früher-als-Relation zu stehen, bedeutet allem Anschein nach, temporal zu sein. Wie entgehen wir dieser offensichtlichen Antinomie?

Streng genommen hat unser Argument für die Endlichkeit der Vergangenheit nicht zu der Schlussfolgerung geführt: „Also hat die Zeit angefangen zu existieren.“ Es hat vielmehr bewiesen, dass es keine unendliche Vergangenheit gegeben haben kann, das heißt eine Vergangenheit, die aus einer unendlichen Anzahl gleicher temporaler Intervalle besteht. Doch Padgett argumentiert, dass es, wenn keine Maße vorhanden sind, keine objektive Tatsache gibt, nach der ein Zeitintervall länger oder kürzer ist als ein anderes distinktes Intervall. Vor der Schöpfung ist es unmöglich, zwischen einer Zehntelsekunde und zehn Billionen Jahren zu differenzieren. Es gibt keinen Moment – sagen wir – eine Stunde vor der Schöpfung. Die Zeit hat buchstäblich keine intrinsische Metrik. Allein ohne das Universum existierend würde Gott somit nicht eine unendliche Anzahl von – sagen wir – Stunden vor dem Moment der Schöpfung fortbestehen.

Ein solches Verständnis von Gottes Zeit vor der Schöpfung scheint ziemlich attraktiv zu sein. Nichtsdestoweniger zeigen sich Schwierigkeiten bei einer näheren Betrachtung dieser Auffassung. Selbst in einer metrisch amorphen Zeit gibt es objektive faktische Längenunterschiede bestimmter temporaler Intervalle. Denn im Fall von Intervallen, die echte Teile anderer Intervalle sind, sind die echten Teile faktisch kürzer als ihre umgebenden Teile. Doch dies impliziert, dass Gott vor der Schöpfung in einer anfangslosen Reihe längerer und längerer Intervalle fortbestanden hat. Tatsächlich können wir sogar sagen, dass eine solche Zeit unendlich sein muss. Die Vergangenheit ist dann und nur dann unendlich, wenn es kein erstes Intervall der Zeit gibt und die Zeit nicht zirkulär ist. Somit wäre die amorphe Zeit vor der Schöpfung unendlich, auch wenn wir die Längen nicht-eingebetteter Intervalle darin nicht vergleich können. Somit treten alle Schwierigkeiten einer unendlichen Vergangenheit erneut auf.

Was man tun muss, ist, die lineare geometrische Struktur der Zeit vor der Schöpfung aufzulösen. Man muss behaupten, dass es „vor“ der Schöpfung buchstäblich keine Zeitintervalle gibt. Es gibt kein Früher und Später, kein Fortbestehen in sukzessiven Intervallen, und somit kein Warten, kein temporales Werden. Dieser Zustand würde nicht sukzessiv, sondern als Ganzes im Moment der Schöpfung vergehen, wenn die Zeit beginnt.

Aber ein solch änderungsloser, undifferenzierter Zustand sieht verdächtig nach einem Zustand der Zeitlosigkeit aus! Deshalb scheint mir, dass es nicht nur kohärent, sondern auch plausibel ist, dass Gott, indem er allein ohne die Schöpfung änderungslos existiert, zeitlos ist, und dass er im Moment der Schöpfung aufgrund seiner realen Relation zu dem temporalen Universum in die Zeit tritt. Die Vorstellung, dass Gott vor der Schöpfung untätig existiert, ist einfach nur das: eine Fantasievorstellung. Setzt man voraus, dass die Zeit anfing zu existieren, dann ist die plausibelste Auffassung von Gottes Beziehung zur Zeit, dass er ohne die Schöpfung zeitlos und nach der Schöpfung temporal ist.

(Übers.: Marita Wilczek)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/Zeitlosigkeit-and-Omnitemporalität#ixzz4ctwDEjRt