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Wie sieht die Beziehung zwischen Wissenschaft und Religion aus?

Summary

In diesem Artikel untersucht Prof. Dr. Craig verschiedene Arten, wie Wissenschaft und Theologie miteinander in Beziehung stehen.

1896 veröffentlichte Andrew Dickson White (damals Präsident der Cornell Universität) ein Buch mit dem Titel A History of the Warfare of Science with Theology in Christendom [Eine Geschichte des Krieges zwischen Wissenschaft und christlicher Theologie]. Unter Whites Einfluss fand die Metapher „Krieg“ zur Beschreibung der Beziehung zwischen Wissenschaft und christlichem Glauben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weite Verbreitung. Die kulturell vorherrschende Anschauung im Westen – selbst unter Christen - lautete, dass Wissenschaft und christlicher Glaube keine Verbündeten in der Suche nach Wahrheit sind, sondern Gegner.

Um dies zu verdeutlichen, vor einigen Jahren hatte ich eine Debatte mit einem Wissenschaftsphilosophen an der Simon Fraser Universität in Vancouver, Kanada, über die Frage: „Sind Wissenschaft und Religion füreinander irrelevant?“ Als ich auf den Campus kam, entdeckte ich, dass die christlichen Studenten, die die Debatte sponserten, mit großen Bannern und Plakaten dafür Werbung machten, auf denen verkündet wurde: „Wissenschaft gegen christlichen Glauben“. Die Studenten hielten damit dieselbe Vorstellung aufrecht, die Andrew Dickson White vor über 100 Jahren propagiert hatte, nämlich dass sich Wissenschaft und Glaube angeblich in einem Kriegszustand befinden.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kamen Historiker und Wissenschaftsphilosophen jedoch zu der Erkenntnis, dass diese Darstellung der historischen Beziehung zwischen Wissenschaft und Theologie als "Krieg" ein Mythos ist. Wie Thaxton und Pearcey in ihrem Buch The Soul of Science ausführen, kann die Beziehung zwischen Wissenschaft und Religion seit mehr als 300 Jahren, die zwischen der Entstehung der modernen Wissenschaft im 16. Jahrhundert und dem späten 19. Jahrhundert liegen, als Allianz beschrieben werden. Bis ins späte 19. Jahrhundert hinein waren Wissenschaftler typischerweise gläubige Christen, die keinen Konflikt zwischen ihrer Wissenschaft und ihrem Glauben sahen - Menschen wie Kepler, Boyle, Maxwell, Faraday, Kelvin und andere. Die Vorstellung eines Krieges zwischen Wissenschaft und Religion ist eine relativ neue Erfindung des späten 19. Jahrhunderts, sorgfältig genährt durch säkulare Denker, deren Ziel darin bestand, die kulturelle Vorherrschaft des Christentums im Westen zu unterhöhlen und sie durch den Naturalismus zu ersetzen – der Sicht, dass nichts außerhalb der Natur real ist und dass der einzige Weg, Wahrheit zu entdecken, die Wissenschaft sei. Sie waren bemerkenswert erfolgreich darin, ihre Agenda durchzusetzen. Doch Wissenschaftsphilosophen kamen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu der Erkenntnis, dass die Vorstellung von einem Krieg zwischen Wissenschaft und Theologie eine grobe Vereinfachung darstellt. Whites Buch wird heute als eine Art schlechter Scherz betrachtet, als eine einseitige verzerrte Propaganda.

Nun erkennen manche an, dass Wissenschaft und Religion nicht als Feinde gelten sollten, dennoch denken sie aber auch nicht, dass sie als Freunde betrachtet werden sollten. Sie sagen, Wissenschaft und Religion seien füreinander irrelevant und repräsentierten zwei Gebiete, die sich nicht überschneiden. Manchmal hört man Slogans wie: „Die Wissenschaft beschäftigt sich mit Fakten und die Religion mit dem Glauben“. Doch dies ist sowohl eine grobe Karikatur der Wissenschaft als auch der Religion. Indem die Wissenschaft das Universum erforscht, stößt sie auf Probleme und Fragen, die ihrem Wesen nach philosophisch sind und deshalb nicht naturwissenschaftlich lösbar sind, die aber durch eine theologische Perspektive erhellt werden können. Gleicherweise ist es einfach falsch, dass die Religion keine Tatsachenbehauptungen über die Welt macht. Die Weltreligionen stellen unterschiedliche und einander widerstreitende Behauptungen über den Ursprung und die Natur des Universums und der Menschheit auf, und sie können nicht alle wahr sein. Wissenschaft und Religion sind somit zwei Kreise, die sich überschneiden oder teilweise überlappen. Es ist das Gebiet der Überschneidung, auf dem der Dialog stattfindet.

Und während des letzten Vierteljahrhunderts findet ein lebhafter Dialog zwischen Wissenschaft und Theologie in Nordamerika und Europa statt. In einer Ansprache bei einer Konferenz über Geschichte und Philosophie der Thermodynamik begann der prominente britische Physiker P.T. Landsberg plötzlich, die theologischen Folgerungen der wissenschaftlichen Theorie, die er diskutierte, darzulegen. Er stellte fest:

“Über die Folgerungen der Wissenschaft für die Theologie bei einem wissenschaftlichen Treffen zu sprechen, scheint einen Tabubruch darzustellen. Doch wer so denkt, dessen Denken ist überholt. Während der letzten 15 Jahre wurde dieses Tabu aufgehoben, und wenn ich jetzt über die Interaktion von Wissenschaft und Religion spreche, dann schwimme ich sogar mit einem Strom.“

Zahlreiche Gesellschaften zur Förderung dieses Dialogs sind entstanden: beispielsweise die European Society for the Study of Science and Theology (ESSSAT) [1], das Forum für Wissenschaft und Religion [Science and Religion Forum] [2], das Zentrum für Theologie und Naturwissenschaft in Berkeley usw. Besonderer Bedeutung kommt den fortlaufenden Konferenzen zu, die vom Berkeley Zentrum und der vatikanischen Sternwarte gesponsert werden. Dort untersuchen prominente Wissenschaftler, wie Stephen Hawking und Paul Davies, zusammen mit berühmten Theologen, wie John Polkinghorne und Wolfhart Pannenberg, Folgerungen aus der Wissenschaft für die Theologie. Es gibt nicht nur professionelle Zeitschriften, die sich dem Dialog zwischen Wissenschaft und Religion widmen, so wie Zygon und Perspectives on Science and Christian Faith, sondern, was noch bedeutsamer ist, säkulare Zeitschriften wie Nature und das British Journal for the Philosophy of Science bringen ebenfalls Artikel über die wechselseitigen Implikationen von Wissenschaft und Theologie. Die Templeton-Stiftung hat hervorragenden integrativen Denkern wie Paul Davies, John Polkinghorne und George Ellis für ihre Arbeit in Wissenschaft und Religion den mit einer Millionen Dollar dotierten Templeton-Preis für Wissenschaft und Religion verliehen. Der Dialog zwischen Wissenschaft und Religion ist in unseren Tagen so bedeutsam geworden, dass sowohl die Universität in Cambridge als auch in Oxford Lehrstühle für Wissenschaft und Theologie eingerichtet haben.

Ich sage all dies, um einen Punkt zu veranschaulichen: Leute, die denken, dass Wissenschaft und Religion irrelevant füreinander sind, müssen erkennen, dass die Katze bereits aus dem Sack gelassen wurde; und ich wage zu sagen, es besteht nur wenig Aussicht, sie dort wieder hineinzustopfen. Wissenschaft und Religion haben entdeckt, dass sie wichtige gemeinsame Interessen haben und gegenseitig füreinander Wichtiges beitragen können. Wem dies nicht gefällt, der kann sich entschließen, nicht am Dialog teilzunehmen. Doch dies wird den Dialog nicht beenden, noch ihn als bedeutungslos erweisen.

So lassen Sie uns gemeinsam über Möglichkeiten nachdenken, wie Wissenschaft und Religion in der Suche nach Wahrheit einander als Verbündete dienen können. Lassen Sie mich sechs Möglichkeiten nennen, in welcher Weise Wissenschaft und Religion füreinander relevant sind. Ich beginne mit der allgemeinsten Möglichkeit und komme dann stärker auf Besonderheiten zu sprechen.

1. Religion bietet den konzeptuellen Rahmen, in dem Wissenschaft gedeihen kann. Die Wissenschaft ist für die Menschheit nichts Natürliches. Wie der wissenschaftliche Autor Loren Eiseley betont hat, ist die Wissenschaft „eine erfundene kulturelle Institution“, die einen „einzigartigen Boden“ erfordert, um gedeihen zu können. [3] Obwohl die Wissenschaft bei den alten Griechen und Chinesen bereits aufschimmerte, ist die moderne Wissenschaft ein Kind der europäischen Zivilisation. Warum ist das so? Dies geht auf den einzigartigen Beitrag des christlichen Glaubens zur westlichen Kultur zurück. Wie Eiseley feststellt, „es ist die christliche Welt, die letztendlich auf klare, verständliche Weise der experimentellen Methode der Wissenschaft selbst zur Geburt verhalf.“ [4] Im Gegensatz zu pantheistischen oder animistischen Religionen betrachtet das Christentum die Welt selbst nicht als göttlich oder als von Geistern bewohnt, sondern vielmehr als das natürliche Produkt eines transzendenten Schöpfers, der sie entwarf und ins Dasein brachte. Somit ist die Welt ein rationaler Ort, der für Erforschung und Entdeckung offen steht.

Darüber hinaus beruht das ganze Unternehmen der Wissenschaft auf bestimmten Annahmen, die wissenschaftlich nicht beweisbar sind, aber im Rahmen der christlichen Weltsicht klar zu erwarten sind; beispielsweise: die Gesetze der Logik, die geordnete Natur der Außenwelt, die Zuverlässigkeit unserer kognitiven Fähigkeiten, die Welt zu erkennen, und die Objektivität der in der Wissenschaft verwendeten moralischen Werte. Ich möchte betonen, dass die Wissenschaft ohne diese Annahmen nicht einmal existieren könnte, und dennoch sind diese Annahmen nicht wissenschaftlich beweisbar. Sie sind philosophische Annahmen, die interessanterweise Bestandteil einer christlichen Weltsicht darstellen. Somit ist die Religion für die Wissenschaft relevant, da sie ihr einen konzeptionellen Rahmen bieten kann, in dem die Wissenschaft existieren kann. Noch mehr als das, die christliche Religion bot historisch den konzeptuellen Rahmen, in dem die moderne Wissenschaft geboren und gehegt wurde.

2. Die Wissenschaft kann Behauptungen der Religion sowohl falsifizieren als auch verifizieren. Wenn Religionen über die natürliche Welt Behauptungen machen, dann berühren sie damit die Domäne der Wissenschaft und treffen in der Tat Aussagen, die durch wissenschaftliche Forschung entweder verifizierbar oder widerlegbar sind. Lassen Sie mich für beides einige Beispiele nennen.

Zunächst Beispiele der Falsifikation. Einige Beispiele liegen auf der Hand. Die Vorstellungen der alten griechischen und indischen Religionen, dass der Himmel auf den Schultern des Atlas ruhte oder die Welt auf dem Rücken einer Schildkröte, wurden leicht falsifiziert. Doch es gibt auch subtilere Beispiele.

Eines der berühmtesten Beispiele war die Verketzerung Galileos durch die mittelalterliche Kirche, weil er daran festhielt, dass die Erde sich um die Sonne bewegt und nicht umgekehrt. Auf Grundlage ihrer falschen Interpretation von bestimmten Bibelstellen wie Psalm 93,1: „Er hat den Erdkreis gegründet, dass er nicht wankt“, leugneten Theologen im Mittelalter, dass die Erde sich bewegt. Wissenschaftliche Beweise widerlegten am Ende diese Hypothese, und die Kirche kam schließlich verspätet dazu, ihren Fehler einzugestehen.

Ein weiteres interessantes Beispiel für die Widerlegung einer religiösen Ansicht durch die Wissenschaft ist die Behauptung verschiedener östlicher Religionen, wie dem Taoismus und bestimmter Formen des Hinduismus, dass die Welt göttlich und darum ewig sei. Die Entdeckung der Expansion des Universums im 20. Jahrhundert machte offenbar, dass alle Materie und Energie weit davon entfernt ist, ewig zu sein und auch physikalischer Raum und Zeit selbst an einem Punkt in der endlichen Vergangenheit entstanden, vor dem nichts existierte. Wie Stephen Hawking 1996 in seinem Buch Raum und Zeit schreibt: „Stattdessen glaubt heute fast jeder, das Universum und die Zeit selbst hätten beim Urknall zu existieren angefangen.“ [5] Doch wenn das Universum durch den Urknall entstand, dann ist es zeitlich endlich und in seiner Existenz abhängig und darum weder ewig noch göttlich, wie pantheistische Religionen behauptet hatten.

Andererseits kann die Wissenschaft auch religiöse Behauptungen verifizieren. Beispielsweise besagt eine der Hauptlehren des jüdisch-christlichen Glaubens, dass Gott das Universum aus dem Nichts vor einer endlichen Zeit erschaffen hat. Die Bibel beginnt mit den Worten: „Am Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde“ (1 Mos 1,1). Die Bibel lehrt somit, dass das Universum einen Anfang hatte. Diese Lehre wurde sowohl von alten griechischen Philosophen als auch vom modernen Atheismus, einschließlich dem dialektischen Materialismus, abgelehnt. Dann wurde 1929 mit der Entdeckung der Ausdehnung des Universums diese Lehre auf dramatische Weise verifiziert. Die Physiker John Barrow und Frank Tipler, die über den Anfang des Universums sprechen, erklären: „Aus dieser Singularität entstanden Raum und Zeit; vor dieser Singularität existierte buchstäblich nichts. Wenn also das Universum aus einer solchen Singularität seinen Ursprung nahm, dann hätten wir wahrhaftig eine Erschaffung ex nihilo (aus dem Nichts).“ [6] Gegen alle Erwartung verifizierte die Wissenschaft somit die Aussage der Religion. Robert Jastrow, Leiter des Goddard Institutes für Raumstudien der NASA, stellt es bildhaft so dar:

„ [Der Wissenschaftler] hat die Berge des Unwissens erklommen; er ist gerade dabei, den höchsten Gipfel zu bezwingen; während er sich über den letzten Felsen hinaufzieht, wird er von einer Schar Theologen begrüßt, die dort bereits seit Jahrhunderten saßen.“ [7]

Eine zweite wissenschaftliche Verifikation eines religiösen Glaubens betrifft die Behauptung großer monotheistischer Glaubensrichtungen, dass die Welt das Produkt einer intelligenten Planung ist. Wissenschaftler dachten ursprünglich, egal, wie die anfänglichen Bedingungen des Universums aussahen, das Universum würde letztendlich immer die komplexen Lebensformen entwickeln, die wir heute sehen. Doch etwa während der letzten 40 Jahre wurden Wissenschaftler von der Entdeckung überrascht, welch komplexe und sensible Anfangsbedingungen beim Urknall geherrscht haben mussten, damit das Universum den Ursprung und die Evolution von intelligentem Leben im Kosmos erlauben konnte. Auf den verschiedenen Gebieten von Physik und Astrophysik, klassischer Kosmologie, Quantenmechanik und Biochemie haben Entdeckungen wiederholt offenbar gemacht, dass die Existenz intelligenten Lebens von einem zerbrechlichen Gleichgewicht physikalischer Konstanten und Quanten abhängig ist. Würde auch nur eine von ihnen leicht verändert, wäre das Gleichgewicht zerstört und es gäbe kein Leben. Es macht den Anschein, dass das Universum vom Augenblick seines Beginns an in unfassbarer Weise auf die Produktion intelligenten Lebens feinabgestimmt wurde. Wir wissen inzwischen, dass lebensverhindernde Universen weit wahrscheinlicher sind als jegliches lebensermöglichende Universum wie unseres. Um wieviel mehr wahrscheinlich?

Die Antwort lautet, die Chancen für ein lebensermöglichendes Universum sind so winzig, dass sie unfassbar und nicht berechenbar sind. Beispielsweise hat Stephen Hawking geschätzt, wenn die Expansionsrate des Universums eine Sekunde nach dem Urknall auch nur um einen Bruchteil von Hunderttausend Millionen Millionen kleiner gewesen wäre, dann wäre das Universum wieder zu einem heißen Feuerball kollabiert. [8] P.C.W. Davies hat berechnet, dass die Unwahrscheinlichkeit für die anfänglichen passenden Bedingungen für eine Sternenentstehung (ohne die Planeten nicht existieren könnten), einer Zahl mit tausend Milliarden Milliarden Nullen entspricht. [9] Er schätzt auch, dass eine Veränderung in der Gravitationskraft oder der schwachen Kraft um nur einen Bruchteil von 10100 ein Universum, das Leben erlaubt, verhindert hätte. [10] Es gibt während des Urknalls eine Reihe solcher Quantitäten und Konstanten, die auf diese Art und Weise feinabgestimmt sein müssen, wenn das Universum Leben erlauben soll. Somit multipliziert sich Unwahrscheinlichkeit um Unwahrscheinlichkeit, bis unsere Köpfe von den unfassbaren Zahlen taumelig sind.

Es gibt keinen physikalischen Grund, warum diese Konstanten und Quantitäten die Werte besitzen sollten, die sie besitzen. Der frühere agnostische Physiker Paul Davies kommentiert: „Durch meine wissenschaftliche Arbeit bin ich mehr und mehr zu der festen Überzeugung gekommen, dass das physikalische Universum mit einer Genialität zusammengefügt wurde, die so erstaunlich ist, dass ich sie nicht lediglich als eine nackte Tatsache hinnehmen kann.“ [11] Gleicherweise bemerkt Fred Hoyle: „Eine Deutung der Tatsachen, die dem gesunden Menschenverstand entspricht, legt es nahe, dass da ein Superintellekt seine Spiele mit der Physik getrieben hat.“ [12]

Unsere Entdeckung der Feinabstimmung des Urknalls auf intelligentes Leben ist in etwa so, als ob jemand durch die Wüste Gobi stapft und, nachdem er eine Sanddüne umrundet hat, plötzlich vor einem Wolkenkratzer von der Größe des Empire State Buildings steht. Wir würden die Annahme, dass dieser dort nur durch Zufall entstand, wohl zurecht als verrückt abtun. Und wir würden den Gedanken gleichermaßen als irre verwerfen, dass jegliche Sandkörnerformation an diesem Platz unwahrscheinlich ist und es deshalb nichts zu erklären gibt.

Warum ist das so? Weil der Wolkenkratzer eine Komplexität aufweist, die einer zufälligen Sandformation fehlt. Aber warum sollte uns die Komplexität des Wolkenkratzers als etwas Besonderes auffallen? John Leslie sagt, weil es eine offensichtliche Erklärung für den komplexen Wolkenkratzer gibt, die eine zufällige Formation von Sandkörnern nicht nahelegt, nämlich intelligente Planung. [13] Gleicherweise, so folgert Leslie, legt die Feinabstimmung der anfänglichen Bedingungen des Universums auf das Lebens die offensichtliche Erklärung durch ein Intelligent Design nahe.

Somit kann die Wissenschaft die Behauptungen der Religion sowohl falsifizieren als auch verifizieren.

3. Die Wissenschaft trifft auf metaphysische Probleme, bei deren Lösung die Religion helfen kann. Die Wissenschaft hat einen unstillbaren Erklärungsdurst. Doch letztendlich stößt die Wissenschaft an die Grenzen ihrer Erklärungsfähigkeit. Beispielsweise trifft die Wissenschaft bei der Erklärung, warum verschiedene Dinge im Universum existieren, letztlich auf die Frage, warum das Universum selbst existiert. Beachten Sie, dass es sich dabei nicht um die Frage nach dem zeitlichen Ursprung des Universums handeln muss. Auch wenn die Raumzeit ohne Anfang und Ende ist, können wir immer noch fragen, warum die Raumzeit denn existiert. Der Physiker David Park reflektiert: „Die Frage, warum es Raumzeit gibt, scheint eine absolut gute wissenschaftliche Frage zu sein, doch niemand weiß, wie sie zu beantworten ist.“ [14]

Hier kann die Theologie helfen. Traditionelle Theisten begreifen Gott als ein notwendiges Wesen, dessen Nicht-Existenz unmöglich ist und welcher der Schöpfer der abhängigen Welt von Raum und Zeit ist. Somit hat die Person, die an Gott glaubt, die Ressourcen, den Durst der Wissenschaft nach einer letztgültigen Erklärung zu stillen. Wir können diese Argumentation in Form einer einfachen Argumentationslinie darstellen:

1. Für alles, was existiert, gibt es eine Erklärung für dessen Existenz (entweder durch die Notwendigkeit seiner eigenen Natur oder durch einen externen Grund).

2. Wenn das Universum eine Erklärung für seine Existenz hat, dann ist diese Erklärung Gott.

3. Das Universum existiert.

4. Deshalb ist die Erklärung für die Existenz des Universums Gott.

4. Die Religion kann helfen, zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Theorien zu entscheiden.Lawrence Sklar, ein prominenter Wissenschaftsphilosoph, hat bemerkt: “Die Übernahme einer wissenschaftlichen Theorie anstelle einer anderen, manchmal in wirklich entscheidenden Fällen, beruht genauso viel auf …philosophischen Vorannahmen wie auf den harten Fakten …“.  [15] Besonders in Fällen, in denen zwei kontroverse Theorien empirisch äquivalent sind, sodass eine Entscheidung zwischen ihnen aufgrund von Beweisen nicht möglich ist, kommen metaphysische Anliegen, einschließlich religiöser Anliegen ins Spiel.

Ein hervorragendes Beispiel ist die Spezifische Relativitätstheorie. Es gibt zwei Möglichkeiten, den mathematischen Kern der Spezifischen Relativitätstheorie zu interpretieren. Nach Einsteins Interpretation gibt es kein absolutes „Jetzt“ in der Welt. Vielmehr ist das, was jetzt ist, relativ in Bezug auf verschiedene Beobachter, die in Bewegung sind. Wenn Sie und ich uns in Bezug auf einander bewegen, dann ist das, was für mich jetzt ist, für Sie nicht jetzt. Aber nach H. A. Lorentz Interpretation gibt es ein absolutes Jetzt in der Welt, doch wir können einfach nicht absolut sicher sein, welche Ereignisse in der Welt gerade jetzt geschehen, da Bewegung unsere Messinstrumente beeinflusst. Sich bewegende Uhren laufen langsam und sich bewegende Stangen ziehen sich zusammen. Die Interpretationen von Einstein und Lorentz sind empirisch äquivalent. Es gibt kein Experiment, das man durchführen könnte, um zwischen beiden zu entscheiden. [16] Aber ich möchte argumentieren, wenn Gott existiert, dann hatte Lorentz recht. Hier ist mein Argument:

1. Wenn Gott existiert, dann ist Gott in der Zeit.

Das ist wahr, weil Gott in wirklichem Bezug zu der Welt steht, so wie die Ursache zur Wirkung. Aber eine Ursache für eine zeitliche Wirkung muss entweder vor ihrer Wirkung oder gleichzeitig mit ihrer Wirkung bestehen. Darum muss Gott in der Zeit sein.

2. Wenn Gott in der Zeit ist, dann existiert ein absoluter Beobachter.

Da Gott die Welt transzendiert und die Ursache für die Existenz von allem in der Welt ist, ist Seine Perspektive auf die Welt die wahre Perspektive.

3. Wenn ein absoluter Beobachter existiert, dann existiert ein absolutes Jetzt.

Da Gott ein privilegierter Beobachter ist, ist sein “Jetzt” privilegiert. Somit gibt es ein absolutes Jetzt, genau wie Lorentz behauptete.

Das ist in der Tat eine sehr erstaunliche Schlussfolgerung. Aber ich bin fest davon überzeugt, wenn Gott existiert, dann ist die Lorentz'sche statt der Einsteinschen Relativitätstheorie korrekt. Es ist kaum vorstellbar, wie Religion eine größere Relevanz für die Naturwissenschaft haben könnte als um zu zeigen, dass eine Theorie falsch und eine andere richtig ist.

5. Religion kann die Erklärungskraft der Wissenschaft vergrößern. Eine der Säulen der modernen wissenschaftlichen Weltanschauung ist die Evolution biologischer Komplexität aus primitiveren Lebensformen. Leider scheint die gegenwärtige neodarwinistische Synthese, was ihre Erklärung der allmählichen Entstehung biologischer Komplexität betrifft, als mangelhaft. Erstens arbeiten die neodarwinistischen Mechanismen der zufälligen Mutation und der natürlichen Selektion viel zu langsam, um ohne Hilfe bewusstseinsgesteuertes Leben hervorzubringen. In ihrem Buch Anthropic Cosmological Principle [Das anthropischekosmologische Prinzip] führen Barrow und Tipler zehn Schritte in der Entwicklung des Homo sapiens auf. Dazu gehören solche Schritte wie die Entwicklung des auf der DNA basierenden genetischen Codes, der Ursprung von Mitochondrien, der Ursprung der Fotosynthese, die Entwicklung von aerober Atmung usw. Jeder dieser Schritte ist so unwahrscheinlich, dass er, bevor er sich ereignet hätte, die Sonne aufgehört hätte, ein Hauptreihenstern zu sein, und die Erde verbrannt hätte. [17] Sie berichten, dass “sich unter den Evolutionisten ein allgemeiner Konsens gebildet hat, dass die Entwicklung von intelligentem Leben, in seiner Informationsverarbeitungsfähigkeit mit der des Homo sapiens vergleichbar, so unwahrscheinlich ist, dass es unglaubwürdig ist, dass sie sich auf irgendeinem anderen Planeten des gesamten sichtbaren Universums ereignet hat.“ [18] Doch wenn dies der Fall ist, dann kann man nicht umhin zu fragen, weshalb wir, außer aufgrund einer naturalistischen Vorannahme, denken sollten, dass dieses Leben sich ohne Hilfe auf unserem Planeten entwickelt hat? Zweitens ist es schwierig, mithilfe von zufälliger Mutation und natürlicher Selektion Rechenschaft über den Ursprung eines nicht reduzierbar komplexen Systems zu geben. In seinem 1996 erschienenen und 2007 ins Deutsche übersetzten Buch Darwins Black Box erklärt der Mikrobiologe Michael Behe, dass bestimmte Zellularsysteme, wie die Zilien oder Proteintransportsysteme, unglaublich komplizierten mikroskopischen Maschinen gleichen, die überhaupt nicht funktionieren können, wenn nicht alle Teile vorhanden und funktionsfähig sind. [19] Es gibt innerhalb der neodarwinistischen Synthese keine Einsicht, wie solche nicht-reduzierbaren komplexen Systeme sich durch zufällige Mutation und natürliche Selektion entwickeln können. In Bezug darauf hat die gegenwärtige Evolutionstheorie gar keine Erklärungskraft. Laut Behe gibt es jedoch eine bekannte Erklärung, die adäquat ist, um nicht reduzierbare Komplexität zu begründen, eine, die wir in anderen Kontexten ohne Zögern anwenden: Intelligent Design. „Das Leben auf der Erde ist auf seiner grundlegendsten Ebene, in seinen grundlegendsten Bestandteilen“, so folgert er, „das Produkt intelligenter Aktivität“. [20] Die allmähliche Evolution biologischer Komplexität lässt sich besser erklären, wenn es einen intelligenten Grund gibt, der hinter dem Prozess steht, als nur allein durch blinde Mechanismen. Somit hat der Theist Erklärungsressourcen zur Verfügung, die dem Naturalisten fehlen.

6. Wissenschaft kann die Prämisse eines Argumentes bestätigen, in dem die Konklusion religiöse Bedeutung hat. Der mittelalterliche Theologe Thomas von Aquin ging in all seinen Argumenten für die Existenz Gottes stets von der Ewigkeit des Universums aus, da die Annahme, dass das Universum zu existieren begann, es für den Theisten zu einfach machte. „Wenn die Welt und die Bewegung einen ersten Anfang haben“, so sagte er, „so muss eindeutig eine Begründung für diesen Ursprung der Welt und die Bewegung postuliert werden“ (Summa contra gentiles 1,13,30). Darüber hinaus gab es einfach keinen empirischen Weg, die vergangene Endlichkeit des Universums im Mittelalter nachzuweisen. Doch die Anwendung der Allgemeinen Relativitätstheorie auf die Kosmologie und die Entdeckung der Expansion des Universums während des 20. Jahrhunderts ließ dem philosophischen Theologen offenbar genau die Prämisse in den Schoß fallen, die in einem überzeugenden Argument für die Existenz Gottes bisher gefehlt hatte. Nun können wir folgendermaßen argumentieren:

1. Alles, was zu existieren beginnt, hat eine Ursache.

2. Das Universum begann zu existieren.

3. Darum hat das Universum eine Ursache.

Prämisse (2) ist eine religiös neutrale Aussage, die in nahezu jedem Text über Astronomie oder Astrophysik zu finden ist. Doch sie versetzt den Atheisten in eine sehr unbequeme Lage. Denn wie Anthony Kenny von der Universität in Oxford betont: „Ein Vertreter der Urknalltheorie muss, zumindest wenn er Atheist ist, daran glauben …dass das Universum aus dem Nichts und durch Nichts entstand.“ [21]

Doch das ist gewiss metaphysisch unmöglich. Von nichts kommt nichts. Warum existiert dann das Universum, anstatt dass einfach nichts existiert? Es ist einsichtig, dass es einen Grund gegeben haben muss, der das Universum ins Dasein brachte. Nun muss gemäß der Natur der Sache dieser Grund, wie der Grund von Raum und Zeit, ein unbegründetes, unwandelbares, zeitloses und immaterielles Wesen von unvorstellbarer Kraft sein, welches das Universum schuf. Darüber hinaus, so würde ich argumentieren, muss es auch persönlich sein. Wie sonst könnte ein zeitloser Grund eine zeitliche Wirkung wie das Universum hervorrufen? Wenn der Grund eine unpersönliche Reihe notwendiger und hinlänglicher Bedingungen war, dann könnte der Grund niemals ohne die Wirkung existieren. Wenn der Grund ewig vorhanden war, dann wäre der Effekt ebenfalls ewig vorhanden. Die einzige Möglichkeit, dass der Grund zeitlos ist und seine Wirkung in der Zeit beginnt, ist, dass der Grund ein persönlicher Agent ist, welcher frei wählt, eine Wirkung in der Zeit auszulösen, ohne irgendwelche vorausgehenden determinierenden Konditionen. So werden wir nicht nur zu einer transzendenten Ursache für das Universum geführt, sondern zu seinem persönlichen Grund, einem Schöpfer.

All das soll nicht darauf hinauslaufen, zu einem simplizistischen und naiven Urteil zu gelangen wie: „Die Wissenschaft beweist, dass es Gott gibt“. Doch es soll besagen, dass die Wissenschaft die Wahrheit einer Prämisse in einem Argument bestätigen kann, dessen Schlussfolgerung religiöse Bedeutung hat.

Zusammenfassend betrachtet haben wir sechs verschiedene Möglichkeiten gesehen, wie Wissenschaft und Religion füreinander relevant sind:

1. Religion bietet den konzeptuellen Rahmen, in dem Wissenschaft gedeihen kann.

2. Wissenschaft kann die Behauptungen der Religion sowohl falsifizieren als auch verifizieren.

3. Wissenschaft trifft auf metaphysische Probleme, zu deren Lösung die Religion beitragen kann.

4. Religion kann helfen, zwischen wissenschaftlichen Theorien zu entscheiden.

5. Religion kann die Erklärungskraft der Wissenschaft vergrößern.

6. Wissenschaft kann in einem Argument, dessen Schlussfolgerung religiöse Bedeutung hat, eine Prämisse bestätigen.

So lässt sich abschließend sagen: Wir haben gesehen, dass Wissenschaft und Religion nicht als Feinde oder als füreinander irrelevant betrachtet werden sollten. Vielmehr haben wir verschiedene Möglichkeiten erkannt, wie sie fruchtbar miteinander interagieren können. Und dies ist darum schließlich auch der Grund für den heute so blühenden Dialog zwischen beiden Disziplinen.

William Lane Craig

(Übers.: B. Currlin)

Link to the original article in English: http://www.reasonablefaith.org/what-is-the-relation-between-science-and-religion

  • [1]

    Dt: "Europäische Gesellschaft für die Erforschung von Wissenschaft und Theologie", mit der Webseite http://www.esssat.eu/ (Anm. d. Übers.)

  • [2]

    Webseite des "Science and Religion Forum": http://www.srforum.org/ (Anm. d. Übers.)

  • [3]

    Loren Eiseley, “Francis Bacon,” in The Horizon Book of Makers of Modern Thought (New York: American Heritage Publishing, 1972), pp. 95-96.

  • [4]

    Loren Eiseley, Darwin’s Century (Garden City, N. Y.: Doubleday, 1958), p. 62. Zitate Eiselys entnommen aus Nancy Pearcy and Charles Thaxton, The Soul of Science (Wheaton, Ill.: Crossway Books, 1994).

  • [5]

    Stephen Hawking and Roger Penrose, Raum und Zeit. Deutsch von Claus Kiefer, Rowohlt Taschenbuch Verlag 2000, S. 32f; Orig.: The Nature of Space and Time, The Isaac Newton Institute Series of Lectures (Princeton, N. J.: Princeton University Press, 1996), p. 20.

  • [6]

    John Barrow and Frank Tipler, The Anthropic Cosmological Principle (Oxford: Clarendon Press, 1986), p. 442.

  • [7]

    Robert Jastrow, God and the Astronomers (New York: W. W. Norton, 1978), p. 116.

  • [8]

    Stephen W. Hawking, A Brief History of Time (New York: Bantam Books, 1988), p. 123.

  • [9]

    P. C. W. Davies, Other Worlds (London: Dent, 1980), pp. 160-61, 168-69.

  • [10]

    P. C. W. Davies, “The Anthropic Principle,” in Particle and Nuclear Physics 10 (1983): 28.

  • [11]

    Paul Davies, The Mind of God (New York: Simon & Schuster: 1992), p. 16.

  • [12]

    Fred Hoyle, “The Universe: Past and Present Reflections,” Engineering and Science (November,1981), p.12.

  • [13]

    John Leslie, Universes (London: Routledge, 1989), pp. 10, 121.

  • [14]

    David Park, The Image of Eternity (Amherst: University of Massachusetts Press, 1980), p. 84.

  • [15]

    Lawrence Sklar, Space, Time, and Spacetime (Berkeley: University of California Press, 1976), p. 417.

  • [16]

    Zu dieser Aussage besteht jedoch ein Vorbehalt; denn als ein Ergebnis der Aspekt-Experimente zur Verifizierung von Voraussagen der Quantenmechanik in Bezug auf Bells Theorem haben wir nun substanziellen empirischen Grund, um Relationen von absoluter Gleichzeitigkeit zwischen voneinander entfernten Ereignissen zu bestätigen und somit die Interpretation von Lorentz zu rechtfertigen.

  • [17]

    Barrow and Tipler, Anthropic Cosmological Principle, pp. 561-65.

  • [18]

    Ibid., p. 133.

  • [19]

    Michael J. Behe, Darwins Black Box. Biochemische Einwände gegen die Evolutionstheorie. Gräfelfing 2007: Resch Verlag. (Originalausgabe: Michael J. Behe, Darwin’s Black Box, New York 1996: Free Press).

  • [20]

    Ibid., p. 193.

  • [21]

    Anthony Kenny, The Five Ways: St. Thomas Aquinas Proofs of God’s Existence (New York: Schocken Books, 1969), p. 66.