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#658 Zum Gespräch mit Sir Roger Penrose

December 22, 2019
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

Ich habe mir Ihr Gespräch mit Sir Roger Penrose auf „Unbelievable?“ angehört und fand Ihre Behauptung, dass absolute metaphysische Zeit existiert, interessant. Ich habe ein Problem bezüglich der Kohärenz der metaphysischen Zeit. Wenn metaphysische Zeit existiert, dann wird es immer Sinn machen, zu sagen, dass ein vergangenes Ereignis einen Zeitraum x vor dem Jetzt geschah, selbst wenn es unmöglich wird, die Zeit physikalisch zu messen (d. h. wenn alle Zeit messenden Prozesse verschwinden). Dies impliziert doch, dass es unmöglich ist, dass metaphysische Zeit aufhört, zu existieren. Wenn metaphysische Zeit aber nicht aufhören kann, zu existieren, wie kann es dann möglich sein, dass sie beginnt, zu existieren? Die Alternative wäre, dass metaphysische Zeit jenseits des Ewigen liegt, was Sie ganz sicher ablehnen würden.

Jacob

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Ah, da sind sie wieder, unsere alten Freunde – die A- und die B-Theorie der Zeit! Zur Erinnerung: Eine A-Theorie der Zeit ist eine Theorie der tempushaften Zeit:[1] Die Dinge sind tatsächlich vergangen, gegenwärtig oder zukünftig, und das zeitliche Werden ist eine Realität. Die B-Theorie der Zeit dagegen ist eine Theorie der tempuslosen Zeit:[2] Alle Augenblicke in der Zeit sind gleich real, und es gibt keine objektive Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft, sondern lediglich die subjektiven Standpunkte von Beobachtern entlang der Zeitlinie.

Ich bin ein Verfechter einer A-Theorie der Zeit und beantworte Ihre Frage daher von diesem Standpunkt aus. Ich glaube, dass die Zeit Gottes – die metaphysische Zeit – unabhängig von jeglichen physikalischen Messungen existiert, die wir auf sie anwenden können. Die Möglichkeit, dass Gott eine Abfolge von mentalen Ereignissen erlebt, die vor der Schöpfung liegen, ist meines Erachtens ein schlagendes Argument dafür, dass die Zeit nicht identisch mit irgendeiner physikalischen Zeit ist.

Ich stimme also voll und ganz zu, dass die Zeit selber nicht aufhören würde, zu existieren, selbst wenn alle zeitmessenden physikalischen Prozesse nicht mehr existieren würden, wie Penrose sich das denkt. Penrose schien mir eine verifikationistische, reduktionistische Sicht von der Zeit zu vertreten, die nicht recht zu seinen metaphysischen Vorlieben passen will.

Ich stimme auch zu, dass es unmöglich ist, dass die metaphysische Zeit aufhört, zu existieren. Selbst wenn Gott das Universum vernichten sollte, würde es doch für immer wahr bleiben, dass „es einmal ein Universum gab“, und es würde unendlich viele Vergangenheitswahrheiten geben, was für die Existenz der Zeit ausreichen würde.

Aber nach einer A-Theorie der Zeit sind Vergangenheit und Zukunft nicht symmetrisch, sondern es gibt einen Zeitpfeil, der durch die Richtung des zeitlichen Werdens von Vergangenheit zu Zukunft bestimmt wird. Obwohl also die Zeit, wenn sie einmal begonnen hat, nicht aufhören kann, zu existieren, gibt es keinen Grund dafür, dass die Zeit keinen Anfang haben kann, ab dem sie existierte. Wir können uns mithin Gott, der ohne die Schöpfung veränderungslos allein existiert, so vorstellen, dass er zeitlos ohne Schöpfung existiert, und die Zeit begann im Augenblick der Schöpfung.

(Übers.: Dr. F. Lux)

Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/on-the-interview-with-sir-roger-penrose/

 

[1] Eng.: „tensed time“ – Anm. d. Übers.

[2] Eng.: „tenseless time“ – Anm. d. Übers.

- William Lane Craig