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#694 „Was mache ich mit meinem Transgender-Freund?“

October 02, 2020
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

ich bin ein Mädchen und 18 Jahre alt und in meinem Leben an einem Punkt angekommen, wo ich nicht mehr weiß, was ich tun soll und wie ich mich gegenüber meinen Eltern verhalten soll. Wir sind eine sechsköpfige Familie – meine Eltern, meine große Schwester, ich und meine zwei kleinen Schwestern. Wir sind Muslime, aber ich weiß, dass Gott und Allah so ziemlich dasselbe sind; so habe ich es jedenfalls gelernt. Ich brauche eine Antwort von einem Experten. Ich bin in einer Beziehung, seit viereinhalb Jahren schon, aber mein Partner ist transgender. Ich wusste das von Anfang an, und es machte mir nichts, da ich ihn so annehme, wie er ist.

Jetzt, nach viereinhalb Jahren, hat meine große Schwester meine Eltern von meiner Beziehung informiert, und jetzt denken die, ich sei krank. Krank, weil ich eine Beziehung zu einem Jungen habe. Sie sehen ihn nach wie vor als Mädchen, und das wollen sie nicht akzeptieren. Sie haben mich dazu erzogen, alle Menschen zu akzeptieren, und jetzt tun sie es selber nicht. Sie haben keinen Respekt. Das einzige Argument, das sie bringen, ist: „Gott hat Jungen und Mädchen erschaffen.“ Sie glauben, dass Transgender-Menschen krank sind. Aber diese Menschen fühlen sich nun einmal wie ein Junge bzw. Mädchen, und was soll denn daran falsch sein? Ich habe Artikel gelesen, wonach das mit der Entwicklung ihres Gehirns zu tun hat und dass sie schon so geboren sind, z. B. mit einem männlichen Gehirn, sodass sie sich in ihrem Körper gefangen fühlen. Aber hat Gott sie nicht so erschaffen? Sollte er sie dann bestrafen wollen? Liebt Gott seine Menschen etwa nicht? Er hat sie doch so gemacht. Ich habe auch gelesen, dass die Sache früher erlaubt war und dass der Prophet Mohammed solche Leute in sein Haus aufnahm und nichts gegen sie hatte, weil auch sie an Gott glaubten.

Aber mein Problem ist, was ich jetzt machen soll. Ich weiß nicht mehr ein noch aus. Meine Eltern wollen, dass ich mit meinem Freund Schluss mache, weil sie ihn nicht akzeptieren. Sie sagen, wenn ich nicht Schluss mache, darf ich nicht studieren, aber das ist doch dummes Zeug; dies ist mein Leben, und sie können mich hier nicht bevormunden. Ich habe meine Argumente, aber sie sind stur. Sie sehen die Sache anders als ich. Ich hoffe, Sie können mir weiterhelfen. Ich warte auf Ihre Antwort. Ich weiß, dass viele Menschen andere Meinungen haben, und ich weiß nicht, wie Sie von dem Thema denken, aber Sie können nicht sagen, dass meine Argumente falsch sind. Ich glaube, dass Gott will, dass ich diese Beziehung beibehalte und allen klarmache, dass das nichts Böses ist und dass er auch solche Menschen liebt und dass diese NICHT krank sind. Er hat auch sie erschaffen.

Mit freundlichem Gruß,

EC

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Ich habe den Eindruck, dass Ihre Entscheidung schon feststeht, EC, und dass Sie lediglich wollen, dass ich Ihnen gegen Ihre Eltern Recht gebe. Ich habe kein Interesse daran, in einen Familienstreit verwickelt zu werden, aber die Argumente, die Sie bzw. Ihre Eltern für ihre jeweiligen Positionen anführen, interessieren mich sehr wohl.

Zunächst zu Ihren Argumenten. Ich habe den Eindruck, dass Sie vier Argumente für den Transgender-Lebensstil Ihres Freundes bringen.

1. „Aber diese Menschen fühlen sich nun einmal wie ein Junge bzw. Mädchen, und was soll denn daran falsch sein?“ Dies ist eine unangemessene, ja gefährliche Art, seine ethischen Pflichten zu bestimmen. Wollen Sie wirklich Gefühle zur Basis für ethische Normen machen, EC? Ein Pädophiler missbraucht Kinder sexuell, weil ihm danach ist, aber ich bin sicher, dass Sie hier nicht sagen würden: „Was soll denn daran falsch sein?“ Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass meine moralischen Pflichten sich aus meinen Gefühlen ergeben, und wer es trotzdem annimmt, der öffnet Tor und Tür für die größten Abscheulichkeiten.

2. „Ich habe Artikel gelesen, wonach das mit der Entwicklung ihres Gehirns zu tun hat und dass sie schon so geboren sind, z. B. mit einem männlichen Gehirn, sodass sie sich in ihrem Körper gefangen fühlen.“ Vergessen Sie die biologisch absurde Behauptung, dass jemand ein männliches Gehirn in einem weiblichen Körper haben kann. Betrachten Sie die Formulierung einfach als ein Bild dafür, dass ein Transgenderverhalten eine biologische Basis hat. Das Problem mit diesem Argument ist nicht nur, dass es keinerlei wissenschaftlichen Belege dafür gibt, dass Transgender biologisch basiert ist, sondern – und viel fundamentaler – wir stehen hier wieder vor einer erschreckend inadäquaten und gefährlichen Methode, seine ethischen Pflichten zu bestimmen. Es gibt null Gründe für die Annahme, dass dann, wenn jemand körperlich in Richtung auf ein bestimmtes Verhalten vorprogrammiert ist, dieses Verhalten folglich ethisch akzeptabel sein muss. Viele Stimmen haben behauptet, dass die Evolution die Männer in unserer Spezies in Richtung Gewalt einschließlich sexueller Gewalt vorprogrammiert habe. Ich will mich nicht darüber auslassen, ob diese Behauptung sachlich wahr oder falsch ist, aber selbst wenn sie wahr wäre, würde dies keine Sekunde lang bedeuten, dass Vergewaltigungen und andere Gewalt gegen Frauen ethisch in Ordnung sind, weil die Täter halt so veranlagt sind.

3. „Hat Gott sie nicht so erschaffen?“ Dies beteuern Sie wiederholt, aber ich glaube, dieses Argument verrät eine sehr naive Sicht von Gottes Vorsehung für die Welt. Wir dürfen uns Gott nicht so vorstellen, dass er im Mutterleib herumpfuscht, um alle möglichen Geburtsfehler, Behinderungen oder Krankheiten zu erzeugen. Gott hat vielmehr ein Universum erschaffen, in dem bestimmte Naturgesetze herrschen, und wenn etwas falsch läuft und z. B. jemand mit einer Behinderung geboren wird, dürfen wir nicht glauben, dass Gott dahintersteckt. Dies wirft natürlich das uralte Problem des Leidens und des Bösen auf; aber dass Gott in unserer Welt schlimme Dinge zulässt, bedeutet nicht, dass er für sie verantwortlich ist, sondern lediglich, dass er moralisch hinreichende Gründe dafür hat, es zuzulassen, dass die Natur ihren Lauf nimmt, sodass solche Dinge passieren. Wenn sich also zeigt, dass ein bestimmtes Verhalten eine biologische Basis hat, bedeutet dies nicht, dass wir nicht versuchen sollten, dieses Verhalten zu ändern. Nehmen Sie z. B. die Schizophrenie. Diese psychische Krankheit hat einen biologischen Aspekt, da es möglich ist, sie mit Medikamenten unter Kontrolle zu bekommen. Niemand würde einem schizophrenen Menschen sagen: „Gott hat dich so erschaffen, also nimm dich so an, wie du bist!“

4. „Liebt Gott seine Menschen etwa nicht?“ Doch, natürlich! Und wir sollten unsere Mitmenschen immer mit Respekt behandeln, als Personen, die als Gottes Ebenbilder erschaffen und von Gott geliebt sind. Mohammeds Gastfreundschaft (so sie denn Tatsache und nicht Legende ist) gegenüber Transgender-Menschen ist ein gutes Beispiel dafür, wie man seinen Mitmenschen respektvoll behandeln kann, auch wenn man sein Verhalten nicht richtig findet. Meine Frau Jan und ich haben einmal unser Badezimmer von einer Firma renovieren lassen, deren Chefin eine Lesbe war, und wir haben diese Frau in unser Haus gelassen, auch wenn wir ihre sexuellen Beziehungen ethisch nicht gutheißen konnten. Sie sagen über Ihre Beziehung zu Ihrem Transgender-Freund: „Es machte mir nichts, da ich ihn so annehme, wie er ist“, während Ihre Eltern wollen, dass Sie die Beziehung abbrechen, weil sie Ihren Freund „nach wie vor als Mädchen sehen und das nicht akzeptieren wollen.“ Sehen Sie den Unterschied? Sie verwechseln das Akzeptieren eines Menschen als Person mit dem Akzeptieren seines Verhaltens bzw. Lebensstils. Sie schreiben, dass Ihre Eltern Sie dazu erzogen haben, „alle Menschen zu akzeptieren, und jetzt tun sie es selber nicht.“ Ich bin mir da nicht so sicher, EC. Es kann sein, dass Ihre Eltern Ihren Freund als Person akzeptieren, obwohl sie seinen Lebensstil ablehnen. Um wieder auf Gott zu sprechen zu kommen: Gott liebt den Sünder, aber er hasst die Sünde.

Ich finde also Ihre Argumente zugunsten des Transgender-Lebensstils Ihres Freundes schwach, ja sogar gefährlich. Aber wenden wir uns jetzt den Argumenten Ihrer Eltern zu. Mir scheint, dass es zwei sind:

1. „Das einzige Argument, das sie bringen, ist: ‚Gott hat Jungen und Mädchen erschaffen.‘“ Ich verstehe das so, dass Ihre Eltern finden, dass Gott allein bestimmt, was in Bezug auf die menschliche Sexualität richtig oder falsch ist, und nicht die Gefühle oder kulturellen Gebräuche der Menschen. Ich halte dies für das einzige sichere ethische Fundament. Wir können also, wie ich in meinem Artikel A Christian Perspective on Homosexuality ausgeführt habe, in der Debatte darüber, ob homosexuelle Aktivitäten moralisch zulässig sind oder nicht, das, was Gott zu dem Thema sagt, nicht ignorieren. Als Muslime glauben Ihre Eltern an die ethischen Grundlehren der Bibel, und in der Bibel werden, wie ich in meinem Artikel aufzeige, homosexuelle Aktivitäten eindeutig verboten. Da Sie dasselbe biologische (wenn auch nicht das gefühlte) Geschlecht haben wir Ihr „Freund“, wäre jegliche sexuelle Aktivität zwischen Ihnen beiden homosexueller Art und damit von der Bibel verboten. Ihre Eltern erwarten zu Recht, dass Sie sich von dieser Sünde fernhalten, ganz zu schweigen von all dem Herzeleid, das diese Sünde Ihnen bringen würde.

2. „Sie glauben, dass Transgender-Menschen krank sind.“ Nun, diese Menschen scheinen mir in der Tat schwere Probleme mit ihrer psychischen Gesundheit zu haben. Jemand, der sich für einen in einem weiblichen Körper gefangenen Mann bzw. eine in einem männlichen Körper gefangene Frau hält, ist keine stabile Person. So jemand muss in einem Zustand permanenter innerlicher Zerrissenheit leben. Damit ist nichts über die Moralität des Transgender-Seins ausgesagt! Die Bibel verurteilt homosexuelle Aktionen, aber nicht die Orientierung eines Menschen.

Also, EC: Ich finde die Argumente Ihrer Eltern wesentlich stärker als die Ihren.

Was sollten Sie also tun? Von der Bibel her ist es so, dass Sie, solange Sie als Minderjährige unter der Autorität Ihrer Eltern stehen und unter Ihrem Dach wohnen und von ihnen ernährt werden, sich ihnen unterordnen und ihrem Wunsch Folge leisten sollten. Also: Brechen Sie Ihre Beziehung ab, zumindest solange Sie noch nicht Ihr Elternhaus verlassen haben. Da Sie offensichtlich eine heterosexuelle Orientierung haben (es zieht Sie zu Männern hin), sollten Sie aussteigen aus einer Beziehung, die Gott verboten hat, und darauf warten, dass Gott Ihnen eines Tages den richtigen Mann zeigt, mit dem sie eine Ehe eingehen können, wie Gott sie will.

(Übers.: Dr. F. Lux)

Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/what-should-i-do-about-my-transgender-boyfriend/

- William Lane Craig