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#559 Was hat Sie am Kalam-Argument so interessiert?

September 23, 2018
F

Sehr geehrter Professor Craig,

ich habe ihr Buch The Kalam Cosmological Argument gerade zu Ende gelesen und fand es aus geschichtlicher Perspektive faszinierend und aus philosophischer Perspektive anregend. Sie haben viel Zeit und Arbeit in die Modernisierung dieses sehr alten Arguments für Gott gesteckt, und es ist wirklich eines der überzeugendsten und stärksten Argumente für die Existenz Gottes. Doch was hat Sie dazu bewegt, das kalam-kosmologische Argument so intensiv zu studieren? Es gibt Dutzende Argumente, die im Laufe der Geschichte in Bezug auf die Ontologie Gottes vorgebracht wurden – welchen Reiz hatte also gerade dieses Argument für Sie als Philosophen und Theologen?

Gottes Segen.

Spencer
 

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Danke, Spencer, für diese persönliche Frage. Ich erzähle immer gerne, wie es sich bei dieser Entdeckung, die mein Leben veränderte, verhielt.

Man muss bedenken, dass mir meine Theologie-Professoren am Wheaton College, wie z. B. Robert Webber, gesagt hatten, dass es keine guten Argumente für die Existenz Gottes gebe. Er sagte, dass die traditionellen Argumente alle widerlegt worden waren. Während meines vierjährigen Studiums am Wheaton College wurde weder natürliche Theologie noch eine positive Apologetik irgendeiner Art unterrichtet. Wir hatten damals nur die Art negative Apologetik, wie sie Francis Schaeffer vertrat, die besagte, dass das individuelle Menschenleben und die Kultur den Bach runter gehen und in Verzweiflung oder Widersprüchen enden, wenn der Theismus, und vor allem das Christentum, nicht wahr sind. Das Problem mit dieser Art negativer Apologetik ist, dass sie einem immer noch keinen Grund bietet, warum das Christentum wahr ist oder warum Bertrand Russell Unrecht mit seiner Aussage hatte, dass man, um mit dem Leben zurechtzukommen, erkennen müsse, dass die Welt ein wahrhaft schrecklicher Ort ist.

Eine Woche vor meinem Abschluss ging ich im College-Buchladen den Tisch mit den Sonderangeboten durch, als mir zu meiner Überraschung einige Exemplare von Stuart Hacketts Buch The Resurrection of Theism[1]  (1957) ins Auge fielen. Ich hatte schon gerüchteweise von diesem längst vergriffenen Buch gehört und Hackett sogar im ersten Semester des ersten Studienjahres im Philosophie-Einführungskurs als Professor gehabt. Leider gab dieser Kurs nur einen Überblick über die Geschichte der Philosophie, und so diskutierten wir Argumente für die Existenz Gottes nie ausführlich (wenn überhaupt). Doch ich hatte gehört, dass Hackett in diesem Buch eine Argumentation für Gottes Existenz vorbrachte, und so nahm ich mir ein Exemplar mit, um es irgendwann später zu lesen.

In diesem Sommer kam ich nach dem Abschluss endlich dazu, Hacketts Buch zu lesen - und war von dem, was ich da las, absolut überwältigt. Er verteidigte die traditionellen Argumente für Gottes Existenz, wie die kosmologischen und teleologischen Argumente, und widerlegte jeden denkbaren Einwand, den man gegen vorbringen könnte! Zudem legte er schon die Einwände so überzeugend dar, dass ich jedesmal dachte: „Genau, das war’s dann! An diesem Einwand führt kein Weg vorbei!“ Und dann zerpflückte er den Einwand doch. Ich hatte noch nie so ein Buch gelesen: Jeder einzelne Satz diente dazu, das Argument voranzutreiben, und man traute sich nicht, einen Satz auszulassen, um nicht den Faden zu verlieren. Das Buch ist ein geniales Stück analytischer Religionsphilosophie, das zehn Jahre geschrieben wurde, bevor Alvin Plantinga mit God and Other Minds solches Aufsehen erregte. Ich habe schon oft gesagt: Wenn Hackett sein Buch bei der Cornell University Press und nicht bei der Moody Press hätte verlegen lassen, dann hätte die Revolution der christlichen Philosophie zehn Jahre früher angefangen.

Wie Sie wohl schon vermutet haben, bildete eine auf der Endlichkeit der Vergangenheit basierende Version des kosmologischen Arguments das Herzstück von Hacketts natürlicher Theologie. Das Argument fand bei mir sofort Widerhall: Seit meiner Kindheit erschien mir die Vorstellung eines anfangslosen Universums und einer unendlichen Vergangenheit unglaublich. Doch ich wollte nicht nur meiner Meinung von Hacketts Argument vertrauen. Ich wollte wissen, was andere dachten.

Als ich mich für die Zulassungsprüfung für das M.A.-Studium in Religionsphilosophie an der Trinity Evangelical Divinity School vorbereitete, entschied ich mich, Frederick Coplestons monumentales, neunbändiges Werk A History of Philosophy zu lesen und mir ausführlich Notizen zu machen. In den darauffolgenden Monaten entdeckte ich bei dieser Lektüre nicht weniger, als dass das von Hackett vertretene Argument eine lange und herausragende Tradition in der Geschichte der westlichen Philosophie hatte, die bis zu den frühen Kommentatoren von Aristoteles zurückreichte und in der mittelalterlichen islamischen Theologie und von Immanuel Kant in seiner ersten Antinomie über die Zeit fortgeführt wurde. Ich hatte keine Ahnung, dass es solch eine uralte Tradition gab! Ich entschloss genau in diesem Moment, dass ich, wenn ich jemals in Philosophie promovieren könnte, meine Arbeit über diese Version des kosmologischen Arguments schreiben müsste.

Einige Jahre später machte ich meinen Abschluss an der Trinity School. Damals gab es kaum Philosophen, die über Argumente für die Existenz Gottes schrieben. Doch eine bemerkenswerte Ausnahme stellte der britische Philosoph John Hick an der Universität von Birmingham in England dar. Also schrieb ich ihn an und fragte, ob er eine Doktorarbeit über das kosmologische Argument betreuen würde. Ich war hocherfreut, als er zusagte. Und der Rest ist, wie man so sagt, Geschichte. Um meine Wertschätzung für die islamische Entwicklung des Arguments zum Ausdruck zu bringen, nannte ich Hacketts Argument das kalām-kosmologische Argument, und der Name blieb auch haften.

Eine letzte Anekdote: Als Jan und ich in Birmingham ankamen, sagte Prof. Hick zu mir: „Sind Sie sicher, dass Sie über das kosmologische Argument schreiben wollen? Wäre die ganze Mühe nicht für die Katz?“

Wir waren bis nach England gereist, um dieses Argument zu studieren, und er machte den Vorschlag, ein anderes Thema zu nehmen! Bemüht, Haltung zu bewahren, antwortete ich: „Ach, ich glaube, man kann noch so einiges zu dem Thema sagen.“ So ließ er mich zu meiner großen Erleichterung bei diesem Thema bleiben.

Einige Jahre später, nachdem ich meine Doktorarbeit geschrieben hatte, kam Prof. Hick vor meiner mündlichen Prüfung zu mir und sagte mir im Vertrauen: „Ich habe Ihre Arbeit einem Physik-Professor gegeben, damit er Ihre physikalischen Belege für den Anfang des Universums bewertet.“ Er hielt kurz inne und fuhr dann fort: „Er hat gesagt, sie sind alle korrekt.“

Ich sagte: „Ich weiß, dass sie das sind!“

Er antwortete: „Warum wissen die Theologen nicht hiervon?“

Ich lachte bloß und sagte dann: „Sind Sie immer noch der Meinung, dass die Mühen für das kosmologische Argument für die Katz sind?“

Er grinste verschmitzt: „Nein, keineswegs!“

(Übers.: J. Booker)

Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/what-interested-you-in-the-kalaam-cosmological-argument/

 

 

[1] Dt.: „Die Auferstehung des Theismus“ Anm. d. Übers.

- William Lane Craig