English Site
back
05 / 06

#563 Sind Sie Kompatibilist?

October 21, 2018
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

als ich Ihre Frage der Woche #278 gelesen habe, habe ich bemerkt, dass Sie in Ihrer Antwort auf die Frage der Freiheit und Unfähigkeit Gottes, Böses zu tun, mit einem klassischen Frankfurt-Fall[1] antworten. Ich zitiere: „… was für die Willensfreiheit entscheidend ist, ist nicht die Fähigkeit, das Gegenteil zu tun, sondern die Abwesenheit externer kausaler Einschränkungen für jemandes Entscheidung.“ Dies ist natürlich das Credo der Kompatibilisten, die ja sagen, dass es nicht darauf ankommt, ob man die Möglichkeit hat, etwas anderes zu tun, sondern ob die Entscheidung wirklich insofern einem „selbst überlassen“ ist, dass man von äußeren Einflüssen befreit ist. Ich verfolge Ihre Arbeit seit vielen Jahren, und ich war immer der Überzeugung, dass sie Inkompatibilist sind und an die libertäre Freiheit glauben. Aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, welcher Ansicht sie sind. Sind Sie doch Kompatibilist? Wenn ja, wissen Sie sicherlich, welche Implikationen das für die Verteidigung des freien Willens beim Problem des Übels hat. Die funktioniert gemäß dem Kompatibilismus nicht, weil Gott einfach bestimmen könnte, dass alle sich immer freiwillig für das Gute und das ewige Leben mit ihm entscheiden. Wenn Sie kein Kompatibilist sind, warum haben Sie dann in der Frage #278 ein Argument formuliert, das für den Kompatibilismus spricht?

Beste Grüße

James
Vereinigte Staaten

 

[1] En.: „Frankfurt case“, benannt nach dem Philosophen Harry Frankfurt, der Gegenbeispiele, sogenannte „Fälle“, gegen das „Prinzip der alternativen Möglichkeiten“ (En.: principle of alternate possibilities) formulierte.

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Ich bin ganz explizit ein Libertär in Bezug auf den freien Willen. Da sollte es also eigentlich keine Zweifel geben. Ich lehne nur das sogenannte Prinzip der alternativen Möglichkeiten ab, nachdem die Möglichkeit, in einer gegebenen Situation etwas anderes zu tun, eine notwendige Bedingung für libertäre Freiheit ist. Das ist die Lektion aus dem Gedankenexperiment, das Sie erwähnen.

Der Kompatibilist denkt, dass der freie Wille kompatibel damit ist, dass meine Entscheidung von äußeren Faktoren kausal bestimmt wird. Daher ja der Name „Kompatibilismus“! Meine Entscheidung ist kausal bestimmt, aber dennoch frei. Ich widerspreche dem, weil ich denke, dass eine freie Entscheidung nicht von äußeren Faktoren bestimmt werden kann.

Ich glaube, Sie verwechseln Zwang mit kausaler Bestimmung. Der Kompatibilist denkt, dass eine freie Entscheidung freiwillig sein muss – etwas, das ich tun möchte, ohne Zwang. Doch freiwillige Entscheidungen sind für den Kompatibilisten immer noch kausal determiniert. Libertäre sind der Meinung, dass Freiwilligkeit keine ausreichende Bedingung für eine freie Entscheidung ist.

Es stimmt nicht, dass Kompatibilisten denken, „dass es nicht darauf ankommt, ob man die Möglichkeit hat, etwas anderes zu tun, sondern ob die Entscheidung wirklich insofern einem ‚selbst‘ überlassen“ ist, dass man von äußeren Einflüssen befreit ist.“ Nein, es geht um Freiheit von Zwängen. Wie Sie selbst sagen, könnte Gott gemäß dem Kompatibilismus „einfach bestimmen, dass alle sich immer freiwillig“ für etwas entscheiden. Der Kompatibilist ist also – im Gegenteil zu Libertären wie mir – schon der Meinung, dass der freie Wille damit kompatibel ist, dass unsere Entscheidungen von externen Faktoren kausal bestimmt werden.

(Übers.: J. Booker)

Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/i-a-compatibilist

- William Lane Craig