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#678 Schöpfung und simultane Verursachung

July 04, 2020
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

danke für Ihre Arbeit und alles, was Sie für den christlichen Glauben tun. Ich habe eine Frage zur atemporalen Verursachung. Viele Skeptiker behaupten, Gott könne das Universum nicht erschaffen haben, weil es keine Zeit gab, in welcher er es erschaffen konnte. Aber ich halte es mit Ihrer Position, dass wir nicht „Gott existierte, bevor das Universum existierte“ sagen sollten, sondern: „Gott existierte zeitlos ohne das Universum.“ Aber ich habe meine Probleme mit einer Analogie, die von Trent Horn[1] stammt, und vielleicht können Sie mir hier helfen.

Horn sagt, dass „die Ursache einer Wirkung nicht immer vor der Wirkung existieren muss“, und er stützt sich hierbei auf Immanuel Kant: „Der größte Teil der wirkenden Ursachen in der Natur ist mit ihren Wirkungen zugleich... wenn jene [die Ursache] einen Augenblick vorher aufgehöret hätte zu sein, diese [die Wirkung] gar nicht entstanden wäre.“[2] Im Weiteren bringt Horn die Analogie eines Ziegelsteins, der durch ein Fenster fliegt: „In diesem Fall ist es deutlich, dass der Ziegel geworfen wird, bevor die Fensterscheibe zerbricht, und die Scheibe zerbricht nicht, bevor der Stein sie getroffen hat. Aber man beachte, dass es hier eine kurze Überlappungsphase gibt, wo die Ursache (der durch die Luft fliegende Ziegel) gleichzeitig mit der Wirkung (dem Zerbrechen der Fensterscheibe) ist. Würde der Ziegelstein auch nur eine Mikrosekunde, bevor er das Fenster erreicht, verschwinden, würde es nicht zu der Wirkung kommen. Es muss also einen Augenblick geben, wo Ursache und Wirkung gleichzeitig sind.“ Aber wäre in diesem Beispiel nicht genau genommen die Ursache nicht der Ziegelstein selber, sondern die Handlung des Werfens des Steins? Womit Ursache und Wirkung ja nicht mehr gleichzeitig wären. Und wenn dies stimmt, was für andere Beispiele von gleichzeitigen Ursachen und Wirkungen könnten wir unseren Freunden, den Skeptikern, dann geben?

Danke, und möge Gott Sie segnen!

Paul
Kanada

 

[1] Trent Horn ist ein US-amerikanischer katholischer Philosoph und Apologet. (Anm. d. Übers.)

[2] Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Nach der ersten und zweiten Originalausgabe herausgegeben von Jens Timmermann. Mit einer Bibliographie von Heiner Klemme. Hamburg 1998: Felix Meiner Verlag, S.

299. (S. A202f / B248 Akademie-Ausgabe).

Canada

Prof. Craigs Antwort


A

Danke für Ihre guten Wünsche, Paul! Ich habe Ihre Frage in erster Linie deswegen ausgewählt, weil Sie so überzeugend argumentiert haben, dass die Gleichzeitigkeit von Ursache und Wirkung nicht nur plausibel, sondern praktisch unausweichlich ist, womit Sie den populären Kritikern der Schöpfungslehre und in Sonderheit des Kalām-kosmologischen Arguments den Teppich unter den Füßen wegziehen.

En passant möchte ich hier anmerken, dass ich nicht die atemporale Verursachung verteidige, also die Sicht, dass bei der Schöpfung die Ursache (Gott) zeitlos und die Wirkung (die Welt) temporal ist. Ganz im Gegenteil, ich argumentiere gegen diese Sicht. Aber ich möchte ebenfalls anmerken, dass dann, wenn man glaubt, dass Ursachen ihren Wirkungen notwendigerweise zeitlich vorangehen, es dem Theisten freisteht, zu behaupten, dass zwar die physikalische Zeit (also die Zeit, insofern sie eine Rolle in der Physik spielt) möglicherweise mit dem Urknall begann, aber dass Gott buchstäblich schon vor dem Urknall existierte, in einer metaphysischen, nicht-metrischen Zeit, in der man keine Sekunden, Minuten, Stunden und Tage unterscheiden kann – eine Sicht, die von John Lucas, Richard Swinburne und Alan Padgett verteidigt worden ist.

Meine persönliche Sicht ist die, dass bei der Schöpfung die Ursache simultan (gleichzeitig) mit der Wirkung ist, d. h. beide erfolgen im gleichen zeitlichen Augenblick, nämlich in dem allerersten Augenblick der Zeit. Gott, insofern er allein, ohne die Welt, existiert, ist zeitlos, aber insofern er zusammen mit der Welt existiert, ist er temporal. Der Augenblick, in welchem Gott das Universum ins Sein treten lässt (verursacht), ist der Augenblick, in welchem das Universum beginnt. Was könnte offensichtlicher sein? Wie könnten hier Ursache und Wirkung nicht simultan sein?

Ich stimme also voll und ganz überein mit Horns Kantianischer Behauptung, dass „die Ursache einer Wirkung nicht immer vor der Wirkung existieren muss.“ Wie könnten die Ursache und ihre Wirkung nicht simultan sein? Wie Horn sagt: „Würde der Ziegelstein auch nur eine Mikrosekunde, bevor er das Fenster erreicht, verschwinden, würde es nicht zu der Wirkung kommen.“ Ich würde mir gerne von den Kritikern der simultanen Verursachung erklären lassen, wie ein kausaler Einfluss eine solche zeitliche Lücke überspringen kann, um zu einem späteren Zeitpunkt eine Wirkung zu erzielen. In einer Kausalkette muss das letzte Glied ganz offensichtlich simultan mit der Wirkung sein, oder es würde nicht zu der Wirkung kommen.

Sie fragen: „Aber wäre in diesem Beispiel nicht genau genommen die Ursache nicht der Ziegelstein selber, sondern die Handlung des Werfens des Steins? Womit Ursache und Wirkung ja nicht mehr gleichzeitig wären.“ Nein, die Ursache des Zerbrechens des Fensters ist eindeutig, dass der Ziegelstein das Fenster trifft. Der Werfer trägt die Verantwortung für das Werfen des Steins und kann damit rechtlich für das Zerstören der Fensterscheibe haftbar gemacht werden. Der Steinwerfer ist die Handlungsursache, die die Kausalkette, die zum Zerbrechen der Fensterscheibe führt, in Gang setzt. Das Werfen des Ziegelsteins ist die entfernte Ursache des Zerbrechens der Scheibe, aber die unmittelbare Ursache ist, dass der Stein das Fenster trifft.

Doch bei der Schöpfung gibt es keinen Unterschied zwischen entfernter und unmittelbarer Ursache, weil es keine Kausalbeziehung zwischen Gott und der Welt gibt: Gott bringt die Welt direkt ins Sein. Seine Handlungen sind wie Basishandlungen, die ich in Bezug auf mich selber vornehme. Wenn ich über meinen Sommerurlaub nachdenken will, tue ich dies sofort und direkt, ohne zuerst irgendetwas verursachen zu müssen.

Eines muss ich hier noch klarstellen: Gottes Schöpfungshandeln ist die Ereignisursache der Entstehung des Universums, während Gott selber die Handlungsursache ist. Stellen Sie sich dazu vor, dass Sie die Fensterscheibe nicht dadurch zerstören, dass Sie einen Ziegelstein werfen, sondern indem Sie sie mit einem Gegenstand direkt einschlagen. Dann wäre Ihr Schlagen mit dem Gegenstand die Ereignisursache, und Sie wären die Handlungsursache, die für das Zerbrechen der Scheibe verantwortlich ist. So ähnlich ist Gott die Handlungsursache, die handelt, um das Universum ins Sein zu bringen.

(Übers.: Dr. F. Lux)

Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/creation-and-simultaneous-causation/

- William Lane Craig