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#565 Könnte das Universum – nicht Gott – das notwendige Wesen sein?

November 04, 2018
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

zunächst einmal möchte ich Ihnen zur genialen und eleganten neuen Website gratulieren. Der Umstieg auf eine handyfreundliche Plattform macht Ihre Inhalte und Ihren Dienst viel besser zugänglich.

Ich hätte eine Frage über das Kontingenz-Argument: Als Verteidigung von Prämisse 2 Ihrer Formulierung des Leibniz’schen Arguments der Kontingenz sagen Sie, dass das Universum deshalb kontingent ist, weil die kontingente Proposition „Das Universum existiert“ ganz ohne logische Widersprüche falsch oder anders hätte sein können, was sehr stark für die Kontingenz des Universums spreche. Das stimmt ganz offensichtlich, und kein rationaler Mensch, der nach der Wahrheit sucht, kann abstreiten, dass die Proposition „Alle Ehefrauen sind verheiratet“ notwendig ist, denn wäre sie falsch oder anders, würde das zu logischen Widersprüchen führen. Wenn die Proposition „Ehefrauen sind verheiratet“ falsch wäre, würde das beispielsweise bedeuten, dass die Proposition „Ehefrauen sind unverheiratet“ wahr wäre, was logisch widersprüchlich ist. Daher ist die ursprüngliche Proposition „Ehefrauen sind verheiratet“ eine notwendige Wahrheit. Das erscheint korrekt zu sein. Wenn wir jedoch dieselben analytischen Kriterien auf die Wahrheit „Gott existiert“ anwenden, sehe ich keine logischen Widersprüche, wenn die Proposition falsch oder anders wäre. Ist dies also nicht eher eine kontingente Wahrheit und keine notwendige?

Man könnte nun natürlich sagen, dass Gott per Definition notwendig ist und es somit sehr wohl Widersprüche mit sich brächte, wenn dies falsch oder anders wäre. Doch warum nicht die einfache Lösung nehmen, die auch Hume verwendete, und das Universum als notwendig definieren, sodass wir die Kontingenz des Universums von Anfang an loswerden? Vielleicht könnte ein immaterieller, raum- und zeitloser Geist[1], der das Universum verursacht, ein separates Argument verwenden, um als notwendig erwiesen zu werden, statt dass ihm diese Eigenschaft einfach zugeschrieben wird oder er damit definiert wird?

Herzliche Grüße

Mohammad
Kanada

 

[1] Eng. „mind“ – Anm. d. Übers.

Canada

Prof. Craigs Antwort


A

Danke, Mohammad! Wir hoffen, dass die neue Website noch mehr Besucher anziehen wird, da fast die Hälfte aller Leute mobile Geräte verwenden, um im Internet zu surfen.

Sehen wir uns zunächst noch einmal die Prämissen des Leibniz’schen Argumentes an:

1. Für alles, was existiert, gibt es eine Erklärung seiner Existenz (entweder in der Notwendigkeit seines eigenen Wesens oder in einer äußeren Ursache).

2. Wenn es eine Erklärung für die Existenz des Universums gibt, ist diese Erklärung Gott.

3. Das Universum existiert.

4. Also ist Gott die Erklärung für die Existenz des Universums.

Zwar geht es in Ihrer Frage um etwas anderes, doch haben sie da etwas mit der strikten logischen Notwendigkeit/Möglichkeit und der weiteren logischen Notwendigkeit/Möglichkeit durcheinander gebracht, was ich zunächst kurz berichtigen möchte. Um strikt logisch unmöglich zu sein, muss ein Satz sich selbst widersprechen oder nach den logischen Inferenzregeln einen Selbstwiderspruch implizieren. „Manche verheiratete Frauen sind keine verheirateten Frauen“ ist strikt logisch unmöglich. Doch „Manche Ehefrauen sind nicht verheiratet“ ist nicht strikt logisch unmöglich, sondern im weiteren Sinne logisch unmöglich: Es gibt keine mögliche Welt, in der unverheiratete Frauen existieren. Manche Sätze sind also im weiteren Sinne logisch möglich, auch wenn sie nicht strikt logisch notwendig sind, wie zum Beispiel „Alles, was eine Form hat, hat auch eine Größe“ und „Jeder rote Gegenstand ist farbig“.

„Gott existiert“ ist ein solcher Satz. Seine Negierung „Gott existiert nicht“ widerspricht sich nicht selbst und impliziert auch keinen Widerspruch, doch da Gott ein metaphysisch notwendiges Wesen ist, ist es im weiteren Sinne logisch unmöglich, dass Gott nicht existiert. Wie Leibniz sagen würde: Er existiert aus der Notwendigkeit seines eigenen Wesens heraus.

Ihre völlig legitime Frage lautet also: Warum ist „Das Universum existiert“ nicht genauso logisch notwendig? Die Negierung „Das Universum existiert nicht“ widerspricht sich nicht selbst und impliziert auch keinen Widerspruch, aber man könnte auch sagen, dass das Universum aus der Notwendigkeit seines eigenen Wesens heraus existiert. In diesem Fall ist das Universum das metaphysisch notwendige Wesen, das Leibniz meinte.

Ich habe in Reasonable Faith (3. Ausgabe, S. 108-110) und On Guard (S. 60-63) schon über diese Frage geschrieben und würde sie ermutigen, das nachzulesen und darüber nachzudenken. Ganz knapp zusammengefasst, ist meine Argumentation die folgende: Da eine andere Ansammlung von Elementarteilchen hätte existieren können, hätte auch ein anderes Universum als dieses existieren können. Wer Leibniz‘ Schlussfolgerung zu vermeiden versucht, indem er sagt, das Universum sei metaphysisch notwendig, ist somit zu der Ansicht verpflichtet, dass jedes subatomare Teilchen, das existiert, metaphysisch notwendig ist, was mindestens unplausibel ist.

(Übers.: J. Booker)

Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/could-the-universe-not-god-be-the-necessary-being

- William Lane Craig