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#575 Die Erschaffung der Verlorenen

January 06, 2019
F

Ist es gerecht, dass ein liebender Gott es zulässt, dass Menschen ihn ablehnen und die Ewigkeit in der Hölle verbringen? Man bedenke, dass noch niemand erlebt hat, wie es wirklich ist, von Gott getrennt zu sein, da Gott selbst an den dunkelsten Orten der Welt noch gegenwärtig ist. Daher könnte man argumentieren, dass ein Mensch, der sich gegen Gott entscheidet, die Konsequenzen dieser Entscheidung nicht gänzlich nachvollziehen kann und ein liebender Gott daher nicht zulassen würde, dass jemand eine solche Entscheidung trifft, auch wenn das diesem Menschen den freien Willen nimmt.

Mark
Vereinigte Staaten

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Ihre Frage, Mark, ist eng mit der Frage des christlichen Partikularismus verbunden – der Lehre, dass nur manche Menschen gerettet werden und das ewige Leben erben. Ich würde Ihnen empfehlen, meine bisherigen Ausführungen zu diesem Thema zu lesen, entweder auf dieser Website oder in meinem Buch On Guard (Kapitel 10).

Es ist zunächst wichtig anzumerken, dass Ihre Frage voraussetzt, dass Gott mittleres Wissen hat. Das heißt, sie setzt voraus, dass Gott logisch vor seinem Schöpfungsdekret wusste, wie Menschen aus freien Stücken auf sein Angebot der Errettung und seine gnädigen Bemühungen, sie zum rettenden Glauben kommen zu lassen, reagieren würden. Er wusste, wer glauben würde und wer nicht. Die Lehre des mittleren Wissens ist kontrovers, und es würde mich überraschen, wenn viele Universalisten ihr zustimmen würden! Doch wenn Gott kein mittleres Wissen hat, kann ihm nicht vorgeworfen werden, dass er eine Welt geschaffen hat, in der manche Menschen all seine Bemühungen, sie zu retten, aus freien Stücken ablehnen. Er hätte das dann genauso wenig kommen sehen wie Sie und ich!

Da ich der Überzeugung bin, dass Gott mittleres Wissen hat, liegt mir Ihre Frage am Herzen. Mein Argument ist, dass es möglich ist, dass es keine machbare Welt mit freien Geschöpfen gibt, die ein besseres Verhältnis zwischen Geretteten und Verlorenen aufweist als diese. Die Vorstellung, dass Gott den freien Willen des Menschen überstimmt, kommt nicht in Frage, denn erzwungene Liebe ist überhaupt keine Liebe, und Gott behandelt uns nicht wie bloße Marionetten. Somit kann Gott nicht vorgeworfen werden, dass er keine Welt mit einem besseren Verhältnis zwischen Geretteten und Verlorenen erschaffen hat; eine solche Welt war für ihn nicht machbar.

Gott hätte auch auf die Erschaffung der Welt ganz verzichten können, sodass niemand verloren ginge. Aber dann würde auch niemand gerettet werden! Mein Theologieprofessor Clark Pinnock formulierte es einmal so: „Warum sollte denjenigen, die Gottes Liebe und Gnade aus freien Stücken annehmen würden, die Errettung versagt bleiben, nur weil diese Spielverderber Gottes Liebe und Gnade ablehnen würden?“ Gute Frage! Gott möchte, dass alle gerettet werden, und manch einer der Verlorenen erhält vielleicht sogar mehr Gnadenerweise als die Geretteten! Er allein ist dann für sein tragisches Schicksal verantwortlich.

Und hier kommt Ihr Einwand ins Spiel. Ihr Argument besagt im Prinzip, dass Gott in dem Wissen, dass ihn viele aus freien Stücken abweisen würden, von der Erschaffung der Welt hätte ganz absehen sollen. Denn die Nichtgläubigen hätten keine Vorstellung davon, wie schrecklich das Schicksal ist, das sie erwartet. Gott handele also nicht gerecht, wenn er sie verurteilt, weil sie die Konsequenzen ihrer Handlungen nicht ermessen könnten.

Ich halte das für keinen guten Einwand. Wir sind zwar darin einer Meinung, dass niemand den Schrecken der Trennung von Gott wirklich begreifen kann, doch wir müssen das nicht vollends begreifen, um zu wissen, wofür wir uns entscheiden sollten. Die entsetzlichen Bilder, die die Bibel von der ewigen Hölle zeichnet, sind furchtbar genug, um einem Menschen, der bei gesundem Verstand ist, die Schrecken der Hölle zu vermitteln. Man will da wirklich nicht hin! Die Tatsache, dass es noch schlimmer sein wird, als man denkt, spielt keine Rolle. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass mehr Sünder gerettet worden wären, wenn sie eine klarere Vorstellung von der ewigen Trennung von Gott gehabt hätten.

(Übers.: J. Booker)

Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/gods-creation-of-the-lost

- William Lane Craig